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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 625/05
Rechtsgebiete: HAG


Vorschriften:

HAG § 29 Abs. 7
Bei der Berechnung der Heimarbeitsvergütung in der Kündigungsfrist dürfen tatsächlich gezahlte Urlaubs- und Feiertagsentgelte mindernd berücksichtigt werden; in diesem Falle müssen sie aber auch in die Berechnung des im Referenzzeitraum gezahlten Gesamtbetrages nach § 29 Abs. 7 HAG einfließen.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 09.03.2005 - 3 Ca 456/04 - teilweise abgeändert und wie folgt neu formuliert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.750,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 85/100 und die Beklagte zu 15/100.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger restliche Vergütung aus einem Heimarbeitsvertrag und Schadensersatz zu zahlen. Der Kläger ist seit ca. 35 Jahren als Heimarbeiter für die Beklagte tätig. Ob der Rahmentarifvertrag für die Schneid- und Besteckwarenindustrie in Solingen (RTV) auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, ist zwischen ihnen streitig. Die Beklagte kündigte das mit dem Kläger bestehende Heimarbeitsverhältnis unter dem 23.05.2003 fristgerecht zum 31.12.2003. Diese Kündigung wurde vom Kläger inzwischen akzeptiert. Mit seiner am 01.03.2004 beim Arbeitsgericht Solingen anhängig gemachten Klage hat der Kläger zuletzt noch die Zahlung restlicher Vergütung für die Zeit der Kündigungsfrist in Höhe von 3.750,36 € und Schadensersatz in Höhe von 21.330,00 € geltend gemacht. Der Kläger hat sich zur Begründung der Restvergütungszahlung zunächst auf eine vom Arbeitsgericht eingeholte Auskunft des Staatlichen Amtes für Arbeitsschutz Wuppertal (im Folgenden AfA genannt) vom 25.07.2004 (vgl. hierzu Bl. 108 u. 109 d. A.) berufen und die Auffassung vertreten, dass die dort dargestellte Berechnungsweise nicht korrekt wäre. Zwar weise das AfA richtigerweise auf der Basis des § 29 Abs. 7 HAG für die Zeit der Kündigungsfrist ein Gesamtentgelt von 23.739,18 aus, wovon ein tatsächliches Arbeitsentgelt in Höhe von 19.988,82 € abzuziehen sei. Der Abzug weiterer 541,44 € für vier Feiertage und 2.707,20 € für 20 Arbeitstage sei indessen nicht gerechtfertigt, so dass ihm nicht nur der errechnete Betrag von 501,73 €, sondern ein solcher von 3.750,36 € als Nachforderung zustehe. Der Kläger hat weiter behauptet, die Beklagte habe ihm im Januar 2003 zugesichert, er werde über sein normales Arbeitspensum hinaus 3.000 Säbel zur Bearbeitung erhalten, die aus einem Auftrag für Kolumbien stammten. Da die Beklagte die Zusage nicht eingehalten hätte, sei ihm, dem Kläger, bei einem Einzelpreis von 7,11 € ein Schaden in Höhe von 21.330 € entstanden. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 25.080,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich hinsichtlich der Vergütung für die Kündigungsfrist auf die Berechnung des AfA berufen, die sie für richtig hält. Die Beklagte hat darüber hinaus bestritten, dem Kläger eine verbindliche Zusage über die Bearbeitung von 3.000 Säbeln gemacht zu haben. Schließlich hat sie die Auffassung vertreten, dass ihr wegen einer Nachforderung der Bundesagentur für Arbeit vom 06.05.2004 ein Ersatzanspruch in Höhe von 913,46 € gegen den Kläger zustehe. Sie hat deshalb gegenüber dem unstreitigen Vergütungsanspruch in Höhe von 501,73 € die Aufrechnung erklärt und darüber hinaus widerklagend beantragt, den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 411,73 € zu zahlen. Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen. Mit Urteil vom 09.03.2005 hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Solingen 3 Ca 456/04 die Klage bis auf einen Betrag in Höhe von 501,73 € und die Widerklage in vollem Umfang abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, über den unstreitigen Betrag von 501,73 € hinaus stehe dem Kläger keine weitergehende Vergütung zu. Eine Berücksichtigung des Feiertags- und Urlaubsentgelts würde vielmehr zu einer entsprechenden Doppelzahlung führen; der gekündigte Heimarbeiter stünde damit besser als der ungekündigte. Der verbleibende Anspruch von 501,73 sei insoweit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch Aufrechnung erloschen, weil ein zur Aufrechnung berechtigender Gegenanspruch der Beklagten nicht schlüssig dargelegt worden sei. Dementsprechend erweise sich auch die Widerklage als unbegründet. Schließlich sei dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch schon deshalb zu versagen, weil dieser nach § 16 RTV verfallen wäre. Der Kläger hat gegen das ihm am 09.04.2005 zugestellte Urteil mit einem am 09.05.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.06.2005 mit einem am 25.05.2005 eingegangenen Schriftsatz begründet. Er wiederholt im Wesentlichen seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und meint auch weiterhin, dass die Berechnung des AfA fehlerhaft sei. Aus der zu den Akten gereichten Übersicht vom 25.07.2004 folge nämlich, dass bei der Ermittlung des 14/12-Ausgleichsbetrages Feiertags- und Urlaubsentgelte nicht berücksichtigt worden seien, bei der Berechnung des tatsächlichen Arbeitsentgeltes aber aufgeschlagen würden. Dies sei mit dem Wortlaut des § 29 Abs. 7 HAG und dem mit dieser Norm verfolgten Zweck nicht vereinbar, weil es zu einer Benachteiligung des gekündigten Heimarbeiters führe. Zum weiterverfolgten Schadensersatzanspruch vertritt der Kläger die Auffassung, dass der RTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung finde. Darüber hinaus präzisiert er seinen bisherigen Sachvortrag und behauptet, in der Karnevalszeit des Jahres 2003 hätte ihn der Geschäftsführer der Beklagten im Beisein von zwei anderen Heimarbeitern gefragt, ob alle drei zusammen in der Lage seien, den streitbefangenen Auftrag für Kolumbien zu fertigen. Dies hätten alle drei bejaht. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 09.03.2005 abzuändern, soweit es die Klage abgewiesen hat, und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger insgesamt 25.080,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2004 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag aus der ersten Instanz. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen. Entscheidungsgründe: I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO). II. In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 611 BGB i. V. mit § 29 Abs. 7 HAG einen Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung für die Zeit der Kündigungsfrist von Juni bis Dezember 2003 in Höhe von 3.750,36 €. Die darüber hinaus gehende Berufung war zurückzuweisen, weil dem Kläger aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 21.330,00 € gegen die Beklagte zusteht. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Nachzahlung von Restvergütung für die Zeit der Kündigungsfrist und damit für die Monate Juni bis Dezember 2003 in Höhe von insgesamt 3.750,35 €, weil die Beklagte auf der Grundlage der Berechnung des AfA eine Berechnung vorgenommen hat, die den Vorgaben des § 29 Abs. 7 HAG nicht entspricht. Nach dieser Norm durfte die Beklagte die an den Kläger geleisteten Urlaubsentgelts- und Feiertagszahlungen nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigen, weil dies zu einer negativen Konsequenz führt, die von § 29 Abs. 7 HAG nicht gedeckt ist. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der streitbefangenen Norm. 1.1 Bei der Auslegung von Gesetzen ist zunächst vom Wortlaut der Regelung auszugehen, wobei es jedoch nicht auf den buchstäblichen Wortsinn ankommt. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, sofern dieser erkennbar zum Ausdruck gekommen. Zu beachten ist aber der Gesamtzusammenhang der Regelung, weil er auf den wirklichen Willen und damit auf den Zweck der Regelung schließen lassen kann (BAG, Urteil vom 19.04.2005 3 AZR 469/04 n. v., m. w. N. auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts). 1.2. Hiernach ergibt sich, dass im Rahmen des § 29 Abs. 7 HAG die Urlaubs- und Feiertagsentgelte entweder überhaupt nicht zu berücksichtigen sind oder aber, wofür einiges spricht, sowohl bei der Errechnung des Gesamtbetrages wie auch bei den tatsächlich geleisteten Arbeitsentgelten zu berücksichtigen sind. 1.2.1 Der Wortlaut des § 29 Abs. 7 HAG erweist sich zunächst als noch wenig ergiebig. Die streitbefangene Norm bestimmt zunächst, dass für die Dauer der Kündigungsfrist der Beschäftigte nach Maßgabe der Länge der Kündigungsfrist Anspruch auf die Weiterzahlung seiner Vergütung hat, und zwar beim Kläger in Höhe von 14/12 des Gesamtbetrages, den er in den dem Zugang der Kündigung vorausgegangenen 24 Wochen als Entgelt erhalten hat. Nach dem Wortlaut wird nicht klar erkennbar, ob hiernach im Referenzzeitraum erbrachte Urlaubsentgelt- und Feiertagszahlungen einzurechnen sind. Durch die Wahl des Wortes Gesamtbetrag und des ebenfalls umfassend wirkenden Wortes Entgelt spricht allerdings viel dafür, dass beide genannten Vergütungsbestandteile im Rahmen der 14/12-Regelung zu beachten sind. 1.2.2 Diese Auffassung wird verstärkt, wenn man sich den Gesamtzusammenhang und die Systematik vor Augen hält, in der sich § 29 Abs. 7 Satz 1 HAG befindet. Wenn nämlich in Satz 3 der genannten Vorschrift die Zeiten des Bezugs von Krankengeld oder Kurzarbeitergeld ausdrücklich aus dem Berechnungszeitraum und damit der Berechnung herausgenommen werden, zeigt dies, dass der Gesetzgeber andere Vergütungsbestandteile berücksichtigt wissen wollte. 1.2.3 Gleiches ergibt sich, wenn man auf Sinn und Zweck und den Grundgedanken des § 29 Abs. 7 HAG abstellt. Intention der Bestimmung ist es, dem Heimarbeiter für die Dauer der Kündigungsfrist das Arbeitsentgelt in der bisherigen Höhe zu erhalten. Der Auftraggeber hat ihm daher während der Kündigungsfrist grundsätzlich ebensoviel Arbeit zuzuweisen wie vor der Kündigung, tut er das nicht, so muss er den Heimarbeiter gleichwohl entlohnen wie bisher (vgl. hierzu zum früher geltenden § 29 Abs. 5 HAG: BAG, Urteil vom 13.09.1983 3 AZR 270/81 NZA 1984, 42). Verfolgt aber § 29 Abs. 7 HAG vordergründig den Zweck, den Heimarbeiter während der Kündigungsfrist vor Benachteiligungen zu schützen, so bedeutet dies nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer, dass in die Berechnung des Gesamtbetrages im Referenzzeitraum gezahlte Urlaubs- und Feiertagsentgelte einfließen. Diese dürfen dann im Rahmen der Gegenrechnung abgezogen werden, wenn und soweit im Rahmen der Kündigungsfrist diese Vergütungsbestandteile tatsächlich zur Auszahlung gekommen sind. 1.3 Aus dem oben gesagten folgt für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit: Nach dem insoweit nicht bestrittenen Sachvortrag des Klägers sind in die Berechnung des 14/12 Ausgleichsbetrages Urlaubsvergütungszahlungen und Feiertagsentgelte nicht einbezogen worden, obwohl diese angefallen waren. Dann aber wäre die Beklagte eben auch nicht berechtigt gewesen, bei der Gegenüberstellung mit den tatsächlich ausgekehrten Arbeitsentgelten diese Zahlungen mit einfließen zu lassen. Tat sie das doch, so führt dies zu einer Benachteiligung, die von § 29 Abs. 7 HAG gerade ausgeschlossen werden soll. Soweit der Kläger von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 21.330,00 € begehrt, ist seine Klage unschlüssig geblieben. Dem Kläger ist es in beiden Instanzen nicht gelungen, substantiiert darzulegen und unter Beweis zu stellen, dass die Beklagte eine verbindliche Zusage über einen Auftrag zur Bearbeitung von 3.000 Säbeln nicht eingehalten haben könnte. Schon nach den Erklärungen des Klägers selbst, und zwar insbesondere im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30.06.2005, ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte dem Kläger eine Rechtswirkung erzeugende Zusage gegeben haben könnte. Nach Darstellung des Klägers soll der Geschäftsführer der Beklagten in der Karnevalszeit des Jahres 2003 den Kläger im Beisein von zwei anderen Heimarbeitern gefragt haben, ob alle drei zusammen in der Lage seien, den streitbefangenen Auftrag für Kolumbien zu fertigen. Dies, so der Kläger weiter, hätten alle drei bejaht. Aus diesem Gespräch lässt sich aber allenfalls ableiten, dass die Beklagte feststellen wollte, ob der Kläger und seine Kollegen gegebenenfalls in der Lage und bereit wären, einen derartigen Auftrag zu übernehmen. Es handelte sich demgemäß um eine Art Vorabfrage, aber keinesfalls um eine verbindliche Zusage, den Auftrag dann auch zu erteilen. Dann aber scheidet ein Schadensersatzanspruch schon deshalb aus, weil der Beklagten keine rechtswidrige Verletzung etwaiger Vertrags- oder Vorvertragspflichten angelastet werden kann. Auf die Anwendbarkeit des RTV und das Eingreifen der dortigen Verfallfrist kommt es nicht mehr an. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO. Die Kammer hat, soweit die Beklagte zur Zahlung von 3.750,36 € brutto verurteilt worden ist, die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage bejaht und die Revision für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen. Die Revision ist im Übrigen für den Kläger nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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