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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 11.01.2007
Aktenzeichen: 6 Ta 638/06
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG § 23 Abs. 3 Satz 2
RVG § 33 Abs. 1
1. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit in einem Beschlussverfahren gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG richtet sich nach der Bedeutung der Sache für die Beteiligten sowie dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache.

2. Die Bedeutung der Sache kann sich aus den wirtschaftlichen Auswirkungen für die Arbeitgeberseite ergeben ebenso wie aus den Auswirkungen und Folgen für die Belegschaft.

3. Maßgeblich für die Bewertung ist der Antrag und nicht etwa die Erfolgsaussicht des Antrags bzw. dessen Begründetheit.

4. Bei der Streitwertfestsetzung ist der in zahlreichen Sonderbestimmungen zum Ausdruck kommenden Grundtendenz des Arbeitsgerichtsverfahrens Rechnung zu tragen, die Verfahrenskosten zu begrenzen.

5. Maßstab ist dabei weder die finanzielle Situation des Arbeitgebers noch das Gebühreninteresse der Rechtsanwälte.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 27.10.2006 abgeändert:

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird anderweitig für das Verfahren auf 70.666,67 €, für den Vergleich auf 80.886,67 € festgesetzt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.

Die Beteiligten haben im Ausgangsverfahren darüber gestritten, ob § 2 der Betriebsvereinbarung 06/05 über einen Sozialplan aufgrund einer Protokollnotiz vom 26.01.2005 auch für betriebsbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern, die im Rundfunkaußendienst beschäftigt sind, zur Anwendung kommt.

Im Rundfunkaußendienst waren 51 Arbeitnehmer beschäftigt, deren Kündigung die Beteiligte zu 2. ursprünglich in Erwägung gezogen hatte, wodurch bei Zugrundelegung des Sozialplanes vom 26.01.2005 Kosten in einer Größenordnung von 2,4 Mio. € entstanden wären. Die Beteiligte zu 2. hat von dieser unternehmerischen Entscheidung Abstand genommen. Am 06.02.2006 haben die Beteiligten eine Betriebsvereinbarung geschlossen, wonach für eventuell zu kündigende Mitarbeiter zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat zu gegebener Zeit ein Interessenausgleich und Sozialplan ausgehandelt werden sollte ohne Berücksichtigung der hier streitigen Protokollnotiz (Bl. 76 d. A.). Allerdings sollte eine letztinstanzliche Entscheidung, die die Anwendbarkeit des hier streitigen Sozialplanes annimmt, Anwendung finden.

Die Beteiligte zu 2. hat die Betriebsvereinbarung 06/05 über einen Sozialplan unter dem 14.03.2006 gekündigt.

Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1. hatte das vorliegende Verfahren mit folgendem Antrag eingeleitet:

Es wird festgestellt, dass § 2 der zwischen der Firma I. Technischer Kundendienst GmbH & Co. KG und dem Betriebsrat der Firma I. Technischer Kundendienst GmbH & Co. KG geschlossenen Betriebsvereinbarung 06/05 vom 26.01.2005 Anwendung findet auf betriebsbedingte Kündigungen, die von der Beteiligten zu 2. gegenüber Arbeitnehmern des Rundfunkaußendienstes ausgesprochen werden, die aufgrund eines Betriebsüberganges von der Firma I. Technischer Kundendienst GmbH & Co. KG auf die Firma U. Service 24 GmbH & Co. KG übergegangen sind.

Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen (Bl. 174 d. A.), in dem sie u. a. Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen im Hinblick auf den Rundfunkaußendienst für die Monate August und September vereinbart haben und für den Fall des Scheiterns die Berechtigung zur Anrufung einer Einigungsstelle unter Vorsitz des Präsidenten des Arbeitsgerichts I. vereinbart haben.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 27.10.2006 den Streitwert auf 204.000,00 € festgesetzt und dabei den Hilfswert von 4.000,00 € mit 51 betroffenen Arbeitnehmern multipliziert.

Gegen den am 07.11.2006 zugestellten Beschluss hatte die Beteiligte zu 2. unter dem 21.11.2006 Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, dass der Streitwert auf maximal 40.000,00 € festzusetzen sei.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. (Arbeitgeberin) ist teilweise begründet. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit war anderweitig für das Verfahren auf 70.666,67 €, für den Vergleich auf 80.886,67 € festzusetzen.

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2. vom 21.11.2006 ist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Nach Zugang des Beschlusses des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 27.10.2006 unter dem 07.11.2006 hat die Beteiligte zu 2. mit der Einreichung der Beschwerde unter dem 21.11.2006 die 14-tägige Beschwerdefrist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG gewahrt.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Mit der Streitwertfestsetzung auf 204.000,00 € hat das Arbeitsgericht den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit zu hoch angesetzt.

a) Im Streitfall handelt es sich um ein Verfahren nichtvermögensrechtlicher Art, in dem der Gegenstandswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen ist.

Dabei ist der Wert von 4.000,00 € lediglich ein Hilfs- bzw. Auffangwert, der nur dann zur Anwendung kommt, wenn keine genügenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine anderweitige Festsetzung des Gegenstandswertes vorliegen. Ansonsten ist der Bewertungsrahmen des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG außerordentlich weit gezogen, nach Lage des Falles niedriger oder höher als der Hilfswert von 4.000,00 €, jedoch nicht über 500.000,00 €.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, der auch die seit dem 01.01.2006 zuständige Beschwerdekammer gefolgt ist, ist im Rahmen der Bewertung auf die Bedeutung der Sache für die Beteiligten sowie den Umfang und die Schwierigkeit abzustellen. Die Bedeutung für die Arbeitgeberseite ist nicht zuletzt nach den wirtschaftlichen Auswirkungen zu beurteilen, andererseits kann die Bedeutung für die Belegschaft nicht unberücksichtigt bleiben.

Maßgeblich für die streitwertmäßige Bewertung ist dabei der Antrag und nicht etwa die Erfolgsaussicht des Antrages bzw. dessen Begründetheit (vgl. Beschluss des LAG Düsseldorf vom 29.08.2005 17 Ta 316/05 -; Beschlüsse der erkennenden Kammer vom 06.04.2006 6 Ta 171/06 und 18.07.2006 - 6 Ta 386/06 -; vgl. auch LAG Hamm vom 12.09.2005 10 TaBV 72/05 - ).

Andererseits muss bei der Streitwertfestsetzung der in zahlreichen Sonderbestimmungen zum Ausdruck kommenden Grundtendenz des Arbeitsgerichtsprozesses Rechnung getragen werden, die Verfahrenskosten zu begrenzen (GK - ArbGG/Wenzel Stand: März 2005 Rn. 444).

Daraus folgt zugleich, dass entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2. die finanzielle Situation der Arbeitgeberin kein Maßstab für die Wertfestsetzung sein kann, ebenso wenig wie entgegen der Auffassung der Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1. das Gebühreninteresse der Rechtsanwälte. Der Arbeitsaufwand kann grundsätzlich nur in der Bewertung der Schwierigkeit der Sache Berücksichtigung finden. Zumindest ist dem anwaltlichen Arbeitsaufwand als solchem kein allzu hoher Stellenwert bei der Bemessung des Gegenstandswertes einzuräumen (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 16.11.2000 1 Ta 67/00 NZA RR 2001, 551).

Eine Herabsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit ist regelmäßig dann geboten, wenn z. B. mehrere personelle Einzelmaßnahmen auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückzuführen sind und die Einzelfälle keine Besonderheiten aufweisen (vgl. LAG Hamm vom 28.04.2005 - 10 TaBV 45/05 -).

Bei einer Vielzahl von Parallelverfahren ist in diesem Zusammenhang nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer unter dem Blickwinkel Umfang und Schwierigkeit der Sache eine Herabsetzung geboten. Dabei ist nicht entscheidend, ob die parallel gelagerten Streitigkeiten in gesonderten Einzelverfahren oder in einem Gruppenverfahren zur Entscheidung gestellt werden. In den Fällen, in denen lediglich eine kursorische Prüfung der weiteren Fälle seitens der Anwälte geboten ist, führt dies nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammer zu einer Kürzung der Parallelsachen auf ein Drittel des Ausgangswertes (LAG Düsseldorf vom 18.04.2006 6 Ta 182/06 -; Beschluss vom 18.07.2006 6 Ta 386/06 -).

b) Ausweislich des Verfahrensantrages ist das Ausgangsverfahren nicht- vermögensrechtlicher Art, da der Streit um die Anwendbarkeit der Betriebsvereinbarung 06/05 um mögliche auszusprechende betriebsbedingte Kündigungen ging und damit nicht ein vermögensrechtlicher Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit war, wie etwa bei der Anfechtung eines Sozialplanes wegen Unterdotierung (insoweit BAG vom 20.07.2005 1 ABR 23/03 (A) DB 2005, 2086).

Es ist zwischen den Betriebsparteien nicht das Volumen eines Sozialplans umstritten und damit die Differenz der vorgeschlagenen Sozialplanvolumina sondern allein die Frage, ob aufgrund der Protokollnotiz vom 26.01.2005 der Sozialplan, der im Zusammenhang mit dem Interessenausgleich 05/05 abgeschlossen wurde, auch für mögliche Kündigungen der Mitarbeiter des Rundfunkaußendienstes Anwendung finden sollte.

Die Geltung einer Betriebsvereinbarung wird jedoch regelmäßig mit dem ein- oder mehrfachen Betrag des Hilfsstreitwertes in Ansatz gebracht, wobei vertreten wird, dass es angemessen erscheint, sich für die Festsetzung des Gegenstandswertes an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren (vgl. LAG Hamm vom 12.09.2005 10 TaBV 72/05 -, NZA RR 2006, 154; vgl. auch die Entscheidung der Beschwerdekammer vom 18.07.2006 6 Ta 393/06 - bei einem Streit über das Bestehen von Betriebsteilen mit drei Betriebsratsmitgliedern).

c) Unter Beachtung dieser Grundsätze - ohne dass diese exakt einschlägig sind - erscheint der Beschwerdekammer die Streitwertfestsetzung des Arbeitsgerichts nicht angemessen.

Die Orientierung ausschließlich an dem 51-fachen Hilfsstreitwert im Hinblick auf 51 auszusprechende Kündigungen berücksichtigt nicht, dass die Beteiligte zu 2. die unternehmerische Entscheidung offensichtlich zu diesen Bedingungen nicht durchführen wollte, nachdem der Betriebsrat die Geltung des alten Sozialplans reklamiert hatte. Ob und in welchem Umfang der Rundfunkaußendienst tatsächlich reduziert werden sollte, sollte noch den Verhandlungen der Parteien im Rahmen eines Interessenausgleichsverfahrens vorbehalten bleiben, wie sich aus der Betriebsvereinbarung vom 06.02.2006 ergibt. Auch die Tatsache, dass die Parteien in der Betriebsvereinbarung vom 06.02.2006 vereinbart haben, dass der Sozialplan 06/05 den betroffenen Arbeitnehmern ein Anrecht auf entsprechende Nachzahlungen geben würde, wenn in letzter Instanz ein Gericht zu dem Urteil kommen sollte, dass die Anwendung dieser Vereinbarung automatisch übertragbar ist, besagt nichts über die Anzahl der von dieser Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer. Vielmehr wird ausdrücklich davon gesprochen, dass für eventuell zu kündigende Mitarbeiter zu gegebener Zeit ein Interessenausgleich und ein Sozialplan ausgehandelt werden soll, der schließlich auch in dem gerichtlichen Vergleich zur vorsorglichen Bestimmung eines Einigungsstellenvorsitzenden nebst Besetzung der Einigungsstelle geführt hat, falls bis zum 30.09.2006 kein Interessenausgleich und Sozialplan vorliegen sollte.

Die von der Beteiligten zu 2. angegebenen Kosten von 2,4 Mio. € bei Anwendung des Sozialplanes setzen jedoch voraus, dass tatsächlich 51 Arbeitnehmer gekündigt werden sollen, was offensichtlich nicht mehr von der Beklagten verfolgt wird, da unstreitig eine unternehmerische Entscheidung in dieser Richtung nicht mehr aufrechterhalten wurde.

Andererseits hatte die Beteiligte zu 2. selbst vorgetragen, dass Sanierungsmaßnahmen durchzuführen sind, in deren Rahmen betriebsbedingte Kündigungen von Mitarbeitern des Rundfunkaußendienstes in Abhängigkeit von ihrer Auslastung erforderlich sind und dass die Sanierung der Beteiligten zu 2. nachhaltig blockiert werde, solange nicht feststeht, welche Abfindungen im Ergebnis bei künftigen betriebsbedingten Kündigungen auch und insbesondere im Rahmen von künftigen Betriebsänderungen zu zahlen sind.

Bei dieser Konstellation ist sicherlich die Festsetzung des Streitwertes in Anlehnung an die oben zitierte Entscheidung des LAG Hamm vom 12.09.2005 10 TaBV 72/05 ebenso wenig angemessen, wie die Zugrundelegung von 51 Hilfsstreitwerten im Hinblick auf eine in dieser Form nicht zu vollziehende unternehmerische Entscheidung.

Andererseits ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Beteiligten zu 2. und unter Berücksichtigung der Kostensituation personelle Maßnahmen im Bereich des Rundfunkaußendienstes unvermeidlich sind und Fremdvergaben für diese Aufgaben erfolgen sollen.

Aufgrund dessen liegt es nahe, unter Berücksichtigung der oben zitierten Rechtsprechung des LAG Düsseldorf zur Durchführung von personellen Maßnahmen in einer Vielzahl von Fällen (Parallelverfahren) von einem Grundwert von 4.000,00 € gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auszugehen und für die weiteren 50 nicht ausgeschlossenen und im Raum stehenden Kündigungen in dem Betriebsteil Rundfunkaußendienst jeweils 1/3 dieses Grundwertes in Ansatz zu bringen. Dies entspricht einem Gesamtwert von 70.666,67 € (1 x 4.000,00 € und 50 x 1.333,33 € ), der angemessen aber auch ausreichend erscheint.

Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung und der Streit über deren Anwendbarkeit stellen keine derartig schwierigen Rechtsfragen dar, die einen noch höheren Streitwert rechtfertigen könnten.

Auch die Fahrzeiten der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates können insoweit kein Maßstab sein. Ebenso wenig kann es maßgeblich sein, ob die zu zahlenden Rechtsanwaltsgebühren dem Arbeitgeber zumutbar sind. Maßgeblich ist die an den oben genannten Kriterien ausgerichtete Gegenstandsfeststellung und nicht das Gebühreninteresse der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten.

3. Allerdings haben die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates zu Recht darauf hingewiesen, dass der Vergleich einen Mehrwert gegenüber dem Verfahrensantrag enthält, da in Ziffer 3 die Hinzuziehung eines Wirtschaftsprüfers bis zu zehn Stunden 220,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer vereinbart wurde sowie die Einsetzung einer Einigungsstelle mit der Festlegung des Einigungsstellenvorsitzenden und der Anzahl der Beisitzer.

Zu der Erhöhung des Vergleichsstreitwertes um 6.220,00 € - es war allenfalls die Zuständigkeit der Einigungsstelle zwischen den Beteiligten streitig und nicht die Besetzung - war noch im Hinblick auf Ziffer 1 des Vergleichs - Vorlage des Geschäftsberichtes 2005 und der betriebswirtschaftlichen Auswertung März bis Mai 2006 - ein weiterer Hilfswert von 4.000,00 € hinzuzurechnen, so dass sich ein Vergleichsmehrwert von 10.220,00 € ergibt.

Ende der Entscheidung

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