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Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.07.1998
Aktenzeichen: 8 Sa 680/98
Rechtsgebiete: TVG
Vorschriften:
TVG § 1 |
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäfts-Nr.: 8 Sa 680/98
Verkündet am: 28.07.1998
In dem Rechtsstreit
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 28.07.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Pauly als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Nölle und den ehrenamtlichen Richter Dresen für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 14.01.1998 - 5 Ca 4903/97 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 10.52 DM.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Höhe des Abzugs für Stunden, in denen der Kläger gestreikt hat.
Der Kläger ist als Korrektor bei der Beklagten beschäftigt, und zwar gegen eine monatliche Vergütung von 4.619,-- DM brutto.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für Angestellte der Druckindustrie im Lande Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 27.02.1997 kraft beiderseitiger Gewerkschafts- bzw. Verbandszugehörigkeit Anwendung.
Im Februar 1997 hat die Beklagte das Gehalt des Klägers um vier Stunden, in denen der Kläger gestreikt hat, gekürzt, und zwar aufgrund der im Monat Februar anfallenden Arbeitszeit von 140 Stunden mit dem Divisor 140.
Mit der am 21.10.1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Beklagte hätte den Divisor 152 nehmen müssen, weswegen ihm noch ein Anspruch auf die Differenz von 10,52 DM brutto zustehe.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten: Bei objektiver Auslegung des Tarifvertrages sei davon auszugehen, daß der Divisor 152 bei der Berechnung des Stundenlohnes grundsätzlich anzuwenden sei. Zwar regele der Tarifvertrag nicht die Kürzung des Gehalts bei Streik. Jedoch sei davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien auch in einem solchen Fall gewollt hätten, daß der Divisor 152 hierbei angewandt wird.
Soweit der Manteltarifvertrag für Angestellte der Druckindustrie im Land Nordrhein- Westfalen in der Fassung vom 27.02.1997 eine Regelung enthält, lautet diese wie folgt: Protokollnotiz zu § 2 Arbeitszeit: 3. An dem Tag vor Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Neujahr endet die Arbeitszeit um 13.00 Uhr, wobei die an diesem Tage etwa festgesetzte Mittagspause unter Berücksichtigung der AZO entfällt. Die an diesem Tage ausfallende Arbeitszeit gilt als abgeleistet. Wird ausnahmsweise aus dringenden betrieblichen Gründen über diese Zeit hinausgearbeitet, so ist jede dieser Stunden mit 1/152 des Monatsgehalts zu bezahlen.
§ 4 Überstunden: 5. Überstunden sind mit 1/152 des vereinbarten Monatsgehalts zu bezahlen.
§ 5 Kurzarbeit: ... überschreitet die Kürzung der Arbeitszeit diese Grenze, so ist für jede an der festgesetzten tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit fehlende Arbeitsstunde ein Abzug von 1/152 des vereinbarten Monatsgehaltes zulässig.
§ 7 Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit: 2. Für Samstagsarbeit innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit wird bei Tag oder Frühschicht ein Zuschlag von 30 %, bei Spätschicht ein Zuschlag von 65 %, bei Nachtschicht ein Zuschlag von 85 %
auf 1/152 des vereinbarten Monatsgehaltes gezahlt.
3. Als Sonntags- oder Feiertagsarbeit gilt hier die an Sonntagen oder gesetzlichen Feiertagen in der Zeit zwischen 6.00 Uhr bis 6.00 Uhr oder 7.00 Uhr bis 7.00 Uhr des darauffolgenden Tages geleistete Arbeit. Für jede Sonntagsarbeitsstunde beträgt der Zuschlag 115 % auf 1/152 des vereinbarten Monatsgehaltes."
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10,52 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
den Kläger mit der Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten: Richtig sei, daß für mehrere speziell im Tarifvertrag geregelten Sachverhalte als Divisor 152 angesetzt worden sei. Dieser Divisor sei hingegen zwischen den Tarifvertragsparteien angesetzt worden, um bestimmte, immer wiederkehrende Sachverhalte wie zum Beispiel Mehrarbeit und ähnliches für die jeweilige Abrechnung einfacher zu gestalten und hier einen aufs Jahr hochgerechneten, durchschnittlichen Divisor festzulegen. Der hier streitige Sachverhalt der Nichtvergütung von Streikstunden sei hingegen im Tarifvertrag nicht geregelt. Deshalb sei es dem Arbeitgeber überlassen, als Divisor den tatsächlich angefallenen Divisor, der sich im Monat Februar auf 140 belief, zur Ausfallberechnung heranzuziehen.
Mit Urteil vom 14.01.1998 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und hat dies wie folgt begründet: Daß die Beklagte richtig vorgegangen sei, zeige eine einfache Überlegung. Der Kläger hätte im Februar 1997 exakt 20 Arbeitstage mit zusammen 140 Arbeitsstunden zu arbeiten gehabt. Wenn er den ganzen Monat gestreikt hätte, hätte ihm die Beklagte nach seiner Rechnung noch 12/152 des Gehalts zahlen müssen. Ohne eine Sekunde Arbeitsleistung im Monat wären dies bei der durchschnittlichen Vergütung der klagenden Arbeitnehmer von 4.500,-- DM schon ca. 355,-- DM - ein fürstlicher Lohn fürs Nichtstun. Die Beklagte habe also recht, wenn sie darauf hinweise, daß der Tarifvertrag häufig wiederkehrende Sachverhalte regele, damit nicht in jedem Monat die Lohnberechnungsprogramme der Computer geändert werden müßten. Für den Abzug von Streikstunden gebe der Tarifvertrag nichts her.
Gegen dieses dem Kläger am 23.03.1998 zugestellte Urteil hat er am 23.04.1998 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 25.06.1998 am 24.06.1998 begründet.
Der Kläger vertritt die Auffassung: Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, daß im Manteltarifvertrag bei Kurzarbeit ebenfalls der Divisor 152 verwandt werde. Hieraus ergebe sich nämlich, daß die Tarifvertragsparteien den Divisor 152 als Berechnungsgrundlage hätten heranziehen wollen, wenn einzelne Arbeitsstunden ausfielen. Der von der Beklagten angewandte Divisor 140 finde dagegen keine Stütze im Manteltarifvertrag. Auch die vom Arbeitsgericht angestellte Berechnung für den Monat Februar 1997 überzeuge nicht, obwohl sie rechnerisch zutreffend sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 14.01.1998 - Az. 5 Ca 4903/97 - abzuändern und nach dem diesseitig erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung: Der Kläger verkenne, daß auch die Regelung für Kurzarbeit ausdrücklich und ausschließlich nur diesen Fall treffe, nicht hingegen die hier zugrundeliegende Frage, wie streikbedingte Ausfallstunden zu berechnen seien. Die Tarifvertragsparteien hätten auf diese Art und Weise mehrere individuelle Sachverhalte geregelt. Hätten die Tarifvertragsparteien gewollt, daß auch streikbedingte Ausfallstunden mit dem Divisor 152 zu berechnen gewesen wären, hätten sie insoweit wie auch für die geregelten Sachverhalte eine Regelung tarifvertraglich treffen können. Daß diese Überlegungen rechtskonform seien, mache auch die hypothetische Überlegung des Arbeitsgerichts deutlich. Eine derartige Regelung sei nicht beabsichtigt und gewollt gewesen.
Wegen der sonstigen Einzelheiten wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), vom Arbeitsgericht zugelassen (§ 64 Abs. 3 Ziff. 1 ArbGG), sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§§ 518 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG) und begründet worden (§§ 519 Abs. 2, Abs. 3 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Im Ergebnis ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß der Lohnabzug wegen Streik von der Beklagten zutreffend berechnet worden ist und daß deshalb die Klage auf die Differenz bei einer anderen Berechnung unbegründet ist.
Tarifnormen sind wie Gesetze auszulegen. Es ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mit zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien können weiterhin die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages berücksichtigt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. Dörner, HzA, Gruppe 18, Rz. 143 m. w. N.).
Hiernach gilt folgendes: Auch wenn das vom Arbeitsgericht gebildete Beispiel völlig zutreffend ist, wonach der Kläger bei einem Streik im kompletten Monat Februar 1997 unter Zugrundelegung von 20 Arbeitstagen mit zusammen 140 Arbeitsstunden bei einem Divisor von 152 noch 355,-- DM als Vergütung beanspruchen könnte, obwohl er dann keine Stunde gearbeitet hätte, so ist dies dennoch kein zwingendes Argument gegen die Auffassung des Klägers, es sei - wie in den anderen im Tarifvertrag genannten Fällen - von einem Divisor von 152 auszugehen. Denn die von den Tarifvertragsparteien gewählte Pauschalierung durch den Divisor 152 beinhaltet zwangsläufig in bestimmten Fällen eine Besserstellung des Arbeitnehmers und in anderen Fällen eine Benachteiligung. Ebenso wie in dem vom Arbeitsgericht gebildeten Fall der Kläger einen Vergütungsanspruch haben würde, obwohl er keinerlei Arbeitsleistung erbracht hat, wird er in anderen im Tarifvertrag geregelten Fällen aufgrund der Pauschalierung weniger Vergütung erhalten, als ihm eigentlich zusteht. Offenbar sind die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, daß aus der Pauschalierung sich ergebende Differenzen in engen Grenzen bleiben werden und sich gegebenenfalls auch ausgleichen.
Unbestreitbar ist der vom Kläger für sich in Anspruch genommene Divisor von 152 im Tarifvertrag nur für folgende oben bereits im einzelnen genannte Fälle zugrunde gelegt worden: Arbeitsleistung an dem Tage vor Ostern, Pfingsten, Weihnachten und Neujahr über 13.00 Uhr hinaus, Überstunden, Kurzarbeit, Samstagsarbeit, Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit.
Der Fall des Gehaltsabzugs für Streikstunden ist im Tarifvertrag nicht genannt und nicht geregelt. Ebensowenig ist generell die Frage geregelt, wie im Falle eines aus irgendeinem anderen Grund notwendigen Gehaltsabzugs bzw. Gehaltszuschlags von der Berechnung des Stundenlohns her verfahren werden soll.
Insoweit ist der Tarifvertrag also lückenhaft.
Hier unterscheidet man zwischen bewußten und unbewußten Regelungslücken.
Im vorliegenden Fall kann unterstellt werden, daß den Tarifvertragsparteien bekannt war, daß auch andere Fälle der Notwendigkeit eines Gehaltsabzugs bzw. Gehaltszuschlags und der Berechnung in der betrieblichen Praxis auftreten. Ebenso kann unterstellt werden, daß die Tarifvertragsparteien wußten, daß einer dieser anderen Fälle der hier vorliegende Fall des Gehaltsabzugs aufgrund eines Streiks ist. Es handelt sich also nicht um eine erst nachträglich bekanntgewordene Regelungslücke.
Unterstellt man deshalb, daß vorliegend eine bewußte Regelungslücke gegeben ist, so kann diese nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur von den Arbeitsgerichten nicht geschlossen werden (vgl. Dörner, a. a. O., Rz. 153; Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 1 Rz. 425, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Selbst wenn man aber von einer unbewußten Regelungslücke ausgeht, weil sich für eine bewußte Regelungslücke im Tarifvertrag, in den Protokollnotizen oder in der Entstehungsgeschichte kein ausdrücklicher Hinweis (über die Nichtregelung hinaus) finden läßt, kann diese im vorliegenden Fall nicht geschlossen werden.
Unbewußte Regelungslücken sind zwar unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und unter Berücksichtigung dessen zu schließen, wie die Tarifvertragsparteien die betreffende Frage bei objektiver Betrachtung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge im Zeitpunkt des Tarifabschlusses voraussichtlich geregelt hätten. Dies setzt aber voraus, daß hinreichende und vor allem auch sichere Anhaltspunkte für eine solche vermutete Leistungsbestimmung durch die Tarifvertragsparteien gegeben sind oder daß nur eine ganz bestimmte Regelung billigem Ermessen entspricht, sie damit nach Treu und Glauben und nach objektiver Betrachtung der maßgebenden Zusammenhänge geboten ist und deshalb davon ausgegangen werden kann, daß sich die Tarifvertragsparteien einer solchen zwingend gebotenen Regelung nicht entzogen hätten. Bestehen hingegen keine sicheren Anhaltspunkte dafür, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten, sind verschiedene Regelungen denkbar, die billigem Ermessen entsprechen, kann ein mutmaßlicher Wille der Tarifvertragsparteien nicht festgestellt werden und ist folglich keine Ausfüllung der Tariflücke durch die Gerichte möglich (so BAG - Urteil vom 23.09.1981 - 4 AZR 569/79 - AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten).
Hier ist nicht nur der konkrete vorliegende Fall ungeregelt geblieben, sondern es gibt, wie gesagt, auch keine generelle Regelung, obwohl es über die geregelten Fälle hinaus auch weitere Fälle des Gehaltsabzugs bzw. Gehaltszuschlags gibt. Damit kann nach Auffassung der Kammer aus den von den Tarifvertragsparteien geregelten Einzelfällen auch nicht der Schluß gezogen werden, daß dies generell so geregelt worden wäre. Hinreichende und vor allem auch sichere Anhaltspunkte für eine solche Regelung durch die Tarifvertragsparteien sind nicht gegeben. Es gibt auch nicht nur eine denkbare Regelung, die billigem Ermessen entspricht. Dies läßt sich bereits dem Beispiel entnehmen, mit dem das Arbeitsgericht meint, nachweisen zu können, daß sich hier eine Pauschalierung mit dem Divisor 140 anhand des aktuellen Monats von selbst ad absurdum führt.
Wenn demnach die Beklagte den Gehaltsabzug hier nach den tatsächlich im aktuellen Monat anfallenden Arbeitsstunden vorgenommen hat, so steht dem der Tarifvertrag nicht entgegen.
Nach allem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen.
Gem. § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG hat der Kläger die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
Da der Streitwert sich nicht geändert hat, war er gem. §§ 3 ff ZPO unverändert auf 10,52 DM festzusetzen.
Gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG war die Revision zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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