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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 12.03.2002
Aktenzeichen: 3 Sa 29/01
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 5 Satz 2
Als Gegenstandswert für einen Antrag der Arbeitgeberin, sie nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG im Wege der einstweiligen Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung zu befreien, ist grundsätzlich ein Betrag von 1,5 Monatsentgelten des betroffenen Arbeitnehmers angemessen.
Landesarbeitsgericht Hamburg Beschluss

Geschäftszeichen: 3 Sa 29/01

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

beschließt das Landesarbeitsgericht Hamburg, Dritte Kammer, durch Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht xxxxxxxxxxxxx als Vorsitzenden

am 12. März 2002:

Tenor:

Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf DM 8.068,50 festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung beruht auf §§ 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, 3 ZPO. Hiernach ist der Gegenstandswert vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Für den Entbindungsantrag des Arbeitgebers gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG ist im Regelfall und auch vorliegend ein Gegenstandswert von 11/2 Monatseinkommen angemessen.

In der Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, welcher Gegenstandswert bzw. Streitwert gemäß § 3 ZPO für den Entbindungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG in Ansatz zu bringen ist. So wird unter Bezugnahme auf die entsprechende Bewertung eines Antrages auf Verurteilung zur Weiterbeschäftigung die Auffassung vertreten, dass der Wert auf ein Monatsgehalt festzusetzen sei (LAG Hamburg, Beschluss vom 30. Oktober 2001 ­ 4 Sa 24/01 ­ n.v.). Teilweise wird aber wie erstinstanzlich vom Arbeitsgericht auch ein Gegenstandswert von zwei Monatsgehältern für zutreffend erachtet (LAG Hamburg, Beschluss vom 11. Juli 2001 ­ 8 Sa 20/01 ­ n.v.; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 9. Aufl., S. 1308, Rn. 129; ders., Arbeitsrechtliche Formularsammlung und Arbeitsgerichtsverfahren, 6. Aufl. 1994, § 104).

Ausgangspunkt der Entscheidung der beschließenden Kammer ist, dass bei der Bewertung eines Entbindungsantrages nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG die gesetzlichen Vorgaben in § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG für die Bewertung der Kündigungsschutzklage wertend mit der Maßgabe der berücksichtigen sind, dass der Wert des Entbindungsantrages angemessen niedriger anzusetzen ist. Der soziale Schutzzweck des § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG (vgl. hierzu Bundesarbeitsgericht, 10.01.1967, AP Nr. 16 zu § 12 ArbGG 1953) lässt sich nur wahren, wenn die Leistungsanträge, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Bestandsschutzantrag stehen, im Verhälnis zu dessen Wert in Ansatz gebracht werden (LAG Hamm, Beschluss ohne Datum, 9 Ta 44/01, n.v.). Von diesen Grundätzen lässt sich im Ergebnis auch die Rechtsprechung leiten, welche dem Weiterbeschäftigungsantrag einen eigenständigen Wert zumisst, diesen aber in Höhe eines angemessenen Bruchteils des Wertes für den Bestandsschutzantrag festsetzt (h.M.; Nachweise bei KR-Friedrich, 5. Aufl., § 4 KSchG Rn. 81 b; Schäder, Streitwert-Lexikon Arbeitsrecht, 2000, S. 66; LAG Nürnberg, 24.08.1999, JurBüro 2000, 82). Anderenfalls käme für den Weiterbeschäftigungsanspruch nur ein wesentlich höherer Betrag in Betracht.

Weiter geht die beschließende Kammer davon aus, dass der Wert des Entbindungsantrages höher als der Wert eines mit einem Kündigungsschutzantrag verbundenen Antrages auf Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung festzusetzen ist. Denn mit einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG sind bei einer typisierenden Betrachtung weiter gehende Rechtsfolgen und wirtschaftliche Auswirkungen verbunden als mit der über einen mit einem Kündigungsschutzantrag verbundenen Antrag des Arbeitnehmers auf Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung.

Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG verlängert für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Der Arbeitnehmer hat damit nicht nur bereits vor einer instanzgerichtlichen Entscheidung über die Unwirksamkeit der Kündigung einen - im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbaren - Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung. Er hat darüber hinaus gemäß § 615 BGB Anspruch auf sein Arbeitsentgelt auch dann, wenn eine tatsächliche Weiterbeschäftigung aus Gründen, die nicht in seiner Sphäre liegen, nicht möglich oder für den Arbeitgeber nicht zumutbar sein sollte, weil dringende betriebliche Gründe entgegenstehen, z. B. weil der Betrieb stillgelegt oder der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen ist. Dieser Anspruch auf das Arbeitsentgelt selbst im Falle seiner Nichtbeschäftigung für die Zeit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seine Kündigungsschutzklage verbleibt dem Arbeitnehmer auch dann, wenn die Kündigungsschutzklage letztendlich rechtskräftig abgewiesen wird. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer während des Bestehens eines Weiterbeschäftigungsanspruchs gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG aus sonstigen Gründen trotz seiner Arbeitsbereitschaft vom Arbeitgeber nicht weiterbeschäftigt wird. Der Arbeitnehmer hat für die Zeit bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage aus dem auf Grund des gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG fortbestehenden Arbeitsverhältnis auch alle sonstigen arbeitsvertraglichen Ansprüche wie z.B. auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle und auf Urlaub und Urlaubsentgelt (KR-Etzel, 6. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 214 m. w. N.).

Durch eine dem Antrag des Arbeitgebers auf Entbindung gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG stattgebende einstweilige Verfügung wird dieses auch im Falle der Wirksamkeit der Kündigung bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage fortbestehende Arbeitsverhältnis mit rechtsgestaltender Wirkung aufgelöst .

Die einem Antrag auf Verurteilung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung stattgebende Entscheidung hat keine vergleichbare rechtsgestaltende Wirkung. Das wäre nur dann der Fall, wenn ein Weiterbeschäftigungstitel auch im Falle seiner späteren Aufhebung wegen Abweisung der Kündigungsschutzklage für die Zeit, in der er - vorläufig vollstreckbar ­ bestanden hat, zwischen den Parteien das Zustandekommen eines faktischen Arbeitsverhältnisses bewirkt hätte, das auch nach der Aufhebung des Weiterbeschäftigungstitels für diese Zeit als Grundlage der Rechtsbeziehungen der Parteien bestehen bliebe. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Wird die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen, steht damit vielmehr fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung durch den Arbeitgeber wirksam beendet worden war. Hatte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel beschäftigt, fehlte es an einem Rechtsgrund für die Weiterbeschäftigung. In diesem Fall konnte durch die unfreiwillige Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers kein Arbeitsverhältnis, auch kein faktisches Arbeitsverhältnis, zwischen den Parteien zu Stande kommen(Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.01.1991, EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 51). Denn auch ein faktisches Arbeitsverhältnis setzt einen Beschäftigungswillen des Arbeitgebers voraus. Ein solcher Wille liegt im Falle einer unfreiwilligen aufgezwungenen" Weiterbeschäftigung nicht vor (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.3.1987, EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 28). Da in diesem Fall kein Arbeitsverhältnis zu Stande kommt, richten sich die Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers für erbrachte Arbeitsleistungen nach den Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.3.1987, a. a. O.). Das bedeutet: da dem Arbeitgeber die Herausgabe der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unmöglich ist, hat er gemäß § 818 Abs. 2 BGB deren Wert zu ersetzen. Dabei kann zwar mangels anderweitiger Anhaltspunkte in der Regel davon ausgegangen werden, was die Parteien selbst für angemessen gehalten haben, als sie seinerzeit die Lohnvereinbarung für das Arbeitsverhältnis getroffen haben. Das führt im allgemeinen dazu, dass dem Arbeitgeber wegen der Vergütung für die Weiterbeschäftigung keine Rückzahlungsansprüche zustehen. Ein Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers kann allerdings dann in Betracht kommen, wenn der Wert der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Zeitraum der erzwungenen Weiterbeschäftigung niedriger war als im bestehenden Arbeitsverhältnis, z. B. wenn der Arbeitnehmer eine verringerte Arbeitsleistung erbracht oder im Weiterbeschäftigungszeitraum mit anderen Arbeiten als früher beschäftigt wurde, die üblicherweise geringer vergütet werden. In diesem Fall steht dem Arbeitgeber ein Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen der gewährten Vergütung und dem Wert der geringeren oder geringer wertigen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu (KR Etzel, 6. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 298 Brennpunkten die Zusendung). Ferner stehenden dem Arbeitgeber Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung des Arbeitnehmers zu, wenn er im Weiterbeschäftigungszeitraum Geldleistungen erbracht hat, ohne eine Gegenleistung erhalten zu haben, z. B. Entgeltfortzahlungsarbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, Urlaubsentgelt für erzwungenen Urlaub durch den Arbeitnehmer (KR Etzel a. a. O. Rn. 299 m. w. N.), oder wenn er wegen eines auf Grund der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung angenommen Annahmeverzuges das Arbeitsentgelt gezahlt, den Arbeitnehmer aber tatsächlich nicht beschäftigt hat.

Die dargestellten grundsätzlichen Unterschiede in den Auswirkungen einer dem Entbindungsantrag des Arbeitgebers stattgebenden Entscheidung einerseits - rechtsgestaltende Beseitigung des sonst im Falle der Wirksamkeit der Kündigung bis zu deren rechtskräftigen Feststellung fortbestehenden Arbeitsverhältnisses - und einer dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitgebers entsprechenden Verurteilung des Arbeitgebers zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung - vorläufig vollstreckbaren Titel, der mit der rechtskräftigen Abweisung wirkenden Schutzklage als Rechtsgrundlage für Ansprüche des Arbeitnehmers rückwirkend zum Fortfall kommt - ergeben, dass es im Sinne einer typisierenden Gruppenbildung billigem Ermessen entspricht, den Wert für den Entbindungsantrag höher anzunehmen als für den Antrag auf Verurteilung des Arbeitgebers zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung. Da dieser nach der einheitlichen Spruchpraxis aller Kammern des Landesarbeitsgerichts Hamburg mit einem Monatsgehalt bewertet wird, ist der Gegenstandswert für den Entbindungsantrag damit höher als dieser Betrag, aber niedriger als drei Monatsgehälter entsprechend dem Wert der Kündigungsschutzklage anzunehmen.

Soweit die 8. Kammer des Beschwerdegerichts mit ihrem Beschluss vom 11. Juli 2001 ­ 8Sa 20/01 ­ (n.v.) für den Entbindungsantrag nach § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG einen Gegenstandswert von zwei Monatseinkommen festgesetzt hat, ist dies nach Auffassung der schließenden Kammer allerdings gemessen an dem Wert der Kündigungsschutzklage gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG von 3 Monatsgehältern zu hoch, weil der Entscheidung über den Entbindungsantrag deutlich geringere rechtliche Auswirkungen hat.

Eine dem Entbindungsantrag des Arbeitgebers statt gebende Entscheidung, durch die das gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG bei Wirksamkeit der Kündigung bis zu deren rechtskräftiger Feststellung fortbestehende Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, lässt die sich aus dem Arbeitsverhältnis bei Unwirksamkeit ergebenden Ansprüche, insbesondere den Vergütungsanspruch aus Annahmeverzug unberührt. Dem Arbeitnehmer verbleibt außerdem die Möglichkeit, neben der Kündigungsschutzklage den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend zu machen. Zudem betrifft eine Entscheidung über den Entbindungsantrag nur die Zeit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem Kündigungsschutzverfahren.

Mit Rücksicht auf diese deutlich hinter den Wirkungen eine Entscheidung in dem Kündigungsschutzverfahren zurückbleibenden Wirkungen einer Entscheidung über den Entbindungsantrag des Arbeitgebers ist es angemessen, den Wert des Entbindung Antrages in der Regel auf die Hälfte des Wertes einer Kündigungsschutzklage gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG und damit auf 11/2 Monatseinkommen festzusetzen, so weit nicht besondere Umstände für eine abweichende Festsetzung vorliegen. So kann eine niedrigere Festsetzung geboten sein, wenn das streitgegenständliche Weiterbeschäftigungsverhältnis nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG auf Grund einer nachfolgenden weiteren Kündigung vom Tag vornherein auf einen kürzeren Zeitraum begrenzt ist. Da vorliegend keine solchen besonderen Umstände gegeben sind, ergibt sich auf der Grundlage von 11/2 Monatseinkommen und einem durchschnittlichen Monatseinkommen des Verfügungsbeklagten von DM 5.379,00 der festgesetzte Gegenstandswert.

Ende der Entscheidung

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