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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil verkündet am 06.05.2009
Aktenzeichen: 5 Sa 107/08
Rechtsgebiete: TV-L


Vorschriften:

TV-L § 18 Abs. 5
TV-L § 22 Abs. 2
Bei einer verfassungskonformen Auslegung des § 18 Abs. 5 TV-L erhalten auch längerfristig erkrankte Arbeitnehmer, die im Monat September nur noch Anspruch auf Krankengeldzuschuss gemäß § 22 Abs. 2 TV-L haben, das pauschale anteilige Leistungsentgelt.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26.8.2008 - 20 Ca 73/08 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger EUR 274,20 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.1.2008 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger Leistungsentgelt gemäß § 18 Abs. 5 TV-L für das Jahr 2007 zusteht.

Der Kläger ist seit dem 01. April 1982 bei der Beklagten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beidseitiger Organisationszugehörigkeit der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.

Der Kläger war auf Grund eines Wegeunfalls in der Zeit vom 08. Juni bis 03. Oktober 2007 arbeitsunfähig krank. Im September 2007 hat der Kläger lediglich Krankengeldzuschuss nach § 22 Abs. 2 und 3 TV-L erhalten. Das Tabellenentgelt des Klägers für September 2007 hätte bei Arbeitsfähigkeit des Klägers EUR 2.285,00 brutto betragen.

Mit Schreiben vom 29. Februar 2008 machte der Kläger seinen Anspruch auf Leistungsentgelt nach § 18 TV-L für 2007 geltend. Das Leistungsentgelt nach dieser Vorschrift ist wie folgt geregelt:

"1. Ab dem 01. Januar 2007 wird ein Leistungsentgelt zusätzlich zum Tabellenentgelt eingeführt. Die Zielgröße ist 8 v. H. Bis zu einer anderen Vereinbarung wird ein Gesamtvolumen von 1 v. H. der ständigen Monatsentgelte des Vorjahres aller Beschäftigten des jeweiligen Arbeitgebers, mit Ausnahme der unter § 41 fallenden Ärztinnen und Ärzte, für das Leistungsentgelt zur Verfügung gestellt.

2. Es besteht die Verpflichtung, die Leistungsentgelte jährlich auszuzahlen.

3. Die ausgezahlten Leistungsentgelte sind zusatzversorgungspflichtiges Entgelt.

4. Nähere Regelungen über die Ausgestaltung des Leistungsentgelts werden in landesbezirklichen Tarifverträgen vereinbart. Dabei kann über das tariflich festgelegte Leistungsentgelt hinaus ein zusätzlich höheres Leistungsentgelt vereinbart werden. In einem landesbezirklichen Tarifvertrag kann auch vereinbart werden, dass das Gesamtvolumen des Leistungsentgeltes zusätzlich zur Jahressonderzahlung auf alle Beschäftigten gleichmäßig verteilt ausgeschüttet wird.

5. Solange eine landesbezirkliche Regelung nicht zustande kommt, erhalten die Beschäftigten mit dem Tabellenentgelt des Monats Dezember ab dem Jahr 2007 12 v. H. des Tabellenentgelts ausgezahlt, das für den Monat September desselben Jahres jeweils zusteht."

Bis 19. Juli 2007 bezog der Kläger Entgeltfortzahlung nach § 22 Abs. 1 TV-L, danach Krankengeldzuschuss gemäß § 22 Abs. 2 TV-L.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er könne das Leistungsentgelt für 2007 ungeachtet der Tatsache beanspruchen, dass er im Monat September 2007 kein Tabellenentgelt, sondern Krankengeldzuschuss bezogen habe. Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 5 TV-L sei die tatsächliche Auszahlung des Tabellenentgelts in den Monaten September und Dezember des jeweiligen Kalenderjahres nicht Voraussetzung für das Leistungsentgelt. Der Verweis auf den Monat September enthalte vielmehr eine Berechnungsregelung. Da dem Leistungsentgelt lediglich das Tabellenentgelt zu Grunde gelegt werde, hätten die Tarifvertragsparteien anders als für die Sonderzahlung in § 20 Abs. 3 TV-L sowie für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 21 TV-L die ausdrückliche Regelung einer Bemessungsgrundlage nicht für notwendig erachtet. Die Benennung des Monats Dezember in § 18 Abs. 5 TV-L stelle eine Fälligkeitsregelung dar. Eine andere Auslegung der Vorschrift würde zu einem Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz führen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an ihn EUR 274,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Januar 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Leistungsentgelt in Hinblick auf § 18 Abs. 5 TV-L nicht zu. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sei Voraussetzung für einen solchen Anspruch, dass sowohl im Monat September als auch im Monat Dezember 2007 ein Anspruch auf Auszahlung des Tabellenentgelts bestanden haben müsse.

Bei dem Verweis auf das Tabellenentgelt des Monats September handele es sich nicht um eine Berechnungsregelung, sondern um eine zwingende materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung, nach der zugleich mit einem Anspruch auf Auszahlung des Tabellenentgelts im Monat Dezember auch ein Anspruch auf Auszahlung des Septemberentgelts bestanden haben müsse. Die Tarifvertragsparteien, die für die Sonderzahlung in § 20 Abs. 3 TV-L und der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 20 TV-L eine Bemessungsgrundlage ausdrücklich geregelt hätten, hätten davon im Falle des Leistungsentgelts des § 18 Abs. 5 TV-L bewusst abgesehen. Die Ausgestaltung des Leistungsentgelts solle gemäß § 18 Abs. 4 TV-L landesbezirklichen Tarifverträgen vorbehalten bleiben. Nur solange eine solche landesbezirkliche Einigung nicht zustande komme, sei als Übergangsregelung eine Zahlung nach Abs. 5 vorgesehen. Eine solche temporäre Lösung sei zulässig und regelmäßig eher pauschalierend und schematisch. Dementsprechend solle nur ein Vom-Hundert-Satz des Tabellenentgelts ausgezahlt werden und alle übrigen Entgeltbestandteile im Zahlbetrag nicht abgebildet werden. Diese grobrasterige Regelung solle letztlich auch den Druck auf die landesbezirklichen Tarifvertragsparteien erhöhen, zu einer tariflichen Feinausgestaltung eines echten Leistungsentgelts zu finden. Auf Grund des Charakters als Übergangsregelung sei eine enge am genauen Wortlaut orientierte Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen angezeigt und von den Tarifparteien gewollt.

Auch der Umkehrschluss aus § 23 Abs. 1 Satz 4 TV-L bestätige ihre Auslegung. Dort ließen die Tarifvertragsparteien die Krankengeldzuschussberechtigung als Anspruchsvoraussetzung ausdrücklich genügen, während sie in § 18 Abs. 5 TV-L das Leistungsentgelt an das Tabellenentgelt knüpften.

Die additive Stichtagsregelung des § 18 Abs. 5 TV-L verstoße nicht gegen Artikel 3 Grundgesetz.

Durch das dem Kläger am 15. Oktober 2008 zugestellte Urteil vom 26. August 2008, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Wortlaut gebe den Anspruch nicht her. Wenn die Tarifvertragsparteien eine Bemessungsgrundlage wollten, hätten sie dies zum Ausdruck gebracht, wie im Falle der Berechnung der Jahressonderzahlung gemäß § 20 Abs. 3 TV-L und der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 20 Absatz 3 TV-L, sowie der Berechnung der Entgeltfortzahlung gemäß § 21 TV-L. Der Übergangscharakter der streitigen Regelung gebiete eine restriktive, am Wortlaut orientierte Auslegung.Der Gleichheitssatz werde angesichts des den Tarifvertragsparteien zustehenden weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums durch die in Frage stehende Tarifnorm nicht verletzt.

Hiergegen richtet sich die am Montag, 17. November 2008 eingelegte und mit am 16. Januar 2009 beim Landesarbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Klägers, nachdem die Berufungsbegründungsfrist am 2. Dezember 2008 bis zum 20. Januar 2009 verlängert worden war.

Der Kläger wiederholt und vertieft seine Rechtsausführungen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege jedenfalls darin, dass je nach - zufälligem - Zeitpunkt einer längeren Erkrankung ein Anspruch bestehe oder nicht.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2008 - 20 Ca 73/08 - die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 274,20 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Januar 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch die Beklagte wiederholt und vertieft ihre Rechtsausführungen. Insbesondere sei bei Prüfung der Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes nicht auf die Einzelfallgerechtigkeit abzustellen. Bei Umstellung eines Vergütungssystems könnten die Tarifvertragsparteien stichtagsbezogene Regelungen einführen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist auch begründet.

Die Klage ist zulässig. Zwar enthält der Wortlaut des für die Berufungsinstanz angekündigten Antrags ein Feststellungsbegehren, es handelt sich jedoch um einen Schreibfehler. Erkennbar ist gemeint die Verurteilung zur Zahlung im Wege der zulässigen Leistungsklage.

Der Höhe nach unstreitig ergibt der Anspruch aus § 18 Abs. 5 TV-L mit 12 % vom Tabellenentgelt, das dem Kläger im Falle der Nichterkrankung in Höhe von EUR 2.285,- zugestanden hätte, den eingeklagten Betrag.

Die Auslegung des § 18 Abs. 5 TV-L ergibt, dass dem Kläger dieser Betrag auch dem Grunde nach zusteht, obwohl er im September 2007 nach Ablauf der Entgeltfortzahlungsfrist des § 22 Abs. 1 TV-L nur den Krankengeldzuschuss gemäß § 22 Abs. 2 TV-L von der Beklagten erhielt.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (20. Juni 2007 - 10 AZR 291/06 - EzTöD 400 Eingruppierung BAT Sozial- und Erziehungsdienst Heimzulage Nr. 1). Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (19. Januar 2000 - 4 AZR 814/98 - BAGE 93, 229;11. Februar 2009 - 10 AZR 264/08 - NZA 2009, 399).

Die Tarifvertragsparteien haben bei der tariflichen Normsetzung den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Ihnen steht dabei allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie brauchen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt vielmehr, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht. Der Gleichheitssatz wird in einer Tarifnorm nur verletzt, wenn es die Tarifvertragsparteien versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können (BVerfG 28. Januar 2003 - 1 BvR 487/01 - BVerfGE 107, 133, 141; BAG 25. Oktober 2007 - 6 AZR 95/07 - ZTR 2008, 380; 22.01.2009 - 6 AZR 922/07 - n.v. Juris). Eine tarifliche Bestimmung ist bei Anlegung dieses Maßstabes nur dann verfassungswidrig und deshalb ungültig, wenn sie nicht verfassungskonform ausgelegt werden kann. Eine solche Auslegung ist allerdings nur möglich, wenn sie sich nicht über die Grenzen hinwegsetzt, die sich aus dem möglichen Wortsinn, dem Zweck und dem Bedeutungszusammenhang der Norm ergeben (BAG 20. April 1977 - 4 AZR 732/75 - AP Nr 111 zu Art. 3 GG; 29. Februar 1996 - 6 AZR 424/95 - AP Nr 7 zu § 1 TVG Tarifverträge Kirchen).

Übertragen auf vorliegenden Rechtsstreit bedeutet dies folgendes: § 18 Abs. 5 TV-L bestimmt, dass das Leistungsentgelt im Dezember ausgezahlt wird berechnet aus dem Tabellenentgelt, das den Beschäftigten für den Monat September zusteht. Mit dem Arbeitsgericht Bremen (27. Januar 2009 - 3 Ca 3328/08 - Bl. 79 ff d.A.) ist in der Tat davon auszugehen, dass die von den Tarifvertragsparteien verwandten Worte "auszahlen" und "zustehen" bewusst gewählt worden sind und durchaus unterschiedliche Bedeutung haben. Richtig ist auch, dass eine Auslegung ergeben kann, dass der Begriff "gezahltes Entgelt" "zustehendes Entgelt" meint (BAG 19. August 2004 - 8 ABR 40/03 - n.v. Juris). Jedoch hat der Kläger für den Monat September 2007 weder einen Anspruch auf Zahlung des Tabellenentgeltes noch stand ihm ein Tabellenentgelt zu, denn jedenfalls nach Ende der Entgeltfortzahlungspflicht stand ihm aufgrund seiner längerfristigen Erkrankung nur noch der begrifflich vom Tabellenentgelt deutlich zu unterscheidende Krankengeldzuschuss gemäß § 22 Abs. 2 TV-L zu. Mit Breier/Dassau (TV-L Kommentar, Losebl. Stand 3/2008 Nr. 34 zu § 18) ist deshalb davon auszugehen, dass der reine Wortlaut des § 18 Abs. 5 TV-L an sich einen Anspruch auf das Leistungsentgelt im Falle von Zahlung oder zustehendem Krankengeldzuschuss im Monat September nicht hergibt.

Nicht geteilt werden kann allerdings die Auffassung der Beklagten, im Falle der Entgeltfortzahlung im September sei auch das Tabellenentgelt niedriger und deshalb schon bei einem Fehltag das Leistungsentgelt zu kürzen, denn das widerspräche der Regelung in § 22 Abs. 1 TV-L, wie auch im Falle von Urlaub, § 26 TV-L oder des Zusatzurlaubes, § 27 TV-L (Breier/Dassau aaO). Hieraus schließen Clemens/Scheuring (TV-L Kommentar, Losebl. Stand 9/2007 Nr. 47 zu § 18), dass deshalb keine Bedenken bestehen, auch dann eine Zahlung entsprechend § 18 Abs. 5 TV-L vorzunehmen, wenn der Beschäftigte im September und/oder Dezember einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss dem Grunde nach hatte. In diesem Fall sollte als Bemessungsgrundlage ggf. das fiktive Septembergehalt herangezogen werden, das ohne die Arbeitsunfähigkeit gezahlt worden wäre. Dies soll auch der Auffassung der Geschäftsstelle der TdL entsprechen (Breier/Dassau aaO Nr. 35). Dies mag bei einer reinen Wortlautinterpretation nicht zwingend sein. Es ergibt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang, dass dies dem Willen der Tarifvertragsparteien entspricht, denn in § 20 Abs. 3 TV-L findet sich für die Gratifikation der Begriff "Bemessungsgrundlage" und in § 23 Abs. 1 S. 4 TV-L ist geregelt, dass vermögenswirksame Leistungen u.a. auch dann gezahlt werden, wenn Krankengeldzuschuss gezahlt wird. Es hätte deshalb nahegelegen, auch den Fall der Krankengeldzuschusszahlung - wenn gewollt - bei den Voraussetzungen für die Zahlung von Leistungsentgelt zu regeln.

Eine solche Auslegung erweist sich im Ergebnis jedoch nicht nur als unvernünftig und eigenartig, sondern als willkürlich und deshalb verfassungswidrig und ist im Wege der verfassungskonformen Auslegung zu korrigieren. Hierbei ist zunächst festzustellen, dass es sich nicht um eine Stichtagsregelung handelt, bei der es den Tarifvertragsparteien um Ablösung einer alten Ordnung durch eine neue geht, bei der also ein zeitlicher Punkt zu bestimmen ist, ab dem die neuen Regelungen gelten und es hierbei aufgrund des erforderlichen pauschalen Vorgehens auch zu verfassungsrechtlich hinzunehmenden Ungerechtigkeiten im Einzelfall kommen kann. Es handelt sich auch nicht um eine Gratifikation wie das Arbeitsgericht Darmstadt (28. November 2008 - 2 Ca 31/08) ausführt mit der Folge eines umso größeren Ermessens- und Beurteilungsspielraums der Tarifvertragsparteien. Es handelt sich vielmehr um eine pauschale, nach dem Gießkannenprinzip erfolgende jährliche Zahlung aus umgewidmeten alten Vergütungsbestandteilen und somit um Entgelt, das gerade nicht leistungsbezogen ist oder zukünftige Betriebstreue o.ä. vergütet.

Dieser Entgeltanspruch wird bei einer am reinen Wortlaut orientieren Auslegung an gleich betroffene Arbeitnehmergruppen ohne sachlichen Grund unterschiedlich erfüllt. Arbeitnehmer, die in der ersten Jahreshälfte mehrere Monate krank sind und aus der Entgeltfortzahlung fallen, erhalten das (pauschale) Leistungsentgelt, wenn sie im Monat September in den Dienst zurückgekehrt sind. Arbeitnehmer, denen dieses Schicksal in der zweiten Jahreshälfte widerfährt - selbst wenn es einen kürzeren Zeitraum betrifft - erhalten alleine aus diesem zufälligen, nicht beeinflussbaren Zeitmoment das Leistungsentgelt nicht.

Das Verbot, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln, ist verletzt, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche - hier tarifvertragliche - Regelung fehlt (BVerfG 23.10.1951 - 2 BvG 1/51 - E 1, 14 <52>). Ein solcher Grund für die unterschiedliche Behandlung der aus der Entgeltfortzahlung fallenden Arbeitnehmer je nach Zeitraum im Jahr ist nicht ersichtlich. Es handelt sich insbesondere nicht um eine Stichtagsregelung. Die Regelung in § 18 Abs. 5 TV-L war bei Abschluss vielmehr zeitlich nicht befristet, sondern auf Dauer angelegt. Solange nicht eine landesbezirkliche Regelung getroffen würde, wäre jahrein jahraus entsprechend verfahren worden. Es handelt sich deshalb auch nicht um eine Übergangsregelung, denn die Abschlüsse der landesbezirklichen Vereinbarungen waren überhaupt nicht vorhersehbar.

Es handelt sich also nicht um eine Regelung unterschiedlicher Sachverhalte, sondern um eine unterschiedliche Regelung für vergleichbare Personengruppen. Werden verschiedene Personengruppen - die keinen oder nur schwer Einfluss auf das entsprechende Kriterium haben (Bsp. Arbeiter oder Angestellte) - und nicht nur verschiedene Sachverhalte ungleich behandelt, ist eine strenge Prüfung notwendig (BVerfG 22.04.1994 - 1 BvL 21/85, 1 BvL 4/92 - E 90, 46 <56>). Bei einer solchen Prüfung findet sich ein sachlicher Differenzierungsgrund nicht und damit ist eine Auslegung, wie sie die Beklagte vornimmt, nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar.

Ein zulässiger Differenzierungsgrund kann - wie die Beklagte zu Recht ausführt - auch in der Befugnis der Tarifvertragsparteien zur Typisierung und Generalisierung von Sachverhalten liegen. Die damit verbundene Belastung ist hinzunehmen, wenn sie nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wäre, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betrifft und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfG 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - E 87, 234 <255>; 28.04.1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - E 100, 59 <90>). Bei der Prüfung der Intensität des Verstoßes sind auf der einen Seite die Belastung des Betroffenen, auf der anderen die mit der Typisierung verbundenen Vorteile zu berücksichtigen, insbesondere die Verwaltungserfordernisse (vgl. BVerfG 08.10.1991 - 1 BvL 50/86 - E 84, 348 <360>). Auch danach erweist sich die Regelung nicht als verfassungsgemäß.

Zunächst sind angesichts der großen Zahl tarifunterworfener Arbeitnehmer der Länder nicht nur wenige Beschäftigte betroffen. Die Ungleichbehandlung wäre auch leicht durch die Tarifvertragsparteien zu ändern, indem entweder allen Arbeitnehmern, die Krankengeldzuschuss erhalten, der Anspruch gegeben oder auch allen nicht gegeben wird. Mit der Typisierung erfolgen auch keine Vorteile, die Verwaltungserfordernissen entsprechen. Der Abrechnungsaufwand unterscheidet sich nicht. Letztlich geht es auch - wie vorliegender Fall zeigt - nicht um zu vernachlässigende Beträge.

Eine verfassungskonforme Auslegung ist geboten, wenn der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung mit anderen und ihr Sinn und Zweck mehrere Deutungen zulassen, von denen nur eine oder einige zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führen (vgl. BVerfG, 15.10.1996 - 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92 - E 95, 64 <93>). Zu Recht ist als Prüffrage der verfassungskonformen Auslegung bezeichnet worden, ob der Normgeber die von ihm getroffene Regelung nach einer solchen Interpretation "inhaltlich nicht wieder erkennt", (BVerG 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - DVBl 2007, 1359-1366). Bei Zuerkennung des Anspruchs im Wege der verfassungskonformen Auslegung wird die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nicht auf den Kopf gestellt, sondern es wird die Auslegung gewählt, die zu einem verfassungskonformen, in das System des TV-L auch passenden Ergebnis führt, wie es sich im Übrigen auch aus der mitgeteilten Auffassung der Geschäftsstelle der TdL ergibt.

Der Berufung war daher stattzugeben. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 286, 288 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen wegen grundsätzlicher Bedeutung vor, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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