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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil verkündet am 18.11.2009
Aktenzeichen: 5 Sa 39/09
Rechtsgebiete: InsO, SGB I, ArbGG, ZPO, SGB II, SGB X, SGG


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 36 Abs. 1 Satz 1
InsO § 36 Abs. 4
InsO § 36 Abs. 4 S. 1
InsO § 80
InsO § 82
SGB I § 54 Abs. 3
SGB I § 54 Abs. 4
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ZPO § 808
ZPO § 809
ZPO § 810
ZPO § 811
ZPO § 812
ZPO §§ 850 ff.
ZPO § 850 Abs. 2
ZPO § 850 Abs. 3
ZPO § 850 c
ZPO § 850 e Abs. 2 a
SGB II § 4
SGB X § 31
SGB X § 34
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 4
Auch wenn es dem Arbeitgeber obliegt, Lohnzuschüsse der ARGE nach dem Hamburger Modell zusammen mit dem Lohn an den Arbeitnehmer auszukehren, bleibt der Zuschuss öffentlich-rechtliche Sozialleistung und ist bei der Ermittlung der Pfändungsfreigrenze nur dann zu berücksichtigen, wenn eine entsprechende Entscheidung des Vollstreckungsgerichtes besteht.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 08. April 2009 - 23 Ca 14/09 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten in seiner Funktion als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn M.P. (im Folgenden: Schuldner) in Anspruch.

Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg - Insolvenzgericht - vom 30. Mai 2006 (Az. 67c IN 119/06) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des Schuldners bestellt worden.

Der ledige, kinderlose Schuldner war seit dem 1.September 2007 bei dem Beklagten als Fahrer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II "T. Hamburg" nach den Richtlinien des Hamburger Modells zur Beschäftigungsförderung (Anlage B 1, Bl. 31 d. A.) gefördert.

Nach Nr. 5 und 6 der Richtlinien erhält der Arbeitnehmer einen 2 Monate gültigen "Eingliederungsscheck" mit der Zusage der Förderung, der durch den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer zu unterschreiben ist und den Förderungsantrag darstellt. Daraufhin erfolgt die Bescheiderteilung durch die ARGE.

Der Beklagte als Arbeitgeber und der Schuldner als Arbeitnehmer erhielten entsprechend der Richtlinien monatlich einen - steuer- und sozialversicherungsfrei gezahlten - Pauschalbetrag von je EUR 250,00 als Förderungsbetrag. Der Zuschuss wurde insgesamt an den Beklagten ausgezahlt; der Beklagte war verpflichtet, den dem Schuldner zustehenden Anteil an der Förderung spätestens jeweils am Monatsende auszuzahlen (vgl. Ziff. 5 Abs. 3 der Richtlinien Anlage B 1, Bl. 31 d. A.).

Der Kläger setzte den Beklagten mit Schreiben vom 8. Januar 2008 über das Insolvenzverfahren in Kenntnis und forderte ihn unter Bezugnahme auf den Insolvenzeröffnungsbeschluss auf, einen pfändbaren Lohnanteil an ihn, den Kläger zu zahlen (Anlage K 2, Bl. 7 d. A.).

Der Beklagte rechnete das Arbeitsverhältnis mit dem Schuldner für die Monate Januar bis Juni 2008 auf der Basis eines Entgelts in Höhe von 1.602,93 EUR (Januar 2008) bzw. 1.318,09 EUR (Februar 2008 bis Juni 2008) zzgl. des "Zuschusses Hamburger Modell" ab und zahlte den sich aus der Abrechnung ergebenden Nettobetrag von 1.358,88 EUR (Januar 2008) bzw. 1.220,00 EUR (Februar 2008 bis Juni 2008) an den Schuldner aus (siehe die Abrechnungen Anlagenkonvolut K 3, Bl. 8 ff. d. A.). Er stand auf dem Standpunkt, dass pfändbarer Lohn nicht angefallen sei, da die Zuschusszahlungen nach dem Hamburger Modell nicht zu berücksichtigen seien.

Einen Antrag nach § 36 Abs. 4 InsO hat der Kläger nicht gestellt.

Würden die Zuzahlungen nach dem Hamburger Modell bei der Berechnung des pfändbaren Gehaltsanteils berücksichtigt, ergäbe sich für die Monate Januar bis Juni 2008 ein pfändbarer Gesamtbetrag von EUR 1.077,40 EUR.

Diesen Betrag macht der Kläger mit der vorliegenden, am 15. Januar 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am 20. Januar 2009 zugestellten Klage geltend.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Zahlungen an den Schuldner nach dem Hamburger Modell bei der Berechnung des pfändbaren Lohnes mit einzubeziehen seien. Die Pfändbarkeit der Zahlungen ergebe sich aus § 54 Abs. 4 SGB I. Diese Auffassung vertrete auch das Insolvenzgericht, wie sich aus einem Beschluss vom 23. November 2006 in anderer Sache ergebe ( Anlage K 4, Bl. 14 f. d. A.).

Zwar handele es sich bei der Förderung des Arbeitnehmers nach dem Hamburger Modell aus Sicht des Arbeitgebers um einen "durchlaufenden Posten". Doch bestehe eine Zahlungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Zahle der Arbeitgeber den Förderbetrag nicht, könne dieser vom Arbeitnehmer als Teil der an den Arbeitnehmer auszukehrenden Vergütung vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht werden.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger EUR 1.077,40 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, zwar müsse der Kläger als Insolvenzverwalter das pfändbare Arbeitseinkommen des Schuldners zur Masse ziehen (§§ 36 Abs. 1 InsO, §§ 850 ff. ZPO). Hiervon sei die Lohnsubvention nach dem "Hamburger Modell" jedoch nicht erfasst. Diese werde zweckgebunden gezahlt, um Langzeitarbeitslose zu unterstützen, die ohne diese Unterstützung auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Beschäftigung finden würden. Aus dieser Zweckbindung folge die fehlende Pfändbarkeit des Zuschusses. Denn die Freie und Hansestadt habe den Schuldner in Lohn und Brot bringen wollen, nicht jedoch das Ziel verfolgt, die Gläubiger des Schuldners zu befriedigen.

Auch die Agentur für Arbeit sei bei einer kursorischen Prüfung im Jahr 2007 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Fördermittel nicht pfändbar seien (vgl. Anlage B 2, Bl. 34 d. A.).

Die Fördermittel seien nicht Teil des Arbeitseinkommens des Schuldners, da ihnen keine synallagmatische leistungsbezogene Dienstverpflichtung des Schuldners gegenüber gestanden habe. Sie seien deshalb von dem Schreiben des Klägers vom 08. Januar 2008 (Anlage K 2, Bl. 7 d. A.), mit dem dieser den Beklagten zur Zahlung eines evtl. pfändbaren Lohnanteils aufgefordert habe, nicht erfasst.

Rechtlich habe der Beklagte als Arbeitgeber hinsichtlich der für den Schuldner bestimmten Fördermittel eine Treuhandfunktion ausgeübt. Es handele sich um eine uneigennützige Treuhand, die beinhalte, dass der Treuhänder seine formale Rechtsstellung nach Weisung des Treugebers ausübe. Der Arbeitnehmer erwerbe keinen eigenen Auszahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, wenn dieser die Fördermittel nicht an ihn auszahle. Der Arbeitnehmerförderanteil unterliege nicht der Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers.

Der Beklagte habe in Erledigung des Treuhandauftrags mit befreiender Wirkung gegenüber der ARGE SGB II direkt an den Arbeitnehmer zahlen können.

Der Kläger hätte die ARGE SGB II in Anspruch nehmen müssen.

Durch das dem Beklagten am 22. April 2009 zugestellte Urteil vom 8. April 2009, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die am 18. Mai 2009 eingelegte und mit am 22. Juni 2009 beim Landesarbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Beklagten.

Der Beklagte wiederholt und vertieft seine Rechtsausführungen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 8. April 2009 - 23 Ca 14/09 -

die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil mit Rechtsausführungen. Jedenfalls durch die Auszahlung des Zuschusses durch den Arbeitgeber werde dieser Teil des einheitlichen Arbeitseinkommens des Schuldners, einer gesonderten Zusammenrechnungsentscheidung des Vollstreckungsgerichtes bedürfe es deshalb nicht.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist auch begründet. Es fehlt die nach der InsO erforderliche Einziehungsbefugnis des Klägers.

Gemäß § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zurzeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Die §§ 850 ff. ZPO gelten entsprechend (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die §§ 808 bis 812 ZPO regeln, inwieweit Vermögensgegenstände des Schuldners der Zwangsvollstreckung und damit auch dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Einkünfte aus nicht selbständiger Tätigkeit (Arbeitseinkommen, Lohn, Gehalt) fallen nur in dem Umfang in die Insolvenzmasse, in dem sie gem. §§ 850 ff. ZPO der Pfändung unterliegen. Beschlagnahmefrei bleiben die nach § 850 c ZPO unpfändbaren Teile des Arbeitseinkommens Der Insolvenzverwalter/Treuhänder ist nicht befugt, das der Zwangsvollstreckung nicht unterliegende Arbeitseinkommen des Schuldners zur Masse einzuziehen (LAG Schleswig-Holstein 18.01.2006 - 3 Sa 549/05 - NZA-RR 2006, 309 mwN.). Soweit das unpfändbare Arbeitseinkommen nicht in die Insolvenzmasse fällt, fehlt die Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters.

Der hier im Streit befindliche Zuschuss der Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II ist kein Arbeitseinkommen iSd. § 850 Abs. 2 und 3 ZPO. Es handelt sich um eine Geldleistung iSd. § 4 SGB II nach Maßgabe der im SGB II vorgesehenen Förderungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Zuschuss insgesamt dem Arbeitgeber überwiesen und der dem Arbeitnehmer zustehende Teil sodann mit dem Lohn ausgezahlt wird und auf der Lohnabrechnung erscheint. Das Verhältnis des Arbeitnehmers bleibt im Verhältnis zur ARGE öffentlich-rechtlich. Der "Eingliederungsscheck" stellt sich als Zusicherung iSd. § 34 SGB X dar und ist selbst schon ein Verwaltungsakt (Kreikebohm, Kommentar zum Sozialrecht, 2009, Nr. 5 zu § 34 SGB X). Auch der darauf gestützte Bescheid nach Ziffer 6 der Richtlinien ist ein Arbeitnehmer und Arbeitgeber begünstigender Verwaltungsakt iSd. § 31 SGB X. Der Arbeitnehmer bleibt Inhaber eines öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Zahlungsanspruchs. Es bedarf keiner weiteren bürgerlich-rechtlichen Konstruktion, aufgrund des öffentlich-rechtlichen Zahlungsanspruchs des begünstigten Arbeitnehmers wäre bei einer fehlenden Auskehrung des vom Arbeitgeber zu verwaltenden Zuschusses nach Auffassung der Kammer gegenüber der ARGE der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4 SGG eröffnet (vgl. BSG 06.04.2006 - B 7a AL 56/05 R - NJW 2007, 1902-1904 zum Vermittlungsgutschein), wenn auch eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers vor der Arbeitsgerichtsbarkeit in Frage käme. Der öffentlich-rechtliche Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers wird damit nicht zum Teil des Arbeitseinkommens iSd. § 850 ZPO.

Dieser Zuschuss wächst dem Vermögen des Schuldners zu und ist grundsätzlich gemäß § 54 Abs. 3 und 4 SGB I als laufende Geldleistung pfändbar. Im Hinblick auf das Schreiben des Klägers vom 8. Januar 2008 wäre vom Beklagten gemäß §§ 80, 82 InsO befreiend nur an die Insolvenzmasse, nicht an den Schuldner zu zahlen gewesen.

Jedoch trifft § 54 Abs. 4 SGB I für Sozialleistungen wie die vorliegende eine Sonderregelung: Danach können Ansprüche auf laufende Geldleistungen - nur - wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. § 54 Abs. 4 SGB I verweist damit seinerseits auf die §§ 850 ff ZPO (Wannagat, SGB I, Stand Mai 2007, Nr. 27 zu § 54; Kreft InsO 5.Aufl. 2008, Nr. 9 zu § 82). Im konkreten Einzelfall scheitert die Pfändung also an der geringen Höhe dieser Leistung, sie bleibt unterhalb der Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO.

Doppeltes Arbeitseinkommen kann ebenso zusammengerechnet werden wie Arbeitseinkommen zusammen mit pfändbaren Sozialleistungen nach dem SGB, § 850 e Abs. 2 a ZPO. Dies setzt einen entsprechenden Antrag voraus und einen entsprechenden Beschluss des Vollstreckungsgerichtes, hier in Form des Insolvenzgerichtes, § 36 Abs. 4 S. 1 InsO. Diesen Weg ist der Kläger nicht gegangen.

Nach der gesetzlichen Konzeption der Pfändungsschutzvorschriften obliegt die Entscheidung über die Erhöhung oder Herabsetzung von Pfändungsgrenzen (§ 850 e, § 850 f ZPO) damit ausschließlich dem Vollstreckungsgericht (vgl. BAG v. 06.02.1991 - 4 AZR 348/90 - AP Nr 2 zu § 850f ZPO; BAG v. 21.11.2000 - 9 AZR 692/99 - BAGE 96, 266-273), also der Zivilgerichtsbarkeit. Ob das Vollstreckungsgericht befugt wäre, in Zusammenrechnung des Arbeitseinkommens des Schuldners und der laufenden Sozialleistung nach dem SGB in Form des Lohnzuschusses einen Teil des an sich unpfändbaren Arbeitseinkommens der Pfändung zu unterwerfen, ist nicht von der Arbeitsgerichtsbarkeit zu entscheiden. Ggfs. hätte dem Insolvenzverwalter oblegen, zum Zwecke der größtmöglichen Befriedigung der Gläubiger für eine Zusammenfassung des Arbeitseinkommen und der Sozialleistung für eine Verschiebung der Pfändungsfreigrenzen zu sorgen. Da dies nicht geschehen ist, fällt der hier streitige Betrag nicht in die Insolvenzmasse und es war auf die Berufung des Beklagten das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen vor, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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