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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil verkündet am 28.06.2001
Aktenzeichen: 7 Sa 107/00
Rechtsgebiete: HGB, SGB VI, BGB, ArbGG, ZPO
Vorschriften:
HGB § 84 Abs. 1 Satz 2 | |
HGB §§ 407 f. | |
HGB §§ 425 f. | |
SGB VI § 44 | |
BGB § 254 | |
ArbGG § 64 Abs. 1 | |
ArbGG § 64 Abs. 2 | |
ArbGG § 64 Abs. 6 | |
ArbGG § 66 Abs. 1 | |
ArbGG § 72 Abs. 2 | |
ZPO § 91 | |
ZPO § 256 | |
ZPO § 516 | |
ZPO § 518 | |
ZPO § 519 |
Landesarbeitsgericht Hamburg Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftszeichen: 7 Sa 107/00
In dem Rechtsstreit
Verkündet am: 28. Juni 2001
erkennt das Landesarbeitsgericht Hamburg, 1 Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2001 durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht xxxxx als Vorsitzende d. ehrenamtliche Richter xxxxxx d. ehrenamtliche Richter xxxxxx
für Recht:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. Oktober 2000 15 Ca 112/00 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem zwischenzeitlich beendeten Vertragsverhältnis.
Die 39-jährige Klägerin leitete vom 1. Mai 1986 bis zum 30. September 1998 eine Zeitungs-Vertriebsstelle in Hamburg und organisierte und führte dabei im Auftrag der Beklagten die Zustellung von Zeitungen an Abonnenten durch. Die Grundlage des Vertragsverhältnisses bildete ein schriftlicher Vertrag vom 1. Mai 1986 (Anlage K 1, Bl. 7-11 d.A.), wonach die Klägerin als Spediteur bzw. Frachtführer im Sinne der §§ 407 f. und 425 f. HGB für den Verlag tätig wird".
Die Klägerin hatte zur Ausführung ihrer Tätigkeit die notwendigen Betriebsräume selbst angemietet. Dorthin wurden von der Beklagten die auszuliefernden Zeitungen geliefert. Das Büro der Klägerin hatte zu festgelegten Geschäftszeiten besetzt zu sein, auch die Entgegennahme der angelieferten Zeitungen musste gewährleistet werden. Zumindest seit 1992 hat sich die Klägerin zur (Mit-)Erfüllung dieser Aufgaben eines teilzeitbeschäftigten Büroangestellten, Herrn xxxxx, bedient. Daneben setzte sie rund 50 Zeitungszusteller ein, mit denen sie unter Verwendung von der Beklagten zur Verfügung gestellter Formular-Verträge (entsprechend Anlage K 10, Bl. 67 d.A.) ihrerseits Spediteur- bzw. Frachtführer-Verträge geschlossen hatte. Die Klägerin erhielt von der Beklagten nach der vertraglichen Vereinbarung (§ 3 des Vertrages) für ihre Tätigkeit eine abonnementstückzahl-bezogene monatliche Vergütung zuzüglich Mehrwertsteuer, in die die Vergütung für die von der Klägerin eingesetzten Zusteller eingerechnet war. Nach § 3 Abs. 4 der vertraglichen Regelung war die Klägerin verpflichtet, mit ihren Zustellern abzurechnen und dabei den vom Verlag vorgeschriebenen Zustellnutzen sowie vereinbarte sonstige Vergütungen auszuzahlen. Außerdem erhielt die Klägerin einen pauschalen Vertriebsstellenzuschuss und eine Kostenbeteiligung für die Bereitstellung von Nachlieferdiensten (DM 110,00 und DM 100,00, Stand: April 1989).
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei ihrem Vertragsverhältnis zur Beklagten, trotz anders lautender Bezeichnung und entsprechender Abrechnungshandhabung, um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Die Beklagte sei ver- pflichtet, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Nichtabführung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung entstanden sei. Nach amtsärztlichem Gutachten vom 29. Januar 1989 (Anlage K 8, Bl. 25 f. d.A.) liege eine Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Sinne der Rentenversicherung vor. Für eine Inanspruchnahme einer Erwerbsunfähigkeitsrente im Sinne des § 44 SGB VI fehle es allerdings an der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit durch Leistungen der Pflichtbeiträge seitens der Beklagten. Eine Beitragsnachentrichtung komme wegen des Leistungsfalleintritts jedenfalls seit Januar 1999 nicht in Betracht.
Die Klägerin hat vorgetragen: Sie habe in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden, da diese bis in die letzten Einzelheiten hinein das Vertragsverhältnis bestimmt habe. So habe die Beklagte der Klägerin einen bestimmten Bezirk zugewiesen, wodurch ihre Verdienstmöglichkeiten erschöpfend geregelt gewesen seien. Ebenso sei die Zustellung weiterer Zeitungen neben dem xxxxxxxxxxxxxxxxxx ab Ende 1994 einseitig durch die Beklagte angeordnet worden.
Daneben seien die Geschäftszeiten von der Beklagten stets vorgegeben und mehrfach einseitig geändert worden. Dies ergebe sich unter anderem aus den Schreiben der Beklagten vom 29. April 1987 (Anlage K 2, Bl. 12 d.A.) und vom 29. Februar 1988 (Anlage K 3, Bl. 13 d.A.). Mit letzterem sei darüber hinaus vorgegeben worden, wie der Anrufbeantworter der Vertriebsstelle zu besprechen gewesen sei.
Ebenso sei 1989 die Umstellung des xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx von einer Abend- auf eine Morgenzeitung mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Abonnementszustellung einseitig durch die Beklagte erfolgt. In diesem Zusammenhang sei außerdem eine persönliche Präsenz noch zwei Stunden nach Ausgabe der letzten Tour angeordnet worden. Dies ergebe sich aus einem Schreiben der Beklagten vom 7. Februar 1989 (Anlage K 4, Bl. 15 f. d.A.). Mit Schreiben vom 23. Juli 1997 (Anlage K 6, Bl. 20 f. d.A.) habe die Beklagte außerdem die Erwartung geäußert, sie bzw. ein von ihr Beauftragter solle eine halbe Stunde vor Sollzeit in der Agentur anzutreffen sein.
Sie habe zwar eigenverantwortlich Zusteller eingesetzt, aber auch deren Beschäftigung sei bis ins Einzelne vorgegeben gewesen. So habe sie die Formular-Verträge für die Zusteller von der Beklagten erhalten und sei nicht auf die Idee gekommen, andere Vertragsgestaltungen zu wählen. Auch die Vergütung der Zusteller sei von der Beklagten durch die Festlegung des so genannten Zustellnutzens" und in Einzelfällen durch mit dem Außendienst vereinbarte Zulagen vorgegeben gewesen. Sie hätte an ihre Zusteller sicherlich mehr als vorgegeben zahlen dürfen, weniger allerdings nicht, denn die Weitergabe der festgelegten Zusteller-Vergütung sei vom Außendienst der Beklagten kontrolliert worden. Auch habe sie die ihr von der Beklagten erteilten Touren-Abrechnungen zur Abrechnung gegenüber den Zustellern nutzen müssen. Des Weiteren sei ihr die Zustellorganisation, wie aus dem Beklagtenschreiben vom 14. April 1987 (Anlage K 7, Bl. 22-24 d.A.) ersichtlich, minutiös vorgegeben gewesen.
Außerdem habe sie Zeiten ihrer Arbeitsverhinderung wegen Urlaub oder Krankheit beim Außendienst der Beklagten anzeigen und für eine vernünftige Vertretung sorgen müssen, die sie eingestellt und eingearbeitet habe. Insoweit habe es allerdings nie Einwendungen oder Ablehnungen der Vertretungskräfte seitens der Beklagten gegeben.
Insgesamt betrachtet habe sie die von ihr geschuldete Leistung als Arbeitnehmerin im Rahmen der von der Beklagten bestimmten Arbeitsorganisation erbracht. Soweit ein Arbeitgeber im Verhältnis zu seinem Arbeitnehmer keine Rentenversicherungsbeiträge abführe, sei er dem Arbeitnehmer zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens auf Grund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet. Ein derartiger Schaden sei ihr, der Klägerin, auch entstanden.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass die Beklagte für den Zeitraum des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien vom 1. Mai 1986 bis zum 30. September 1998 keine Rentenversicherungsbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abführte.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen:
Die Klägerin sei nicht Arbeitnehmerin, sondern selbstständige Gewerbetreibende gewesen. Schon aus der von der Klägerin auszuliefernden Menge an Zeitungen und dem deswegen notwendigen Einsatz von rund 50 Zustellern ergebe sich die Selbstständigkeit der Klägerin. Sie sei auch nicht zur höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Sie habe vielmehr ihren Angestellten, Herrn xxxxxxxxx, tageweise allein das Geschäft betreuen lassen. Dementsprechend sei sie von dem zuständigen Außendienstmitarbeiter bei seinen Besuchen häufig nicht im Betrieb angetroffen worden. Bei Bedarf sei sie dann zu Hause angerufen worden. Sonnabends sei die Klägerin regelmäßig abwesend gewesen.
Die Klägerin habe sich weder an- noch abzumelden gehabt und sei auch nicht in Urlaubs- oder Vertretungslisten oder Organigramme und Ähnliches eingebunden gewesen. Soweit sie aus den Anlagen K 2, K 3 und K 4 Arbeitszeiten ableiten wolle, gehe dies fehl. Bei diesen Schreiben sei es im Wesentlichen um die erforderlichen organisatorischen und zeitlichen Veränderungen für die Abonnementszustellung gegangen, die sich aus der Umstellung beim xxxxxxxxxxxxxxx von einer Abend- auf eine Morgenzeitung ergeben hätten. Die Vertriebsstellen legten ihre Geschäftszeiten unterschiedlich und entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten selbstständig fest. Im Übrigen beträfen die Geschäftszeiten lediglich die Zustell- und Erreichbarkeitszeiten der Vertriebsstelle für Abonnenten und Verlag. Demgegenüber sei die Klägerin völlig frei gewesen bei der Regelung ihrer Arbeitszeit und der ihrer Mitarbeiter im eigenen Betrieb. Dies werde insbesondere auch deutlich aus dem von der Klägerin gefertigten Schreiben vom 18. August 1997 (Anlage B 4, Bl. 56 f. d.A.), in dem sie selbst einräume, mit Herrn xxxxxxxxxx eine Vereinbarung getroffen zu haben, dass sie zunächst für ein bis zwei Tage zu Hause bleiben werde.
Schließlich lasse sich der von der Klägerin behauptete Arbeitnehmerstatus auch nicht aus dem Beklagtenschreiben vom 14. April 1987 optimierte Zustellorganisation" (Anlage K 7, Bl. 22-24 d.A.) ableiten. Es lasse sich heute nicht mehr mit Sicherheit rekonstruieren, ob es sich bei dieser Unterlage nicht in Wahrheit um eine interne Unterweisung des Verlages für seine angestellten Außendienstmitarbeiter gehandelt habe, die hier mit den Vertriebsstellen Orientierungspunkte für den Aufbau einer optimalen Zustellorganisation hätten vermitteln sollen. Letztlich könne dies dahingestellt bleiben. Auch wenn das Schreiben eine Information für die Vertriebsstelle der Klägerin gewesen sein sollte, könnte hierdurch keine Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin begründet werden. Dieser Text knüpfe nämlich unmittelbar an die Leistungsverpflichtung der Klägerin gemäß Werkvertrag an und konkretisiere lediglich das berechtigte Interesse des Verlages am Aufbau und der Verlässlichkeit einer störungsfrei funktionierenden Zustellorganisation durch die Vertriebsstelle.
Mit Urteil vom 25. Oktober 2000 15 Ca 112/00 hat das Arbeitsgericht Hamburg festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Hälfte des Schadens zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass die Beklagte für den Zeitraum des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien vom 1. Mai 1986 bis 30. September 1998 keine Rentenversicherungsbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abführte. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Zwischen der Klägerin und der Beklagten habe in der Zeit von Mai 1986 bis zum 30. September 1998, trotz anders lautender schriftlicher Vereinbarung, ein Arbeitsverhältnis bestanden. Die persönliche Abhängigkeit der Klägerin habe sich nicht von der eines Arbeitnehmers unterschieden. Zwar sei die Klägerin mit gehobenen Tätigkeiten für die Beklagte beschäftigt und weder nach dem geschlossenen Vertrag noch nach der tatsächlichen Handhabung zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Sie habe zur Erfüllung der von ihr übernommenen Leistungen auch andere Personen einsetzen können und dies auch getan. Ihre Urlaubswünsche habe sie mit der Beklagten nicht abstimmen müssen, sondern lediglich ihre Verhinderung im Urlaubsund Krankheitsfall anzeigen. Allerdings sei die Klägerin bezüglich des ihr überlassenen Personaleinsatzes nicht völlig frei gewesen. Sie habe bezüglich der Zusteller den vom Verlag vorgeschriebenen Zustellnutzen sowie vereinbarte sonstige Vergütungen auszuzahlen und die von der Beklagten zur Verfügung gestellten Tourenabrechnungen als Grundlage für die Zusteller-Abrechnung zu verwenden gehabt. Die Beklagte habe sich außerdem die Überprüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung mit den Zustellern vorbehalten und zusätzlich minutiöse Anweisungen bezüglich der Anwerbung, Einarbeitung und des Einsatzes von Zustellern gegeben. Hinzukomme, dass die Beklagte mehrfach einseitig die von der Klägerin einzuhaltenden Geschäfts- bzw. Präsenzzeiten festgelegt habe.
Da die Beklagte keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe, sei sie der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet. Die Beklagte habe den eingetretenen Schaden auf Grund der unterbliebenen Beitragsabführung zu vertreten, da ihr als großem und rechtlich fortwährend gut beratendem Unternehmen bewusst gewesen sein müsse, dass sie hier nicht ohne weiteres eindeutig von der Versicherungsfreiheit der Klägerin ausgehen konnte. Allerdings treffe die Klägerin vorliegend an der Nichtabführung der Rentenversicherungsbeiträge und dem daraus resultierenden Schaden ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB, das ebenso hoch zu bewerten sei wie das der Beklagten. Die Klägerin habe während der gesamten Dauer ihres Vertragsverhältnisses zur Beklagten (immerhin über zwölf Jahre) zu keinem Zeitpunkt der Beklagten zu erkennen gegeben, ihrer Auffassung nach in einem Arbeitsverhältnis zu stehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (S. 7-13, Bl. 82-88 d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 8. November 2000 zugestellte Urteil am 7. Dezember 2000 Berufung eingelegt und ihre Berufung am 2. Februar 2001 begründet, nachdem ihr durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 4. Januar 2001 die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 8. Februar 2001 einschließlich verlängert worden ist.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 8. November 2000 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 7. Dezember 2000 Berufung eingelegt und ihre Berufung am 4. Januar 2001 begründet.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor: Es sei bereits fraglich, ob die Klägerin ein Feststellungsinteresse für die Vergangenheit habe.
In materieller Hinsicht habe das Arbeitsgericht die zwischen den Parteien vereinbarten vertraglichen Grundlagen und deren praktische Umsetzung bei der Bewertung des Status der Klägerin nicht zutreffend gewürdigt. Nach dem Beförderungsvertrag vom 1. Mai 1986 sei der Zustellungserfolg geschuldet. Dem Inhalt dieses Werkvertrages habe auch die tatsächliche Handhabung entsprochen. Die Klägerin habe selbst Mitarbeiter eingestellt und diese Vertragsbeziehungen im Bedarfsfall selbstständig beendet. Sie habe ihren Arbeitsplatz in von ihr angemieteten Räumen selbstständig gestaltet. Es habe keine An- und Abmeldepflicht bestanden. Die Klägerin sei weder in Organisationsdiagramme noch in Vertretungslisten, Urlaubspläne und Ähnliches eingebunden gewesen. Sie habe sich ihre Urlaubs- und Krankheitsvertretung selbst gesucht, sie habe keiner Berichtspflicht unterlegen. Sie sei nicht in einem Umfang beschäftigt gewesen, der weitere Nebentätigkeiten ausschloss.
Die Annahme des Arbeitsgerichts, die Klägerin sei durch die Abrechnungssituation des Zustellnutzens in ihrer Freiheit beeinträchtigt gewesen, gehe fehl, weil das Arbeitsgericht diese Abrechnungen nicht im Kontext mit der Gesamtvergütung der Klägerin betrachte. Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit der Klägerin sei durch diese Art der Preisfindung nicht berührt worden, auch nicht durch die Überprüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung mit den Zustellern. Die Klägerin habe keinen persönlichen Arbeitszeiten unterlegen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Schreiben vom 29. April 1987 und 29. Februar 1988, die vor dem Hintergrund zu sehen seien, dass im Hinblick auf die Umstellung des xxxxxxxxxxxxxxxxxxx von einer Abend- auf eine Morgenzeitung in der Übergangsphase 1997 bis 1999 die Vertriebsstelle unterschiedliche Zustellzeiten auf den einzelnen Touren bewerkstelligen musste. Diese Schreiben brächten zum Ausdruck, dass es sich um Geschäftszeiten handele, die lediglich die Zustell- und Erreichbarkeit der Vertriebsstelle nicht die der Klägerin persönlich beträfen. Jede Zusammenarbeit unter Selbstständigen setze gewisse Geschäftszeiten voraus.
Unabhängig vom Status der Klägerin hafte die Beklagte jedoch auch aus anderen Gründen nicht. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts treffe die Beklagte kein Verschulden. Die Zustellung über Vertriebsstellen werde seit ca. 50 Jahren in dieser Form betrieben. Zu keinem Zeitpunkt sei diese Praxis in irgendeiner Form beanstandet worden. Keiner der Sozialversicherungsträger habe bislang den Standpunkt eingenommen, es könne sich um abhängig Beschäftigte handeln. Auch in einer Vielzahl von Entscheidungen im Rahmen von gerichtlichen Auseinandersetzungen sei die Selbstständigkeit der Vertriebsstelleninhaber festgestellt worden. Die Beklagte habe daher auf die Rechtslage vertrauen dürfen.
Die Beklagte bestreitet, dass eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit der Klägerin im Sinne der Rentenversicherung vorliegt.
Sie meint weiter, im Übrigen habe die Klägerin die ihr zustehenden Ersatzansprüche gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung im Wege der Vorteilsanrechnung an die Beklagte herauszugeben.
Das Arbeitsgericht sei auch zutreffend von einem Mitverschulden der Klägerin ausgegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründung und Berufungserwiderung vom 2. Februar 2001 (Bl. 154 f. d.A.) sowie deren Schriftsatz vom 12. Juni 2001 (Bl. 269 f. d.A.) verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
1. das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg aufzuheben und die Klage abzuweisen;
2. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. Oktober 2000, Az.: 15 Ca 112/00, abzuändern und nach dem Schlussantrag der Klägerin in der ersten Instanz zu erkennen;
2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts hinsichtlich dessen Bewertung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand, unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, den sie weiter vertieft.
Sie meint, das Arbeitsgericht sei auch zu Recht davon ausgegangen, dass seitens der Beklagten eine zumindest fahrlässige Schadensverursachung vorliege. Das Arbeitsgericht habe aber zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin ein Mitverschulden treffe. Ein der Risikosphäre der Klägerin zurechenbares Verhalten habe weder die Entstehung des Schadens herbeigeführt noch diesen gefördert. Für die Klägerin habe kein Anlass bestanden, von einem Arbeitsverhältnis auszugehen. Sie habe auch keine Verpflichtung getroffen, durch Eigenvorsorge für einen ersatzweisen Versicherungsschutz zu sorgen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründung vom 4. Januar 2001, Bl. 111 f. d.A. sowie deren Schriftsatz vom 30. März 2001 (Bl. 221 f. d.A.) verwiesen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie wegen ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. Oktober 2000 15 Ca 112/00 ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, da sie gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 516, 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das oben genannte Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg ist ebenfalls gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, da sie gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 516, 518, 519 ZPO formund fristgerecht eingelegt und begründet worden ist.
II.
Die Berufung der Beklagten ist auch begründet.
Dagegen ist die Berufung der Klägerin unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist die zulässige Klage (1.) nämlich in vollem Umfang unbegründet (2.).
1. Die Klage ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht vorliegend das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, da sich aufgrund der vorgelegten amtsärztlichen Bescheinigung über die klägerische Erwerbsunfähigkeit aus der Nichtabführung von Rentenversicherungsbeiträgen durch die Beklagte Rechtsfolgen für die Zukunft ergeben. Ein Schadenseintritt ist insoweit überwiegend wahrscheinlich, da nach den unwidersprochenen Darlegungen der Klägerin für sie konkret keine Möglichkeit der Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen mit der Folge der Erlangung eines Erwerbsunfähigkeitsrentenanspruchs besteht (vgl. BAG v. 14.4.1971, AP Nr.47 zu § 256 ZPO). Die Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ist derzeit noch nicht bezifferbar.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht Ersatz des Schadens verlangen, der dadurch entstanden ist, dass die Beklagte für den Zeitraum des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien vom 1. Mai 1986 bis 30. September 1998 keine Rentenversicherungsbeiträge an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abführte, weil zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestand.
Die Berufungskammer folgt mit dem Arbeitsgericht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. nur BAG vom 24.06.1992, NZA 1993, S. 174; vom 29.01.1992, NZA 1992, S. 835; vom 20.07.1994 5 AZR 627/93 EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff, Nr. 54 m.w.N.).
Arbeitnehmer ist danach derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen hat. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB, der über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus eine allgemeine gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck bringt, ein typisches Abgrenzungsmerkmal für die Unterscheidung von Werkvertrag und Arbeitsvertrag. Nach dieser Vorschrift ist selbstständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbstständig und daher persönlich abhängig ist folglich der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation wird insbesondere dadurch deutlich, dass ein Arbeitnehmer hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung der versprochenen Dienste einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die fachliche Weisungsgebundenheit ist für Dienste höherer Art nicht immer typisch. Die Art der Tätigkeit kann es mit sich bringen, dass dem Dienstverpflichteten ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und fachliche Selbstständigkeit verbleibt (BAG vom 20.07.1994, a.a.O.).
Bei der Frage, ob und in welchem Maße der Mitarbeiter persönlich abhängig ist, muss vor allem die Eigenart der jeweiligen Tätigkeit berücksichtigt werden; abstrakte für alle Arbeitnehmer geltende Kriterien lassen sich nicht aufstellen (vgl. z.B.: BAG, Beschluss vom 29.01.1992 7 ABR 25/91 DB 1992, S. 1781).
Unerheblich ist, wie die Parteien das Vertragsverhältnis bezeichnet haben. Der Status des Beschäftigten richtet sich nicht nach Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach, wie die Vertragsbeziehungen nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Der wirkliche Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages zu entnehmen. Wenn der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen wird, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Denn die praktische Handhabung lässt Rück- schlüsse darauf zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind (vgl. dazu BAG vom 20.07.1994, a.a.O., m.w.N.).
Für die Abgrenzung entscheidend sind demnach in erster Linie die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung oder andere formelle Merkmale wie die Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen und die Führung von Personalakten.
Die Frage, wer Arbeitnehmer ist, ist nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen.
Unter Anwendung der vorstehend genannten Grundsätze ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass es sich bei dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis um kein Arbeitsverhältnis handelte.
a) Der Beförderungsvertrag vom 1. Mai 1986 (Anlage K 1) regelt in § 1, dass die Vertriebsstelle als Spediteur bzw. Frachtführer im Sinne der §§ 407 f. und 425 f. HGB für die Beklagte tätig wird. In dieser Eigenschaft übernimmt die Vertriebsstelle, deren Inhaberin die Klägerin war, die Zustellung des vom Verlag herausgegebenen xxxxxxxxxxxxxxxx an die vom Verlag benannten Bezieher in dem Bezirk mit seinen jetzigen in der Gebietsdatei festgelegten und bekannten Grenzen. Im Leistungsumfang gemäß § 2 a Abs. 3 und 4 des Vertrages ist geregelt, dass die Zustellung unverzüglich und ordnungsgemäß durch die Vertriebsstelle zu erfolgen hat. Fehlleistungen (Kundenreklamationen) müssen durch Ersatzzustellung am Erscheinungstag erledigt werden. Die Vergütung erfolgt je zugestelltes Exemplar (§ 3 Abs. 1 des Vertrages). Somit ist vertraglich eindeutig der Zustellungserfolg geschuldet. Ein derartiger Beförderungsvertrag stellt einen Werkvertrag dar (vgl. nur Palandt/Sparau, BGB, Einführung vor § 631 Rdnr. 9).
Entgegen der Auffassung der Klägerin entsprach diesem Vertragsinhalt auch die tatsächliche Handhabung.
b) Wesentlich gegen die persönliche Abhängigkeit der Klägerin und gegen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses spricht bereits der Umstand, dass die Klägerin mit gehobenen Tätigkeiten für die Beklagte beschäftigt und weder nach dem geschlossenen Vertrag noch nach der tatsächlichen Handhabung zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet war. Sie konnte zur Erfüllung der von ihr übernommenen Leistungen andere Personen einsetzen und hat dies auch getan. So beschäftigte die Klägerin ca. 50 Zusteller und einen Büroangestellten bei einem Auftragsvolumen von rd. 5.000 Exemplaren täglich. Das von ihr benötigte Personal stellte sie selbst ein und beendete im Bedarfsfall diese Vertragsbeziehungen selbstständig. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16.07.1997 5 AZR 312/96 NZA 1998, S. 368 f.) spricht bereits gegen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, wenn die Anzahl der auszutragenden Zeitungen so groß ist, dass die Einschaltung von Hilfskräften erforderlich erscheint, das Arbeitsvolumen also erheblich über das hinausgeht, was ein Einzelner in der vorgegebenen Zeit leisten kann. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin unstreitig eigene Arbeitnehmer in die gegenüber der Beklagten geschuldete Leistungserbringung eingeschaltet.
Die Pflicht, die Leistung grundsätzlich persönlich zu erbringen, ist ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis. Da ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarungen, wonach die Dienstleistung nicht persönlich zu erbringen ist, in Arbeitsverträgen selten sind, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen haben und nicht durch Ersatzleute oder andere betriebsfremde Personen erbringen zu lassen (BAG, NZA 1998, 366 m.w.N.; LAG Düsseldorf, NJW 1967, S. 2177). Ist der zur Leistung Verpflichtete dagegen berechtigt, die Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, so steht ihm ein eigener Gestaltungsspielraum zu, der gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht (BAG vom 15.12.1999, NZA 2000, 447). Entscheidend ist hier, dass die Klägerin nicht nur ausnahmsweise die vertraglich geschuldete Tätigkeit (Organisation der Zustellung) durch Dritte erbracht hat, sondern dass dies der Regelfall über größere Zeiträume war.
Neben den von ihr beschäftigten Zustellern hat die Klägerin unstreitig ab 1997 den Zeugen xxxxxxx als Büroangestellten und später den Zeugen xxxxxxxxx beschäftigt. Zuvor halfen ihr geringfügig Beschäftigte bei der Büroorganisation. Mit der Beschäftigung von eigenen Mitarbeitern wurde der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt durch Optimierung des Personaleinsatzes ihre Verdienstchancen zu erhöhen. Gerade die Möglichkeit, auf Grund eigener Entscheidung Hilfskräfte zu beschäftigen, bestätigt die unternehmerische Freiheit der Klägerin, über ihren persönlichen Arbeitseinsatz frei und selbstständig zu disponieren.
c) Gegen eine abhängige Beschäftigung der Klägerin spricht ferner, dass die Klägerin ihren Arbeitsplatz selbst gestalten konnte. Es bestand keine Anund Abmeldepflicht. Beginn und Ende der persönlichen Arbeitszeit war der Klägerin nicht vorgegeben. Sie suchte sich ihre Urlaubs- und Krankheitsvertretung selbst. Selbst wenn sie, wie von ihr vorgetragen verpflichtet gewesen sein sollte, der Beklagten ihre Verhinderung im Urlaubs- oder Krankheitsfall anzuzeigen, so geht dies allein auf das berechtigte Interesse der Beklagten zurück, den zuständigen Ansprechpartner zu kennen. Dass die Klägerin ihre Urlaubswünsche mit der Beklagten hätte abstimmen müssen oder ihre Vertretung nur in Absprache mit der Beklagten hätte regeln können, trägt die Klägerin auch im Berufungsverfahren nicht vor. Ihre Behauptung, die Beklagte habe regelmäßig in ihre Urlaubsgestaltung eingegriffen, ist völlig unsubstantiiert. Dies gilt auch für die weitere Behauptung, die Beklagte habe ihr gelegentlich untersagt, in den Urlaub zu fahren, wenn sie dies aufgrund von betrieblichen Notwendigkeiten nicht für opportun gehalten habe.
d) Soweit das Arbeitsgericht ausführt, die Beklagte habe mehrfach einseitig die von der Klägerin einzuhaltenden Geschäfts- und Präsenzzeiten festgelegt und insoweit spreche dies für eine zeitliche Weisungsgebundenheit, überzeugt dies die Berufungskammer nicht.
Die Klägerin hatte sich weder an- noch abzumelden und war auch nicht in Dienstpläne, Urlaubs- oder Vertretungslisten oder Organigramme eingebunden. Sie musste sich im Fall von Arbeitsunfähigkeit auch nicht bei der Beklagten wie ein Arbeitnehmer abmelden. Die Beklagte hat daher auch zu keiner Zeit für Vertretungen der Klägerin gesorgt. Vielmehr hatte die Klägerin ihre eigenen betrieblichen Dispositionen getroffen (vgl. Anlage B 4).
Auch aus den Anlagen K 2, K 3 und K 4, mit denen die Beklagte gegenüber der Klägerin Vorgaben hinsichtlich der einzuhaltenden Geschäftsbzw. Präsenzzeiten machte, ergibt sich noch keine persönliche Abhängigkeit der Klägerin im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung. Mit diesen Schreiben zeigte die Beklagte vor dem Hintergrund der Umstellung des xxxxxxxxxxxxx von einer Abend- auf eine Morgenzeitung und den damit in der Übergangsphase in den Jahren 1987 bis März 1989 von den Vertriebsstellen auf den einzelnen Touren zu bewältigenden unterschiedlichen Zustellzeiten, Zeiten an, die ihr als ausreichende Geschäftszeiten erschienen. Die Beklagte hat in diesen Schreiben zum Ausdruck gebracht, dass es sich hier um Geschäftszeiten der Vertriebsstelle handelt, die lediglich die Zustell- und Erreichbarkeit der Vertriebsstelle für telefonische Anfragen, Reklamationen oder Ähnliches von Abonnenten und Verlag betrafen. Eine persönliche Arbeitszeit der Klägerin war hiermit nicht angesprochen, vielmehr war die Klägerin völlig frei bei der Regelung ihrer Organisation und ihrer Arbeitszeit und der ihrer Mitarbeiter im eigenen Betrieb. Sie konnte diese Aufgaben auch einem geeigneten Mitarbeiter zuweisen, wie sie es später nach Einstellung des Mitarbeiters Herrn xxxxxx ja auch tatsächlich getan hat. Zum Zeitpunkt des Schreibens vom 29. April 1987 (Anlage K 2), in dem sich der Hinweis auf die persönliche Präsenz" der Klägerin findet, betreute die Klägerin, wie der Beklagten bekannt war, die Vertriebsstelle selbst. Aus diesem Schreiben ergibt sich jedoch nicht, dass die Beklagte von einer persönlichen Verpflichtung zur Arbeitsleistung der Klägerin ausging. Die Klägerin hätte bereits damals, wie sie dies später auch getan hat, von ihrem Recht Gebrauch machen können, Vertriebsstellenarbeit durch eigene Arbeitnehmer teil- bzw. zeitweise ausüben zu lassen.
Dass die Vertriebsstelle verpflichtet war, die Annahme angelieferter Ware sicherzustellen, entweder durch die Klägerin selbst oder ihren Mitarbeiter, versteht sich auch im Rahmen eines Werkvertrages von selbst. Es wurde von der Klägerin nicht verlangt, die Ware persönlich entgegenzunehmen. Auch dass sich die Vertriebsstelle bei der Auslieferung der Zeitungen an einen bestimmten zeitlichen Rahmen halten musste, enthält für sich betrachtet keinen aussagekräftigen Hinweis auf ein Arbeitsverhältnis. Wie die Beklagte zutreffend ausführt, können auch im Rahmen von Dienst- und Werkverträgen von dem Dienstberechtigten oder Besteller Termine für die Erledigung der Arbeit bestimmt werden, ohne dass daraus eine zeitliche Weisungsabhängigkeit folgt (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 15.09.1999, AfP 2000, 203). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind zeitliche Vorgaben auch im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnisses üblich und unschädlich (BAG vom 29.05.1991, DB 1992, 46, 47 unter B. II. 2. b) bb), m.w.N.). Geschäftszeiten der Vertriebsstellen ergeben sich aus der Natur der Sache. Die Frühzustellung bedingt eine möglichst frühzeitige Anlieferung der Zeitungen, die gemäß § 2 a Abs. 3 des Beförderungsvertrages von der jeweiligen Vertriebsstelle unverzüglich zuzustellen sind. Darüber hinaus ist die Klägerin im Fall von Kundenreklamationen zur zeitnahen Erledigung verpflichtet (§ 2 a Abs. 5 des Vertriebsvertrages). Daraus ergeben sich natürliche Erreichbarkeitszeiten, beginnend mit der Anlieferung und endend mit dem Zeitpunkt, ab dem erfahrungsgemäß mit Kundenreklamationen nicht mehr zu rechnen ist. Derartige faktische Zwänge berühren die Möglichkeit der freien Bestimmung der Arbeitszeit nicht (vgl. dazu nur: BGH NJW 1982, 1757, 1758, BAG vom 15.12.1999 5 AZR 770/98 unter II. 1. b)). Jede Zusammenarbeit unter Selbstständigen setzt gewisse Geschäftszeiten voraus.
e) Die Berufungskammer vermag auch nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts zu folgen, die Klägerin sei dadurch in ihrer unternehmerischen Gestaltungsfreiheit beeinträchtigt, dass sie bezüglich der von ihr eingesetzten Zusteller entsprechend § 3 Abs. 4 der vertraglichen Vereinbarung mit der Beklagten den vom Verlag vorgeschriebenen Zustellnutzen sowie vereinbarte sonstige Vergütungen auszuzahlen und die von der Beklagten zur Verfügung gestellten Tourenabrechnungen als Grundlage für die Zusteller- Abrechnung zu verwenden hatte Die Gesamtvergütung der Klägerin setzt sich aus dem Zustellnutzen, also dem Ersatz des Aufwandes der Vertriebsstelle für die dort beschäftigten Zusteller, sowie dem Vertriebsstellen- nutzen, dem Entgelt für die vertriebliche Leistung in der Vertriebsstelle selbst, zusammen. Dafür legt die Beklagte Regelwerte fest, die als Ausgangspunkt für Verhandlungen mit den Vertriebsstelleninhabern dienen. Dass der Zustellnutzen als Aufwendungsersatz den tatsächlichen Anfall der Aufwendungen voraussetzt, was wiederum überprüft werden muss, berührt die Selbstständigkeit der Klägerin nicht. Der gesonderte Ausweis der Aufwendungen im Rahmen der Abrechnung selbstständiger Tätigkeit ist, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, weit verbreitet (z.B. Materialaufwand bei der Autoreparatur, Reisekosten und Spesen bei Referententätigkeit).
Im Übrigen hat die Klägerin zugestanden, dass sie noch nie im Hinblick auf die tatsächliche Zahlung des Zustellnutzens an die Zusteller kontrolliert worden ist.
Hinsichtlich des Vertriebsstellennutzens konnte die Klägerin durch die Qualität der von ihr organisierten Zustellung die Höhe des Zustellvolumens und damit einhergehend auch die Höhe des Vertriebsstellennutzens beeinflussen. Ihre Vergütung war erfolgsabhängig. Wie sich aus dem Schreiben vom 7. Februar 1989 (Anlage K 4) ergibt, konnte sie auch durch geschickte Verhandlungen mit der Beklagten ihre Gewinnmarge vergrößern. Sie hat insoweit für sich einen monatlichen Vertriebsstellenzuschuss von pauschal DM 110,00 ausgehandelt. Auch dies spiegelt die Selbstständigkeit der Klägerin wider.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts wird die Selbstständigkeit der Klägerin auch nicht durch die Empfehlung eines Vertragsmusters oder durch Aushändigung einer schriftlichen Aufstellung der Grundlagen erfolgreicher Vertriebsstellentätigkeit berührt. Eine Weisung der Beklagten, dieses Vertragsmuster zu verwenden, hat die Klägerin selbst nicht behauptet.
Auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 14. April 1987 (Anlage K 7, Bl. 22-24 d.A. optimierte Zustellorganisation") ergibt sich nicht, dass die Beklagte der Klägerin minutiöse Anweisungen bezüglich der Anwerbung, der Einarbeitung und des Einsatzes von Zustellern gegeben hat. Das Papier bezieht sich auf die möglichst effektive Vertragserfüllung durch den Vertriebsstelleninhaber. Es behandelt Qualitätsmängel durch Zustellermangel bzw. schlecht eingearbeitete Zusteller, Zustellprobleme durch Fehlmengen und Befriedigung des Kunden bei Reklamationen. Soweit damit fachliche Weisungen verbunden sind, die unter den Ziffern 3.4.5. durch die Verwendung des Wortes muss" gekennzeichnet werden, berührt dies nicht die Selbstständigkeit der Klägerin als Vertriebsstelleninhaberin (vgl. BAG vom 15.12.1999, NZA 2000, 481, 483). Entsprechend § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB muss die Klägerin nur im Wesentlichen ihre Tätigkeit frei gestalten können. Dem steht nicht entgegen, wenn sie als Dienstverpflichtete gewissen Weisungen des Unternehmers unterliegt, die aus der Natur der Geschäftsbesorgungspflicht erfolgen, solange die Selbstständigkeit nicht in ihrem Kerngehalt beeinträchtigt wird. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass dem Unternehmer z.B. ein Weisungsrecht über die einzuhaltende Vertriebspolitik sowie über die Art der Kundenwerbung und betreuung zusteht. Der Unternehmer kann außerdem Weisungen erteilen, die die vertraglichen Pflichten des Handelsvertreters konkretisieren, so etwa für die Verbuchung und Abrechnung von Lieferungen oder für die Verwendung besonderer Vordrucke (vgl. Hopt, DB 1998, 863 f.).
f) Für die Selbstständigkeit der Klägerin spricht ferner, dass diese die Vertriebsstelle in den von ihr selbst angemieteten Räumen betrieb, die sie selber ausgesucht und eingerichtet hat. Die Verhandlungen über den Abschluss des Mietvertrages und dessen Konditionen hat die Klägerin eigenverantwortlich geführt. Sämtliche in diesem Zusammenhang stehenden Verträge (betrieblicher Telefonanschluss, Energielieferungsverträge, Versicherungen usw.) hat die Klägerin ohne Kenntnis oder Einflussnahme der Beklagten abgeschlossen. Die Büroausstattung ist von der Klägerin auf eigene Kosten erworben worden. Dies spricht deutlich für die selbstständige Tätigkeit der Klägerin (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, § 84 Rdnr. 37 m.w.N.). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass nach den - von der Beklagten bestrittenen - Behauptungen der Klägerin diese ihr bis in Einzelheiten" vorgegeben habe, dass die Vertriebsstelle möglichst zentral im Vertei- lungsgebiet zu liegen hätte. Auch wenn diese völlig pauschale Behauptung zutreffend sein sollte, so ergibt sich aus der Natur der vereinbarten Tätigkeit, dass die Vertriebsstelle in einer räumlichen Beziehung zum Zustellbezirk liegen muss. Insoweit wären örtliche Vorgaben", wenn sie erfolgt sein sollten, auch nicht zu beanstanden.
g) Die Bindung der Klägerin an Weisungen der Beklagten zur Betextung des Vertriebsstellen-Anrufbeantworters (vgl. Anlage K 3, Bl. 14 d.A.) lässt keine Rückschlüsse auf eine Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin zu, denn generellen Weisungen unterliegen, wie oben ausgeführt, auch freie Handelsvertreter.
Bei der gebotenen Gesamtschau ist nach allem davon auszugehen, dass die Klägerin im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Tätigkeit im Sinne einer überwiegenden persönlichen Abhängigkeit für die Beklagte wahrgenommen hat.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
IV.
Es bestand keine Veranlassung die Revision zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Die Entscheidung beruht nicht auf einer Abweichung von der wiedergegebenen einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Sie ist auch nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
Ende der Entscheidung
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