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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 13.02.2002
Aktenzeichen: 8 TaBV 10/01
Rechtsgebiete: ArbZG, BetrVG, ArbGG, BGB, DRK-TV


Vorschriften:

ArbZG § 1 Nr. 1
ArbZG § 2
ArbZG § 2 Abs. 1
ArbZG § 2 Abs. 3
ArbZG § 2 Abs. 4
ArbZG § 2 Abs. 5
ArbZG § 3
ArbZG § 5 Abs. 1
ArbZG § 5 Abs. 2
ArbZG § 5 Abs. 3
ArbZG § 6
ArbZG § 6 Abs. 2
ArbZG § 7 Abs. 2
ArbZG § 7 Abs. 2 Nr. 1
BetrVG § 29 Abs. 2
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziffer 2
ArbGG § 67
BGB § 119
BGB § 123
BGB § 134
DRK-TV § 14 II c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Hamburg Beschluss

Geschäftszeichen: 8 TaBV 10/01

Verkündet am 13. Februar 2002

In der Betriebsverfassungssache

beschließt das Landesarbeitsgericht Hamburg, Achte Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 13. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht

als Vorsitzender den ehrenamtlichen Richter die ehrenamtliche Richterin

Tenor:

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. Dezember 2001 - 1 BV 14/01 - wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 zum Thema Arbeitszeit in den Bereichen Innere Medizin und Anästhesie rechtsunwirksam ist,

2. es wird festgestellt, dass die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 vom 15. Dezember 1992 zum Thema Regelung der Bereitschaftsdienste und der Rufbereitschaftsdienste und die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 17/92 vom 15. Januar 1993 zum Thema Regelung des Spätdienstes und der 3. Bereitschaftsdienstreihe nebst den Nachträgen vom 21. September 1993, 3. Januar 1995 und 27. November 1996 rechtsunwirksam sind.

3. Dem Arbeitgeber wird untersagt - bei Meidung eines Ordnungsgelds in jedem Einzelfall von bis zu DM 500.000,- (und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft) - oder zur Ordnungshaft - bezogen auf die Bereiche Innere Medizin und Anästhesie,

3.1 Beschäftigten gegenüber Bereitschaftsdienst anzuordnen oder zu dulden, soweit dadurch eine durchschnittliche Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und auch Überstunden und auch tatsächlich geleisteter Stunden innerhalb der Rufbereitschaftszeit) von mehr als 48 Stunden im Durchschnitt von vier Monaten gegeben ist,

3.2 Arbeitszeiten anzuordnen oder zu dulden, bei denen bezogen auf das Ende der letzten Stunde der letzten Arbeitszeitphase (letzte Bereitschaftsdienststunde, letzte Überstunde, letzte tatsächlich geleistete Einsatzstunde im Rahmen einer Rufbereitschaft) eine Ruhezeit von weniger als 11 Stunden vorgelegen hat,

3.3 bei Vorliegen von mindestens zwei Stunden Nachtarbeit in der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr anschließend eine zusammenhängende Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und Überstunden) von mehr als acht Stunden anzuordnen oder zu dulden.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten im Beschlußverfahren über die Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung und - hiermit zusammenhängend - darüber, ob der Antragsgegnerin (Arbeitgeberin) im Zusammenhang mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst auf Antrag des Betriebsrats generell untersagt werden kann, bestimmte Arbeitszeitkonstellationen anzuordnen oder auch nur zu dulden.

Antragsgegnerin ist ein im Westen Hamburgs im gelegenes Krankenhaus mit rund 400 Betten und rund 650 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, darunter etwa 70 Ärztinnen und Ärzte. Es wird in der Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (eGmbH) geführt.

Antragsteller und Beschwerdeführer ist der im Krankenhaus gebildete Betriebsrat, der aus 11 Mitgliedern besteht.

Zur Vorgeschichte des Krankenhauses und zu seiner Funktion ergibt sich: Das Krankenhaus wird auf dem Gelände und in den Gebäuden einer ehemaligen Wehrmachts-Kaserne betrieben. Bis 1979 diente es der Rahmenvertrag vom 20. November 1979 übertrug die Gesundheitsbehörde der Trägerschaft auf die Gemeinnützige Gesellschaft m. b. H.. Das Krankenhaus führte zunächst den Namen.

In § 1 Abs. 2 und 3 Rahmenvertrag heißt es ferner:

Das Krankenhaus wird auf der Grundlage des Krankenhausbedarfsplans vom 27. September 1977 nach dem Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze - KHG - vom 29. Juni 1972 ... gefördert.

Das Krankenhaus wird sich ferner an der uneingeschränkten Notfallversorgung beteiligen.

Wegen des weitergehenden Inhalts des Rahmenvertrags wird auf Bl. 147-149 d. A., wegen des gleichzeitig abgeschlossenen Pachtvertrags wird auf Bl. 143-145 d. A. verwiesen. Die zugleich eine Bürgschaft für einen Betriebsmittelkredit bis zu einem Höchstbetrag von 4 Mio. Deutsche Mark (Bl. 150 d. A.). Außerdem existiert ein Gestellungsvertrag (ebenfalls seit dem 20. November 1979), wonach die eGmbH die im Zeitpunkt der Übergabe des Krankenhauses beschäftigten Arbeitnehmer zur Verfügung stellt einschließlich der im beschäftigten Beamten, diese jedoch längstens für die Dauer von fünf Jahren im Wege der Beurlaubung (vgl. Gestellungsvertrag Bl. 151-153 d. A.).

Später wurde das Krankenhaus dann von der in weiterbetrieben. Im Laufe des Jahres 2001 sind 75% des Kapitals von der GmbH übernommen worden, wodurch sich jedoch an der Rechtsform und am Versorgungsauftrag nichts geändert hat. Unstreitig ist die Antragsgegnerin weiterhin Mitglied im, dem Arbeitgeberverband der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts in Hamburg. Streitig ist, ob sie wegen Abhängigkeit von der sowie wegen ihres Versorgungsauftrags und ihrer Mitgliedschaft im AVH eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist oder zumindest den staatlichen Krankenhäusern gleichzusetzen ist.

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt für die Beschäftigten nach dem mit der geschlossenen MTV 38,5 Stunden. Es gilt ferner eine regelmäßige Arbeitszeit von 8 Stunden pro Arbeitstag. Die tägliche Mehrleistung von 18 Minuten wird durch freie Tage ausgeglichen. Die Regelung des 2 n Nr. 8 MTV () ist wortidentisch mit SR 2 c BAT.

Am 4. Juli 2001 unterzeichneten die Betriebsparteien nach vorangegangener Kündigung durch die Arbeitgeberin für das in den Bereichen Innere Medizin und Anästhesie beschäftigte ärztliche Personal eine neue Betriebsvereinbarung über den Bereitschaftsdienst. Durch sie wurden die älteren Betriebsvereinbarungen Nr. 16/92 und Nr. 17/92 (teilweise) abgelöst. In Ziffer 13 der Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 heißt es dazu:

Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und gilt erstmals für die Dienstplanung August 2001. Sie ist beiderseits mit einer Frist von 3 Monaten zum Monatsende kündbar. Im Falle einer Kündigung wirkt sie vollumfänglich drei weitere Monate nach. Anschließend gelten, soweit eine Neuregelung nicht zustande gekommen ist, die BV 16 und 17 aus 1992 in der am 04.07.2001 geltenden Fassung.

Am 9. Juli 2001 wurde diese Betriebsvereinbarung auf einer Ärzteversammlung durch das Krankenhaus und den Betriebsrat erläutert. Bereits am 24. Juli 2001 beschloß der Betriebsrat, die Rechtsunwirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung gerichtlich festzustellen zu lassen. Zusätzlich kündigte der Betriebsrat die Betriebsvereinbarung mit Schreiben vom 29. August 2001 zum 30. November 2001, und zwar mit der Begründung, die Bestimmungen seien nicht praktizierbar und sie verstießen zudem gegen geltendes Arbeitsrecht.

Unstreitig sind zwischen den Beteiligten folgende Sachverhalte:

Nach Ziffer 6.1 Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 zum Thema Arbeitszeit in den Bereichen Innere Medizin und Anästhesie wird für den Bereich Innere Medizin ein Bereitschaftsdienst für die Arbeitstage Montag bis Freitag eingerichtet. Dieser liegt bei der ZPA und der ITS von 21.00 Uhr bis 8.00 Uhr morgens, und zwar wird dazu jeweils ein Arzt/eine Ärztin eingesetzt, der/die vorher den regulären Spätdienst von 12.30 Uhr bis 21.00 Uhr hatte. Die von diesem Arzt jeweils zu leistende Arbeitszeit ist zum einen die Regelarbeitszeit von 12.30 Uhr bis 21,00 Uhr, zum anderen dann die Bereitschaftsdienstzeit von 21.00 Uhr bis 8.00 Uhr, was insgesamt - incl. Bereitschaftsdienst - 19 Stunden ausmacht.

An Sonnabenden oder Feiertagen, auf die ein Sonnabend oder ein weiterer Feiertag folgt, oder auch bei Sonnabenden, auf die ein Feiertag folgt, ist der Bereitschaftsdienst für die Bereiche ZPA und ITS von 16.30 Uhr bis 8.00 Uhr des nächsten Tags vorgegeben. Der Arzt, der für den Bereitschaftsdienst eingeteilt ist, arbeitet am Sonnabend nach Ziffer 4 Betriebsvereinbarung mit achtstündigem Regeldienst von 8.00 Uhr bis 16.30 Uhr, anschließend im Bereitschaftsdienst bis zum nächsten Morgen um 8.00 Uhr. Das ergäbe - würde der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gerechnet - eine Arbeitszeit von 24 Stunden, allerdings abzüglich der Pausen. Für Sonntage und Feiertage, auf die ein Werktag folgt, ergibt sich die Situation, daß der Bereitschaftsdienst von 8.00 Uhr bis 8.00 Uhr angesetzt ist, d. h. für die Dauer von 24 Stunden. In diesem zeitlichen Zusammenhang wird kein Regeldienst geleistet, weil der Arzt/die Ärztin zu dieser Bereitschaft gesondert eingeteilt wird.

Für den Bereich Anästhesie ist von Montag bis Freitag kein Bereitschaftsdienst vorgegeben, sondern ausschließlich an Sonnabenden, Sonntagen und Feiertagen, und zwar von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr, der durchgehend von einer Person wahrzunehmen ist. Ein weiterer Bereitschaftsdienst ist am Sonntag für den Hausdienst der Inneren Medizin vorgegeben, und zwar von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr. Hausdienst bedeutet hier ärztliche Betreuung von Patienten beider internistischer Abteilungen bezüglich vorhersehbarer Tätigkeiten wie Injektionen und Blutentnahmen sowie für unvorhersehbare Tätigkeiten auf Anforderung der Station.

Mit seiner am 21. August 2001 eingegangenen Antragsschrift macht der Betriebsrat die Rechtsunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 geltend. Zudem begehrt er die Untersagung der Anordnung bzw. Duldung bestimmter Arbeitszeitkonstellationen, durch die gegen die EG-Richtlinie 93/104 in ihrer Auslegung durch die EuGH-Entscheidung vom 3. Oktober 2000 verstoßen würde.

Er hat vorgetragen, die Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 (dementsprechend auch die Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 und Nr. 17/92) sei wegen ihres rechtswidrigen Inhalts rechtsunwirksam, weil der Bereitschaftsdienst für die Bereiche Innere Medizin und Anästhesie nicht als Arbeitszeit gewertet werde. Seine Nichtberücksichtigung als normale Arbeitszeit sei arbeitsschutzrechtlich unzulässig, führe insbesondere zu Verstößen gegen die Richtlinie 93/104/EG. Nach Art. 6 Ziffer 2 dürfe die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7-Tages-Zeitraum die Dauer von 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreiten. Art. 8 Ziffer 2 dieser Richtlinie bestimme, daß Nachtarbeiter, deren Arbeit mit besonderen Gefahren oder einer erheblichen körperlichen oder geistigen Anspannung verbunden ist, in einem 24-Stunden-Zeitraum, in dem die Nachtarbeit anfalle, nicht mehr als 8 Stunden arbeiten dürften. Zudem heiße es in Art. 5 der Richtlinie, daß jedem Arbeitnehmer pro 7-Tages-Zeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden gemäß Art. 3 zu gewähren sei. Die nach Art. 17 Abs. 2 Arbeitszeit-Richtlinie für Krankenhäuser möglichen Ausnahmen hätten hier außer Betracht zu bleiben, weil es an entsprechenden innerstaatlichen gesetzlichen bzw. tariflichen Regelungen fehle.

Seit dem Urteil des EuGH vom 3. Oktober 2000 (der sog. SIMAP-Entscheidung) existiere eine auch für die Entscheidung des vorliegenden Falls verbindliche Auslegung des in der Richtlinie 93/104/EG enthaltenen Begriffs Arbeitszeit. Richtlinien und ihre Auslegung durch den EuGH seien für sämtliche EG-Staaten und ihre Institutionen verbindlich, mithin auch für staatliche Krankenhäuser, zu denen die Antragsgegnerin zu rechnen sei. Jedenfalls aber hätten die nationalen Gerichte im Rahmen ihrer Einzelfallentscheidungen das Gemeinschaftsrecht und seine Auslegung durch den EuGH zu beachten. Seien aber Bereitschaftsdienste arbeitsschutzrechtlich uneingeschränkt als Arbeitszeit zu bewerten und damit bei der Feststellung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit voll zu berücksichtigen, habe dies auch hinsichtlich der elfstündigen Ruhezeiten zu gelten. Es ergebe sich ferner die Konsequenz, daß Ärzte Nachtarbeitnehmer im Sinne des Art. 2 Ziffer 3 und 4 der Arbeitszeit-Richtlinie in Verbindung mit § 2 Abs. 3, 4 und 5 ArbZG seien.

Vergütungsrechtliche Fragen seien nicht Gegenstand des EuGH-Urteils gewesen. Um sie gehe es auch im vorliegenden Rechtsstreit nicht.

Der Betriebsrat hat beispielhaft, um die konkreten Arbeitszeitkonstellatione, n gemäß Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 darzustellen, den Bereitschaftsdienstplan August 2001 überreicht (Bl. 38 d. A.).

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. festzustellen, daß die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 zum Thema Arbeitszeit in den Bereichen Innere Medizin und Anästhesie rechtsunwirksam ist,

2. festzustellen, daß die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 vom 15. Dezember 1992 zum Thema Regelung der Bereitschaftsdienste und der Rufbereitschaftsdienste und die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 17/92 vom 15. Januar 1993 zum Thema Regelung des Spätdienstes und der 3. Bereitschaftsdienstreihe nebst den Nachträgen vom 21. September 1993, 3. Januar 1995 und 27. November 1996 rechtsunwirksam sind,

3. dem Arbeitgeber aufzugeben - bei Meidung eines Ordnungsgelds in jedem Einzelfall von bis zu DM 500.000,- (und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft) - oder zur Ordnungshaft - bezogen auf die Bereiche Innere Medizin und Anästhesie zu untersagen,

3.1 Beschäftigten gegenüber Bereitschaftsdienst anzuordnen oder zu dulden, soweit dadurch eine durchschnittliche Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und auch Überstunden und auch tatsächlich geleisteter Stunden innerhalb der Rufbereitschaftszeit) von mehr als 48 Stunden im Durchschnitt von vier Monaten gegeben ist,

3.2 Arbeitszeiten anzuordnen oder zu dulden, bei denen bezogen auf das Ende der letzten Stunde der letzten Arbeitszeitphase (letzte Bereitschaftsdienststunde, letzte Überstunde, letzte tatsächlich [geleistete Einsatzstunde im Rahmen einer Rufbereitschaft) eine Ruhezeit von weniger als 11 Stunden vorgelegen hat,

3.3 bei Vorliegen von mindestens zwei Stunden Nachtarbeit In der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr anschließend eine zusammenhängende Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und Überstunden) von mehr als acht Stunden anzuordnen oder zu dulden.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, auch durch das ArbZG habe sich an der bisherigen Bewertung des Bereitschaftsdienstes, der im Bereich Innere Medizin vier- bis fünfmal im Monat geleistet werde, nichts geändert. Würde man nunmehr die wöchentliche Arbeitszeit unter Einbeziehung des Bereitschaftsdienstes auf 48 Stunden begrenzen, ergebe sich ein Mehrbedarf von mindestens neun vollbeschäftigten Ärzten pro Bereitschaftsdienstreihe. Ginge man auf die seitens des Betriebsrats im vorliegenden Verfahren gestellten Forderungen ein, würden sich die jährlichen Mehrkosten auf mindestens 1,5 Mio. DM belaufen. Angesichts des bereits vorhandenen Defizits, wie es sich aus dem Wirtschaftsplan ergebe, sei eine solche Zusatzbelastung nicht verkraftbar. Im Einigungsstellenverfahren, das am 4. Juli 2001 zum Abschluß der Betriebsvereinbarung geführt habe, sei beiden Betriebsparteien diese Konsequenz bewußt gewesen. Deshalb habe es seinerzeit auch nicht darum gehen können, die arbeitszeitrechtlichen Vorgaben der SIMAP-Entscheidung umzusetzen. Der Vorsitzende des Antragstellers habe sich nach anfänglich weitergehenden Vorstellungen schließlich diesen Standpunkt zu eigen gemacht und den Kompromiß, den die Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 darstelle, nach Rücksprache mit dem Betriebsrat akzeptiert.

Für das vorliegende Beschlußverfahren, mit dessen Einleitung der Betriebsrat sich in Widerspruch zu seiner eigenen besseren Einsicht gesetzt habe, fehle bereits das erforderliche Feststellungsinteresse, zumal eine Nachwirkung der gekündigten Betriebsvereinbarung über den Nachwirkungszeitraum hinaus ausdrücklich ausgeschlossen worden sei. Zudem fehle es der Entscheidung des EuGH vom 3. Oktober 2000 an einer unmittelbaren Wirkung in bezug auf das nationale Recht. Die Entscheidung binde nur die am Ausgangsverfahren beteiligten Gerichte, abgesehen davon, daß das auf ein spanisches Vorabentscheidungsersuchen ergangene Urteil einen anderen Sachverhalt betreffe. Das prozessuale Verlangen des Betriebsrats laufe ohnehin darauf hinaus, vom Gericht ein Rechtsgutachten zur Frage der Anwendbarkeit der SIMAP-Entscheidung auf das deutsche Arbeitsrecht zu erhalten. Abgesehen davon, daß es bezüglich der Bevollmächtigung seines Anwalts an einer ordnungsgemäßen Beschlußfassung des Betriebsrats fehle, hätte der Betriebsrat aus Loyalitätsgesichtspunkten zur Vermeidung überflüssiger Kosten die Einleitung des vorliegenden Verfahrens unterlassen müssen, dem ohnehin nur noch ein rechtshistorischer Wert zukomme.

Das Krankenhaus hat weitere Ausführungen vor allem zur mangelnden Bindung von Instanzgerichten an EuGH-Entscheidungen sowie zur Frage gemacht, ob die nach geltendem deutschen Arbeitszeitrecht vorzunehmende Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst und die bisherige Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Ruhezeit durch das SIMAP-Urteil auch im Falle eines Bereitschaftsdienstes ohne tatsächliche Inanspruchnahme hinfällig sei. Nach Auffassung der Antragsgegnerin steht nach dieser Entscheidung nicht abschließend fest, daß Bereitschaftsdienst Arbeitszeit im Sinne des ArbZG ist. Das ArbZG enthalte günstigere Regelungen. Zudem sei es dem einzelnen Mitgliedsstaat aus Gründen größerer Flexibilität gestattet, beispielsweise für Krankenhäuser Ausnahmeregelungen zu treffen. So erfülle der Bereitschaftsdienst ohne Inanspruchnahme die Voraussetzung einer gleichwertigen Ausgangsruhezeit gemäß Art. 17 Abs. 2 Arbeitszeit-Richtlinie. Die mit dem Bereitschaftsdienst verbundene Aufenthaltsbeschränkung führe nicht notwendig dazu, daß der Bereitschaftsdienst nicht mehr als Ruhezeit zu qualifizieren sei. Jedenfalls sei vor dem Hintergrund der noch keineswegs abschließend ausgelegten Ausnahmebestimmung des Art. 17 Abs. 2 Arbeitszeit-Richtlinie nicht erkennbar, daß das ArbZG die Richtlinie unzulässigerweise überschritte oder diese nicht ordnungsgemäß umsetzte. Allein aus einer unterschiedlichen Terminologie lasse sich ein solcher Schluß nicht ziehen. Selbst wenn sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des ArbZG ergeben sollte, folgte daraus nicht die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie. Der einzelne Bürger könne sich wegen eines Regelungsdefizits nur an seine Regierung wenden, nicht aber - im Verhältnis zu anderen privaten Personen - beispielsweise an seinen Arbeitgeber. Als Krankenhaus in der Rechtsform einer GmbH sei sie aber Subjekt des Privatrechts, mithin unmittelbar an die Arbeitszeit-Richtlinie nicht gebunden. Das SIMAP-Urteil führe daher nicht zur Rechtsunwirksamkeit der in den Anträgen bezeichneten Betriebsvereinbarungen.

Wegen des weitergehenden erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten einschließlich der von ihnen vertretenen Rechtsauffassungen und der überreichten Unterlagen wird ergänzend auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge durch Beschluß vom 11. Dezember 20JD1 als unzulässig zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Betriebsrat habe trotz entsprechender Rüge des Krankenhauses und trotz eines diesbezüglichen richterlichen Hinweises das Vorliegen einer notwendigen Verfahrensvoraussetzung, nämlich die ordnungsgemäße Bevollmächtigung seines Verfahrensbevollmächtigten, nicht nachgewiesen. Die Einladung zu der insoweit maßgeblichen Betriebsratssitzung vom 24. Juli 2001 sei aufgrund einer unzulänglichen Tagesordnung erfolgt, so daß der Gegenstand der Sitzung den Eingeladenen vorher nicht erkennbar gewesen sei. Damit habe der Antragsteller gegen § 29 Abs. 2 BetrVG verstoßen. Nur bei Anwesenheit sämtlicher Betriebsratsmitglieder und bei einstimmiger Beschlußfassung bezüglich des vorher nicht ordnungsgemäß mitgeteilten Tagesordnungspunktes hätte der Mangel noch geheilt werden können. Von dem elfköpfigen Betriebsrat hätten aber am 24. Juli nur 9 Mitglieder an der Beratung und Beschlußfassung teilgenommen. Im Termin zur Anhörung vom 11. Dezember 2001 habe der Betriebsrat trotz eines entsprechenden Hinweises des Kammervorsitzenden den bisherigen Sachvortrag nicht ergänzt.

Mit seiner am 24. Dezember 2001 eingegangenen Beschwerde gegen den am 21. Dezember zugestellten Beschluß verfolgt der Betriebsrat sein bisheriges Antragsbegehren vollen Umfangs weiter. Er bezieht sich zur materiellrechtlichen Begründung seiner Anträge auf seinen bisherigen Sachvortrag und macht sie n zudem die Darstellung des Sach- und Streitstands in der angefochtenen Entscheidung zu eigen. Zur Bevollmächtigung seines Anwalts trägt er weiter vor:

Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung sei durch einen erneuten Beschluß sichergestellt worden. Weil der entsprechende Nachweis aufgrund einer Andeutung des Kammervorsitzenden im Anhörungstermin vom 11. Dezember 2001 zu einem weiteren Termin und damit zu einer Verzögerung des erstinstanzlichen Verfahrens um bis zu vier Monaten geführt hätte, habe er im Anhörungstermin diesbezüglich weiteren Sachvortrag unterlassen.

Der ursprüngliche Mangel der Bevollmächtigung sei durch Beschlußfassung vom 4. Dezember 2001, an der alle 11 ordentlichen Mitglieder mitgewirkt hätten, beseitigt worden. Die Einladung zu dieser Betriebsratssitzung habe bereits als Punkt 8 der Tagesordnung das Thema Beschlußverfahren Bereitschaftsdienste angegeben. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 4. Dezember 2001 sei folgender Antrag zur Abstimmung gestellt und mit der ausreichenden Mehrheit von mindestens sechs Stimmen angenommen worden:

Der Betriebsrat stellt fest, daß der Betriebsrat zu seinen Sitzungen am 24.07.2001 und 28.08.2001 ordnungsgemäß eingeladen wurde und die Beschlüsse am 24.07.2001 unter Punkt 6 sowie am 28.08.2001 unter Punkt 4 ordnungsgemäß zustande gekommen sind. Die Beschlüsse vom 24.07.2001 unter Punkt 6 und vom 28.08.2001 unter Punkt 4 werden nochmals bestätigt.

Für die Richtigkeit dieses Sachvortrags beruft sich der Beschwerdeführer auf das Zeugnis der Protokollführerin, seines Vorsitzenden.

Der Betriebsrat macht darüber hinaus Ausführungen zur einem gesonderten Beschluß, Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung einzulegen. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 23. Januar 2002 verwiesen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluß des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. Dezember 2001 - 1 BV 14/01 - wie folgt abzuändern:

1. festzustellen, daß die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 zum Thema Arbeitszeit in den Bereichen Innere Medizin und Anästhesie rechtsunwirksam ist,

2. festzustellen, daß die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 vom 15. Dezember 1992 zum Thema Regelung der Bereitschaftsdienste und der Rufbereitschaftsdienste und die zwischen den Beteiligten geschlossene Betriebsvereinbarung Nr. 17/92 vom 15. Januar 1993 zum Thema Regelung des Spätdienstes und der 3. Bereitschaftsdienstreihe nebst den Nachträgen vom 21. September 1993, 3. Januar 1995 und 27. November 1996 rechtsunwirksam sind,

3. dem Arbeitgeber aufzugeben - bei Meidung eines Ordnungsgelds in jedem Einzelfall von bis zu DM 500.000,- (und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft) - oder zur Ordnungshaft - bezogen auf die Bereiche Innere Medizin und Anästhesie zu untersagen,

3.1 Beschäftigten gegenüber Bereitschaftsdienst anzuordnen oder zu dulden, soweit dadurch eine durchschnittliche Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und auch Überstunden und auch tatsächlich geleisteter Stunden innerhalb der Rufbereitschaftszeit) von mehr als 48 Stunden im Durchschnitt von vier Monaten gegeben ist,

3.2 Arbeitszeiten anzuordnen oder zu dulden, bei denen bezogen auf das Ende der letzten Stunde der letzten Arbeitszeitphase (letzte Bereitschaftsdienststunde, letzte Überstunde, letzte tatsächlich geleistete Einsatzstunde im Rahmen einer Rufbereitschaft) eine Ruhezeit von weniger als 11 Stunden vorgelegen hat,

3.3 bei Vorliegen von mindestens zwei Stunden Nachtarbeit in der Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr anschließend eine zusammenhängende Arbeitszeit (inklusive Bereitschaftsdienststunden und Überstunden) von mehr als acht Stunden anzuordnen oder zu dulden.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und bezieht sich zur Sache auf ihr gesamtes Vorbringen vor dem Arbeitsgericht. Zur ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Anwalts des Beschwerdeführers trägt sie weiter vor:

Sie müsse mit Nichtwissen bestreiten, daß der Betriebsrat am 4. Dezember 2001 mehrheitlich über den behaupteten Antrag abgestimmt habe und daß es am 15. Januar 2002 einen Beschluß des Betriebsrats über die Einlegung der Beschwerde gegeben habe. Selbst wenn man davon ausginge, daß der Betriebsrat am 4. Dezember 2001 die Beschlüsse vom 24. Juli und 28. August 2001 bestätigt habe, sei der prozessuale Mangel nicht behoben worden. Nur durch einen neuen, zulässigen Antrag in erster Instanz wäre eine Heilung möglich gewesen. Wie der Mangel einer Bevollmächtigung bei Einlegung eines Rechtsmittels in der nächst höheren Instanz unheilbar sei, weil andernfalls im nachhinein dem richtigen Prozeßurteil die Grundlage entzogen werden könne, so habe auch für das vorliegende Verfahren zu gelten, daß im Falle des unterbliebenen Nachweises einer Vollmacht trotz entsprechender Rüge das von diesem Vertreter eingelegte Rechtsmittel unzulässig sei. Der Mangel des Nachweises in der Vorinstanz werde nicht durch Vollmachtsvorlage in der Rechtsmittelinstanz beseitigt. Die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig sei im Ergebnis auch nicht unbillig, denn die ordnungsgemäße Bevollmächtigung sei bereits mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2001 gerügt worden. Die Beschlußfassung vom 4. Dezember 2001 habe zudem den Mangel nicht rückwirkend beheben können. Es handele sich rechtstechnisch um eine Bestätigung, die nur für die Zukunft wirke.

Die Beschwerdegegnerin rügt weiterhin das Fehlen eines Feststellungsinteresses. Sie wiederholt insoweit ihr erstinstanzliches Vorbringen und ist der Auffassung, daß der Betriebsrat sich im Prinzip die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts erschlichen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdeantwortung, auch zum Verbot des venire contra factum proprium, wird ergänzend auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 6. Februar 2002 verwiesen (Bl. 205-212 d. A.).

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten einschließlich der geäußerten Rechtsauffassungen und der überreichten Unterlagen wird auf den gesamten Inhalt der Akten Bezug genommen.

II. Die Beschwerde ist an sich statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch im übrigen zulässig.

A. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Unzulässigkeit der Beschwerde ergibt sich jedenfalls nicht schon daraus, daß einem im ersten Rechtszug zu Recht ergangenen Prozeßurteil nachträglich die Grundlage entzogen werden würde.

a) Richtig ist, daß die von einem Anwalt eingelegte Berufung unzulässig sein kann, wenn der Rechtsmittelbeklagte bereits in der ersten Instanz die Vollmacht dieses Anwalts gerügt und er eine schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt hat (Schaub, Arbeitsrechtliche Formularsammlung und Arbeitsgerichtsverfahren, 6. Aufl., § 88 Anm. 5, mwN). Außerdem hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes am 17. April 1984 entschieden (GmsOGB vom 17. April 1984, NJW 1984, 2149), daß dann, wenn eine vollmachtslos eingelegte Berufung durch Prozeßurteil als unzulässig verworfen wird, weil trotz gerichtlicher Fristsetzung keine Vollmacht für den Vertreter des Rechtsmittelklägers vorgelegt worden ist, dieser Mangel im Revisionsverfahren nicht rückwirkend durch eine nunmehr erteilte Prozeßvollmacht geheilt werden könne.

b) Darum geht es hier aber nicht, denn der Betriebsrat hat seinem Verfahrensbevollmächtigten nicht hinterher eine Prozeßvollmacht erteilt. Sie lag bereits mit der am 4. Dezember 2001 erfolgten Bestätigung (der Beschlüsse vom 24. Juli und 28. August 2001) vor. Darin ist zugleich eine Neuvornahme der Bevollmächtigung zu sehen (§ 141 Abs. 1 BGB).

Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in das ihr im Beschwerdetermin vorgelegte Protokoll davon überzeugt, daß am 4. Dezember 2001 eine Betriebsratssitzung stattfand, auf der die in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Anträge zur Abstimmung gestellt und mit der erforderlichen Mehrheit angenommen wurden. Die Beschwerdegegnerin hat sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt. Darüber hinaus hat die Kammer den Vorsitzenden des Betriebsrats hierzu persönlich angehört und sich auch auf diese Weise ihre Überzeugung von der Richtigkeit der Sachdarstellung des Beschwerdeführers gebildet.

Hat danach eine wirksame Bevollmächtigung bereits bei Erlaß der erstinstanzlichen Entscheidung vorgelegen, so ging es im Beschwerdeverfahren nur noch darum, die Existenz dieser Bevollmächtigung nachzuweisen. Geschieht dies, ist sie auch im Rechtsmittelverfahren noch zu berücksichtigen. Es handelt sich hier um die Verwertung von Tatsachenstoff aus der Zeit vor dem Anhörungstermin erster Instanz, was nach § 67 ArbGG zulässig ist (vgl. auch GmsOGB, aaO).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die zur Entscheidung gestellten Anträge sind zulässig. Ihnen hatte die Kammer auch stattzugeben.

a) Die vom Betriebsrat gestellten Anträge sind zulässig.

(1) Der Betriebsrat hat ein rechtliches Interesse daran, daß die Unwirksamkeit der am 4. Juli 2001 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung und die Unwirksamkeit auch der Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 und der Betriebsvereinbarung Nr. 17/92 alsbald festgestellt werden (§ 256 Abs. 1 ZPO).

Zwischen den Betriebsparteien ist streitig, ob diese Betriebsvereinbarungen nach Ziffer 13 der zum 30. November 2001 gekündigten Betriebsvereinbarung mit Ablauf des Nachwirkungszeitraums, also mit dem 1. März 2002, wieder in Kraft treten werden, soweit sie seinerzeit außer Kraft gesetzt worden waren. Das aber hängt wiederum davon ab, ob die am 4. Juli 2001 abgeschlossene Betriebsvereinbarung überhaupt noch wirksam ist. Im übrigen streiten die Parteien darüber, ob das Krankenhaus bei Aufstellung des Bereitschaftsdienstplans für die Bereiche Innere Medizin und Anästhesie an die durch den EuGH vorgenommene Auslegung der Arbeitszeit-Richtlinie 93/104 gebunden ist. Zur Klärung der Geltung bzw. Weitergeltung der genannten Betriebsvereinbarungen und damit zur Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden hinsichtlich der Einteilung zu Bereitschaftsdiensten bedarf es einer gerichtlichen Entscheidung. Es geht mithin nicht um die Antwort auf eine nur abstrakte Rechtsfrage, mithin um bloße Erstellung eines Rechtsgutachtens, sondern um die Beantwortung aktueller Rechtsfragen aus einem bestehenden Rechtsverhältnis, und zwar im Hinblick auf die SIMAP-Entscheidung des EuGH vom 3. Oktober 2000 (zum Rechtsschutzinteresse auch Fitting/Kaiser/Heither/Engels-FKHE, BetrVG, 20. Aufl., Nach § 1, Rzn. 25 ff, und Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl., Rzn. 23 ff zu § 81; beide mwN, sowie Weth, Das arbeitsrechtliche Beschlußverfahren, 1995, § 12 I 3 b aa S. 247, mwN).

(2) Mit der Einleitung des vorliegenden Beschlußverfahrens und den gestellten Sachanträgen verstößt der Betriebsrat auch nicht gegen das Verbot des venire contra factum proprium (§ 242 BGB). Zwar gilt im Vertragsrecht der Grundsatz, daß Verträge zu halten sind. Betriebsvereinbarungen sind Verträge, die dem Privatrecht angehören. Wenn der Betriebsrat als Gremium jedoch hinterher befindet, daß die zuvor abgeschlossene Betriebsvereinbarung gegen höherrangiges Recht verstößt, muß das Gremium mit seiner Mehrheit einen entsprechenden Beschluß fassen dürfen, ohne im nachfolgenden Rechtsstreit den Arglisteinwand befürchten zu müssen. Das muß jedenfalls dann gelten, wenn es sich um eine schwierige Rechtsfrage handelt, der zudem weitreichende Bedeutung zukommt und der man zunächst im Kompromißwege glaubte ausweichen zu können. Im übrigen hat die Partei einer Betriebsvereinbarung immer die Möglichkeit, die Vereinbarung bereits zum nächsten Termin wieder zu kündigen, was mit der Kündigung zum 30. November 2001 ja auch geschehen ist.

b) Die Beschwerde ist auch begründet. Die Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 ist wegen Verstoßes gegen zwingendes höherrangiges Arbeitszeitrecht unwirksam. Für die Betriebsvereinbarung Nr. 16/92 vom 15. Dezember 1992 und die Betriebsvereinbarung Nr. 17 vom 15. Januar 1993 kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Der Betriebsrat kann darüber hinaus verlangen, daß die Arbeitgeberin keine Bereitschaftsdienste in Arbeitszeitkonstellationen anordnet bzw. deren Ableistung duldet, wenn dadurch die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wird.

Zwingendes höherrangiges Recht ist hier das Arbeitszeitgesetz-ArbZG vom 6. Juni 1994 (BGBl I 1170), das hinsichtlich des Begriffs Arbeitszeit europarechtskonform dahin auszulegen ist, daß Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist, und zwar unabhängig von tatsächlich geleisteter Arbeit. Die zum Begriff Arbeitszeit bisher vertretene Meinung wertet Bereitschaftsdienst ohne Inanspruchnahme als Ruhezeit. Bereitschaftszeit - auch ohne tatsächliche Heranziehung - ist stattdessen als Arbeitszeit einzuordnen. Der überkommene Begriff Bereitschaftsdienst steht nunmehr im Widerspruch zur Richtlinie 93/104/EG des Rates der Europäischen Kommission vom 23. November 1993 (sog. Arbeitszeit-Richtlinie) in ihrer Auslegung durch den EuGH in seiner Entscheidung vom 3. Oktober 2000 (Rs C-303/98-AP EWG Richtlinie 93/104 Nr. 2). Kann aber Bereitschaftsdienst ohne Inanspruchnahme nicht mehr als gleichwertige Ausgleichsruhezeit angesehen werden, erweist sich das gesamte Regelwerk der Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 wegen Verstoßes gegen §§ 3, 5 Abs. 1 und 3, 6 Abs. 2 ArbZG, die die zulässigen Höchstarbeitszeiten und die Mindestruhezeiten regeln, in Verbindung mit § 134 BGB als rechtsunwirksam.

aa) Die am 4. Juli 2001 geschlossene Betriebsvereinbarung ist bei richtlinienkonformer Auslegung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) mit diesem Gesetz nicht vereinbar. Das ergibt sich aus dem zugrunde liegenden engen Begriff Arbeitszeit, der wegen des Kompromißcharakters der Betriebsvereinbarung Bereitschaftsdienst nicht einschließt, sondern - entsprechend der überkommenen Meinung - diesen grundsätzlich als Ruhezeit wertet. Die Betriebsvereinbarung unterliegt als privatrechtlicher kollektiver Normenvertrag (Richardi, BetrVG, 7. Aufl., Rz. 29 und FKHE, aaO, Rz. 13; beide zu § 77) nicht nur einer Billigkeitskontrolle und der Anfechtung wegen Irrtums und arglistiger Täuschung nach §§ 119, 123 BGB, sondern bei Verstoß gegen zwingendes höherrangiges Recht nach § 134 BGB der Sanktion der Rechtsunwirksamkeit (Richardi, aaO, Rz. 43 zu § 77), wobei die Unwirksamkeit jedoch nur für die Zukunft wirkt (FKHE, aaO, Rz. 28 zu § 77).

(1) Herkömmlicherweise wird zwischen Arbeit, Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft unterschieden, wobei Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft nicht als Arbeit im Sinne des ArbZG rechnen und bei der Ermittlung der Höchstgrenzen nicht mitgezählt werden. Während danach Arbeitsbereitschaft schon bisher zur Arbeitszeit gehört hat (BAG 14. April 1966, AP AZO § 13 Nr. 2 sowie Neumann/Biebl, ArbZG, 13. Aufl., Rz. 12 zu § 2), wenn auch weniger streng bewertet als die normale Vollarbeit (Zmarzlik in AR-Blattei SD Arbeitszeit 240 Rz. 64), wird zumindest nach bisherigem Verständnis Bereitschaftsdienst arbeitszeitrechtlich nicht als Arbeitszeit, sondern grundsätzlich als Ruhezeit angesehen (vgl. nur BAG 13. November 1986, AP § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 27, zu II3 c der Gründe und BAG 9. August 1978, AP BAT § 17 Nr. 5 Bl. 555; auch ErfK/Wank, 2. Aufl., Rz. 50 zu § 2; Neumann/Biebl, aaO, Rzn. 10 und 12 zu § 7).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt Bereitschaftsdienst vor, wenn der Arbeitnehmer sich für Zwecke des Betriebs an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, damit er seine Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen kann (BAG 13. November 1986, aaO). Bereitschaftsdienst, wie er hier definiert wird, wird aber nicht nur nicht als Arbeitszeit gewertet, sondern auch nicht als Arbeit i. S. d. § 3 ArbZG angesehen (so ausdrücklich Zmarzlik, aaO, Rz. 69, mwN; kritisch Buschmann in FS-Hanau, 1999, S. 197, 208).

(2) Der EuGH hat demgegenüber in seiner Entscheidung vom 3. Oktober 2000 (Rs C - 303/98 - AP EWG Richtlinie 93/104 Nr. 2 = NZA 2000, S. 1227) auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsgesuch eines Berufungsgerichts in Valencia entschieden, daß die Bereitschaftsdienste, die Ärzte in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung leisten, insgesamt als Arbeitszeit und ggf. als Überstunden im Sinne der EG-Richtlinie 93/124 (AblEG Nr. L 307, S. 18) anzusehen sind. Der Begriff Arbeitszeit wird vom EuGH unter Berufung auf Wortlaut und Zweck der Norm im Gegensatz zum Begriff Ruhezeit bestimmt, so daß beide Begriffe sich gegenseitig ausschließen. Unter Berücksichtigung des Normzwecks, nämlich Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, sei die Pflicht, sich am Arbeitsplatz aufzuhalten und verfügbar zu sein, im Gegensatz zur bloßen Rufbereitschaft Bestandteil der Aufgabenwahrnehmung und deshalb der Bereitschaftsdienst - auch ohne Inanspruchnahme und damit unabhängig von einer tatsächlich geleisteten Arbeit - Arbeitszeit (Textziffern 48, 49, 50 und 52 der Entscheidung).

Diese sog. SIMAP-Entscheidung vom 3. Oktober 2000 ist also unter ausdrücklicher Berufung auf Wortlaut und Zielrichtung der Arbeitszeit-Richtlinie ergangen. In Art. 2 Ziffer 1 heißt es zur Arbeitszeit, sie sei jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Demgegenüber wird Ruhezeit definiert als jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit (Art. 2 Ziffer 2 Arbeitszeit-Richtlinie). Ziel der Richtlinie ist es, Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten.

Der EuGH hat damit festgestellt, daß nur die Qualifikation des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit dem Ziel der Richtlinie und damit den durch Art. 249 Abs. 3 Art. 10 EG an die Mitgliedstaaten gestellten Anforderungen gerecht werden kann (Hergenröder, RdA 2001, 346, 347 liSp). Folgte man dem EuGH darin, daß bei Heranziehung zum Bereitschaftsdienst schon allein wegen der körperlichen Aufenthaltsbeschränkung am Dienstort und der jederzeitigen Möglichkeit des Abrufs Arbeitszeit vorliegt, bliebe nur noch die Rufbereitschaft ausgenommen und könnte nur sie noch als Pause oder Ruhezeit gewertet werden (Neumann/Biebl, aaO, Rz. 14 zu § 7).

(3) Die Kammer ist bei Anwendung des ArbZG im Hinblick auf die Prüfung der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 an diese Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie durch den EuGH gebunden.

Die Richtlinie hat als Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber dem nationalen Gesetzesrecht. Das nationale Recht muß mit den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts übereinstimmen. Deshalb haben alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten und mithin auch die nationalen Gerichte das nationale Recht, soweit dies möglich und erforderlich ist, um dem Gemeinschaftsrecht Geltung zu verschaffen, richtlinienkonform auszulegen, mithin im Lichte des Wortlauts und des Zwecks einschlägiger Richtlinien auszurichten (BAG 5. März 1996, AP GG Art. 3 Nr. 226; Hergenröder, FS-Zöllner, 1998, S. 1139, 144; Schwarze, EU-Kommentar, 2000, Rz. 30 zu § 249 EGV sowie ErfK/Wissmann, 2. Aufl., Vorb. EG 20, Rz. 16). Für Entscheidungen, die der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts trifft, gilt nichts anderes. Allerdings besteht eine unmittelbare Bindung an ein in einer bestimmten Rechtsfrage ergangenes Präjudiz des EuGH nur in derselben Sache. Weil das Gemeinschaftsrecht aber verbindlich allein durch den EuGH ausgelegt werden kann und nach der Rechtsprechung des BVerfG (8. April 1987,E 75, 223, 241) durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Frage der Vorlagepflicht nach Art. 177 Abs. 3 EGV (243 Abs. 3 n. F.) abgesichert ist, ist zumindest für letztinstanzliche Gerichte die Bindung im Ergebnis zu bejahen. Die Instanzgerichte sind zumindest jederzeit berechtigt, ihrer Entscheidung die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH zugrundezulegen (Hergenröder, FS-Zöllner, S. 1143/1144). Weil danach das gesamte nationale Recht der richtlinienkonformen Interpretation unterliegt und der innerstaatliche Rechtsanwender auch bei der Auslegung an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gebunden ist, hat die Kammer den ärztlichen Bereitschaftsdienst arbeitsschutzrechtlich dem weiten Begriff Arbeitszeit zugeordnet (Hergenröder, aaO, S. 348; Wißmann, RdA 1999, 152, 155 rSp; Trägner, NZA 2002, 126, 130).

Die Frage, ob das Krankenhaus eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist, hat die Kammer unbeantwortet gelassen. Zwar wirkt eine Richtlinie unmittelbar immer nur horizontal im Verhältnis der EU zu ihren Mitgliedstaaten und deren staatlichen Einrichtungen, nicht aber vertikal, also beispielsweise nicht zwischen Privatrechtssubjekten. Das gilt aber nicht, wenn die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist. Es gilt - wie bereits dargelegt -, daß zumindest das nationale Gericht bei seiner Einzelfallentscheidung das anzuwendende Recht gemeinschaftsrechtskonform auszulegen hat. Dann aber wirkt das Gemeinschaftsrecht de facto doch horizontal (Hergenröder, RdA 1999, S. 152, 155 rSp).

(4) Das ArbZG ißt auch einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich.

Der deutsche Gesetzgeber hat die Arbeitszeit-Richtlinie anläßlich der Reform des Arbeitszeitrechts 1994 umgesetzt (Hergenröder, RdA 2001, S. 346, 347; auch ArbG Kiel 8. November 2001 - ÖD1 Ca 2113 d/01 auf S. 9 der hektographierten Fassung), obwohl es nicht ausdrücklich als Richtlinienumsetzung definiert wird (Trägner, aaO, S. 127). Im Gegensatz zur Richtlinie ist der Begriff Arbeitszeit in § 2 ArbZG jedoch offen formuliert. Es fehlt auch an einer Legaldefinition des Begriffs Bereitschaftsdienst (Zmarzlik, aaO, Rz. 264), wenn dieser auch in § 5 Abs. 3 und in § 7 Abs. 2 Nr. 1 ArbZG Erwähnung findet. Vor allem weist das ArbZG Umsetzungslücken auf. Aus der in § 7 Abs. 2 Nr. 1 und ähnlich auch in § 5 Abs. 2 ArbZG verwendeten Formulierung Kürzungen der Ruhezeit infolge von Inanspruchnahme während dieser Dienste ist jedenfalls der Schluß zu ziehen, daß Bereitschaftsdienst nach dem Willen des Gesetzgebers Teil der Ruhezeit ist (Tietje, A/ZA 2001, S. 241, 242 rSp). Es ist daher festzustellen, daß einer richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs Arbeitszeit im ArbZG im Sinne des weiten Arbeitszeitbegriffs der EuGH-Rechtsprechung insoweit nichts im Wege steht. Ist aber eine gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation möglich, ist dieser nach dem zuvor Gesagten wegen der Pflicht zum gemeinschaftstreuen Verhalten der Vorzug zu geben. Damit erweist sich aber die derzeitige Auslegung des Begriffs Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG als gemeinschaftswidrig. Richtlinienkonform ist allein die weite Auslegung des Begriffs, wonach Bereitschaftsdienst auch ohne Inanspruchnahme dem Begriff Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG zu subsumieren ist. Daß der Gesetzestext diese Auslegung noch zulässt, ergibt sich aus den vorstehenden Darlegungen.

Weil § 7 Abs. 2 Nr. 1 und auch § 5 Abs. 2 ArbZG bei europarechtskonformem Verständnis des Begriffs Bereitschaftsdienst eigentlich leerlaufen, ließe sich vorliegend auch von einer Auslegung contra legem sprechen, denn die Auslegung läuft eigentlich dem erklärten Willen des nationalen Gesetzgebers zuwider. Dem in der gemeinschaftswidrigen Norm steckenden Willen des nationalen Gesetzgebers soll nämlich soweit wie möglich Rechnung getragen werden, aber eben nur soweit er sich ohne Verstoß gegen die Richtlinie aufrechterhalten läßt. Mit Hergenröder (FS-Zöllner, S. 1154) ist deshalb dem Gericht eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung auch contra legem grundsätzlich nicht verwehrt.

(5) Soweit die Arbeitszeit-Richtlinie nach Art. 17 Abweichungen von den grundsätzlichen Bestimmungen der Ruhezeit zulässt, nämlich beispielsweise durch gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder Verlängerung des Bezugszeitraums auf sechs Monate für den Ausgleich von mehr geleisteter Arbeit, sind diese im ArbZG nicht umgesetzt worden. Der Betriebsrat hat zudem unwidersprochen vorgetragen, daß es an entsprechenden gesetzlichen und tariflichen Regelungen fehlt. Im übrigen kommt auch das Arbeitsgericht Kiel (aaO, auf S. 11 der hektographierten Fassung) mit zutreffenden Erwägungen zu dem Schluß, daß das ArbZG von der Ausnahmeregelung des Art. 17 Abs. 2 Arbeitszeit-Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. auch Träger, aaO, S. 129).

Ist Bereitschaftsdienst mit oder ohne Inanspruchnahme als Arbeitszeit zu werten, werden auch durch § 5 Abs. 3 ArbZG und durch § 7 Abs. 2 ArbZG gleichwertige Ausgleichsruhezeiten nicht gewährleistet. Das kann nach dem herkömmlichen Verständnis des Bereitschaftsdienstes bei nicht erfolgter Inanspruchnahme auch nicht anders sein. Denn es wird konsequenterweise argumentiert, bei fehlender Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes sei für die Dauer dieses Bereitschaftsdienstes eine ausreichende Ruhezeit gegeben, so daß es keiner Ausgleichszeit bedürfe und sich ein neuer Dienst anschließen könne. Das Bundesarbeitsgericht (22. November 2000, NZA 2001, S. 451) hat den bei einem mobilen Rettungsdienst abzuleistenden Bereitschaftsdienst unter vergütungsrechtlichen Aspekten - nach überkommenen Kriterien konsequent - dergestalt gewertet, daß bei nicht erfolgter Inanspruchnahme der "schlafende Arbeitnehmer nicht, wie dies in § 14 II c DRK-TV vorausgesetzt wird, eine im Verhältnis zur Vollarbeit graduell geringere Arbeitsleistung, sondern gar keine Arbeitsleistung (erbringt)". Das BAG (aaO) hat die SIMAP-Entscheidung mit dem Hinweis, sie betreffe allein die Frage, ob Bereitschaftsdienst im Sinne des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes Arbeitszeit sei, in seinem Fall für nicht entscheidungserheblich erklärt.

Der Versuch von Tietje (aaO, S. 241 ff), auch heute noch Freizeit als Teil der Ruhezeit zu definieren und zwischen vollwertiger Ruhezeit (gesetzlich vorgeschrieben spätestens nach 24 Stunden) und ausreichender Ruhezeit bzw. zeitlich vollwertiger Ruhezeit (= Bereitschaftsdienst ohne Inanspruchnahme) zu unterscheiden, vermag nicht mehr zu überzeugen (ablehnend auch Hergenröder, RdA 2001, S. 349 rSp). Es ist angesichts der erheblichen finanziellen Konsequenzen für den Bereich der Gesundheitsversorgung sicherlich ehrenwert, Bereitschaftsdienst ohne Inanspruchnahme weiterhin als Ruhezeit zu begreifen und damit am bisherigen Verständnis festzuhalten. Bestimmt man aber den Begriff Arbeitszeit im Anschluß an die EuGH-Entscheidung (unter Berufung auf Wortlaut und Zweck der Arbeitszeit-Richtlinie) im Gegensatz zum Begriff Ruhezeit, weil beide Begriffe sich gegenseitig ausschließen, läßt sich Bereitschaftsdienst, wie er vertraglich geschuldet wird - nämlich sich am Arbeitsplatz aufzuhalten und jederzeit verfügbar zu sein - auch ohne Inanspruchnahme europarechtskonform nicht mehr als zeitlich vollwertige Ruhezeit qualifizieren. Ruhezeit (im Gegensatz zur Arbeitszeit), wie sie der EuGH in Auslegung der Arbeitszeit-Richtlinie versteht, wird selbst von Zmarzlik (aaO, Rz. 264) immerhin wie folgt beschrieben:

Die Ruhezeit ist (demgegenüber) nach ihrem Zweck kein Bereithalten des Arbeitnehmers zur Arbeit, sondern eine Zeit der Ruhe und Erholung des Arbeitnehmers von der Arbeit an einem vom Arbeitnehmer freigewählten Ort ohne ... Orts- und Verfügungsbindung.

(6) Schließlich läßt sich nicht mit Erfolg argumentieren, der Bereitschaftsdienst der spanischen Ärzte in Valencia, der dem Vorabentscheidungsersuchen des spanischen Berufungsgerichts in der SIMAP-Entscheidung zugrunde gelegen hat, sei mit den ärztlichen Bereitschaftsdiensten an deutschen Krankenhäusern nicht vergleichbar.

Richtig ist, daß Ärzte in Deutschland in Krankenhäusern nicht in bestimmten Teams der medizinischen Grundversorgung tätig sind und daß es sich bei den spanischen centros de salud (Gesundheitszentren) nicht eigentlich um Krankenhäuser handelt. Für die Festlegung der Arbeitszeit einer bestimmten Arbeitnehmergruppe kann es jedoch nicht darauf ankommen, ob ein Arzt schwerpunktmäßig in einem Zentrum der medizinischen Grundversorgung oder in einem Krankenhaus seine Tätigkeit ausübt (so zutreffend Hergenröder, RdA 2001, S. 347 liSp).

Zudem hatte der EuGH bei seiner Auslegung der Arbeitszeit-Richtlinie einen Bereitschaftsdienst zu beurteilen, der ebenfalls nicht zu 100% aus tatsächlich geleisteter Arbeit besteht, denn Satz 3 der Textziffer 48 lautet: Zudem ist die Verpflichtung der Ärzte, sich zur Erbringung ihrer beruflichen Leistungen am Arbeitsplatz aufzuhalten und verfügbar zu sein, als Bestandteil der Wahrnehmung ihrer Aufgaben anzusehen, auch wenn die tatsächlich geleistete Arbeit von den Umständen abhängt. Im übrigen weist Trägner (NZA 2002, S. 126, 130 HSp) darauf hin, daß in der Vergangenheit auch der Bereitschaftsdienst der spanischen Ärzte nach den nationalen spanischen Regelungen nicht uneingeschränkt als Arbeitszeit gewertet wurde.

(7) Die richtlinienkonforme Auslegung des ArbZG, die die Rechtsunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung vom 4. Juli 2001 zur Folge hat, wird auch dem in § 1 Nr. 1 ArbZG erklärten Gesetzeszweck am ehesten gerecht. Dort werden Sicherheit und Gesundheitsschutz als vorrangiges Ziel des ArbZG genannt. Wenn es bei Neumann/Biebl (aaO, Rz. 8 zu § 5) in bezug auf den Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft heißt, es seien notwendige Regelungen, um einerseits die Versorgung und Betreuung zu gewährleisten und andererseits Personal vernünftig und auch kostengünstig einzusetzen, so reduziert sich dieser Zweck bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des ArbZG künftig auf die Rufbereitschaft, während hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes sich eine unter Berücksichtigung von Sicherheit und Gesundheit des ärztlichen Personals (beides - wie dargelegt - erklärtermaßen vorrangiger Gesetzeszweck auch des ArbZG) noch stärker an der Vernunft orientierte» Sichtweise durchzusetzen haben wird. Was künftig für die in spanischen Gesundheitszentren zum Bereitschaftsdienst eingeteilten Ärzte und Ärztinnen gilt, hat jedenfalls auch für die hiesigen Ärzte und Ärztinnen zu gelten. Zweck der Arbeitszeitrichtlinie ist es jedenfalls auch, hinsichtlich der Arbeitszeit ein einheitliches Schutzniveau auf Gemeinschaftsebene zu schaffen.

bb) Die Anträge sind auch hinsichtlich der begehrten Unterlassung begründet. Der Betriebsrat kann, nicht zuletzt zur Sicherung seines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Ziffer 2 BetrVG, vom Krankenhaus verlangen, daß es die konkret ausformulierten Arbeitszeitkonstellationen weder anordnet noch duldet. Aus den Darlegungen zu aa) ergibt sich, daß jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum unter Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit eine Mindestruhezeit von 11 zusammenhängenden Stunden einzuräumen ist und daß 48 Stunden pro Woche(ebenfalls unter dem Aspekt, daß Bereitschaftsdienst auch ohne Inanspruchnahme Arbeitszeit ist) nicht überschritten werden dürfen. Außerdem wird man konsequenterweise Bereitschaftsdienst uneingeschränkt der Nachtarbeit im Sinne von § 6 ArbZG zuzuordnen haben.

B. Nach allem war der zulässigen Beschwerde stattzugeben. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 12 Abs. 5 ArbGG).

Die Rechtsbeschwerde war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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