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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.03.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 1407/08
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG, GG


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 611
BGB § 1004
BetrVG § 23
BetrVG § 38
GG Art. 9
1. Freigestellte Betriebsratsmitglieder unterliegen hinsichtlich der Lage ihrer Arbeitszeit nicht mehr dem Direktionsrecht des Arbeitgebers. Sie haben sich aber während der betriebsüblichen Arbeitszeit für anfallende Betriebsratstätigkeiten bereitzuhalten.

2. Zur Auslegung eines tariflichen Maßregelungsverbots.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 06.08.2008 - 5 Ca 1040/08 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Entfernung von vier Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers sowie um die Zahlung restlicher Vergütung.

Der am 25.09.1960 geborene Kläger ist seit dem 01.03.1995 bei der Beklagten zuletzt als Energieanlagenelektroniker auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 01.03.1995 (Bl. 11 ff d.A.) mit einer durchschnittlichen Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.900,00 € beschäftigt. Die Beklagte ist ein Betrieb der Textilindustrie, die mit ca. 620 Mitarbeitern Sitzgruppen für die Automobilhersteller Opel und Ford produziert.

Die Mitarbeiter in der Produktion werden bei der Beklagten in einem 2-Schicht-Rhythmus in Früh- und Spätschicht eingesetzt. Der Kläger war als Energieanlagenelektroniker dem Bereich Technik zugeordnet, in dem in drei Schichten gearbeitet wurde. Zwei Mitarbeiter arbeiten regelmäßig in der Nachtschicht. Auf die einzelnen Schichtzeiten, die die Beklagte im Schriftsatz vom 27.06.2008 (Bl. 56 ff d.A.) im Einzelnen aufgeführt hat, wird Bezug genommen.

Für die bei der Beklagten beschäftigten Angestellten gilt betriebsüblich eine Gleitzeit mit einer täglichen Mindestarbeitszeit von zwei Stunden.

Im Betrieb der Beklagten ist ein elfköpfiger Betriebsrat gebildet. Der Kläger ist seit 1997 Mitglied dieses Betriebsrats. In der seit 2006 laufenden Amtsperiode wurde das Betriebsratsmitglied K2 erstmals zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Der Kläger wurde zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Seit dieser Amtsperiode sind der Betriebsratsvorsitzende und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, der Kläger, freigestellt.

Mit Schreiben vom 10.05.2006 (Bl. 87 d.A.) teilten der Betriebsratsvorsitzende sowie der Kläger der Geschäftsleitung der Beklagten folgendes mit:

"Betreff: Arbeitszeiten BR-Büro

Wir schlagen für die freigestellten Betriebsräte folgende Kernarbeitszeiten, zuzüglich eventueller Pausen vor.

Früh: 07.00-15.00

Spät: 11.00-19.00"

Ob und in welcher Weise die Beklagte auf dieses Schreiben reagiert hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Seit seiner Freistellung wurden die An- und Abwesenheitszeiten des Klägers durch das im Betrieb der Beklagten eingeführte elektronische Zeiterfassungssystem erfasst. Auf die für den Kläger geführten Arbeitszeitnachweise für die Zeit von April 2006 bis Mai 2008 (Bl. 162 bis 211 d.A.), die monatlich mit einem Gleitzeitsaldo endeten, wird Bezug genommen.

Seit seiner Freistellung hatte der Kläger mehrfach im Monat Minusstunden aufzuweisen, die er durch Plusstunden anschließend wieder ausglich (vgl. Aufstellung Bl. 214 d.A.). Ferner wird Bezug genommen auf die Zeiten des An- und Ausstempelns des Klägers seit Mai 2006 (Bl. 212, 213 d.A.).

Anfang des Jahres 2008 kam es zu einer Tarifauseinandersetzung im Bereich der Textilindustrie. Von dieser Tarifauseinandersetzung war auch der Betrieb der Beklagten betroffen. Die Friedenspflicht lief am 29.02.2008 ab. Im Betrieb der Arbeitgeberin kam es am 06.03.2008 zu Warnstreiks.

Bereits am 12.02.2008 hielt sich der Kläger, der insgesamt 3,6 Stunden bei der Beklagten im Betrieb anwesend war, in F2 im Rahmen von Tarifverhandlungen in der Gewerkschaftszentrale der IG Metall auf. Dazu meldete er sich vorher schriftlich bei der Beklagten ab und stempelte für die Zeit seiner Abwesenheit aus (Bl. 28, 168 d.A.).

Am 15.02.2008 stempelte der Kläger einmal für 47 Minuten und ein weiteres Mal für 31 Minuten aus (Bl. 28, 168 d.A.). In dieser Zeit verteilte er Flugblätter der IG Metall, auf deren Inhalt (Bl. 97 d.A.) Bezug genommen wird.

Am 05.03.2008 verteilte der Kläger wiederum ein Flugblatt der IG Metall, bevor er in der Zeit von 14.15 Uhr bis 15.30 Uhr an einer außerordentlichen Betriebsratssitzung teilnahm. In diesem Flugblatt wurde u.a. zum Warnstreik aufgerufen.

Am 10.03.2008 nahm der Kläger erneut an einer Sitzung der IG Metall in G3 teil und stempelte sich dazu in der elektronischen Zeiterfassung um 14.19 Uhr aus (Bl. 166 d.A.) nachdem er sich zuvor der Geschäftsleitung abgemeldet hatte.

Die Tarifverhandlungen in der Textilindustrie führten am 11.03.2008 zu einem Verhandlungsergebnis (Bl. 23 ff d.A.). Unter IX c) dieses Verhandlungsergebnisses vom 11.03.2008 vereinbarten die Tarifvertragsparteien folgendes:

"Durch die Beteiligung an Aktionen, Warnstreiks und Aussperrungen, die im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung stattgefunden haben, dürfen dem Beschäftigten keine Nachteile entstehen. Hiervon werden Lohnausfälle nicht berührt. Maßregelungen irgendwelcher Art und Schadensersatzansprüche finden nicht statt, bereits erfolgte sind rückgängig zu machen. Vorsätzliche Schädigungen sind davon ausgenommen."

Am 14.03.2008 überreichte die Beklagte dem Kläger vier Abmahnungen vom 04.03.2008 (Bl. 18 f d.A.), vom 22.02.2008 (Bl. 16 f d.A.), vom 07.03.2008 (Bl. 20 d.A.) und vom 14.03.2008 (Bl. 21 f d.A.).

In der Abmahnung vom 04.03.2008 (Bl. 18 f d.A.) mahnte die Beklagte den Kläger u.a. deshalb ab, weil er am 12.02.2008 durch Nichteinhaltung der Kernarbeitszeit von 7.00 bis 15.00 Uhr bzw. von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr seinen arbeitsvertraglichen Pflichten sowie seinen Pflichten als Betriebsratsmitglied nicht nachgekommen sei und sich stattdessen bei der IG Metall in F2 aufgehalten habe.

In der Abmahnung vom 22.02.2008 machte die Beklagte dem Kläger den gleichen Vorwurf und rügte, er habe sich in der Zeit von 13.42 Uhr bis 14.29 Uhr sowie von 15.35 Uhr bis 16.06 Uhr vor dem Werksgelände aufgehalten, um gemeinsam mit dem Betriebsratsvorsitzenden und zeitweilig auch anderen Betriebsratsmitgliedern Flugblätter der IG Metall an die Belegschaft zu verteilen.

In der Abmahnung vom 07.03.2008 (Bl. 20 d.A.) rügte die Beklagte u.a., der Kläger habe am 05.03.2008 während seiner Arbeitszeit im Zeitraum von ca. 14.15 Uhr bis 14.30 Uhr im Bereich der Stempeluhren die Arbeitnehmer, die diesen Bereich passiert hätten, zu dem für den 06.03.2008 zur Teilnahme an dem für den 06.03.2008 geplanten Warnstreik aufgerufen und hierzu Flugblätter verteilt.

Mit der Abmahnung vom 14.03.2008 (Bl. 21 f d.A.) wurde erneut gerügt, dass der Kläger am 10.03.2008 in der Zeit vom 14.19 Uhr bis 17.42 Uhr nicht im Werk anwesend gewesen sei, gegen die Kernarbeitszeiten verstoßen und sich stattdessen in G3 bei den Tarifverhandlungen aufgehalten zu haben.

Auf den genauen Inhalt der Abmahnungen vom 04.03.2008, 22.02.2008, 07.03.2008 und 14.03.2008 wird Bezug genommen.

Für die Abwesenheit des Klägers am 15.02.2008 im Umfang von 47 und weiteren 31 Minuten zog die Beklagte dem Kläger im Rahmen der Vergütungsabrechnung für den Monat Februar 2008 (Bl. 15 d.A.) 1,3 Stunden ab und behielt den entsprechenden Betrag von 18,35 € brutto ein.

Gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden K2 wurden drei Abmahnungen wegen vergleichbaren Verhaltens ausgesprochen.

Mit der am 30.04.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte der Kläger die Entfernung der vier Abmahnungen aus seiner Personalakte geltend und begehrt ferner die Auszahlung der einbehaltenen 18,35 € brutto.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sämtliche ihm erteilten Abmahnungen seien ungerechtfertigt. Insbesondere könne die Beklagte ihm, dem Kläger, nicht vorhalten, Kernarbeitszeiten von 7.00 Uhr bis 15.00 Uhr von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr an den fraglichen Tagen nicht eingehalten zu haben. Eine Vereinbarung über die Einhaltung einer Kernarbeitszeit existiere zwischen den Parteien nicht. Auch sei eine solche in der Folgezeit zu keinem Zeitpunkt praktiziert worden. Das sei auch der Beklagten bekannt gewesen. Fest einzuhaltende Kernarbeitszeiten ließen sich insbesondere für freigestellte Betriebsratsmitglieder im Betrieb der Beklagten auch nicht ausnahmslos praktizieren. Starre Anwesenheitspflichten seien nicht durchführbar, zeitweise gebe es auch Fälle, in denen beide freigestellten Betriebsratsmitglieder persönlich anwesend sein müssten. Im Übrigen halte er sich, wie vereinbart, an die betriebsübliche Arbeitszeit. Für ihn gelte hinsichtlich der geschuldeten Arbeitszeit Gleitzeit. Eine derartige Gleitzeit sei auch seit seiner Freistellung im Betrieb praktiziert worden. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Arbeitszeitnachweisen. In diesem Zusammenhang hat der Kläger behauptet, die Personalleiterin der Beklagten habe dem Kläger bei seiner Freistellung im Mai 2006 mitgeteilt, für ihn würde die "gleiche Regelung mit einem Gleitzeitkonto" gelten, wie zuvor bei dem erstmals bei der Beklagten freigestellten Betriebsratsmitglied W2 K1. Noch in der Abrechnung für April 2006 sei ein sog. "Flex-Saldo" ausgewiesen, mit der Abrechnung für Mai 2006 sei für den Kläger erstmals ein Gleitzeitsaldo verbunden mit einer Gleitzeitkontenführung eingeführt worden.

Er, der Kläger, sei darüber hinaus zu jeder Zeit für die Mitarbeiter der Beklagten über ein Funktelefon persönlich erreichbar gewesen. Die erforderliche Betriebsratsarbeit sei durch seine Abwesenheitszeiten in keiner Weise vernachlässigt worden. Darüber hinaus sei zu beachten, dass er, der Kläger, von vornherein durch sein ordnungsgemäßes Aus- und Abstempeln darauf verzichtet habe, für seine gewerkschaftliche Betätigung Arbeitsentgelt zu erhalten.

Die Abmahnungen seien auch schon deshalb rechtswidrig, weil dem Kläger ein Verstoß gegen seine Pflichten als Betriebsratsmitglied vorgeworfen worden sei. Betriebsverfassungsrechtliche Abmahnungen seien unzulässig.

Die Abmahnung vom 04.03.2008 sei auch inhaltlich unrichtig, soweit die Beklagte ihm vorwerfe, am 12.02.2008 überhaupt nicht im Betrieb anwesend gewesen zu sein.

Unrichtig sei auch, dass er am 15.03.2008 im Zeitraum von 14.15 Uhr bis 14.30 Uhr Flugblätter verteilt habe. Ab 14.15 Uhr habe am 05.03.2008 eine Betriebsratssitzung stattgefunden, an der er von Beginn an teilgenommen habe, worüber die Arbeitgeberin informiert worden sei (Bl. 99 ff d.A.). Flugblätter habe er für wenige Minuten vor der Betriebsratssitzung vom 05.03.2008 innerhalb der ihm zustehenden Pause verteilt.

Darüber hinaus verstießen die ihm erteilten vier Abmahnungen gegen das Maßregelungsverbot des tariflichen Verhandlungsergebnisses vom 11.03.2008. Besonders befremdlich sei, dass der Kläger erst nach Abschluss der Tarifvereinbarung vom 11.03.2008 sämtliche vier Abmahnungen am 14.03.2008 erhalten habe.

Die Beklagte sei auch nicht berechtigt, in der Abrechnung für März 2008 einen Betrag von 18,35 € einzubehalten. Für den von der Beklagten vorgenommenen Zeitabzug für den 15.02.2008 bestehe kein Anlass. Für den 15.02.2008 habe er ordnungsgemäß ausgestempelt, die ausgefallene Arbeitszeit von 1,3 Stunden werde ohnehin von seinem Gleitzeitkonto abgezogen. Durch den Lohneinbehalt versuche die Beklagte, den Kläger doppelt zu bestrafen.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger mit Schreiben vom 22.02.2008, 04.03.2008, 07.03.2008 und 14.03.2008 erteilten Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen und

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 18,35 € brutto zuzüglich eines Zinses in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die in den Abmahnungen enthaltenen Vorwürfe gerechtfertigt seien, die Abmahnungen seien in jeder Hinsicht rechtmäßig.

Der Kläger habe am 12.02.2008, am 05.02.2008, am 05.03.2008 und am 10.03.2008 gegen seine Anwesenheitsverpflichtung verstoßen. Auch ein freigestelltes Betriebsratsmitglied sei an betriebsübliche Arbeitszeiten gebunden. Insoweit hat die Beklagte bestritten, dass zwischen den Parteien Gleitzeit vereinbart worden sei. Die Erfassung der An- und Abwesenheitszeiten des Klägers im Rahmen des Gleitzeitkontos sei lediglich aus technischen Gründen erfolgt. Für den Kläger als freigestelltes Betriebsratsmitglied hätten Kernarbeitszeiten gegolten. Dies ergebe sich aus dem Schreiben des Betriebsratsvorsitzenden und des Klägers vom 10.05.2006 an die Geschäftsleitung der Beklagten. Durch dieses Schreiben sei eine Selbstbindung hinsichtlich der Anwesenheitszeiten eingetreten. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zunächst behauptet, die Beklagte habe die vom Betriebsrat selbst gesetzten Anwesenheitszeiten akzeptiert. Im Kammertermin beim Arbeitsgericht vom 06.08.2008 hat die Beklagte behauptet, im Nachgang zum Schreiben vom 10.05.2006 hätten Gespräche im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Notwendigkeit von Überlappungszeiten stattgefunden, das Schreiben des Betriebsrates vom 10.05.2006 sei jedenfalls im Ergebnis gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden gebilligt worden.

Durch sein Ausstempeln am 12.02.2008, am 15.02.2008 und am 10.03.2008 habe der Kläger gegen seine Anwesenheitspflicht verstoßen. Auch am 07.03.2008 habe der Kläger gegen seine Anwesenheitspflicht verstoßen, indem er im Betrieb Flugblätter an Mitarbeiter der Beklagten verteilt habe. Dass in der Zeit ab 14.15 Uhr eine außerordentliche Betriebsratssitzung stattgefunden habe, müsse mit Nichtwissen bestritten werden. Unstreitig sei, dass der Kläger Flugblätter während seiner Anwesenheitszeit verteilt habe.

Die Unwirksamkeit der Abmahnungen ergebe sich auch nicht aus einem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot. Das Maßregelungsverbot im Verhandlungsergebnis vom 11.03.2008 sei für den vorliegenden Fall überhaupt nicht einschlägig. Zunächst sei insoweit zu berücksichtigen, dass die tarifvertragliche Friedenspflicht bis zum 29.02.2008 gegolten habe. Die Abmahnungen vom 22.02.2008 und 04.03.2008 bezögen sich jedoch auf ein Fehlverhalten vor Ablauf der Friedenspflicht. Im Übrigen begründe das tarifvertragliche Maßregelungsverbot ohnehin keine Verpflichtung, erteilte Abmahnungen aus der Personalakte zu entfernen. Die Bedeutung einer derartigen Maßregelungsklausel liege vor allem bei dem durch die Teilnahme an einem Arbeitskampf eintretenden Lohnverlust. Das vorliegende Maßregelungsverbot erstrecke sich von seiner Reichweite her nicht auf Abmahnungen. Im Übrigen werde dem Kläger in den ihm erteilten Abmahnungen ein Verstoß gegen seine arbeitsvertragliche Anwesenheitspflicht vorgeworfen. Damit werde deutlich, dass es sich gerade nicht um Sachverhalte handele, die im Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen stünden.

Auch der für den 15.02.2008 erfolgte Lohnabzug sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nämlich am 15.02.2008 seine Sollanwesenheit nicht erfüllt. Der Kläger habe während seiner Abwesenheit an diesem Tage eben keine Betriebsratstätigkeit erledigt.

Durch Urteil vom 06.08.2008 hat das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfange stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die dem Kläger erteilten Abmahnungen seien unwirksam, weil dem Kläger ein Verstoß gegen seine Anwesenheitspflicht während seiner Kernarbeitszeit nicht vorgeworfen werden könne. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Einhaltung einer Kernarbeitszeit liege nicht vor. Die Arbeitszeit eines freigestellten Betriebsratsmitglieds müsse lediglich der betriebsüblichen Arbeitszeit entsprechen. Betriebsüblich würden jedoch im Betrieb mehrere Arbeitszeitmodelle existieren, ein Zwei/Drei-Schichtmodell in der Produktion sowie ein Gleitzeitmodell im Angestelltenbereich. Der Kläger habe aber seine betriebsübliche Arbeitszeit eingehalten. Dass in den Zeiten, in denen der Kläger ausgestempelt habe, eine notwendige Betriebsratsarbeit nicht möglich gewesen sei, trage die Beklagte selbst nicht vor. Der Kläger habe auch einen Anspruch auf Zahlung der einbehaltenen 18,35 € brutto. Eine Mindestanwesenheitspflicht für den Kläger im Betrieb der Beklagten bestehe nicht.

Gegen das der Beklagten am 22.08.2008 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte am 17.09.2008 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.11.2008 mit dem am 28.11.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Sachvorbringens ist die Beklagte der Auffassung, der rechtliche Ansatz des Arbeitsgerichts sei nicht haltbar. Auch freigestellte Betriebsratsmitglieder könnten ihre Arbeitszeit nicht so einteilen, wie es nach ihrer Auffassung erforderlich sei. Auch freigestellte Betriebsratsmitglieder seien an die für sie geltende Arbeitszeit gebunden.

Am 12.02.2008 sei der Kläger zusammen mit dem Betriebsratsvorsitzenden nach F2 gefahren, um an einer Sitzung der IG Metall teilzunehmen. Während der Zeit seiner Abwesenheit sei an diesem Tag kein freigestelltes Betriebsratsmitglied anwesend gewesen. Dem Missbrauch werde Tür und Tor geöffnet, wenn die Einteilung der Arbeitszeit den freigestellten Betriebsratsmitgliedern überlassen werde. Das gelte auch für die Abwesenheitszeit am 10.03.2008. Auch an diesem Tag seien beide freistellten Betriebsratsmitglieder gleichzeitig abwesend gewesen und hätten für die Belegschaft und für den Arbeitgeber nicht zur Verfügung gestanden.

Im Übrigen sei aufgrund des Schreibens des Klägers und des Betriebsratsvorsitzenden vom 10.05.2008 eine Vereinbarung über die Anwesenheit der freigestellten Betriebsratsmitglieder zustande gekommen. Die Beklagte habe, wie sie im Berufungsrechtszug behauptet, dieses Schreiben dahingehend verstanden, dass sich die beiden freigestellten Betriebsratsmitglieder dahingehend binden wollten, die in dem Schreiben festgelegten Kernarbeitszeiten zukünftig einzuhalten. Dieses Angebot sei von der Personalleiterin der Beklagten angenommen worden, indem sie gegenüber dem Kläger und dem Betriebsratsmitglied K2 nach Zugang des Schreibens noch im Mai 2008 erklärt habe, die Beklagte könne mit diesem Vorschlag durchaus leben. An die damit getroffene Regelung sei auch der Kläger gebunden.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts enthalte die Abmahnung vom 05.03.2008 auch keinen falschen Tatsachenvortrag. Es sei unzutreffend, dass der Kläger am 05.03.2008 in der Zeit von 14.15 Uhr bis 14.30 Uhr wegen Teilnahme an einer Betriebsratssitzung keine Flugblätter habe verteilen können. In der Abmahnung sei lediglich ein ungefährer Zeitraum angegeben. Zwar sei in dieser Zeit eine Betriebsratssitzung anberaumt gewesen, sie könne jedoch auch in der Zeit von 14.15 Uhr bis 14.30 Uhr unterbrochen worden sein, so dass der Kläger in diesem Zeitraum Flugblätter verteilt habe.

Das Arbeitsgericht habe auch dem Zahlungsantrag des Klägers zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger habe am 15.02.2008 seine Mindestanwesenheitszeit nicht erfüllt. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, diese Zeit der Nichtanwesenheit zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 06.08.2008 - 5 Ca 1040/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und ist der Auffassung, es stehe im Einklang mit der dazu ergangenen Rechtssprechung anderer Arbeitsgerichte, das Urteil würdige auch den vorliegenden Sachverhalt zutreffend.

Das freigestellte Betriebsratsmitglied müsse seine Arbeitszeit - im Rahmen der betriebsüblichen Arbeitszeit und nach pflichtgemäßem Ermessen - relativ weitgehend frei einteilen können. Es müsse für die gesamte Belegschaft zu verschiedenen Zeiten ansprechbar sein können. Unzutreffend sei, dass ein freigestelltes Betriebsratsmitglied in jedem Fall seine früheren Arbeitszeiten einzuhalten habe.

Der Beklagten missfalle es lediglich, dass freigestellte Betriebsratsmitglieder in ihrer Freizeit auch an gewerkschaftlichen Aktivitäten teilnehmen könnten.

Eine ausdrückliche vertragliche Regelung über die Einhaltung von Anwesenheitszeiten sei im vorliegenden Fall nicht getroffen worden. Bei dem Schreiben des Betriebsrats vom 10.05.2006 habe es sich lediglich um einen Vorschlag des Betriebsrats gehandelt, der von der Beklagten gerade nicht angenommen worden sei. Das werde auch durch die tatsächliche Handhabung belegt.

Auch die Darlegungen der Beklagten zur Abmahnung vom 07.03.2008 gingen fehl. Am 05.03.2008 habe in der Zeit von 14.15 Uhr bis 14.30 Uhr eine außerordentliche Betriebsratssitzung stattgefunden, diese Sitzung sei zu keiner Zeit unterbrochen worden.

Schließlich verstießen die dem Kläger erteilten Abmahnungen auch gegen das Maßregelungsverbot, wie erstinstanzlich dargelegt worden sei.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung in vollem Umfange stattgegeben.

I

Die Beklagte ist verpflichtet, die dem Kläger erteilten Abmahnungen vom 22.02.2008, 04.03.2008, 07.03.2008 und 14.03.2008 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

1. In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist ganz überwiegend anerkannt, dass ein Arbeitnehmer sich gegen die aus seiner Sicht unberechtigte Abmahnung auch durch Erhebung einer Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte zur Wehr setzen kann. Einer derartigen Klage fehlt nicht das erforderliche Rechtschutzbedürfnis. Die Zulässigkeit einer solchen Klage ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer berechtigt ist, eine Gegendarstellung zur Personalakte abzugeben und/oder die Berechtigung einer Abmahnung in einem späteren Kündigungsschutzprozess nachprüfen zu lassen. Das Rechtschutzinteresse an der Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte ist darin zu sehen, dass eine unberechtigte Abmahnung die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein kann und eine solche Gefahr seit ihrer Einfügung in die Personalakte besteht (BAG, 05.08.1992 - 5 AZR 531/01 - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 8; BAG, 14.09.1994 - 5 AZR 632/93 - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 13; BAG, 15.04.1999 - 7 AZR 716/97 - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 22; BAG, 11.12.2001 - 9 AZR 464/00 - AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 8; KR/Fischermeier, 8. Aufl., § 626 BGB Rn. 282 f; APS/Dörner, 3. Aufl., § 1 KSchG Rn. 415; ErfK/Dietrich, 9. Aufl., Art. 2 GG Rn. 101; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rn. 10 m.w.N.).

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Entfernung der ihm erteilten Abmahnungen aus der Personalakte.

a) Ein Entfernungsanspruch ist immer dann gegeben, wenn die Abmahnung nach Form und Inhalt geeignet ist, den Arbeitnehmer in seiner Rechtstellung zu beeinträchtigen. Eine Abmahnung muss dann aus den Personalakten entfernt werden, wenn sie Behauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsprechung und in seinem beruflichen Fortkommen unzulässig beeinträchtigen. Damit liegt ein objektiv rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht vor, der dem Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB einen Beseitigungsanspruch einräumt.

Die Rechtswidrigkeit einer Abmahnung kann darauf beruhen, dass der Arbeitgeber von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgeht, indem die vom Arbeitgeber angenommene Pflichtverletzung der Sache nach zwar abmahnungswürdig ist, der Arbeitnehmer aber diese Pflichtverletzung nicht begangen hat. Die Rechtswidrigkeit kann weiterhin auf einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung des Verhaltens des Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber beruhen, der Arbeitnehmer also das beanstandete Verhalten nachweisbar begangen hat, dieses aber entgegen der Auffassung des Arbeitgebers vertragsgemäß ist. Die Abmahnung kann auch deshalb rechtswidrig sein, weil sich der Arbeitgeber mit ihr zu seinem übrigen Verhalten, aus dem der Arbeitnehmer entnehmen konnte, der Arbeitgeber werde über seine Handlungsweise hinwegsehen, in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise in Widerspruch setzt.

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind sämtliche dem Kläger erteilten Abmahnungen vom 22.02.2008, 04.03.2008, 07.03.2008 und 14.03.2008 unwirksam und aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

aa) In sämtlichen Abmahnungen wird dem Kläger u.a. ein Verstoß gegen seine Pflichten als Betriebsratsmitglied vorgeworfen.

Richtig ist zwar, dass eine Pflichtverletzung durch ein Betriebsratsmitglied als Gegenstand einer Abmahnung in Betracht kommen kann, wenn das Betriebsratsmitglied zumindest auch seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hat. Umgekehrt ist, wenn das Verhalten eines Arbeitnehmers zugleich auch eine Verletzung seiner Pflicht als Betriebsratsmitglied darstellt, eine Abmahnung wegen der Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten nicht ausgeschlossen (BAG, 15.07.1992 - 7 AZR 466/91 - AP BGB § 611 Abmahnung Nr. 9; BAG, 10.11.1993 - 7 AZR 682/92 - AP BetrVG 1972 § 78 Nr. 4 m.w.N.).

Dennoch erscheint zweifelhaft, ob einem Betriebsratsmitglied wegen Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten vom Arbeitgeber eine Abmahnung erteilt werden kann. Überwiegend wird in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur wohl die Auffassung vertreten, dass ein Arbeitgeber gar nicht berechtigt ist, dem Betriebsrat wegen betriebsverfassungswidrigen Verhaltens eine förmliche Abmahnung zu erteilen (LAG Düsseldorf, 23.02.1993 - 8 TaBV 245/92 - LAGE BetrVG 1972 § 23 Nr. 31; LAG Berlin, 23.02.1988 - 8 Sa 124/87 - DB 1988, 863; LAG Hamm, 03.11.1987 - 13 Sa 96/87 - LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 9; Schaub/Linck, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl., § 122 Rn. 7; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 24. Aufl., § 23 Rn. 17 a; ErfK/Eisemann/Koch, aaO, § 23 BetrVG Rn. 4; GK-Oetker, BetrVG, 8. Aufl., § 23 Rn. 45; APS/Dörner, 3. Aufl., § 1 KSchG Rn. 360; Fischer, NZA 1996, 633; Kammerer, Abmahnung, 3. Aufl., Rn. 509, ders., AR-Blattei, SD 20 Rn. 230; Kleinebrink, Abmahnung, Rn. 446, 448; Beckerle, Die Abmahnung, 9. Aufl., Rn. 332; a.A.: Arbeitsgericht Hildesheim, 01.03.1996 - 1 BV 10/95 - AuR 1997, 336; Kania, DB 1996, 374; ders., NZA 1996, 970; Däubler/Kittner/Klebe/Trittin, BetrVG, 11. Aufl., § 23 Rn. 45; Schleusener, NZA 2001, 640).

Ob allein die von der Beklagten vorgenommene Rüge betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten in den betroffenen Abmahnungen zu deren Unwirksamkeit führt, hat die Berufungskammer jedoch offengelassen. Sämtliche Abmahnungen sind bereits aus anderen Gründen unwirksam.

bb) Die Beklagte rügt in den dem Kläger erteilten Abmahnungen zu Unrecht die Nichteinhaltung einer bestimmten Anwesenheitszeit durch den Kläger am 12.02.2008, 15.02.2008, 05.03.2008 und 10.03.2008.

(1) Ob freigestellte Betriebsratsmitglieder bestimmte Arbeitszeiten einhalten müssen und welche Maßstäbe für die zeitliche Lage der Anwesenheit der freigestellten Betriebsratsmitglieder im Betrieb gelten, wird unterschiedlich beurteilt.

Überwiegend wird die Auffassung vertreten, freigestellte Betriebsratsmitglieder hätten grundsätzlich eine betriebsübliche Arbeitszeit einzuhalten, sie müssten während der üblichen Arbeitszeiten im Betrieb anwesend sein und sich dort für anfallende Betriebsratstätigkeiten bereithalten. Der Arbeitgeber darf dem freigestellten Betriebsratsmitglied keine bestimmten Anwesenheitszeiten vorschreiben, sofern das Betriebsratsmitglied seine Tätigkeit während der betriebsüblichen Arbeitszeit verrichtet. Wann und in welcher Weise das freigestellte Betriebsratsmitglied seine Betriebsratstätigkeit ausübt, ist grundsätzlich von ihm allein nach freiem Ermessen festzulegen. Das freigestellte Betriebsratsmitglied muss während der betriebsüblichen Arbeitszeit im Betrieb erreichbar sein und sich für erforderliche Betriebsratsarbeit zur Verfügung stellen, es kann die Betriebsratstätigkeit im Rahmen der allgemeinen Vorgaben grundsätzlich so einteilen, wie es seiner Ansicht nach für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben erforderlich ist (LAG Düsseldorf, 26.05.1993 - 18 Sa 303/93 - LAGE BetrVG 1972 § 38 Nr. 6; LAG Rheinland-Pfalz, 08.11.2007 - 9 TaBV 37/07 - n.v.; Arbeitsgericht Nienburg, 20.10.1999 - 1 Ca 242/99 - LAGE BetrVG 1972 § 38 Nr. 10; Fitting, aaO, § 38 Nr. 77; DKK/Wedde, aaO, § 38 Rn. 62 Richardi/Thüsing, BetrVG, 11. Aufl., § 38 Rn. 49; ErfK/Eisemann, aaO., § 38 BetrVG Rn. 10; Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 3. Aufl., § 38 Rn. 36). Demgegenüber wird auch vertreten, dass auch das freigestellte Betriebsratsmitglied die Lage seiner Betriebsratsarbeit nicht einseitig festlegen könne, auch wenn dies zweckmäßig sei. Es bedürfe vielmehr zur Abänderung der Lage der Arbeitszeit einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber (GK/Weber, aaO, § 38 Rn. 77; Joost, MünchArbR, 2. Aufl., § 308 Rn. 83).

Auch die Berufungskammer hält die überwiegend vertretene Auffassung für zutreffend. Nach § 38 BetrVG ist ein Betriebsratsmitglied nur von seiner beruflichen Tätigkeit, d.h. der Pflicht zur vertraglichen Arbeitsleistung, freigestellt; es muss sich aber für anfallende Betriebsratstätigkeiten bereithalten. Der Freistellung des § 38 Abs. 1 BetrVG liegt die Vermutung des Gesetzgebers zugrunde, in Betrieben der dort genannten Größenordnung falle erforderliche Betriebsratstätigkeit i.S.d. § 37 Abs. 2 BetrVG regelmäßig in einem solchen Umfang an, dass sie die Arbeitszeit eines oder mehrerer Betriebsratsmitglieder voll in Anspruch nimmt. Die Freistellung gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG dient danach allein der Wahrnehmung anfallender Betriebsratsaufgaben. Deshalb muss auch das freigestellte Betriebsratsmitglied grundsätzlich im Betrieb erreichbar sein und für erforderliche Betriebsratsarbeit zur Verfügung stehen, weil hierfür sonst an seiner Stelle zur Erledigung sonstiger Arbeiten ein anderes - nicht freigestelltes - Betriebsratsmitglied herangezogen werden müsste (vgl. BAG, 31.05.1989 - 7 AZR 277/88 - AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 9; BAG, 17.10.1990 - 7 ABR 69/89 - AP BetrVG 1972 § 108 Nr. 8; BAG, 28.08.1991 - 7 ABR 46/90 - AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 39). Hieraus ergibt sich, dass der Arbeitgeber nicht einseitig einfordern kann, in welcher Weise der Verpflichtung zur betriebsratlichen Tätigkeit nachgekommen wird (Natzel, NZA 2000, 77). Freigestellte Betriebsratsmitglieder unterliegen auch hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit nicht mehr dem Direktionsrecht des Arbeitgebers (BAG, 23.06.1983 - 6 ABR 65/80 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 45; Fitting, aaO, § 38 Rn. 77, DKK/Wedde, aaO, § 38 Rn. 62; ErfK/Eisemann, aaO, § 38 BetrVG Rn. 10 m.w.N.).

(2) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann dem Kläger ein Verstoß gegen bestimmte Anwesenheitszeiten am 12.02.2008, 15.02.2008, 05.03.2008 und 10.03.2008 nicht vorgeworfen werden.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass die Einhaltung bestimmter Kernarbeitszeiten zwischen den Parteien nicht ausdrücklich vereinbart worden ist. Zwar haben der Betriebsratsvorsitzende und der Kläger nach ihrer Freistellung mit Schreiben vom 10.05.2006 (Bl. 87 d.A.) bestimmte Kernarbeitszeiten, nämlich von 7.00 Uhr bis 15.00 Uhr und von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr vorgeschlagen. In dem Vorschlag vom 10.05.2006 ist aber bereits eine Einschränkung insoweit vorhanden, als dem Vorschlag der Zusatz "zuzüglich eventueller Pausen" hinzugefügt worden ist. Bereits hieraus ergibt sich, dass kein verbindliches Angebot durch den Kläger und den Betriebsratsvorsitzenden auf präziser Einhaltung einer Kernarbeitszeit vorgelegen hat.

Dass zwischen den Parteien aufgrund des Schreibens vom 10.05.2006 eine Vereinbarung des Inhalts zustande gekommen ist, dass die beiden freigestellten Betriebsratsmitglieder die vorgeschlagenen Kernarbeitszeiten von 7.00 Uhr bis 15.00 Uhr und von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr strikt einzuhalten hätten, konnte auch die Berufungskammer nicht annehmen. In welcher Weise die Annahme des Vorschlags des Betriebsrats vom 10.05.2006 durch die Arbeitgeberin erfolgt ist, ist auch im Berufungsverfahren von der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen worden. Aus dem Vorbringen der Beklagten in erster Instanz und im Berufungsverfahren ergibt sich lediglich insoweit, dass regelmäßig ein freigestelltes Betriebsratsmitglied während der Frühschicht und das andere Betriebsratsmitglied während der Spätschicht im Betrieb anwesend sein würde. Anders kann die im Berufungsverfahren seitens der Beklagten aufgestellte Behauptung, die Beklagte könne mit dem Vorschlag des Betriebsrats "durchaus leben", nicht verstanden werden.

Diese Wertung durch die Berufungskammer wird durch die tatsächliche Handhabung der Anwesenheit des Klägers im Betrieb sowie durch das nachträgliche Verhalten der Vertragspartner, das Anhaltspunkte für den tatsächlichen Vertragswillen der Parteien enthalten kann und somit für die Auslegung von Bedeutung ist (BAG, 30.01.1991 - 7 AZR 497/89 - AP AÜG § 10 Nr. 8; BAG, 29.07.2003 - 9 AZR 100/02 - AP BGB § 611 Nettolohn Nr. 15; BAG, 23.11.2004 - 2 AZR 24/04 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132), belegt. Zu keinem Zeitpunkt sind bestimmte Anwesenheitszeiten von 7.00 Uhr bis 15.00 Uhr und von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr strikt und präzise vom Kläger eingehalten worden. Seit seiner Freistellung ist für den Kläger durch die Beklagte ein Gleitzeitkonto geführt worden. Dies ergibt sich aus den vom Kläger vorgelegten Zeiterfassungsnachweisen über seine Anwesenheitszeiten (Bl. 162 ff d.A.). Die Schichtzeiten für die Mitarbeiter in der Produktion hat der Kläger seit Mai 2006 lediglich im Groben eingehalten. Aus der Aufstellung über die Zeiten des Anstempelns und Ausstempelns (Bl. 212 f d.A.) ergibt sich vielmehr, dass der Kläger überwiegend morgens erst ab 8.00 Uhr/8.30 Uhr bzw. 11.00 Uhr/11.30 Uhr im Betrieb anwesend gewesen ist und den Betrieb überwiegend zwischen 16.30 Uhr und 17.00 Uhr bzw. 19.30 Uhr und 20.00 Uhr verlassen hat. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen erweisen darüber hinaus, dass der Kläger häufiger Minusstunden von mehr als einer Stunde bis 5,75 Stunden aufzuweisen hatte (Bl. 214 d.A.), die von der Beklagten nicht moniert worden sind, weil sie durch Plusstunden zu anderen Zeiten wieder ausgeglichen wurden. Auch die im vorliegenden Fall streitigen Abwesenheitszeiten vom 12. und 15.02.2008 und vom 05. und 10.03.2008 sind zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausgeglichen worden. Das Gleitzeitkonto für den Kläger wies jedenfalls für die Monate ab März 2008 keinen Minussaldo auf.

Unter diesen Umständen kann dem Kläger ein Verstoß gegen bestimmte Anwesenheitszeiten nicht vorgeworfen werden. Eine klare, eindeutige Regelung, welche Anwesenheitszeiten für den Kläger gelten, besteht jedenfalls nicht. Eine Abmahnung kann ihrem Zweck nicht gerecht werden, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien unklar ist, welche konkrete Handlungspflicht den Arbeitnehmer in einer bestimmten Situation trifft, weil der Arbeitgeber es versäumt hat, erforderliche präzise Vorgaben zu machen.

In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger am 12.02.2008, am 15.02.2008 und am 10.03.2008 für die Zeit seiner Abwesenheit im Betrieb ausgestempelt hat. Am 12.02. und 10.03.2008 hat er sich sogar vor Verlassen des Betriebes sich bei der Beklagten abgemeldet, ohne dass hiergegen seitens der Beklagten Einwände erhoben worden sind. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass während der Abwesenheitszeiten erforderliche Betriebsratsarbeit liegengeblieben ist oder Betriebsratsarbeit im Betrieb nicht möglich gewesen sein soll.

cc) Selbst wenn mit der Beklagten davon ausgegangen würde, dass der Kläger sich am 12.02.2008, am 15.02.2008, am 05.03.2008 und am 10.03.2008 eines Verstoßes gegen seine Anwesenheitspflicht schuldig gemacht hat, wären die dem Kläger insoweit erteilten Abmahnungen nicht gerechtfertigt. Sie verstoßen nämlich gegen das Maßregelungsverbot in Ziffer IX. c) des Verhandlungsergebnisses zwischen den Tarifvertragsparteien vom 11.03.2008.

Tarifliche Maßregelungsverbote, die im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen vereinbart werden, schützten vor Sanktionen durch den Arbeitgeber und dienen der endgültigen Beendigung eines Arbeitskampfes, sie erweitern das gesetzlich Maßregelungsverbot des § 612 a BGB (BAG, 13.07.1993 - 1 AZR 676/92 - AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 127, unter IV. 3. der Gründe; BAG, 17.06.1997 - 1 AZR 674/96 - AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 150, unter II. 1. der Gründe; Kissel, Arbeitskampfrecht, § 46 Rz. 76). Regelmäßig umfasst ein derartiges tarifliches Maßregelungsverbot auch rechtswidrige Kampfmaßnahmen, soweit es sich nicht um schwerwiegende Streikexzesse handelt (Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 17 Rn. 27; vgl. auch LAG Köln, 22.11.2004 - 2 Sa 684/04 - AR-Blattei ES 170.1 Nr. 50).

Die Voraussetzungen von Ziffer IX. c) des Verhandlungsergebnisses vom 11.03.2008 liegen vor. Der Kläger hat durch sein Verhalten, das die Beklagte in den Abmahnungen vom 22.02.2008, 04.03.2008, 07.03.2008 und 14.03.2008 gerügt hat, sich an Aktionen beteiligt, die im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung stattgefunden haben.

Die Maßregelungsvereinbarung vom 11.03.2008 ist außerordentlich weit gefasst. Sie er-streckt sich nicht nur auf die Teilnahme an Warnstreiks und Aussperrungen und entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht lediglich auf Streikmaßnahmen außerhalb der Friedenspflicht. Sämtliche Aktionen, die im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung stattgefunden haben, sollen ohne Nachteile für die Beschäftigten bleiben. Zu diesen Nachteilen gehören auch Abmahnungen, die im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung erteilt werden (so ausdrücklich: LAG Hamm, 14.11.2001 - 18 Sa 530/01 - AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 159 = NZA-RR 2002, 367 zu einer gleichlautenden Maßregelungsvereinbarung).

Hiernach hat der Kläger nicht nur am 05.03.2008 und 10.03.2008, sondern auch am 12.02.2008 und am 15.02.2008 an Aktionen teilgenommen, die im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung stattgefunden haben. Die Verteilung von Flugblättern am 05.03.2008, in denen im Betrieb der Beklagten für den 06.03.2008 zum Warnstreik aufgerufen wurde, stellt ersichtlich eine derartige Aktion, die von der Maßregelungsvereinbarung vom 11.03.2008 erfasst wird, dar. Das Gleiche gilt für die Teilnahme des Klägers an Sitzungen der IG Metall vom 10.03.2008 und auch vom 12.02.2008. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass Gegenstand dieser Sitzungen die Tarifauseinandersetzung in der Textilindustrie gewesen ist. Die Berufungskammer geht darüber hinaus davon aus, dass die Sitzung der IG Metall vom 12.02.2008 der Vorbereitung eines eventuellen Warnstreiks im Betrieb der Beklagten diente. Auch die Flugblätter, die der Kläger am 15.02.2008 verteilte (Bl. 97 d.A.). hatten die Tarifauseinandersetzung in der Textilindustrie, der die Beklagte verbandsmäßig angeschlossen ist, zum Gegenstand. Dies ist nach der außerordentlich weiten Fassung der Maßregelungsvereinbarung vom 11.03.2008 ausreichend.

II

Der Kläger, hat wie das Arbeitsgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat, auch einen Anspruch auf Zahlung der in der Lohnabrechnung für Februar 2008 einbehaltenen Vergütung in Höhe von 18,35 € brutto.

Dieser Anspruch folgt aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag. Richtig ist zwar, dass der Kläger für die Zeit, in der er am 15.02.2008 ausgestempelt hat, keinen Anspruch auf Zahlung eines entsprechenden Arbeitsentgeltes hatte. Dieser Anspruch ist aber auch nicht Gegenstand des Zahlungsbegehrens des Klägers. Der Kläger macht vielmehr die Zahlung eines von der Beklagten unrechtmäßig einbehaltenen Betrages geltend. Woraus sich die Zahlung eines Gegenanspruches der Beklagten gegenüber dem Kläger ergeben sollte, mit dem die Beklagte gegenüber dem Entgeltanspruch des Klägers für Februar 2008 aufrechnen konnte, ist von der Beklagten nicht dargelegt worden. Zwischen den Parteien bestand keine Vereinbarung, wonach der Kläger eine bestimmte Mindestanwesenheitszeit am 15.02.2008 einzuhalten hatte.

III

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz nicht geändert, § 63 GKG.

Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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