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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.04.2006
Aktenzeichen: 10 Sa 929/05
Rechtsgebiete: KschG


Vorschriften:

KschG § 1 Abs. 2
KschG § 1 Abs. 3
KschG §§ 17 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 14.03.2005 - 5 (1) Ca 1737/04 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am 01.11.12xx geborene Kläger ist verheiratet und hat ein unterhaltspflichtiges Kind. Nach seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann war er seit dem 01.08.1998 aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 17.06.1998 (Bl. 171 d.A.) bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 2.251,00 € tätig.

Die Beklagte betreibt eine Wirtschaftsauskunftei nebst einem Inkassounternehmen. Seit 1980 war sie Mitglied der O1xxxxxxxxxx "B1xxxx W1xxxxxxxxx-I1xxxxxxxxxxx G3xx & C1. K3" (B3x), über die sie Daten für die Erstellung von Wirtschaftsauskünften an ihre Kunden bezog. Die Beklagte hatte ihrerseits im Zuge des Partnerschaftsvertrages mit der B3x entsprechende Daten in dem von ihr betreuten Kundenbezirk zu ermitteln und in eine Datenbank der B3x einzupflegen. Die Tätigkeit des Klägers bei der Beklagten umfasste eben diese Recherche von Handels- und Wirtschaftsinformationen bei öffentlich zugänglichen Registern, die Selbstbefragung von Unternehmen zur Erlangung dieser Informationen, die Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse, die Eingabe in die Datenbank, die Betreuung von Kunden im Bereich der Wirtschaftsinformation sowie die Bewerbung von Neukunden im Auskunftsbereich.

Der Partnerschaftsvertrag zwischen der Beklagten und der B3x wurde von dieser am 18.11.2003 zum 31.12.2004 gekündigt (Bl. 26 d.A.). Infolge der Kündigung des Partnerschaftsvertrages ist es der Beklagten nicht mehr möglich, nach dem 31.12.2004 ihren Kunden B1xxxx-Wirtschaftsauskünfte zur Verfügung zu stellen.

Neben der Wirtschaftsauskunftei unterhält die Beklagte eine Inkassoabteilung. Diese beschäftigt sich ausschließlich mit dem Beitreiben von Forderungen, insbesondere im Wege der Zwangsvollstreckung. Daneben beschäftigt die Beklagte noch sogenannte Archivkräfte, die für das Archivieren, Transportieren und Versenden des entsprechenden Schriftverkehrs zuständig sind. Schließlich gibt es eine Vertriebsabteilung, die Buchhaltung sowie eine EDV-Abteilung.

In der Inkassoabteilung bei der Beklagten ist ein Herr W2xxxxx beschäftigt, der über keine Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten-Ausbildung verfügt. Seine Tätigkeit besteht darin, die in der Inkassoabteilung aus der Sachbearbeitung gegebenenfalls resultierende Ermittlungsarbeit bei Handelsregistern, in Schuldnerkarteien und Gewerberegistern zu erledigen. Herr W2xxxxx ist am 13.14.15xx geboren, ledig, alleinstehend und seit dem 01.04.1997 bei der Beklagten tätig.

Ferner ist bei der Beklagten Herr N2xxx, geboren am 21.02.16xx, verheiratet, einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet, seit dem 01.05.1999 im Bereich Vertrieb und EDV beschäftigt.

Während seiner Tätigkeit für die Beklagte war der Kläger in der Vergangenheit für etwa drei Monate auch in der Inkassoabteilung eingesetzt.

Mit Schreiben vom 30.06.2004 (Bl. 4 d. A.) kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.12.2004 wegen Wegfall des Geschäftszweiges "B1xxxx".

Gegen diese Kündigung wendete sich der Kläger mit der am 22.07.2004 zum Arbeitsgericht erhobenen Klage, die der Beklagten am 30.07.2004 zugestellt wurde.

Ob der Kläger mit den von der Beklagten weiterbeschäftigten Mitarbeitern, insbesondere mit den Mitarbeitern aus der Inkassoabteilung, vergleichbar ist, ist zwischen den Parteien streitig. Zum 01.01.2005 wechselten zwei Mitarbeiterinnen, Frau O2xxxx und Frau G1xxx, die jeweils über eine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte verfügen, von der aufgelösten Abteilung Auskunft/Recherche als Teilzeitkraft in die Inkassoabteilung.

Am 26.08.2004 erstattete die Beklagte bei der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit H1xx, eine Massenentlassungsanzeige. Darauf antwortete die Agentur für Arbeit mit Schreiben vom 27.08.2004 (Bl. 150 d. A.). Auf Grund des Schreibens der Agentur für Arbeit vom 27.08.2004 nahm die Beklagte am 27.10.2004 eine weitere Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit vor, die unter dem 06.11.2004 (Bl. 149 d. A) positiv beschieden wurde.

Seit dem 01.01.2005 ist der Kläger bei der B1xxxx-W3xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx GmbH & Co. KG beschäftigt. Ein Angebot der Beklagten, die Tätigkeit des Mitarbeiters N2xxx, der kurzfristig aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 31.01.2005 ausgeschieden war, zu übernehmen, nahm der Kläger bislang nicht an.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die ausgesprochene Kündigung vom 30.06.2004 sozial ungerechtfertigt. Die Sozialauswahl sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Er sei sowohl mit den Mitarbeitern in der Inkassoabteilung wie auch mit den Vertriebsmitarbeitern vergleichbar. Eine Ausbildung zum Rechtsanwalt- und Notargehilfen sei für eine Tätigkeit in der Inkassoabteilung nicht erforderlich. Entsprechende Kenntnisse könne der Kläger in einer kurzen Schulungs- und Einarbeitungszeit erlernen. Auch könne er im Bereich Vertrieb tätig werden. Insbesondere sei er insoweit mit dem Mitarbeiter N2xxx vergleichbar.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2004 nicht beendet wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht;

3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und/oder zu 2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Angestellten weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat insbesondere die Auffassung vertreten, eine Vergleichbarkeit des Klägers mit den in der Inkassoabteilung beschäftigten Mitarbeitern scheide aus. Insofern fehle es dem Kläger an einer entsprechenden Ausbildung. Er habe keine Kenntnisse im Bereich des Mahn- und Zwangsvollstreckungsrechts und könne sich diese auch nicht in zumutbarer Zeit aneignen. In der Inkassoabteilung seien ausschließlich Rechtsanwaltsfachangestellte beschäftigt. Eine Ausnahme hiervon stelle Herr B2xx dar. Dieser sei jedoch von der Beklagten ausgebildet worden und über ein Jahr lang im Inkassobereich weiter eingearbeitet worden. Von den Mitarbeitern im Inkassobereich müsse verlangt werden, dass diese in der Lage seien, festzustellen, ob Forderungen überhaupt noch durchsetzbar seien, welche Forderungsbestandteile im nachfolgenden gerichtlichen Mahnverfahren wie geltend zu machen seien und wann , ob und wie die Zwangsvollstreckung durchzuführen sei. Hierzu sei eine Einarbeitungszeit von mehr als sechs Monaten erforderlich. Richtig sei zwar, dass Frau O2xxxx und Frau G1xxx in die Inkassoabteilung versetzt worden seien, beide seien jedoch ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und verfügten daher über entsprechende Kenntnisse im Mahn- und Zwangsvollstreckungsrecht. Auch mit Herrn W2xxxxx sei der Kläger nicht vergleichbar. Dieser sei lediglich formal der Inkassoabteilung zugeordnet, verrichte jedoch lediglich einfache Ermittlungstätigkeiten. Bei der Vertriebstätigkeit handele es sich um eine Außendiensttätigkeit, die dem Kläger, der ausschließlich im Innendienst eingesetzt sei, nicht im Wege des Direktionsrechts hätte übertragen werden können. Auch insoweit fehle es an einer Vergleichbarkeit.

Durch Urteil vom 14.03.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei auf Grund des Wegfalls der Wirtschaftsauskunftsabteilung sozial gerechtfertigt. Die Kündigung sei auch nicht wegen mangelnder Sozialauswahl unwirksam. Mit den Mitarbeitern in der Inkassoabteilung sei der Kläger nicht vergleichbar, es fehle bereits an einer erforderlichen kurzen Einarbeitungszeit. Der Kläger sei auch nicht mit den Mitarbeitern W2xxxxx und N2xxx sowie mit den Mitarbeitern im Vertriebsaußendienst vergleichbar.

Gegen das dem Kläger am 07.04.2005 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat der Kläger am 06.05.2005 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 02.06.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger ist der Auffassung, die Sozialauswahl sei unzutreffend, weil der Kläger innerhalb der sechsmonatigen Kündigungsfrist sehr wohl in das Inkassowesen hätte eingearbeitet werden können. Mit den Mitarbeitern in der Inkassoabteilung sei er sehr wohl vergleichbar. Die in der Inkassoabteilung tätigen Mitarbeiter seien teilweise weniger sozial schutzwürdig als er, der Kläger. Insoweit habe das Arbeitsgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass er bereits in der Vergangenheit für drei Monate im Inkassobereich tätig gewesen sei, die Inkassotätigkeit sei dem Kläger nicht völlig fremd. Dies ergebe sich auch daraus, dass zwei Mitarbeiter aus dem Auskunftsbereich in die Inkassoabteilung gewechselt seien.

Schließlich sei er auch mit dem Mitarbeiter W2xxxxx vergleichbar.

Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass er, der Kläger, die ihm angebotene Tätigkeit des inzwischen ausgeschiedenen Mitarbeiters N2xxx nicht angenommen habe. Das Angebot der Beklagten sei unzureichend und zu kurzfristig gewesen. Immerhin habe er, der Kläger, gegenüber seinem neuen Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von 14 Tagen einzuhalten gehabt.

Mit Schriftsatz vom 16.06.2005 hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.06.2004 auch damit begründet, dass vor Ausspruch der Kündigung vom 30.06.2005 keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige erstattet worden sei. Die Massenentlassungsanzeige der Beklagten vom 26.08.2004 sei erst nach Ausspruch der Kündigung erstattet worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 14.03.2005 - 5 (1) Ca 1737/04 - teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2004 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist nach wie vor der Auffassung, dass der Kläger mit den Mitarbeitern in der Inkassoabteilung nicht vergleichbar sei, weil dort eine Einarbeitungszeit von mehr als sechs Monaten erforderlich sei. Auch der Mitarbeiter B2xx sei mehr als ein Jahr lang eingearbeitet worden. Darüber hinaus habe sich auch nach dem Wechsel der beiden Mitarbeiterinnen, die auf eine Ausbildung als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte zurückblicken könnten, ergeben, dass es einer Einarbeitungszeit von mehr als sechs Monaten bedürfe.

Der Kläger könne sich auch nicht auf seinen früheren Einsatz im Inkassobereich berufen. Während dieser Tätigkeit habe der Kläger keine Sachbearbeitung durchgeführt, sondern lediglich eine Telefonbetreuung bei Kunden gemacht und versuchte, diese zur Zahlung zu bewegen. Bei dem Einsatz des Klägers im Inkassobereich habe es sich lediglich um eine vorübergehende Aktion gehandelt, die zudem nicht erfolgreich gewesen sei.

Bezeichnend sei auch, dass der Kläger das Angebot der Beklagten, die Tätigkeit des zum 31.01.2005 kurzfristig ausgeschiedenen Mitarbeiters N2xxx zu übernehmen, nicht angenommen habe.

Die Beklagte ist schließlich der Auffassung, dass die Rüge der unzulässigen Massenentlassungsanzeige des Klägers verspätet sei. Im Übrigen sei die Verfahrensweise der Beklagten, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der Handhabung durch die Agentur für Arbeit entspreche, nicht zu beanstanden.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Die gegen die Kündigung vom 30.06.2004 gerichtete Kündigungsschutzklage ist nämlich unbegründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2004 wirksam zum 31.12.2004 aufgelöst worden. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

I.

Die Unwirksamkeit der Kündigung ergibt sich nicht aus § 1 Abs. 1 KSchG. Die Kündigung vom 30.06.2004 ist vielmehr nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt, weil sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt ist.

Sowohl die Beschäftigungszeit des Klägers im Betrieb der Beklagten als auch die Größe des Betriebes der Beklagten rechtfertigen die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes, §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG.

Die Kündigungsschutzklage ist auch rechtzeitig erhoben worden, § 4 KSchG.

1. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, vorlagen, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Arbeitsplatz des Klägers aufgrund der Beendigung des Partnerschaftsvertrages zwischen der Beklagten und der B3x zum 31.12.2004 weggefallen ist. Der Kläger war nach dem Arbeitsvertrag vom 17.06.1998 in der Abteilung Wirtschaftsauskunftei der Beklagten beschäftigt. Durch die Kündigung des Partnerschaftsvertrages mit der B3x ist die Tätigkeit in dieser Abteilung vollständig aufgelöst worden, der Arbeitsplatz des Klägers ist damit weggefallen.

Zwischen den Parteien ist auch unstreitig, dass der Kläger nicht auf einem anderen freien Arbeitsplatz bei der Beklagten weiterbeschäftigt werden konnte.

2. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist die Kündigung auch nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam.

a) Nach § 1 Abs. 3 KSchG ist die vom Arbeitgeber zu treffende Sozialauswahl streng betriebsbezogen und auch bei einer entsprechenden Ausweitung des Direktionsrechts des Arbeitgebers grundsätzlich nicht unternehmensbezogen. Auch eine Beschränkung auf einzelne Betriebsteile oder Betriebsabteilungen scheidet aus (BAG, Urteil vom 17.02.2000 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 46; BAG, Urteil vom 02.06.2005 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 73).

Dabei bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen. An einer Vergleichbarkeit fehlt es jedoch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (vgl. zuletzt: BAG, Urteil vom 17.02.2000 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 46; BAG, Urteil vom 05.12.2002 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60; BAG, Urteil vom 23.11.2004 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 70; BAG, Urteil vom 02.06.2005 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 75; ErfK/Ascheid, 6. Aufl., § 1 KSchG Rz. 481; KR/Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG Rz. 621 m.w.N.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger mit den Mitarbeitern in der Inkassoabteilung der Beklagten vergleichbar ist. Der Kläger geht auch nach dem Berufungsvorbringen selbst von einer Einarbeitungszeit von sechs Monaten aus, die seiner Kündigungsfrist entsprach. Eine derartige Einarbeitungszeit von etwa sechs Monaten ist aber zu lang, um eine Vergleichbarkeit in dem oben genannten Sinne annehmen zu können. Das Bundesarbeitsgericht hat in der bisherigen Rechtsprechung selbst eine Einarbeitungszeit von drei Monaten als zu lang angesehen (BAG, Urteil vom 05.05.1994 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 23 - unter II. 3. c) der Gründe; ErfK/Ascheid, a.a.O., § 1 KSchG Rz. 480; KR/Etzel, a.a.O., § 1 KSchG Rz. 620). In diesem Zusammenhang ist auch nicht entscheidungserheblich, dass der Kläger in der Vergangenheit schon einmal für kurze Zeit - drei Monate - in der Inkassoabteilung tätig gewesen ist. Dieser Umstand ist für die Beurteilung der Vergleichbarkeit unerheblich. Zwischen den Parteien ist nämlich unstreitig, dass der Kläger während seines Einsatzes in der Inkassoabteilung nicht mit Sachbearbeitungstätigkeiten betraut gewesen ist. Er hat dort lediglich eine Telefonbetreuung von Kunden vorgenommen, so dass zu seinen Gunsten auch keine kürzere Einarbeitungszeit angenommen werden konnte.

c) Das Arbeitsgericht ist in der angefochtenen Entscheidung auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger auch nicht mit den Mitarbeitern im Vertriebsaußendienst sowie konkret mit den Mitarbeitern N2xxx und W2xxxxx vergleichbar gewesen ist.

Eine Vergleichbarkeit mit den Mitarbeitern der Beklagten im Vertriebsaußendienst scheidet schon deshalb aus, weil dem Kläger eine Tätigkeit im Außendienst nach seinem Arbeitsvertrag nicht im Wege des Direktionsrechts zugewiesen werden konnte. In der Berufungsinstanz hat sich der Kläger hierauf auch nicht mehr berufen.

Der Kläger ist auch nicht mit den Mitarbeitern W2xxxxx und N2xxx vergleichbar. Auch insoweit fehlt es an der Gleichwertigkeit der Tätigkeit. Das Arbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass Herr W2xxxxx lediglich recherchiert und eine darüber hinausgehende Transferleistung, wie sie vom Kläger im Rahmen einer Unternehmensbewertung vorgenommen worden ist, nicht vornimmt. Herr N2xxx verrichtete demgegenüber auch Tätigkeiten im Bereich der EDV. Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen, dass er entsprechende Tätigkeiten verrichten kann.

d) Selbst wenn zu Gunsten des Klägers von seiner Vergleichbarkeit mit den Mitarbeitern W2xxxxx und N2xxx ausgegangen werden sollte, erweist sich die Kündigung vom 30.06.2004 nicht als sozialwidrig nach § 1 Abs. 3 KSchG. Die Beklagte hat nämlich bei der Auswahl der Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt. Es konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sozial schutzbedürftiger war als die Mitarbeiter W2xxxxx und N2xxx.

Nach dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG hat der Arbeitgeber die sozialen Gesichtspunkte "ausreichend" zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss nur vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG rügen können (BAG, Urteil vom 18.01.1990 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 19; BAG, Urteil vom 05.12.2002 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 59; BAG, Urteil vom 02.06.2005 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 75 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich nicht, dass der Kläger gegenüber den Mitarbeitern W2xxxxx und N2xxx deutlich sozial schutzwürdiger wäre.

Richtig ist zwar, dass der Kläger verheiratet und einem Kind unterhaltsverpflichtet ist, wohingegen der Mitarbeiter W2xxxxx ledig ist und keine Unterhaltsverpflichtungen hat. Demgegenüber ist der Mitarbeiter W2xxxxx aber - wenn auch nur geringfügig - länger bei der Beklagten beschäftigt als der Kläger, der Mitarbeiter W2xxxxx seit dem 01.04.1997, der Kläger seit dem 01.08.1998. Darüber hinaus ist Herr W2xxxxx auch deutlich älter als der Kläger, Herr W2xxxxx war zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers im 41. Lebensjahr, der Kläger erst im 34. Lebensjahr. Da nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keinem der im Gesetz genannten Kriterien für die Sozialauswahl eine Priorität gegenüber den anderen zukommt, spricht alles dafür, die soziale Auswahl zwischen dem Kläger und dem Mitarbeiter W2xxxxx im Ergebnis als ausreichend zu qualifizieren.

Dasselbe gilt für die Sozialauswahl zwischen dem Kläger und dem Mitarbeiter N2xxx. Herr N2xxx ist zwar knapp ein Jahr kürzer bei der Beklagten beschäftigt als der Kläger, er ist jedoch bei gleichen Unterhaltsverpflichtungen gut sechs Jahre älter als der Kläger, so dass auch insoweit soziale Aspekte von der Beklagten jedenfalls ausreichend berücksichtigt worden sind.

II.

Die Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.06.2004 ergibt sich auch nicht aus den §§ 17, 18 KSchG.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG muss ein Arbeitgeber der Agentur für Arbeit Anzeige erstatten, bevor er innerhalb von 30 Kalendertagen eine im Gesetz näher genannte Anzahl von Arbeitnehmern entlässt.

Zwar sind nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 (AP KSchG 1969 § 17 Nr. 18 = DB 2005, 454 = NZA 2005, 213) die Art. 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige der Agentur für Arbeit bereits vor dem Ausspruch der Kündigung erstatten muss, was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist.

Die Auslegung der Massenentlassungsrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof widerspricht aber der jahrzehntelang nahezu einhellig in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinung, dass unter "Entlassung" im Sinne der §§ 17, 18 KSchG, vor der die Massenentlassungsanzeige erstattet werden muss, nicht die Kündigungserklärung des Arbeitgebers, sondern die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint ist (BAG, Urteil vom 13.04.2000 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 13; BAG, Urteil vom 18.09.2003 - AP KSchG 1979 § 17 Nr. 14).

Seither ist in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur außerordentlich streitig, ob die §§ 17, 18 KSchG einer richtlinienkonformen Auslegung zugänglich sind (vgl. ArbG Bochum, Urteil vom 17.03.2005 - DB 2005, 1064 = NZA 2005, 587; ArbG Berlin, Urteil vom 01.03.2005 - NZA 2005, 585; Appel, DB 2005, 1002; Dornbusch/Wolff, BB 2005, 885; Nicolai, NZA 2005, 206; Osnabrügge, NJW 2005, 1093; Riesenhuber/Domröse NZA 2005, 568; andererseits: ArbG Krefeld, Urteil vom 14.04.2005 - NZA 2005, 582; ArbG Lörrach, Urteil vom 24.03.2005 - NZA 2005, 584; LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 - NZA-RR 2005, 412; LAG Köln, Urteil vom 10.05.2005 - ZIP 2005, 1524 = BB 2005, 1860; LAG Hamm, Urteil vom 08.07.2005 - NZA-RR 2005, 578; LAG Hessen, Urteil vom 20.04.2005 - NZA-RR 2005, 522; Bauer/Krieger/Powietzka, DB 2005, 445; dies., DB 2005, 1570; Ferme/Lipinsksi, ZIP 2005, 593; Bauer, FA 2005, 290 m.w.N.). Auch das Bundesarbeitsgericht hat eine richtlinienkonforme Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG für möglich gehalten, wonach nunmehr die Anzeige bei der Agentur für Arbeit rechtzeitig vor dem Ausspruch der Kündigungen erfolgen müssen (BAG, Urteil vom 23.03.2006 - 2 AZR 343/05 - Pressemitteilung Nr. 18/06).

Dennoch kann im vorliegenden Fall trotz fehlender Massenentlassungsanzeige vor dem Ausspruch der Kündigung vom 30.06.2004 nicht davon ausgegangen werden, dass die Kündigung vom 30.06.2004 unwirksam ist. Eine Unwirksamkeit der Kündigung kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil dem kündigenden Arbeitgeber, der Beklagten, Vertrauensschutz zu gewähren ist. Dies entspricht der ganz überwiegenden Auffassung der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte (LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 - ZIP 2005, 1153; LAG Köln, Urteil vom 10.05.2005 - ZIP 2005, 1524; LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 - NZA-RR 2005, 412; LAG Hamm, Urteil vom 08.07.2005 - NZA-RR 2005, 578) und nunmehr auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 23.03.2006 - Pressemitteilung Nr. 18/06). Dieser Rechtsprechung schließt sich auch die erkennende Kammer an. Arbeitgeber durften zumindest bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die durchgängige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit vertrauen, die eine Anzeige vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen ließen. Einem kündigenden Arbeitgeber können nicht rückwirkend Handlungspflichten auferlegt werden, mit denen er nicht zu rechnen brauchte und die er nachträglich auch nicht mehr erfüllen kann.

Der Umstand, dass die Beklagte die Massenentlassungsanzeige erst nach Ausspruch der Kündigung vom 30.06.2004 erstattet hat, führt nach alledem im vorliegenden Fall nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.06.2004. Auf die Frage, ob der Kläger diesen Unwirksamkeitsgrund überhaupt nach § 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig geltend gemacht hat, kam es danach schon nicht mehr an.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Berufungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz geändert, da die Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten vom Kläger nicht mehr weiterverfolgt worden ist. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt damit 6.753,00 €. Dies entspricht der Vierteljahresvergütung des Klägers, § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG.

Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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