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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.10.2005
Aktenzeichen: 10 TaBV 102/05
Rechtsgebiete: RVG, BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

RVG § 23 Abs. 3 S. 2
BetrVG § 111
ArbGG § 85 Abs. 2
Der Gegenstandswert eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens richtet sich regelmäßig nicht nach dem Schwierigkeitsgrad und/oder dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit.
Tenor:

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Beschwerdeverfahren im Allgemeinen und für den gerichtlichen Vergleich vom 15.07.2005 gem. §§ 33, 23 RVG auf 8.666,69 € festgesetzt.

Gründe: I. Im Ausgangsverfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat der antragstellende Betriebsrat von der Arbeitgeberin verlangt, bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich die Auslagerung des Betriebsteils "LRTV", der sich mit der Entsorgung, Lagerung und Verladung des Altpapiers befasst und dem 13 Staplerfahrer zugeordnet sind, zu unterlassen. Durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 18.05.2005 ist dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben worden. Die dagegen von der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde zum Landesarbeitsgericht führte im Anhörungstermin vom 15.07.2005 zu einem von den Beteiligten abgeschlossenen Vergleich, durch den eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Interessenausgleich wegen der Ausgliederung des Bereichs LRTV" eingerichtet wurde. Mit Schriftsatz vom 18.07.2005 baten die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats um Festsetzung des Gegenstandswertes auf 40.000,00 €. Dies entspreche den Festsetzungen bei einer einstweiligen Verfügung hinsichtlich der Durchführung einer Maßnahme vor Abschluss eines Interessenausgleichsverfahrens in gleichgelagerten Fällen. Auch im vorliegenden Verfahren müsse eine Vervielfältigung des Hilfsstreitwertes gemäß § 23 Abs. 3 RVG angenommen werden. Neben der Bedeutung der Sache müssten der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Verfahren als wesentliche und eigentliche bewertungsrelevante Umstände herangezogen werden. Auch im vorliegenden Fall hätte eine umfangreiche Prüfung eines Betriebsteilsübergangs sowie der Spaltung des Betriebes erfolgen müssen. Entsprechende Ausführungen seien in der ausführlichen achtseitigen Antragsschrift vorgenommen worden; dieser Aufwand sei ebenfalls bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen. Darüber hinaus hätten die Verhandlungen über einen Interessenausgleich/Sozialplan erhebliche Bedeutung sowohl für das Unternehmen wie auch für die betroffenen Arbeitnehmer. Anhaltspunkte für die Bewertung seien deshalb auch das Sozialplanvolumen und die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer. Die Bewertung könne nicht anhand der Staffel des § 17 KSchG vorgenommen werden. Dies hätte nämlich zur Folge, dass in größeren Betrieben der Gegenstandswert geringer ausfalle. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen. II. Der Gegenstandswert für das vorliegende Verfahren war gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (früher: § 8 Abs. 2 BRAGO) auf 8.666,69 € festzusetzen. Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art, soweit er nicht bereits feststeht, nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt auch im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Wo ein objektiver Wert festgestellt werden kann, kommt es in erster Linie auf die Feststellung dieses Wertes an. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus, dass die - wirtschaftliche und/oder finanzielle - Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstandes vielfach im Vordergrund der Bewertung stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 24.11.1994 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 50; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 194, 441 ff. m.w.N.). Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit steht im zugrunde liegenden Streitfall nicht fest im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. RVG. Dem vorliegenden Streitfall liegt keine vermögensrechtliche, sondern eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit zugrunde. Hiervon muss im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren immer dann ausgegangen werden, wenn um das Bestehen oder die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gestritten wird, weil dieses Begehren weder auf Geld noch auf eine geldwerte Leistung gerichtet ist und seine Grundlage auch nicht in einem Verhältnis steht, dem ein Vermögenswert zukommt (BAG, Beschluss vom 09.11.2004 - NZA 2005, 70; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 50). Da die Beteiligten im vorliegenden Verfahren darum gestritten haben, ob im Rahmen der §§ 111, 112 BetrVG die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gewahrt worden sind, handelte es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. Auch in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte ist in Fällen der vorliegenden Art stets der Ausgangswert des § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO (heute § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG) zugrunde gelegt worden (LAG Hamburg, Beschluss vom 06.01.1999 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 44; LAG Köln, Beschluss vom 09.06.1999 - NZA-RR 1999, 608; LAG Thüringen, Beschluss vom 28.07.1999 - AuR 2000, 39; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16.11.2000 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 47; LAG Sachsen, Beschluss vom 11.12.2001 - AuR 2003, 35). Dieser Bewertung haben sich auch die beim Landesarbeitsgericht Hamm zuständigen Beschwerdekammern angeschlossen. Wird in Verfahren der vorliegenden Art zunächst vom Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ausgegangen, ist dieser in Relation zu setzen mit dem Grundfall einer Betriebsänderung durch Personalabbau. Nicht nur die wirtschaftlichen Auswirkungen des Verfahrens auf die betroffenen Arbeitnehmer und/oder den Arbeitgeber, sondern auch der Umstand, wie viel Arbeitnehmer von dem eingeleiteten Verfahren betroffen sind, ist angemessen zu berücksichtigen. Es kann aber auch nicht außer Betracht bleiben, dass in Fällen der vorliegenden Art lediglich die Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen nach den §§ 111 ff. BetrVG im Vordergrund steht (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 28.08.2003 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 165). Insoweit ist stets betont worden, dass es bei einstweiligen Verfügungen, gerichtet auf die vorläufige Unterlassung von Betriebsänderungen, um das Interesse des Betriebsrats geht, seine in § 111 Satz 1 BetrVG verankerten Ansprüche auf Unterrichtung und Beratung zu wahren; es soll ihm die Möglichkeit gesichert werden, durch Argumente auf die Willensbildung des Unternehmers Einfluss zu nehmen. Mit diesem Ziel hat auch im vorliegenden Fall der Betriebsrat das vorliegende einstweilige Verfügungsverfahren eingeleitet. Vor diesem Hintergrund hält es die erkennende Kammer für sachgerecht, sich bei der Festsetzung des Gegenstandswertes die gesetzliche Regelung des § 17 Abs. 1 KSchG nutzbar zu machen und sich an den entsprechenden Zahlenwerken zu orientieren, wie sie das Bundesarbeitsgericht im Rahmen des § 111 BetrVG beim Personalabbau zugrunde legt (BAG, Urteil vom 02.08.1983 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 12; BAG, Urteil vom 10.12.1996 - AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 32; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl., § 111 Rz. 73 ff. m.w.N.). Hiernach ist erst der Grundfall einer Entlassung von mindestens sechs Arbeitnehmern (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG) mit dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in Höhe von 4.000,00 € zu bewerten. Bei einer Entlassung von weniger als fünf Arbeitnehmern kommt ohnehin keine Betriebsänderung in Betracht. Daran anknüpfend ist nach der Rechtsprechung der zuständigen Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts im Interesse einer einfacheren und einheitlichen Handhabung, die zugleich der Rechtssicherheit dient, eine Bewertungsstaffel zugrunde zu legen, in deren Rahmen pro betroffenem Arbeitnehmer regelmäßig ein Teilwert von 666,67 € (4.000,00 € : 6) in Ansatz zu bringen ist (LAG Hamm, Beschluss vom 07.03.2005 - 13 TaBV 139/04 - z.V.v.; LAG Hamm, Beschluss vom 11.05.2005 - 10 TaBV 61/05 -). Diese Bewertung ist auch im vorliegenden Fall zugrunde zu legen. Die Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats rechtfertigen keine andere Bewertung. Soweit vorgetragen wird, die Verhandlungen über einen Interessenausgleich/Sozialplan hätten erhebliche Bedeutung für das Unternehmen wie auch für die betroffenen Arbeitnehmer; aus diesem Grunde sei u.a. auch das Sozialplanvolumen als Anhaltspunkt zu berücksichtigen, vermag die Beschwerdekammer dem nicht zu befolgen. Im vorliegenden Verfahren stand nicht ein etwaiges Sozialplanvolumen zwischen den Beteiligten im Streit. Zweck und Ziel des vom Betriebsrat eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahrens war allein die Sicherung des Unterrichtungs- und Beratungsrechts des Betriebsrats. Auch der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, auf die die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats besonders hinweisen, rechtfertigen keine Erhöhung des Gegenstandswerts. Zutreffend ist zwar, dass gelegentlich auch anlässlich der Festsetzung des Gegenstandswertes in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren auf den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit abgehoben wird (LAG München, Beschluss vom 01.09.1993 - DB 1993, 2604; LAG Hamburg, Beschluss vom 17.12.1996 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 37; LAG Köln, Beschluss vom 20.10.1997 - NZA-RR 1998, 275). Ein besonderer Schwierigkeitsgrad oder ein erheblicher Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist aber kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Bewertung des Gegenstandswerts im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten. Auch in vermögensrechtlichen Angelegenheiten richtet sich der Wert eines Beschlussverfahrens nicht nach der Art und/oder dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Diese Gesichtspunkte spielen auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren keine Rolle. Der Schwierigkeitsgrad und der Umfang des anwaltlichen Arbeitsaufwands hängt darüber hinaus ausschließlich vom subjektiven Kenntnisstand und der Arbeitsweise des jeweils mit der Vertretung beauftragten Rechtsanwalts ab. Aus diesen Gründen kann auch in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG die Höhe des Gegenstandswerts sich regelmäßig nicht nach dem Schwierigkeitsgrad und dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit richten (vgl.: LAG Berlin, Beschluss vom 16.10.2001 - 17 Ta 6150/01 - AE 2004, 92; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 441). Schließlich führt auch der Hinweis der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats darauf, dass die Bewertung durch die Beschwerdekammer in größeren Betrieben zu geringeren Gegenstandswerten führe, nicht zu einer anderen Beurteilung. Im vorliegenden Fall ist die Beschwerdekammer trotz einer Beschäftigtenzahl von ca. 150 Arbeitnehmern bei der Bewertung des Gegenstandswerts von der ersten Staffel in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG ausgegangen. Ob es bei den weiteren Abstufungen des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 KSchG entsprechende Erhöhungen geben oder ein erhöhter Ausgangswert zugrunde gelegt werden muss, konnte insoweit offen bleiben, da eine derartige Sachverhaltsgestaltung nicht vorlag. Nach alledem errechnet sich im vorliegenden Fall, der keine weitergehenden besonderen werterhöhenden Umstände aufweist, bei insgesamt 13 betroffenen Arbeitnehmern ein Gegenstandswert in Höhe von 8.666,69 €.

Ende der Entscheidung

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