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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.04.2006
Aktenzeichen: 10 TaBV 25/06
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 111
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 02.03.2006 - 2 BV 6/06 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Unternehmen mit ca. 95 Arbeitnehmern, in dem hochwertige Polstermöbel hergestellt werden.

Im Betrieb der Arbeitgeberin ist ein fünfköpfiger Betriebsrat, der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens, gebildet.

Mit dem am 12.01.2006 an den Betriebsrat gerichteten Schreiben (Bl. 11 d.A.) wies die Arbeitgeberin u.a. darauf hin, dass die Näherei und die Vliesabteilung nicht kostendeckend arbeiteten und man nicht umhin komme, diese beiden Abteilungen aus Kostengründen und zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit aufzulösen.

Mit Schreiben vom 18.01.2006 (Bl. 12 d.A.) forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin daraufhin zu Verhandlungen bezüglich eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes auf.

Auf einer Betriebsratssitzung vom 25.01.2006 überreichte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin eine Mitarbeiterliste, in der insgesamt 16 Arbeitnehmer der Abteilung Näherei und der Vliesabteilung aufgeführt sind.

Mit Schreiben vom 01.02.2006 (Bl. 15 d.A.) teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat schließlich mit, dass sie nicht in Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes eintreten wolle, da es nach den ihrerseits durchgeführten weiteren Prüfungen vermutlich nur zu "einigen betriebsbedingten Beendigungen von Arbeitsverhältnissen" kommen würde, der Bestand der Bereiche Näherei und Vlies würde dadurch jedoch nicht in Frage gestellt.

Mit dem am 03.02.2006 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machte der Betriebsrat daraufhin die Einrichtung einer Einigungsstelle geltend.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber plane eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG. Es lägen insbesondere konkrete Planungen und Maßnahmen der Arbeitgeberin vor, die eine Betriebsänderung darstellten. Verhandlungen mit dem Betriebsrat würden abgelehnt.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. den Richter am Bundesarbeitsgericht Herrn Hans-Dieter Krasshöfer, Im B8xxxxxxxx 21 c1, 41xxx M3xxxxx, zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle bei der Antragsgegnerin zu bestellen, mit dem Regelungsgegenstand:

Aufstellung eines Sozialplans im Rahmen der geplanten Betriebsänderung hinsichtlich der Näherei und der Vliesabteilung,

2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, es lägen keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 BetrVG bzw. keine dahingehenden Planungen vor. Der Bestand der Näherei und der Vliesabteilung sei nicht mehr in Frage gestellt. Derzeit werde auch nicht konkret der Ausspruch von Kündigungen geplant, man befinde sich vielmehr in einer Überlegungsphase, ob und in welchem Umfang überhaupt betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden müssten. Die Anzahl der möglichen Kündigungen solle jedoch in jedem Fall weniger als 10 % der Beschäftigen betragen. Demzufolge sei die geforderte Einigungsstelle offensichtlich unzuständig.

Im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht vom 02.03.2006 erklärte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin zu Protokoll, dass die Arbeitgeberin vom Inhalt des Schreibens vom 12.01.2006 insofern Abstand genommen habe, dass die Auflösung der Näherei bzw. der Vliesabteilung nicht mehr anstehe. Weder sei der Verkauf noch ein Outsourcing dieser Abteilung an eine Personaldienstleistungsfirma geplant. Geprüft werde lediglich der Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen, wobei man aber in jedem Fall unterhalb von neun zu kündigenden Arbeitnehmern bleiben wolle. Die Kündigungen seien auch nicht abschließend geplant.

Durch Beschluss vom 02.03.2006 hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrates abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin sei die Planung einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 offensichtlich ausgeschlossen. Weder seien betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen worden, noch sei die Näherei und Vliesabteilung aufgelöst worden. Auch der mögliche Ausspruch von Kündigungen von weniger als 10 % der Belegschaft stelle keine Betriebsänderung dar.

Gegen den dem Betriebsrat am 03.03.2006 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 17.03.2006 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 17.03.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Betriebsrat behauptet, die Erklärung des Geschäftsführers im Anhörungstermin beim Arbeitsgericht vom 02.03.2006 entspreche nicht der Wahrheit. Offenbar wolle die Arbeitgeberin ihre Absicht, die Näherei zu schließen, nunmehr stufenweise durchsetzen, um einen Interessenausgleich und Sozialplan zu umgehen. Inzwischen sei der Betriebsrat mit Schreiben vom 17.03.2006 (Bl. 65 f. d.A.) zum Ausspruch von fünf betriebsbedingten Kündigungen angehört worden. Soweit der Arbeitgeber behaupte, es seien lediglich fünf Kündigungen beabsichtigt, stelle dies eine reine Schutzbehauptung dar. Mittelfristig sei die gesamte Näherei/Vliesabteilung bedroht. Der eingeleitete Personalabbau werde letztendlich zur Schließung der gesamten Abteilung führen. Anlässlich der Betriebsratsanhörung habe die Arbeitgeberin selbst darauf hingewiesen, dass die Bezüge, die von den verbleibenden Näherinnen nicht im entsprechenden Umfang genäht werden könnten, durch den Zukauf von fertig genähten Bezügen von Fremdfirmen im entsprechenden Umfang dauerhaft ersetzt werden sollten. Daraus ergebe sich, dass die Arbeitgeberin beabsichtige, von Eigenfertigung auf Fremdfertigung zu wechseln. Auch dies stelle eine Betriebsänderung dar.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 02.03.2006 - 2 BV 6/06 - abzuändern und den Richter am Bundesarbeitsgericht, Herrn Hans-Dieter Krasshöfer, I1 B8xxxxxxxx 21 c1, 41xxx M3xxxxx, zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle bei der Arbeitgeberin mit dem Regelungsgegenstand "Aufstellung eines Sozialplanes im Rahmen der geplanten Betriebsänderung hinsichtlich der Näherei/Vliesabteilung" zu bestellen, die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf drei festzusetzen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist nach wie vor der Auffassung, dass eine Betriebsänderung nicht vorliege und auch nicht beabsichtigt oder geplant sei. Die nunmehr beabsichtigten Kündigungen hätten die Aussage des Geschäftsführers der Arbeitgeberin im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht vom 02.03.2006 bestätigt. Von einer Verschleierung der Absichten der Arbeitgeberin könne keine Rede sein. Es sei auch nicht geplant, dass es über die ausgesprochenen Kündigungen hinaus zu weiteren betriebsbedingten Kündigungen kommen werde. Richtig sei allein, dass die Arbeitgeberin plane, zukünftig in geringem Umfang genähte Bezüge zuzukaufen, und zwar nur insoweit, als die nach der Beendigung der fünf gekündigten Arbeitsverhältnisse verbleibenden Näherinnen nicht in der Lage seien, die erforderliche Anzahl der Bezüge selbst zu nähen. Auch dies stelle keine Betriebsänderung dar. Insgesamt entbehrten die Vermutungen und Behauptungen des Betriebsrates jeglicher tatsächlicher Grundlage.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

B.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung vertreten, die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig.

1. Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und auf Festsetzung der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt (vgl. statt aller: LAG Hamm, Beschluss vom 07.07.2003 - 10 TaBV 85/03 - NZA-RR 2003, 637 m.z.w.N.).

2. Auch nach Auffassung der Beschwerdekammer ist die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle derzeit offensichtlich unzuständig. Nach dem Vorbringen der Beteiligten kann derzeit offensichtlich ausgeschlossen werden, dass in den von der Arbeitgeberin geplanten und teilweise durchgeführten Maßnahmen eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG liegt. Die Voraussetzungen des § 111 BetrVG liegen offensichtlich nicht vor.

Zwar sind im Unternehmen der Arbeitgeberin regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer tätig, § 111 S. 1 BetrVG. Eine geplante Betriebsänderung, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, liegt aber offensichtlich nicht vor.

a) Als Betriebsänderung im Sinne des § 111 S. 1 BetrVG gilt auch eine Einschränkung eines Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen, § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG. Dabei kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Betriebseinschränkung im Sinne des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG auch in einem bloßen Personalabbau bestehen. Eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG liegt grundsätzlich aber nur dann vor, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 KSchG (BAG, Beschluss vom 06.12.1988 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 26; BAG, Beschluss vom 10.12.1996 - AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 32; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 23. Aufl., § 111 Rz. 74 m.w.N.).

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass der Arbeitgeber inzwischen ordentliche betriebsbedingte Kündigungen von fünf Mitarbeiterinnen der Näherei/Vliesabteilung geplant und ausgesprochen hat. Insoweit sind die Grenzwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG in jedem Fall nicht erreicht. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG fordert die Entlassung von "mehr als fünf Arbeitnehmern". Eine Betriebsänderung kann vorliegend erst dann angenommen werden, wenn eine Personaleinschränkung von etwa 10 % der Belegschaft vorgenommen wird. Das ist unstreitig nicht der Fall.

Soweit der Betriebsrat nach wie vor meint, die Arbeitgeberin beabsichtige die Näherei/Vliesabteilung gänzlich zu schließen und ihre Absicht zur Vermeidung eines Interessenausgleichs und Sozialplanes stufenweise durchzusetzen, stellt dies eine bloße Vermutung und Behauptung ins Blaue hinein dar, mit der die Einrichtung einer Einigungsstelle nicht verlangt werden kann.

b) Auch unter dem Gesichtspunkt des § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG liegt keine Betriebsänderung vor. Hiernach gilt zwar als Betriebsänderung auch die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation. Eine derartige grundlegende Änderung der Betriebsorganisation liegt jedoch nicht vor.

Unter Betriebsorganisation ist das bestehende Ordnungsgefüge, die bestehende Organisation für die Verbindung von Betriebszweck, im Betrieb arbeitender Menschen und Betriebsanlagen mit dem Ziel der optimalen Erfüllung der Betriebsaufgaben zu verstehen (Fitting, a.a.O., § 111 Rz. 92; DKK/Däubler, BetrVG, 10. Aufl., § 111 Rz. 82; einschränkend: Richardi/Annuß, BetrVG, 9. Auf., § 111 Rz. 108). Insoweit liegt eine Änderung der Betriebsorganisation immer dann vor, wenn sich der Betriebsaufbau bzw. die Gliederung des Betriebes oder die Zuständigkeiten oder Unterstellungsverhältnisse ändern (LAG Hamm, Urteil v. 22.07.2003 - 19 Sa 541/03 -; Fitting, a.a.O., § 111 Rz. 92).

Ob die teilweise Einstellung der Eigenfertigung und der Zukauf von Bezügen eine Änderung der Betriebsorganisation darstellt, konnte offen bleiben, in keinem Falle war von einer "grundlegenden" Änderung der Betriebsorganisation auszugehen. Diese liegt nur bei einer einschneidenden, weitgehenden Änderung des Betriebsaufbaus bzw. der Gliederung des Betriebes und der Zuständigkeiten vor (BAG, Urteil vom 21.10.1980 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 8). Ihr muss erhebliche Bedeutung für das betriebliche Gesamtgeschehen zukommen (BAG, Beschluss vom 26.10.1982 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 10). Das ist immer dann der Fall, wenn dies wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann. Dies ergibt eine an systematisch-teologischen Kriterien orientierte Auslegung des § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG unter Berücksichtigung der in § 111 S. 1 BetrVG zum Ausdruck gekommenen Wertungen (BAG, Beschluss vom 26.10.1982 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 10). Dabei können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Feststellung, wann ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist, wiederum die Zahlenangaben des § 17 Abs. 1 KSchG maßgeblich sein (BAG, Beschluss vom 06.12.1988 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 26; BAG, Urteil vom 07.08.1990 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 34; Fitting, a.a.O., § 111 Rz. 95; Fabricius/Oetker, BetrVG, 8. Aufl, § 111 Rz. 116/118; DKK/Däubler, a.a.O., § 111 Rz. 86 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann auch der Übergang zum Zukauf von Bezügen von Dritten durch die Arbeitgeberin nicht als grundlegende Änderung der Betriebsorganisation angesehen werden. Die Arbeitgeberin hat unwidersprochen vorgetragen, dass ein derartiger Zukauf lediglich in geringem Umfang benötigt werde, sofern die verbleibenden Näherinnen nicht in der Lage sind, die erforderliche Anzahl der Bezüge selbst zu nähen. Eine geringfügige Verschiebung des Anteils von Eigen- auf Fremdfertigung stellt aber keine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation oder der Produktionsstruktur dar.

Nach alledem kam die Errichtung einer Einigungsstelle wegen offensichtlicher Unzuständigkeit nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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