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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.09.2005
Aktenzeichen: 10 TaBV 72/05
Rechtsgebiete: RVG, BetrVG


Vorschriften:

RVG § 23 Abs. 3
BetrVG § 77 Abs. 6
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Macht der Betriebsrat in einem Beschlussverfahren geltend, eine auslaufende Betriebsvereinbarung habe Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG, handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 2 RVG.

Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit können in einem derartigen Fall die wirtschaftliche Bedeutung und die Auswirkungen auf die Belegschaft und auf den Arbeitgeber nicht außer Betracht bleiben.

Streiten Betriebsrat und Arbeitgeber um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts, erscheint es regelmäßig angemessen, sich für die Festsetzung des Gegenstandswertes an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren (im Anschluss an LAG Hamm, Beschluss vom 02.08.2005 - 13 TaBV 10/05 -)


Tenor:

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 13.04.2005 - 5 BV 65/04 - teilweise abgeändert.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 28.000,00 € festgesetzt.

Gründe: I. Im Ausgangsverfahren haben die Beteiligten über die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung über ein Prämiensystem gestritten. In der Betriebsvereinbarung Nr. 25 f vom 08.09. 2003 hatten die Beteiligten für alle gewerblichen Mitarbeiterinnen die Zahlung einer Qualitätsprämie von 1,28 € sowie einer Prämie für Ordnung und Sauberkeit von 0,56 € vereinbart. Diese Prämie wurde an ca. 750 Arbeitnehmer gezahlt. In der Vergangenheit resultierte daraus ein jährliches Gesamtvolumen in Höhe von 2.700.000,00 €. Nachdem die Arbeitgeberin die Betriebsvereinbarung vom 08.09.2003 über den 30.09.2004 hinaus nicht mehr anwenden wollte, hat der Betriebsrat am 15.11.2004 das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet, mit dem er die Feststellung der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung vom 08.09.2003 verlangte. Nach Abschluss einer neuen ablösenden Betriebsvereinbarung haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren wurde eingestellt. Durch Beschluss vom 13.04.2005 hat das Arbeitsgericht den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf 4.000,00 € festgesetzt. Gegen diesen, dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 18.04.2005 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats mit dem am 22.04.2005 beim Landesarbeitsgericht eingelegten Schriftsatz vom 21.04.2005 Beschwerde eingelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats ist der Auffassung, der Gegenstandswert könne nicht mit dem Regelstreitwert bewertet werden. Es handele sich um ein schwieriges und aufwendiges Verfahren. Die Frage der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung über den Prämienlohnbestandteil des Einkommens sei juristisch schwierig und von wirtschaftlich immenser Bedeutung. Nach § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG sei für wiederkehrende Leistungen der Wert des dreijährigen Bezuges maßgebend. Die Arbeitgeberin hat u. a. die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Frage der Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handele, es gehe letztlich um die Frage der Beteiligung des Betriebsrats. Die wirtschaftliche Bedeutung der Frage der Nachwirkung sei daher unbeachtlich. Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen. II. Die nach § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist in dem sich aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Gegenstandswert für das vorliegende Verfahren war mit dem siebenfachen Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bemessen. 1. Von einer Vorlage zur Prüfung einer Abhilfeentscheidung durch das Arbeitsgericht nach § 33 Abs. 4 Satz 1 RVG hat die Beschwerdekammer abgesehen, nachdem der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats Beschwerde direkt beim Beschwerdegericht eingelegt hat (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.05.2002 - MDR 2002, 1391; LAG Berlin, Beschluss vom 13.10.2003 - 6 Ta 1968/03 -; LAG Hamm, Beschluss vom 16.09.2004 - 10 TaBV 65/04 -). Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist keine Verfahrensvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren (OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.08.2002 - MDR 2003, 110; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 572 Rz. 4). 2. Die Wertfestsetzung für das vorliegende Beschlussverfahren richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, wonach der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG stellt - wie früher § 8 Abs. 2 BRAGO - eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten bedeutsam, deren Wert auf anderem Weg nicht bestimmt werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG aber erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt bereits hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitstands vielfach im Vordergrund der Bewertung stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 24.11.1994 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 50 = NZA-RR 2002, 472; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 194, 441 ff.). Bei der vom Betriebsrat im Ausgangsverfahren begehrten Feststellung handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Die im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anfallenden Streitsachen sind typischerweise nichtvermögensrechtlicher Natur. Dies gilt auch und gerade dann, wenn der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG geltend macht. Vorliegend haben die Beteiligten im Zusammenhang mit der Frage der Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG um das Bestehen von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats bei der Zahlung von Prämien gestritten. Insoweit handelte es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. Um ein fallübergreifendes System zu erhalten, welches im Hinblick auf die Bewertung der anwaltlichen Tätigkeit im Beschlussverfahren adäquate Abstufungen zulässt und damit erlaubt, dem Einzelfall gerecht zu werden, kann für die Ausfüllung des Ermessensrahmens des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits für den Arbeitgeber bzw. für die Belegschaft aber nicht unberücksichtigt bleiben. Erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen (LAG Hamm, Beschluss vom 19.03.1987 - LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rz. 443 f. m.w.N.). Dabei ist allerdings der Grundtendenz des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu entsprechen, die Kosten zu begrenzen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird der einfache Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG der Bedeutung der vorliegenden Angelegenheit nicht gerecht. Zunächst war auf das Interesse des Betriebsrats abzustellen, das mit dem konkret gestellten Verfahrensantrag durchgesetzt werden sollte. Dem Betriebsrat ging es im Kern um die Wahrung des aus seiner Sicht fortbestehenden Mitbestimmungsrecht des nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, verbunden mit der behaupteten Nachwirkung der streitigen Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 6 BetrVG. Wenn damit auch - mittelbare - Auswirkungen auf die Vermögenslage der Arbeitgeberin und der betroffenen Mitarbeiter einhergehen, ändert dies nichts daran, dass der Streit der Beteiligten im vorliegenden Beschlussverfahren ausschließlich nichtvermögensrechtlicher Art ist (BAG, Beschluss vom 09.11.2004 - NZA 2005, 70 = DB 2005, 564; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.06.1993 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 24). Dementsprechend kann das maßgebliche Zulagenvolumen nicht der Anknüpfungspunkt für die beantragte Festsetzung des Gegenstandswerts für das vorliegende Beschlussverfahren sein. Auszugehen war vielmehr vom Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Dieser Wert war jedoch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des jeweiligen Streitstandes angemessen zu erhöhen. Der einfache Regelwert, wie ihn das Arbeitsgericht und auch die Arbeitgeberin für angemessen erachtet haben, wird der Bedeutung der Angelegenheit und der Tragweite der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht gerecht. In Verfahren der vorliegenden Art sind nämlich insbesondere auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Verfahrens auf die betroffenen Arbeitnehmer oder auf den Arbeitgeber zu berücksichtigen (LAG Bremen, Beschluss vom 15.02.1990 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 40; LAG Köln, Beschluss vom 30.09.1997 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 36). Auch der Umstand, wie viele Arbeitnehmer vom eingeleiteten Verfahren betroffen sind, ist von Bedeutung; je größer die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ist, desto gewichtiger die Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten (LAG Hamburg, Beschluss vom 17.12.1996 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 37). Auch das Beschwerdegericht hält es in Fällen wie dem vorliegenden in der Regel für sachgerecht, bei der Bemessung der streitwertmäßigen Bedeutung, den eine Auseinandersetzung um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts hat, von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer auszugehen. Sachgerecht erscheint es, sich für den Regelfall dabei an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren. Dabei ist der Grundfall von bis zu 20 Mitarbeitern mit dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG - früher § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO - in Höhe von 4.000,00 € in Ansatz zu bringen; für die weiteren in § 9 BetrVG vorgesehenen Staffeln sind jeweils zusätzlich 4.000,00 € zu berücksichtigen (LAG Hamm, Beschlüsse vom 02.08.2005 - 13 TaBV 10/05 und 13 TaBV 17/05 -). Von dieser Regelberechnung können im Einzelfall bei Vorliegen konkreter Gründe Abweichungen nach oben oder unten vorgenommen werden. Für das vorliegende Verfahren errechnet sich danach bei ca. 750 betroffenen Mitarbeitern ein Gesamtgegenstandswert in Höhe von 28.000,00 €. Das vorliegende Beschlussverfahren wies auch keine besonderen Schwierigkeiten oder einen außergewöhnlichen Arbeitsaufwand auf. Konkrete Umstände, die unter Umständen zu einer Erhöhung des Gegenstandswerts hätten führen können, waren nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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