Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.12.2006
Aktenzeichen: 10 TaBV 72/06
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG, BGB, EFZG


Vorschriften:

BetrVG § 103
KSchG § 15 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 1
EFZG § 5
Auch bei psychischen Erkrankungen, deren Diagnose im Wesentlichen auf subjektiven Angaben des Patienten beruhen, bringt das ärztliche Attest regelmäßig ausreichenden Beweis für die Arbeitsunfähigkeit. Auch in derartigen Fällen müssen zur Erschütterung des Beweiswertes der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung konkrete Tatsachen vorgetragen werden, die ernsthafte und objektiv begründete Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen.
Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 13.07.2006 - 2 BV 19/06 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A

Im vorliegenden Beschlussverfahren begehrt die antragstellende Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3..

Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb in M3xxxxx mehrere hundert Mitarbeiter. In ihrem Betrieb ist ein aus neun Personen bestehender Betriebsrat, der Beteiligte zu 2., gewählt.

Der Beteiligte zu 3. ist am 01.01.14xx geboren, verheiratet und gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtet. Seit dem 01.10.1995 ist er im Betrieb der Arbeitgeberin im Bereich der Produktion Vor- und Nachbearbeitung von Blutkonserven zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 2.700,00 € tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesangestelltentarifvertrag in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Seit dem Jahre 2002 ist der Beteiligte zu 3. Mitglied des Betriebsrats. Bei der turnusmäßigen Betriebsratswahl im Frühjahr 2006 wurde der Beteiligte zu 3. wiedergewählt.

Seit dem Jahre 2000 war der Beteiligte zu 3. des Öfteren arbeitsunfähig erkrankt. Auf die von der Arbeitgeberin erstellte Übersicht (Bl. 9 d.A.) über die Krankheitszeiten des Beteiligten zu 3. wird Bezug genommen.

Am 02.05.2006 meldete sich der Beteiligte zu 3. bei der Arbeitgeberin krank und legte für den Zeitraum vom 28.04.2006 bis zum 12.05.2006 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 10 d.A.) der praktischen Ärztin D2. R2xxxxx vor. Am 12.05.2006 reichte der Beteiligte zu 3. eine Folgebescheinigung (Bl. 11 d.A.), ausgestellt ebenfalls von der Ärztin D2. R2xxxxx, für den Zeitraum bis zum 26.05.2006 ein.

Im Hinblick auf die früheren Erkrankungen des Beteiligten zu 3. sowie auf im Betrieb kursierenden Gerüchten hegte die Arbeitgeberin den Verdacht, der Beteiligte zu 3. sei in Wahrheit nicht arbeitsunfähig erkrankt. Deshalb beauftragte sie die Detektei B8xx T1xxxxx mit der Observierung des Beteiligten zu 3. für den 15. und 16.05.2006. Diese Observierung ergab, dass der Beteiligte zu 3. am 15.05.2006 u.a. eine Astschere trug. Des Weiteren entfernte er sich am 15.05.2006 von seiner Wohnung, um entweder mit seinem Hund oder einer weiteren Person spazieren zu gehen oder einzukaufen. Ferner führte er in M3xxxxx-A4xxxxxxxx Arbeiten an einem Kraftfahrzeug, einem weißen Transporter, durch. Am 16.05.2006 arbeitete der Beteiligte zu 3. nachmittags in A2xxxxxxxx an einem Ford Focus und montierte dort die Heckstoßstange ab. Wegen Einzelheiten der Observierung des Beteiligten zu 3. wird auf den Observierungsbericht o.D. (Bl. 16 ff.d.A.) Bezug genommen.

Da die Arbeitgeberin die Auffassung vertrat, der Beteiligte zu 3. habe sich die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen und die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht, mindestens habe er sich genesungswidrig verhalten, hörte sie mit Schreiben vom 23.05.2006 (Bl. 12 ff.d.A.) den Betriebsrat hierzu an und bat um Zustimmung zur fristlosen Kündigung nach § 103 BetrVG. Mit Schreiben vom 24.05.2006 (Bl. 15 d.A.) verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung zur fristlosen Kündigung.

Mit dem am 29.05.2006 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren machte die Arbeitgeberin daraufhin die Zustimmungsersetzung beim Arbeitsgericht geltend.

Die Arbeitgeberin hat behauptet, der Beteiligte zu 3. habe sich die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen, seine Krankheit sei nur vorgetäuscht. Der Beteiligte zu 3. habe Reparaturarbeiten an fremden Fahrzeugen vorgenommen, die er aber bei einer tatsächlichen Erkrankung nicht hätte durchführen können. Die vom Beteiligten zu 3. vorgelegten ärztlichen Atteste seien Gefälligkeitsatteste. Der Beteiligte zu 3. habe bei seiner Observierung einen absoluten gesunden Eindruck hinterlassen. Wer mehrere Stunden Reparaturarbeiten an einem fremden Fahrzeug ausführen könne, sei nicht arbeitsunfähig erkrankt.

Mindestens die an dem Ford Focus am 16.05.2005 durchgeführten Arbeiten habe der Beteiligte zu 3. nicht unentgeltlich verrichtet, sondern nach Auffassung der Arbeitgeberin hierfür ein Entgelt erhalten. Bei diesen Arbeiten handele es sich auch nicht um bloße Autobasteleien, die der Gesundung nicht abträglich seien.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen fristlosen Kündigung sowie hilfsweise zur außerordentlich fristgemäßen Kündigung des Beteiligten zu 3. gem. § 103 BetrVG zu ersetzen,

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sowohl der Betriebsrat wie der Beteiligte zu 3. haben vorgetragen, dass der Beteiligte zu 3. in der Zeit vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Er, der Beteiligte zu 3., habe an einer psychischen Erkrankung gelitten. Hierzu hat er ein vom 27.06.2006 ausgestelltes ärztliches Attest (Bl. 35 d.A.) von Frau D2. R2xxxxx vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der Beteiligte zu 3. in der Zeit vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 an einer depressiven Episode erkrankt gewesen sei. In diese depressive Phase sei er aufgrund einer Schwersterkrankung seiner Ehefrau geraten. Der Arbeitgeberin seien die schwere Erkrankung seiner Ehefrau sowie die schwierigen häuslichen Verhältnisse bekannt gewesen. Er, der Beteiligte zu 3., habe deshalb nicht mehr der verantwortungsvollen Tätigkeit bei der Arbeitgeberin nachgehen können. Die vom Detektivbüro festgestellten Aktivitäten hätten einer Genesung nicht entgegen gestanden. Aus welchem Grunde die Arbeitgeberin - statt den Beteiligten zu 3. anzuhören oder den Betriebsrat einzuschalten - sofort Privatdetektive beauftragt habe, sei nicht ersichtlich.

Durch Beschluss vom 13.07.2006 hat das Arbeitsgericht den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beweiswert der vom Beteiligten zu 3. vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei von der Arbeitgeberin nicht ausreichend erschüttert worden. Die im Observierungsbericht festgestellten Aktivitäten des Beteiligten zu 3. seien nicht geeignet, angesichts des speziellen Krankheitsbildes den Genesungsverlauf auch nur zu beeinträchtigen, geschweige denn ernsthaft zu gefährden. Der Umstand, dass der Beteiligte zu 3. in der Vergangenheit des Öfteren arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, führe nicht automatisch zu dem Schluss, dass die Arbeitsunfähigkeit vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 erschlichen sei. Begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Beteiligten zu 3. seien nicht gegeben. Selbst ein etwaiger Verstoß gegen das Gebot des genesungsgerechten Verhaltens führe nicht ohne Weiteres zur Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Gegen den der Arbeitgeberin am 25.07.2006 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Arbeitgeberin am 11.08.2006 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit dem am 22.09.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags ist die Arbeitgeberin der Auffassung, das Arbeitsgericht habe den Tatsachenvortrag der Arbeitgeberin nicht ausreichend berücksichtigt und insbesondere keinen Beweis erhoben, hierzu sei es verpflichtet gewesen.

Die Arbeitgeberin behauptet erneut, der Beteiligte zu 3. sei mindestens am 15./16.05.2006 nicht arbeitsunfähig gewesen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass er unstreitig über mehrere Stunden hin Reparaturarbeiten an fremden Kraftfahrzeugen ausgeführt habe, er sei in der Lage gewesen, Einkäufe zu tätigen und zu verschiedenen Treffen zu fahren. Bei den Reparaturarbeiten habe es sich auch nicht um bloße Autobasteleien oder Hobbyarbeiten an Kraftfahrzeugen gehandelt, der Beteiligte zu 3. habe vielmehr an verschiedenen Fahrzeugen und an verschiedenen Orten entgeltliche Reparaturarbeiten durchgeführt. Das Maß der Hobbyarbeiten sei im vorliegenden Fall deutlich überschritten. Insoweit bestätige das vom Beteiligten zu 3. vorgelegte Attest der Ärztin D2. R2xxxxx vom 27.06.2006 auch nur, dass Autobasteleien und Gartenarbeiten die Genesung nicht beeinträchtigten. Der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei deshalb erschüttert, weil der Beteiligte zu 3. durchaus in der Lage gewesen sei, mechanische Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum an Kraftfahrzeugen durchzuführen. Bei dem ärztlichen Attest vom 27.06.2006 handele es sich um ein bloßes Gefälligkeitsattest. Das Arbeitsgericht hätte den Beweisantritten der Arbeitgeberin nachgehen und aufklären müssen, ob die Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht gewesen sei.

Immerhin habe der Beteiligte zu 3. noch im März 2006 über mehrere Wochen hin Nachtdiensttätigkeiten ausgeübt. Wenn jemand depressiv erkrankt sei, benötige er Erholungszeiten und könne nicht über einen Zeitraum von mehreren Wochen Nachtdiensttätigkeiten ausüben.

Schließlich habe der Beteiligte zu 3. sich auch genesungswidrig verhalten. Er habe keine Hobbyarbeiten an Kraftfahrzeugen verrichtet, sondern Reparaturarbeiten an Fremdfahrzeugen über längere Zeiträume hinweg verrichtet, die mit bloßen Hobbyarbeiten nicht vergleichbar seien.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Münster vom 13.07.2006 - 2 BV 19/06 - die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung sowie hilfsweise zur außerordentlichen fristgemäßen Kündigung des Beteiligten zu 3. zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss und sind der Auffassung, dass die Beschwerde außer bloßen Verdächtigungen und Mutmaßungen keinen Tatsachenvortrag enthalte, der darauf hindeute, dass die Arbeitsunfähigkeit des Beteiligten zu 3. vorgetäuscht sei und insbesondere eine Arbeitsunfähigkeit des Beteiligten zu 3. am 15./16.05.2006 in Abrede gestellt werden könne. Selbst wenn die Arbeitgeberin Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Beteiligten zu 3. gehabt haben sollte, hätte sie die Arbeitsfähigkeit durch den medizinischen Dienst o.ä. feststellen lassen können. Warum die Arbeitgeberin sofort ein Detektivbüro eingeschaltet habe, sei nicht ersichtlich. Auch ein Gespräch mit dem Beteiligten zu 3. sei nach den festgestellten Observierungen nicht gesucht worden. Zweifel an der festgestellten Arbeitsunfähigkeit seien nicht begründet.

Am 15.05.2006 habe der Beteiligte zu 3. bei Bekannten, einem befreundeten Ehepaar, an deren Fahrzeug ein Autoradio ausgebaut. Am 16.05.2006 habe er ebenfalls für eine Bekannte an dem Ford Focus die Heckstoßstange abgebaut. Angesichts seiner depressiven Erkrankung sei er froh gewesen, für kurze Zeit mit derartigen Arbeiten betraut worden zu sein. Ein Entgelt habe er für diese Tätigkeiten nicht erhalten. Die von ihm durchgeführten Tätigkeiten seien mit seiner beruflichen Tätigkeit am Arbeitsplatz im Betrieb der Arbeitgeberin auch keineswegs vergleichbar.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist nicht begründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der von der Arbeitgeberin beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. nicht zu ersetzen ist.

Der Antrag der Arbeitgeberin ist nach den §§ 2 a, 80 Abs. 1 ArbGG zulässig. Zwischen den Beteiligten ist eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit nach § 103 Abs. 2 BetrVG streitig.

Die Antragsbefugnis der Arbeitgeberin und die Beteiligung des Betriebsrats und des Beteiligten zu 3. ergibt sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG i.V.m. § 103 Abs. 2 BetrVG.

Der Zustimmungsersetzungsantrag ist aber, wie das Arbeitsgericht zu Recht erkannt hat, nicht begründet.

I.

Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG hat der Arbeitgeber dann einen Anspruch auf Ersetzung der Zustimmung, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus; es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (BAG, Beschluss vom 22.08.1974 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 1; BAG, Beschluss vom 10.02.1999 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42; BAG, Beschluss vom 20.01.2000 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 40; vgl. auch: BAG, Urteil vom 07.10.2004 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 56 m.w.N.).

II.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die gerichtliche Zustimmungsersetzung nicht gegeben sind.

1. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Verhalten des Beteiligten zu 3. nicht geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dem Beteiligten zu 3. wird zu Unrecht der Vorwurf gemacht, er habe die Arbeitsunfähigkeit vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 lediglich vorgetäuscht und sich die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschlichen.

a) In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist zwar anerkannt, dass das Vortäuschen einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Arbeitsunfähigkeit ebenso wie der dringende Verdacht des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit unlauteren Mitteln erschlichen, grundsätzlich geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben. Ein Arbeitnehmer, der das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit lediglich vortäuscht, verstößt regelmäßig gegen seine Arbeitspflicht und kann bei einem entsprechenden Nachweis unter Umständen auch wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung fristlos entlassen werden (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - AP BGB § 626 Nr. 112; BAG, Urteil vom 17.06.2003 - AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13; LAG Düsseldorf, Urteil vom 03.06.1981 - DB 1981, 1731; LAG Köln, Urteil vom 23.08.1996 - NZA-RR 1997, 338; LAG Berlin, Urteil vom 03.08.1998 - NZA-RR 1999, 523; LAG Hamm, Urteil vom 10.09.2003 - NZA-RR 2004, 292; KR/Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rz. 428; ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 626 Rz. 132, 142; APS/Dörner, 2. Aufl., § 626 BGB Rz. 186, 189, 245; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rz. 655 m.w.N.).

b) Ein Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit durch den Beteiligten zu 3. oder dass Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommt als außerordentlicher Kündigungsgrund jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil die Arbeitgeberin den Nachweis, dass der Beteiligte zu 3. in der Zeit vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist, nicht erbracht hat. Der Beweiswert der vom Beteiligten zu 3. vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 ist entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin auch nicht erschüttert worden. Ebenso wie das Arbeitsgericht ist auch die Beschwerdekammer der Auffassung, dass eine weitere Sachaufklärung, insbesondere eine Beweisaufnahme zu der Frage, ob der Beteiligte zu 3. seine Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht hat, entbehrlich war.

Nach der ganz herrschenden Auffassung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der nach § 286 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden freien Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert zu. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der für Arbeitnehmer gesetzlich vorgesehene und gewichtigste Beweis für die Tatsache einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Der hohe Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird aus der Lebenserfahrung hergeleitet. Danach wird für den Normalfall davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer bei dem die Bescheinigung ausstellenden Arzt war, von diesem untersucht wurde und anhand der subjektiven Beschwerden und/oder des objektiv festgestellten Befundes tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erwiesen ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt (BAG, Urteil vom 11.08.1976 - AP LohnFG § 3 Nr. 2; BAG, Urteil vom 15.07.1992 - AP LohnFG § 1 Nr. 98; BAG, Urteil vom 19.02.1997 - NZA 1997, 652; LAG Hamm, Urteil vom 10.09.2003 - NZA-RR 2004, 292; Vossen, Entgeltfortzahlung, 1997, Rz. 331; Feichtinger, AR-Blattei SD 1000.2 Rz. 134 ff.; ErfK/Dörner, § 5 EFZG Rz. 33 f. m.w.N.).

Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, so obliegt es ihm, den allein durch die Vorlage der Bescheinigung normalerweise als erbracht anzusehenden Beweis hinsichtlich des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern. Die Erschütterung des Beweiswerts einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfordert aber, dass er ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Es muss sich hierbei um konkrete Tatsachen handeln, die ernsthafte und objektiv begründete Zweifel an dem tatsächlichen Bestehen der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen. Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden durch Umstände im Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, durch das Verhalten des Arbeitnehmers vor der Erkrankung und/oder durch das Verhalten des Arbeitnehmers während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit. In jedem Fall müssen aber konkrete Tatsachen vorgebracht und gegebenenfalls bewiesen werden, die objektive Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen (BAG, Urteile vom 11.08.1976, vom 15.07.1992, vom 19.02.1997 - a.a.O.; Vossen, a.a.O., Rz. 333 ff.; Feichtinger, a.a.O., Rz. 139 ff.; Schmitt, EntgeltFG, 5. Aufl., § 5 Rz. 86 ff. m.w.N.).

c) Der Beweiswert der im vorliegenden Fall vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nicht deshalb erschüttert, weil der Kläger an einer psychischen Erkrankung gelitten hat. Die Richtigkeitsvermutung einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gilt auch bei psychischen Erkrankungen, deren Diagnose im Wesentlichen nicht auf objektiven Befunden, sondern auf subjektiven Angaben des Arbeitnehmers beruht. Der Beteiligte zu 3. hat zu seiner Erkrankung sowohl erstinstanzlich wie auch in der Beschwerdeinstanz vorgetragen, dass er aufgrund der Schwersterkrankung seiner Ehefrau sich im April/Mai 2006 in einer depressiven Phase befunden hat. Dies ist durch die ärztliche Bescheinigung der den Kläger behandelnden Ärztin D2. R2xxxxx vom 27.06.2006 (Bl. 35 d.A.) bestätigt worden. Zweifel daran, dass die ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschlichen gewesen sind, sind nicht erlaubt. Bei der Behauptung der Arbeitgeberin, die Bescheinigung der den Kläger behandelnden Ärztin D2. R2xxxxx vom 27.06.2006 handele es sich um eine Gefälligkeitsbescheinigung, handelt es sich um eine Behauptung in Blaue hinein. Die von der praktischen Ärztin D2. R2xxxxx erstellte Diagnose ("... depressive Episode...") hält sich erkennbar im Rahmen der Fachkompetenz eines Humanmediziners. Die Diagnose betrifft keinen speziellen Sachverhalt, der nur mit dem Fachwissen eines besonderen Facharztes (Psychiaters, Neurologen) sachgerecht erfasst werden könnte. Es handelt sich vielmehr um einen Alltagsfall im Rahmen einer allgemeinmedizinischen internistischen Praxis (LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.09.1998 - NZA-RR 1999, 460).

Zwar besteht in derartigen Fällen eine erhöhte Missbrauchsgefahr, da eine psychische Erkrankung leichter vorgetäuscht werden kann. Dieser Gefahr ist jedoch im Rahmen der Prüfung Rechnung zu tragen, ob objektive Umstände zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Ferner kann der Missbrauchsgefahr dadurch entgegengewirkt werden, dass der Arbeitgeber von der Möglichkeit, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den medizinischen Dienst überprüfen zu lassen, Gebrauch macht (LAG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.09.1998 - NZA-RR 1999, 460). Von dieser Möglichkeit hat die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall aber gerade aber keinen Gebrauch gemacht, sondern stattdessen - aufgrund ungeklärter kursierender Gerüchte im Betrieb - ein Detektivbüro beauftragt. Wenn die Arbeitgeberin von der Möglichkeit, den medizinischen Dienst zu beauftragen, keinen Gebrauch gemacht hat, hat sie das Risiko zu tragen, dass es an ausreichenden Anhaltspunkten für ernsthafte Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit fehlt.

d) Auch die von der Detektei ermittelten Tätigkeiten des Klägers am 15. und 16.05.2006 geben angesichts der ärztlichen Diagnose und des gesamten Geschehensablaufs auch nach Auffassung der Beschwerdekammer keinen Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Die Umstände, mit denen die Arbeitgeberin den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern will, sind nicht als so gravierend anzusehen, dass sie ein hinreichend starkes Indiz für die Behauptung der Arbeitgeberin darstellen könnten, die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht.

Dies gilt zunächst für die Feststellungen der Detektei, der Beteiligte zu 3. habe Bekannte aufgesucht, Einkäufe durchgeführt und einen Hund ausgeführt. Derartige Tätigkeiten sind durchaus mit der festgestellten ärztlichen Diagnose vereinbar und lassen keinen Rückschluss darauf zu, dass der Beteiligte zu 3. tatsächlich nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen ist.

Auch der Umstand, dass der Kläger am 15.05.2006 aus einem Kraftfahrzeug ein Autoradio ausgebaut und am 16.05.2006 an einem anderen Kraftfahrzeug die Heckstoßstange abmontiert hat, vermag den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht ernsthaft zu erschüttern. Ernsthafte Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit können zwar entstehen, wenn ein Arbeitnehmer während einer attestierten Arbeitsunfähigkeit sich in einer Weise betätigt, die mit seiner Arbeitsunfähigkeit nicht in Einklang zu bringen ist, wenn er beispielsweise einer vollschichtigen Aushilfstätigkeit bei einem fremden Arbeitgeber nachgeht (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - AP LohnFG § 3 Nr. 8), wenn er beim Bau seines eigenen Hauses in erheblichem Umfang Arbeitsleistungen erbringt (LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.1980 - DB 1981, 900), wenn er eine längere oder beschwerliche Reise unternimmt (LAG Berlin, Urteil vom 30.04.1979 - EzA BGB § 626 Nr. 67; LAG Frankfurt, Urteil vom 01.04.1987 - LAGE BGB § 626 Nr. 30) oder Vergnügungsstätten besucht oder an Sportwettkämpfen teilnimmt, die mit der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit nicht in Einklang zu bringen sind (LAG Hamm, Urteil vom 11.05.1982 - DB 1983, 235; ArbG Solingen, Urteil vom 14.01.1982 - ARSt 1983, 24). Eine derartige Fallgestaltung war vorliegend jedoch nicht gegeben. Der Beteiligte zu 3. ist während der attestierten Arbeitsunfähigkeit keiner Nebentätigkeit nachgegangen, die mit der ärztlich festgestellten Diagnose nicht in Einklang zu bringen wäre. Der Umstand, dass er an fremden Fahrzeugen ein Autoradio ausgebaut bzw. eine Heckstoßstange abmontiert hat, vermag den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu erschüttern. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Kläger in der Zeit vom 28.04.2006 bis zum 26.05.2006 an einer depressiven Erkrankung gelitten hat. Gerade dieser Umstand kann es als möglich erscheinen lassen, dass der Beteiligte zu 3. zwar seiner Tätigkeit im Betrieb der Arbeitgeberin aus Krankheitsgründen nicht nachgehen konnte, gleichwohl aber leichtere Reparaturarbeiten an Kraftfahrzeugen durchführen konnte. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die damit verbundene Ablenkung im Hinblick auf die spezifische Art der Erkrankung einer Genesung sogar förderlich sein konnte, jedenfalls lässt sich nicht mit der Arbeitgeberin die Behauptung aufstellen, dass bei der ärztlich diagnostizierten Erkrankung die Durchführung leichterer Reparaturarbeiten an Kraftfahrzeugen ausgeschlossen war. Die Einholung ärztlicher Auskünfte oder gar eines Sachverständigen hierzu war nicht erforderlich. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Beteiligte zu 3. im Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer unwidersprochen ausgeführt hat, dass er die Reparaturarbeiten in einem Fall für ein befreundetes Ehepaar, in einem anderen Fall für eine Bekannte durchgeführt habe. Soweit die Arbeitgeberin aus dem Umstand, dass die Reparaturarbeiten an fremden Fahrzeugen vorgenommen worden sind, entnehmen will, der Beteiligte zu 3. habe entgeltliche Reparaturarbeiten während der Arbeitsunfähigkeit durchgeführt, handelt es sich um eine durch nichts zu beweisende Vermutung seitens der Arbeitgeberin. Konkrete, fallbezogene Begleitumstände, die zu ernsthaften Zweifeln an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Beteiligten zu 3. Anlass gegeben hätten, lagen jedenfalls nicht vor. Die Arbeitgeberin hat auch nicht vorgetragen, dass der Beteiligte zu 3. etwa durch die durchgeführten Reparaturarbeiten sich in Widerspruch zu etwaigen ärztlichen Verhaltensmaßregeln gesetzt hätte.

Auch der Umstand, dass der Beteiligte zu 3. noch im März 2006 um einen Einsatz in der Nachtschicht nachgesucht hat, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Auch insoweit erscheint nicht ausgeschlossen, dass der damit verbundene anderweitige Arbeitseinsatz mit seiner Erkrankung durchaus in Einklang zu bringen gewesen ist. Jedenfalls schließt eine depressive Erkrankung einen Nachtdiensteinsatz nicht von vornherein aus.

2. Die Arbeitgeberin kann die begehrte Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. auch nicht auf den bloßen Verdacht stützen, der Beteiligte zu 3. habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschlichen.

Zwar kann grundsätzlich auch bereits der bloße Verdacht, der Arbeitnehmer habe eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht, grundsätzlich auch eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Im Falle einer Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber jedoch alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Hierzu gehört insbesondere die vorherige Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers. Die Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung (BAG, Urteil vom 30.04.1987 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 19; BAG, Urteil vom 26.09.2002 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37; ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rz. 313 m.w.N.). An einer vorherigen Anhörung des Beteiligten zu 3. zu dem behaupteten Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit fehlt es jedoch. Die Arbeitgeberin hat, statt zuvor den betroffenen Beteiligten zu 3. zu der von ihr vermuteten Erschleichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen anzuhören, eine Detektei beauftragt und nach deren Ermittlungen sogleich das Zustimmungsverfahren beim Betriebsrat eingeleitet.

3. Schließlich kann die begehrte Zustimmung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. auch nicht mit einem genesungswidrigen Verhalten des Beteiligten zu 3. begründet werden.

a) Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte genesungswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers während der Zeit der attestierten Arbeitsunfähigkeit je nach den Umständen des Einzelfalles auch als außerordentlicher Kündigungsgrund grundsätzlich in Betracht kommen kann. Ein arbeitsunfähig krankgeschriebener Arbeitnehmer ist grundsätzlich verpflichtet, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird; er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte; die Verletzung dieser aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers herzuleitenden Pflicht ist unter Umständen geeignet, auch eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - AP BGB § 626 Nr. 112; LAG München, Urteil vom 09.09.1982 - BB 1983, 1931; LAG Niedersachsen, Urteil vom 01.09.1983 - BB 1984, 1233; LAG Hamm, Urteil vom 28.08.1991 - DB 1992, 431; LAG Berlin, Beschluss vom 03.08.1998 - LAGE KSchG § 15 Nr. 17 = NZA-RR 1999, 523 = MDR 1999, 167; LAG Köln, Urteil vom 09.10.1998 - NZA-RR 1999, 188; LAG Nürnberg, Urteil vom 07.09.2004 - LAGE BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; KR/Fischermaier, a.a.O., § 626 Rz. 429; APS/Müller-Glöge, a.a.O., § 626 BGB Rz. 244; Stahlhacke/Preis/Vossen, a.a.O., Rz. 712 m.w.N.). Bei der Überprüfung eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist stets zu prüfen, ob das konkret beanstandete Verhalten tatsächlich genesungswidrig ist. Dies hängt wesentlich von der Art und der Schwere der jeweiligen Erkrankung ab. Arbeitsunfähigkeit ist nicht mit der Pflicht gleichzusetzen, Bett oder Haus nicht zu verlassen. Geringfügige Verletzungen der Nebenpflicht rechtfertigen insoweit regelmäßig weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Kündigung. Demgegenüber kann in schweren Fällen aber auch eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung begründet sein, etwa bei einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit während der Arbeitsunfähigkeit (BAG, Urteil vom 26.08.1993 - a.a.O.; HK/Dorndorf, KSchG, 4. Aufl., § 1 Rz. 758 ff., 761; HaKo/Fiebig, KSchG, 2. Aufl., § 1 Teil D Rz. 362 f. m.w.N.). Wird einem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer Genesungsgefährdung vorgeworfen, ist grundsätzlich - von schweren Fällen abgesehen - eine Abmahnung erforderlich (LAG Köln, Urteil vom 07.01.1993 - DB 1993, 941; LAG Köln, Urteil vom 09.10.1998 - NZA-RR 1999, 188).

b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kann das Verhalten des Beteiligten zu 3. einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht abgeben. Auch dies hat das Arbeitsgericht zu Recht erkannt. Die Arbeitgeberin kann dem Beteiligten zu 3. nicht vorwerfen, sich durch die Vornahme der Reparaturtätigkeiten an Kraftfahrzeugen von Bekannten am 15./16.5.2006 in schwerwiegender Weise genesungswidrig verhalten zu haben. Der Ausbau des Autoradios am 15.05.2006 hat lediglich 1,5 Stunden gedauert. Inwieweit diese Tätigkeit der Genesung des Beteiligten zu 3. nicht förderlich gewesen ist, vermag auch die Beschwerdekammer nicht zu erkennen. Das Gleiche gilt für die Reparaturtätigkeit am 16.05.2006. Auch wenn die Demontage der Heckstoßstange am 16.05.2006 über drei Stunden angedauert haben sollte, ist nicht erkennbar, inwieweit diese Tätigkeit für die ärztlich festgestellte depressive Phase des Beteiligten zu 3. nicht förderlich gewesen ist, sondern eine Genesung verzögert hat.

Nach alledem lag ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Beteiligten zu 3. nicht vor. Auch die hilfsweise begehrte Zustimmung des Betriebsrats zur "außerordentlich fristgemäßen" Kündigung des Beteiligten zu 3. kam mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.

III.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

Zurück