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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.01.2008
Aktenzeichen: 11 Sa 1152/07
Rechtsgebiete: BetrVG, ERA-ETV, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 4
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 10
ERA-ETV § 4
ERA-ETV § 4 Nr. 2 S. 3
ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 2 a
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 519
ZPO § 520
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 31.01.2007 - 4 Ca 2024/06 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Urteil des Arbeitsgerichts allein hinsichtlich der Zinsverurteilung dahingehend abgeändert wird, dass der ausgeurteilte Betrag nicht ab dem 30.06.2006 sondern erst ab dem 01.07.2006 wie ausgeurteilt zu verzinsen ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger fordert eine weitere Lohnzahlung für Juni 2006 in Höhe von 19,61 € mit der Begründung, die von der Beklagte anlässlich der ERA-Einführung zum 01.06.2006 vorgenommene Verrechnung mit einer bislang gezahlten "freiwilligen AT-Zulage" sei unzulässig (ERA = Entgeltrahmenabkommen vom 18.12.2003 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens zwischen Metall NRW und IG Metall).

Der Kläger und die Beklagte sind kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebunden an die von der IG Metall und Metall NRW abgeschlossenen Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Bis einschließlich Mai 2006 zahlte die Beklagte dem Kläger eine "FREIW. AT-ZULAGE" von 203,58 € (Kopie der Verdienstabrechnung Bl. 3 GA). Einschließlich einer per 01.06.2006 realisierten Erhöhung errechnete sich per Juni 2006 hierfür bei dem Kläger ein Betrag von 204,94 € (von der Beklagten erstellter Errechnungsbogen "voraussichtliche Mitarbeiterdaten bei Einführung des ERA ab 01.06.2006", Bl. 5 GA). Ab Juni 2006 wurde die "FREIW. AT-ZULAGE" mit 185,33 € abgerechnet (Kopie Lohnabrechnung 07.06, Bl. 4 GA). Die Differenz von 19,61 € für Juni 2006 ist die Klageforderung.

Zu der "FREIW. AT-ZULAGE", die seit den 1990-iger Jahren jeweils als "freiwillige Zulage" in den Lohnabrechnungen ausgewiesen war, existiert eine Reihe aufeinander folgender Betriebsvereinbarungen:

Rahmenbetriebsvereinbarung zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohn vom 15.05.1991 (Bl. 56 - 58 GA):

"IV. Entgeltaufbau

1. Das Entgelt des Arbeitnehmers setzt sich zusammen aus

a) Lohn der Entgeltgruppe (Lohntarif)

Die Entgeltgruppe richtet sich nach den persönlichen, abrufbaren Fähigkeiten und wird durch separate Qualifikationsbeschreibung festgelegt. Die Beschreibungen sind Bestandteil dieser Rahmenvereinbarung

b) einer Zulage

Diese beträgt 16 % des Betrages nach a).

a) und b) ergeben das Ausgangsentgelt und

c) einer Prämie

für die Erreichung und Einhaltung der Ziele. Diese Prämie wird als prozentualer Zuschlag bezogen und auf das Ausgangsentgelt gewährt und richtet sich nach den jeweils vereinbarten Prämienbezugsgrößen."

Rahmenbetriebsvereinbarungen zum Entlohnungsgrundsatz Prämienlohn Werk G2 vom 29.03.1996 (Bl. 59 - 61 a GA):

"IV. Entgeltaufbau

1. Das Entgelt des Arbeitnehmers setzt sich zusammen aus:

a) Lohn der Entgeltgruppe (Lohntarif)

b) einer Zulage mit dem festgelegten Betrag von DM 3,--.

c) einer Prämie"

Rahmenbetriebsvereinbarungen - Protokoll-Notiz 5 - Prämienlohn Werk G2 vom 14.06.2002 (Bl. 65 GA):

"(Protokoll-Notiz zu den BVen vom 15. Mai 1991 und 29.03.1996)

PN 5 s. IV. Entgeltaufbau 1.b) und 1.c) (vom 15. Mai 1991/29.03.1996)

Die Vertragsparteien einigen sich darauf die Zulage in der Vereinbarung vom 15. Mai 1991 nicht mehr auf 16 % Betrages von a) festzulegen, sondern eine einheitliche Regelung mit der Vereinbarung vom 29.03.1996 zu treffen.

Damit wird ab 01. Juni 2002 folgende Formulierung für die Entgelt-Regelung in den oben aufgeführten Rahmenbetriebsvereinbarungen nach Ziffer IV 1) bzw. c) festgelegt:

b) ..einer Zulage, die zwischen den Parteien verhandelt wird.

c) ..einer Prämie, die für alle Mitglieder in der Gruppe unabhängig von der

jeweiligen Stammlohngruppe, gleich hoch ist.

Die Höhe der beiden aufgeführten Entgeltbestandteile b) bzw. c) werden im Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien geregelt.

Die jeweils aktuelle Prämienlohntabelle (CORE und SERVO) ist mit dem Betriebsrat nach einer Tariferhöhung zu vereinbaren.

(Anlage: aktuelle Prämienlohntabellen vom 14.06.2002 gültig ab 01.06.2002)"

In den Tabellen "Prämienlohn Werk G2" ab dem 01.05.2001 und ab dem 01.06.2002 sind die Werte in der Tabellenspalte "Zulage" für den "Servo Bereich" und den "Core Bereich" jeweils in gesonderten Tabellen mit jeweils unterschiedlichen Beträgen aufgeschlüsselt nach Tariflohngruppen ausgewiesen. Auf die vorgelegten Kopien wird Bezug genommen (Bl. 63, 64, 66, 67 GA). Unter dem 12.05.2003 kündigte die Beklagte die "zur Zeit gültigen Betriebsvereinbarungen Prämienlohn" (Kopie dieses Kündigungsschreibens: Bl. 68 GA). Nachfolgend legte die Beklagte dem Betriebsrat die Aufstellung "Prämienlohn Werk G2 - Neue Vereinbarung - Stand: gültig ab 01.06 2003 - CORE & SERVO Bereiche" vor (Kopie Bl. 69 GA). Der Betriebsrat erhob keine Einwendungen. Die Beklagte zahlte fortan die Prämie entsprechend dieser Aufstellung. Als Zulage ist dort für die Tariflöhne der Gruppen 3 bis 10 einheitlich jeweils der Betrag von 1,66 € ausgewiesen. Unter der - in der vorgelegten Kopie nicht unterzeichneten - Aufstellung findet sich als Fußnote zu "Zulage" der nachstehende Satz:

"Diese Zulage ist als übertarifliche Zulage zu sehen. Diese wird freiwillig und unter dem Vorbehalt gezahlt, dass sie jederzeit widerrufen werden kann bzw. bei Erhöhungen der Tariflöhne angerechnet werden kann; oder auch an zukünftige Leistungs- bzw. Verhaltensmerkmale gekoppelt werden kann. Ebenso können daraus Ansprüche für die Zukunft nicht abgeleitet werden." (Bl. 69 GA)

Im Zuge der Tariflohnerhöhung zum 01.03.2004 rechnete die Beklagte die Zulage an. Unter dem 18.03.2004 wurde eine neue Tabelle erstellt "Prämienlohn Werk G2 - Neue Vereinbarung - Stand: gültig ab 01.03.2004 - CORE & SERVO Bereiche" (Bl. 72 GA). Die Zulage ist dort mit unterschiedlichen Beträgen zu den einzelnen Lohngruppen ausgewiesen, von 1,51 € für die Lohngruppe 3 bis zu 1,42 € für die Lohngruppe 10. Zu der Zulage findet sich eine - dieses Mal beidseitig unterzeichnete - "Fußnote" mit dem Inhalt der Fußnote des Vorjahres (Bl. 72 GA).

Mit Wirkung zum 01.10.2004 wurde von den Tarifvertragsparteien für das Werk G2 der Beklagten ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag mit einer Laufzeit vom 01.10.2004 bis zum 30.09.2007 abgeschlossen. Dieser hatte für die Beschäftigten eine 10,86 %ige Kürzung ihrer Vergütung zur Folge: die Vergütung für die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten wurde unter Beibehaltung der tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden/Woche um 3 Stunden auf 32 Stunden/Woche sowie multipliziert mit dem Faktor 0,975 abgesenkt. Auch die abgeleiteten Leistungen verminderten sich entsprechend. Am 14.03.2005 unterzeichneten Werkleitung und Betriebsrat eine "Regelungsabsprache zur Tariferhöhung 01.03.2005" (Bl. 73 GA):

"Regelungsabsprache zur Tariferhöhung 01.03.2005 zwischen Betriebsrat und Werkleitung der T1 A1 GmbH, Werk G2, F3. 1 - 12, 12345 G2.

Mit Wirkung vom 01.03.2005 werden die AT-Zulagen, die aufgrund des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages vom 23.09.2004 um 10,86 % gekürzt werden, auf ihre ursprüngliche Basis (100 %) erhöht. Damit wird der firmenbezoge Verbandstarifvertrag vom 23.09.2004 auf die AT-Zulagen nicht mehr angewendet.

Die Tariferhöhung zum 01.03.2005 wird jedoch in Höhe von 10,86 % der AT-Zulage, jedoch nur bis zur maximalen Erhöhung des Tarifentgeltes, auf die AT-Zulagen angerechnet.

Diese Regelung gilt nicht für Mitarbeiter, die sich analog § 1 des Firmenbezogenen Verbandstarifvertrages in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befinden sowie für Mitarbeiter, die sich in einem Altersteilzeitverhältnis befinden."

Zugleich wurden zwei Vereinbarungen über den Prämienlohn in Tabellenform getroffen und unterzeichnet:

- "Prämienlohn Werk G2 - unter Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages - Stand: gültig ab 01.03.05 - CORE & SERVO Bereiche" (Bl. 74 GA),

- "Prämienlohn Werk G2 - ohne Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages - Stand: gültig ab 01.03.05 - CORE & SERVO Bereiche" (Bl. 75 GA).

In der Spalte A der Tabellen ist dort jeweils zu den einzelnen Tariflohngruppen der "Tarif Stand 01.03.2005 [Euro/Stunde]" angegeben:

- beginnend mit "1426,45 - 9,37" für den Tariflohn Gruppe 3 und endend mit "2206,01 - 14,49" für den Tariflohn der Gruppe 10 ("unter Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages")

- beginnend mit "1600,18 - 10,51" für den Tariflohn Gruppe 3 und "2474,69 - 16,25" für den Tariflohn der Gruppe 10 ("ohne Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages")

Daneben finden sich jeweils in der Spalte B nach Lohngruppen differenzierte Zulagenbeträge:

- von 204,94 € / 1,35 € für Gruppe 3 bis 192,72 € / 1,27 € für Gruppe 10 in der Aufstellung "unter Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages"

- und von 229,90 € / 1,51 € bis 216,20 € / 1,42 € in der Aufstellung "ohne Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages".

Auf beiden Aufstellungen findet sich in der Fußleiste der vom Personalleiter W1 und von dem Betriebsratsvorsitzenden O1 unterschriebene Satz:

"Während der Laufzeit des verbandsbezogenen Sondertarifvertrages werden die in Spalte B definierten Zulagen grundsätzlich nicht gegen eventuelle tarifliche Erhöhungen des Tarifentgeltes (Spalte A) verrechnet."

Mit Wirkung ab dem 01.06.2006 wurde im Werk G2 der Beklagten ERA eingeführt. Gleichzeitig erfolgte ab dem 01.06.2006 eine tabellenwirksame Lohnerhöhung in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens sowohl nach dem Lohnabkommen (LA) vom 22.04.2006 wie auch nach dem ERA-Entgeltabkommen (EA) vom 22.04.2006. Bei der ERA-Einführung gehörte der Kläger zu den sogenannten ERA-Unterschreitern - das sind die Arbeitnehmer, deren neues Entgelt auf der Basis ERA höher ist als das bisherige Entgelt nach LRA. Hierzu erhält der ERA-Einführungstarifvertrag (ERA-ETV) vom 18.12.2003 folgende Regelung:

"§ 4 Heranführung der Unterschreiter / Absicherung der Überschreiter

1. Für den / die Beschäftigte wird zum betrieblichen Einführungsstichtag die Differenz seines / ihres tariflichen Entgelts auf Basis des ERA und auf Basis der bisherigen Tarifverträge gebildet. Diese Differenz wird wie folgt berechnet:

Bisheriger Monatsgrundlohn / bisheriges Gehalt + bisherige leistungsabhängige Entgeltbestandteile bzw. bisherige Leistungszulage + ggf. Vorarbeiterzuschlag + Zulage für Meister in Warmbetrieben und Vorzeichner + Gruppenzulage abzüglich Neues ERA-Monatsgrundgehalt + neue leistungsabhängige Entgeltbestandteile bzw. neue Leistungszulage + ggf. Entgeltgruppenzulage.

Beschäftigte, bei denen die Differenz negativ ist, sind Unterschreiter.

Beschäftigte, bei denen die Differenz positiv ist, sind Überschreiter.

2. Bei Unterschreitern erfolgt die Heranführung an das neue ERA-Entgelt wie folgt:

Die negative Differenz (§ 4 Nr. 1) wird mit einem bestehenden Entgeltsicherungsbetrag (§ 18 MTV bzw. TV LGS) verrechnet.

Bisher gewährte übertarifliche Verdienste sollen verrechnet werden.

Verbleibende Differenzen werden zum Stichtag der betrieblichen ERA-Einführung um € 100 reduziert, jedoch maximal um den vollen verbleibenden Differenzbetrag.

.........."

Im Falle des Klägers - wie auch bei den übrigen Unterschreitern - verrechnete die Beklagte den sich anlässlich der ERA-Einführung ergebenden Differenzbetrag von 19,61 € mit dem Zulagenbetrag von 204,94 € per Juni 2006, so dass sich als neuer Zulagenbetrag 185,33 € ergab (204,94 € - 185,33 €= 19,61 / Einzelheiten: Berechnungsbogen der Beklagten "voraussichtliche Mitarbeiterdaten bei Einführung des ERA bei 01.06.2006", Bl. 5 GA - dort auszugsweise:

- Ist-Entgelt LG5 Tarifentgelt 1.571,74 € - bei ERA-Einführung verrechenbare übertarifliche Entgeltbestandteile 204,94 € - Gesamtentgelt 1.776,68 € -

- Entgelt bei ERA-Einführung 01.06.2006 EG 6 ERA-Tarifentgelt (nach Anwendung d. Tariffaktors 0,9483) 1.591,35 € - Differenzbetrag 19,61 € Unterschreiter - ÜT-Bestandteile angerechnet 19,61 € verbleibend 185,33 € - ERA-Gesamtentgelt 1.776,68 €)

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die bisher gezahlte "freiwillige Zulage" habe ihre Rechtsgrundlage in einer Betriebsvereinbarung und könne nicht einseitig durch die Beklagte ohne Vereinbarung mit dem Betriebsrat auf das neue Tarifentgelt ERA angerechnet werden. Durch die zuletzt getroffene Vereinbarung mit dem Betriebsrat bestehe eine Anrechnungssperre bei Tariflohnerhöhungen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 19,61 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Fälligkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, es handele sich um eine freiwillige jederzeit widerrufliche über- /außertarifliche Zulage. Diese habe sie im Rahmen der ERA-Einführung verrechnen können. Ein betriebsverfassungsrechtlicher Anspruch auf Beibehaltung der bisherigen Zulage bestehe nicht. Die Verrechnung der freiwilligen Zulage erfolge gerade nicht gegen eine Tariflohnerhöhung sondern im Rahmen einer Eingruppierung der Mitarbeiter in ein völlig neues Tarifsystem. Dies habe nichts mit einer Anhebung der Vergütung aufgrund einer tariflichen Lohnerhöhung zu tun. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates seien nicht verletzt. Zwar werde durch die Verrechnung, die nur bei den sogenannten ERA-Unterschreitern vorgenommen werde, das System der Zulagen im Verhältnis untereinander verändert. Auch innerhalb der Gruppe der ERA-Unterschreiter komme es zu Verschiebungen der Zulagenverhältnisse, da in dieser Gruppe Eingruppierungen in verschiedene neue Lohngruppen vorgekommen seien. Innerhalb der einzelnen Gruppen nehme die Beklagte jedoch keine individuellen Zulagenkürzungen vor. Vielmehr erfolge die Anrechnung auf der Grundlage des neuen Entgeltsystems einheitlich.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 31.01.2007 zur Zahlung von 19,61 € nebst Zinsen verurteilt und die Berufung zugelassen. Gemäß der Betriebsvereinbarung vom 14.03.2005 habe der Kläger einen Anspruch auf die ungekürzte Zulage. Mit der Vereinbarung vom 14.03.2005 habe die Beklagte für die Zeit ab dem 01.03.2005 eine neue Zulagenregelung in der Tabellenform der Prämienaufstellung getroffen. Diese wirke als Zulagenregelung gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG i. V. m. § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend zugunsten des Klägers. Eine Fußnote wie in der Prämienlohnvereinbarung der Jahre 2003 und 2004 sei in der Vereinbarung des Prämienlohns ab dem 01.03.2005 gerade nicht vereinbart worden. Die Zulagenregelung ab dem 01.03.2005, die in der rechtswirksamen Form der Betriebsvereinbarung getroffen worden sei, wirke über den 31.05.2006 fort und gewähre dem Kläger einen unmittelbaren und zwingenden Lohnanspruch gegenüber der Beklagten. Ohne neue Betriebsvereinbarung könne die Beklagte die beanspruchte Verrechnung nicht realisieren. Etwas anderes folge auch nicht aus § 4 ERA-ETV, wonach bisher gewährte übertarifliche Verdienste verrechnet werden sollen. Es handele sich um eine bloße Sollvorschrift. Außerdem verkenne die Beklagte, dass sie ohne Mitwirkung des Betriebsrates einseitig die bisherige Zulagenregelung nicht ändern könne. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bestehe dann, wenn der Arbeitgeber durch die völlige oder teilweise Anrechnung von Tariflohnerhöhung eine Änderung der Verteilungsgrundsätze herbeiführe. Vorliegend habe die Beklagte gerade keine gleichmäßige Anrechnung ihrer übertariflichen Zulagen um den gleichen Prozentsatz bei allen Arbeitnehmern vorgenommen. Auch habe sie nicht alle Zulagen gestrichen. Die ohne die zwingende Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 10 BetrVG vorgenommene Anrechnung entfalte gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer keine Wirkung. Der Arbeitnehmer habe Anspruch auf die Zulage in bisheriger Höhe.

Das Urteil ist der Beklagten am 26.02.2007 zugestellt worden. Die Beklagte hat am 26.03.2007 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 29.05.2007 am 29.05.2007 begründet.

Die Beklagte wendet ein, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der ungekürzten Zulage angenommen. Nicht richtig sei, dass alle von der Beklagten beanspruchten Verrechnungsmöglichkeiten eine neue Betriebsvereinbarung voraussetzten. Eine solche Verpflichtung resultiere insbesondere nicht aus der Protokollnotiz vom 14.06.2002, wonach die jeweils aktuelle Prämienlohntabelle mit dem Betriebsrat nach einer Tariferhöhung zu vereinbaren sei. Der aus der Protokollnotiz seinerzeit resultierenden Verpflichtung sei sie stets nachgekommen. Letztlich resultierten hieraus auch die von den Betriebsparteien unterzeichneten Prämienlohntabellen vom 14.03.2005 gültig ab 01.03.2005. Die durchgeführte Verrechnung setze im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts keine neuen Prämienlohntabelle / Betriebsvereinbarung zwischen den Parteien voraus. Die Verrechnung auf übertarifliche Zulagen sei mit der Aufstellung einer neuen Prämienlohntabelle nicht gleichzusetzen. In den jeweiligen Prämienlohntabellen hätten die Betriebsparteien lediglich die Zulage, die möglichen Prämien sowie den sich daraus ergebenen maximalen Lohn festgesetzt. Die Frage der Verrechnung der mit der Tabelle bestimmten Zulage sei in einem weiteren zweiten Schritt durchzuführen, der dann - je nach Ausgestaltung - mitbestimmungsfrei sei. Eine neue Prämienlohntabelle müsse für die Verrechnung nicht erstellt werden, da beide Schritte nicht identisch seien.

Die Wirksamkeit der Anrechnung scheitere auch nicht an der zwischen den Betriebsparteien getroffenen Vereinbarung, dass während der Laufzeit des verbandsbezogenen Sondertarifvertrages die in der Prämienlohntabelle definierten Zulagen grundsätzlich nicht gegen eventuelle tarifliche Erhöhungen des Tarifentgeltes verrechnet würden. Das Arbeitsgericht verkenne, dass die streitgegenständliche Anrechnung nicht gegen eine tarifliche Lohnerhöhung aufgrund des Lohnabkommens vom 22.04.2006 erfolge, sondern auf der Basis der ERA-Einführung im Werk des Beklagten in G2 geschehe. Mit der Vereinbarung, dass die Zulagen nicht gegen eventuelle tarifliche Erhöhungen des Tarifentgelts verrechnet werden könnten, seien ausschließlich regelmäßige Tariflohnerhöhungen aufgrund einer Anhebung der Vergütung im Rahmen einer regelmäßigen tariflichen Lohnerhöhung auf der Basis des Lohnabkommens in der Eisen- und Metallindustrie NRW gemeint. Die hier streitgegenständliche Anrechnung sei aber gerade nicht gegen eine solche Tariflohnerhöhung sondern im Rahmen der Eingruppierung der Mitarbeiter in ein völlig neues Tarifsystem erfolgt. Handele es sich nicht um eine Tariflohnerhöhung im Rahmen des Lohnabkommens in der Eisen- und Metallindustrie, so greife die Sperrwirkung der Fußleiste vom 14.03.2005 nicht ein.

Die Anrechnung scheitere auch nicht daran, dass sie der Mitwirkung des Betriebsrates bedurft hätte. Hier vollziehe sich die Änderung der Verteilungsgrundsätze nicht durch eine ungleichmäßige Anrechnung und damit nicht durch eine aktive Handlung der Beklagten, sondern allein dadurch dass sich das Monatsgrundentgelt und damit auch der Differenzbetrag bei den Unterschreitern änderten. Es sei also nicht eine ungleichmäßige Anrechnung, die zu einer Veränderung der Verteilungsgrundsätze führe, sondern es sei die jeweilige neue Entgeltgruppe, die dann die Unterschreiter-Differenzbeträge variieren lasse. So habe auch das Arbeitsgericht eingeräumt, dass sich das Verteilungssystem nicht durch ungleichmäßige Anrechnung sondern allein durch das neue Tarifsystem ändere. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes sei dieser Fall nicht mit dem Fall einer Umgruppierung und ungleichmäßiger Anrechnung zu vergleichen.

Die seitens der Beklagten gegenüber den ERA-Unterschreitern durchgeführte Verrechnung sei deshalb rechtswirksam.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Begründetheit der Klage folge aus der Fußleiste der Prämienlohnaufstellung der Betriebsvereinbarung vom 14.03.2005. Das neue Entgeltsystem beruhe auf einer tarifvertraglichen Regelung. Wenn diese tarifvertragliche Regelung dazu führe, dass es zu einer höheren Vergütung komme, liege eine tarifliche Erhöhung vor, die nach der Fußleiste nicht verrechnet werden dürfe. Nicht nachvollziehbar sei die Argumentation der Beklagten, dass ein Mitbestimmungsrecht in der vorliegenden Konstellation nicht bestehen solle.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 a ArbGG. Die Berufung ist form- und fristgerecht entsprechend den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

Abgesehen von einer ganz geringfügigen Abänderung der Zinsverurteilung ist die Berufung der Beklagten jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die von der Beklagten praktizierte Anrechnung für unzulässig erachtet und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 19,61 € für Juni 2006 verurteilt. Der von der Beklagten praktizierten Anrechnung der Unterschreiterdifferenz auf den Monatsbetrag der streitgegenständlichen Zulage des Klägers steht die Vereinbarung der Betriebsparteien vom 14.03.2005 entgegen, die als Betriebsvereinbarung zu qualifizieren ist. Vereinbart ist dort, dass während der Laufzeit des verbandsbezogenen Sondertarifvertrages die in Spalte B der Prämienlohnaufstellung definierten Zulagen grundsätzlich nicht gegen eventuelle tarifliche Erhöhungen des Tarifentgeltes der Spalte A verrechnet werden. Damit ist die Zulage in einem weiteren Sinne anrechnungsfest ausgestaltet worden, als dies die Beklagte mit ihrer Argumentation annimmt.

Der Anrechnungsausschluss ist von den Betriebsparteien am 14.03.2005 mit der unmittelbaren und zwingenden Wirkung des § 77 Abs. 4 BetrVG vereinbart worden. Der Anrechnungsausschluss ist für die Laufzeit des verbandsbezogenen Sondertarifvertrages und damit zumindest bis zum 30.09.2007 vereinbart. Die am 14.03.2005 von den Betriebsparteien unterzeichnete Vereinbarung über den Anrechnungsausschluss ist in der Folgezeit weder gekündigt noch durch eine neue anderslautende Betriebsvereinbarung abgelöst worden. Der Anrechnungsausschluss war damit bei der Lohnzahlung für Juni 2006 zu beachten.

Der Anrechnungsausschluss ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht beschränkt auf Entgelterhöhungen, die sich aus den regelmäßig von den Tarifvertragsparteien vereinbarten prozentualen Lohnerhöhungen ergeben. Ein derart eingeschränktes Verständnis findet im Wortlaut der Vereinbarung keine Stütze. Dort ist abgestellt auf das Tarifentgelt und "eventuelle tarifliche Erhöhungen des Tarifentgeltes". Damit ist eine Anrechnung und die damit verbundene Kürzung der Zulage für alle Fälle ausgeschlossen, in denen die aktuell maßgeblichen Tabellenwerte des Tarifentgeltes höher ausfallen als der in der Tabelle in der Spalte A ausgewiesene Wert "Tarif Stand 01.03.2005". Die Vereinbarung ist am 14.03.2005 und damit zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden, als abzusehen war, dass die Umstellung auf ERA während der Laufzeit des firmenbezogenen Sondertarifvertrages erfolgen werde. Gleichwohl differenziert die auf die Laufzeit des verbandsbezogenen Sondertarifvertrages abstellende Vereinbarung vom 14.03.2005 nicht zwischen bisherigem Tarifentgelt nach LA/LRA (bis zur ERA-Einführung) und Tarifentgelt EA/ERA (ERA-Entgeltabkommen ab ERA-Einführung). Es heißt schlicht "Tarif Stand 01.03.2005" und "Tarifentgelt (Spalte A)". Angesichts dieser Ausganssituation der Vereinbarung vom 14.03.2005 betrifft der Anrechnungsausschluss jede Steigerung des tarifvertraglichen Tabellenwertes unabhängig davon, ob der höhere Betrag des Tarifentgeltes aus geänderten Tabellenwerten eines Lohnabkommens auf der Basis des alten LRA oder aus geänderten Tabellenwerten eines Entgeltabkommens auf der Basis des neuen ERA resultiert. Es ergibt sich: per 01.06.2006 erhöhte sich das - jetzt nach EA/ERA berechnete - Tarifentgelt für den Kläger von dem Wert der Tabelle mit dem Stand vom 01.03.2005 "unter Anwendung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages" von 1459,62 € auf nun 1591,35 € (Berechnungsbogen der Beklagten Bl. 5 GA). Die in Spalte B der Tabelle vom 14.03.2005 für den Kläger ausgewiesene Zulage von 204,94 € darf "nicht gegen" diese "tarifliche Erhöhung des Tarifentgeltes (Spalte A) verrechnet" werden. Die Absenkung des monatlichen Zulagenbetrages von bisher 204,94 € auf 185,33 € im Juni 2006 verstößt gegen die Vereinbarung. Der durch unzulässige Verrechnung einbehaltene Differenzbetrag von 19,61 € ist an den Kläger auszuzahlen.

Diesem Ergebnis kann die Beklagte nicht mit einem Hinweis auf die Regelung in § 4 Nr. 2 S.3 ERA-ETV begegnen, wonach bei Unterschreitern bisher gewährte übertarifliche Verdienste verrechnet werden sollen. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Tarifvertragsparteien wegen der insoweit bestehenden rechtlichen Problematik bewusst eine bloße "Sollvorschrift" vereinbart haben. Denn ein Tarifvertrag kann nicht verbindlich festlegen, dass vereinbarte übertarifliche Lohnbestandteile auf tarifliche Lohnerhöhungen anzurechnen sind. Soweit nach den für das einzelne Arbeitsverhältnis maßgeblichen Regeln ein übertariflicher Lohnbestandteil auch im Falle einer Tariflohnerhöhung weiter zu zahlen ist, bleibt eine solch günstigere Regelung bestehen, weil der Tarifvertrag nur Mindestlöhne und keine Höchstlöhne festsetzen kann (Schaub, Das Entgeltrahmenabkommen der Metall- und Elektroindustrie und aktuelle Rechtsprechung zu den Übergangsvorschriften, RdA 2006, 374 ff, 377).

Angesichts der vorstehenden Ausführungen kann dahingestellt bleiben, ob die Anrechnung auch unter dem Aspekt einer Verletzung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unzulässig ist. Es muss nicht entschieden werden, ob die nur bei den ERA-Unterschreitern praktizierte Anrechnung wegen der dadurch bewirkten Änderung der Verteilungsgrundsätze der streitgegenständlichen Zulage nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist oder ob die Vorgehensweise der Beklagten als mitbestimmungsfreie Vollanrechnung zu qualifizieren ist, welche für eine anderweitige Anrechnung bzw. Kürzung der Zulagen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keinen Regelungsspielraum bietet (hierzu GK-BetrVG - Wiese, 8. Auflage 2005, § 87 BetrVG Rz. 883 ff).

Die Korrektur des vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Termins des Zinsbeginns um einen Tag berücksichtigt, dass der Verzug erst mit dem auf den letzten Fälligkeitstag folgenden Werktag beginnt (BAG 15.15.2001 - 1 AZR 672/00 - AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 176 unter II).

Da die Beklagte mit ihrer Berufung bis auf die geringfügige Abänderung zur Zinsverurteilung unterlegen ist, hat sie gemäß §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Kammer die Revision zugelassen, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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