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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.06.2009
Aktenzeichen: 13 Sa 1997/08
Rechtsgebiete: MTV Einzelhandel NRW


Vorschriften:

MTV Einzelhandel NRW § 11 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 19.11.2008 - 5 Ca 1770/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über tarifliche Entgelterhöhungsansprüche sowie um die Wirksamkeit einer tarifvertraglichen Altersgrenze.

Der am 14.06.1944 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 07.05.1990 als Hausschreiner zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.288,00 € beschäftigt.

In § 1 Nr. 3 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages heißt es unter anderem:

"Die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge sind Bestandteil dieses Vertrages."

Wegen des weiteren Inhalts des Vertrages wird Bezug genommen auf die mit Klageschriftsatz vom 23.07.2008 eingereichte Kopie (Bl. 7 ff. der Akten).

Zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses waren beide Parteien tarifgebunden. Mit Wirkung ab 01.09.2005 wandelte die Beklagte ihre Mitgliedschaft im zuständigen Einzelhandelsverband von einer solchen mit in eine ohne Tarifbindung um.

Unter Hinweis auf die Änderung des Status im Arbeitgeberverband lehnte die Beklagte die folgende Tariflohnerhöhung mit Wirkung ab 01.09.2006 ab.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass auch die nach dem 31.08.2005 erfolgten Tarifentgelterhöhungen an ihn weiterzugeben seien. Dies ergebe sich schon aus § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrages, weil dieser keine bloße deklaratorische Gleichstellungsabrede beinhalte. Vielmehr solle danach die jeweilige tarifliche Regelung zur Anwendung kommen. Für eine Gleichstellungsabrede habe wegen der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge bei Arbeitsvertragsschluss für die Parteien auch keine Veranlassung bestanden. Ein früheres Bestandsschutzverfahren im Jahre 2005 habe letztlich mit einer Kündigungsrücknahme durch die Beklagte geendet, ohne dass es zu einer naheliegenden Änderung des Arbeitsvertrages gekommen sei.

Auch sei im Arbeitsvertrag das altersbedingte Ende des Arbeitsverhältnisses nicht wirksam vereinbart worden. Die Regelung in § 11 Abs. 5 MTV Einzelhandel NRW führe zu keinem anderen Ergebnis; so habe sich die Regelaltersgrenze für den Bezug ungekürzter Altersrente nach Abschluss des Tarifvertrages geändert.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.412,00 € brutto nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus monatlich 23,00 € brutto für die Monate September 2006 bis April 2008 und aus jeweils monatlich 92,00 € brutto für die Monate Mai 2008 bis Oktober 2008 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm für die Zeit ab dem 01.11.2008 eine monatliche Vergütung nach der Lohngruppe III Staffel c) in der Fassung des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel NRW vom 25.07.2008 zu zahlen und etwaige monatliche Bruttonachzahlungsbeträge beginnend mit dem 01.11.2008 jeweils ab dem Ersten des Folgemonats mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszins jährlich zu verzinsen,

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Vollendung seines 65. Lebensjahres sein Ende finden wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, dass ein Anspruch auf Zahlung der nach dem 31.08.2005 eingetretenen Tarifentgelterhöhungen nicht bestehe. Die im Arbeitsvertrag enthaltene Bezugnahmeklausel sei lediglich als Gleichstellungsabrede auszulegen.

Auch ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Kalendermonats, in dem der Kläger das 65. Lebensjahr vollende, weil die einschlägige Tarifnorm unverändert auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.11.2008 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger Tarifentgelterhöhungen nach dem 31.08.2005 nicht mehr beanspruchen könne. Die in § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrages vereinbarte sog. Gleichstellungsabrede habe sicherstellen wollen, dass der Arbeitnehmer an der Tarifentwicklung der in Bezug genommenen einschlägigen Tarifverträge teilhabe - allerdings nur solange, bis sie für einen tarifgebundenen Mitarbeiter ende, namentlich, wie hier, durch den Wechsel des Arbeitgebers in eine sog. OT-Mitgliedschaft.

Unter Vertrauensschutzgesichtspunkten sei diese Auslegung auch im vorliegenden Fall trotz der inzwischen geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts maßgeblich.

Durch die im Kündigungsschutzstreit erfolgte Rücknahme der Berufung der Beklagten sei der bis zur Kündigung geltende Rechtzustand ohne Änderungen wieder herbeigeführt worden. Auch die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestandene Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge ändere nichts daran, dass für das Dauerschuldverhältnis in der Zukunft ein Regelungsbedürfnis bestanden habe.

Im Übrigen sei für den Kläger die Altersgrenze 65 wirksam vereinbart worden. Die einschlägige Tarifnorm sei sachlich gerechtfertigt und genüge auch den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.

Er weist darauf hin, dass schon vor der Schuldrechtsreform der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellungsabrede nicht zu folgen gewesen sei. Davon abgesehen sei der Rechtscharakter des sog. Altvertrages durch das Verhalten der Beklagten im Kündigungsschutzprozess geändert worden. Schließlich müssten die besonderen Umstände des Einzelfalles, nämlich eine vertragliche Dynamisierungsklausel neben der Allgemeinverbindlichkeit, dazu führen, dass die Grundsätze zum Vertrauensschutz unanwendbar seien.

Was die vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses auf die Vollendung des 65. Lebensjahres angehe, müsse berücksichtigt werden, dass die Tarifvertragsparteien damals von einer entsprechenden Regelaltersgrenze ausgegangen seien, die zwischenzeitlich um zwei Jahre verlängert worden sei. Dies habe zum Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Bochum vom 19.11.2008 - 5 Ca 1770/08- abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.056,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2009 zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für den Zeitraum ab 01.06.2009 eine Vergütung nach § 2 Abs. 3 Lohngruppe III Lohnstaffel c) des jeweiligen Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zu zahlen,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund tariflicher Altersgrenze mit Ablauf des 30.06.09 beendet wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und stützt sich zudem auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang unbegründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der ab dem 01.09.2006 erfolgten tariflichen Entgelterhöhungen; er kann auch keine Feststellung des Inhalts verlangen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund des Erreichens der tariflichen Regelaltersgrenze mit Ablauf des 30.06.2009 beendet wird.

Insoweit folgt die Kammer in allen Punkten den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts einschließlich der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.06.2008 (7 AZR 116/07 - AP TzBfG § 14 Nr. 48) und nimmt auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

Die Ausführungen in der Berufungsinstanz geben lediglich zu folgenden ergänzenden Bemerkungen Anlass:

I. Wenn, wie hier, der Arbeitgeber in einem Kündigungsrechtsstreit erstinstanzlich unterliegt und die eingelegte Berufung zurücknimmt, steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst worden ist, also zu unveränderten Bedingungen fortbesteht. In einer solchen Konstellation sind entgegen der Ansicht des Klägers kein Spielraum und auch keine Notwendigkeit gegeben, z. B. durch die Abgabe einer Bestätigung auf den Inhalt der getroffenen Arbeitsvertragsabsprachen Einfluss zu nehmen.

II. Weil die Beklagte zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses tarifgebunden war, ist mit dem Bundesarbeitsgericht (zuletzt z. B. 04.06.2008 - 4 AZR 316/07 - Fall aus dem Einzelhandel; 10.12.2008 - 4 AZR 881/07) als Regelfall davon auszugehen, dass die Beklagte mit der vereinbarten Klausel (dauerhaft) die nicht organisierten mit den organisierten Mitgliedern gleichstellen wollte. Gegen eine solche Auslegung spricht nicht die Tatsache, dass die in Bezug genommenen Tarifverträge zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auch allgemeinverbindlich waren. Denn nach der vorhersehbaren Beendigung der Laufzeit der Tarifverträge und damit auch der Wirkung der Allgemeinverbindlichkeit kann die mit der Bezugnahme erfolgte Gleichstellungsabrede wieder zum Tragen kommen.

III. Was die Wirksamkeit der vereinbarten Befristung des Arbeitsverhältnisses auf die Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers angeht, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass generell bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Befristung auf den Zeitpunkt ihrer Vereinbarung abzustellen ist, spätere Entwicklungen also unberücksichtigt bleiben.

Aber selbst wenn man mit dem Kläger allgemein erwägen würde, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 die Geschäftsgrundlage einer Befristung auf das 65. Lebensjahr in Frage stellt, kann dies jedenfalls für ihn nicht gelten. Denn von den zum 01.01.2008 in Kraft getretenen rentenversicherungsrechtlichen Neuregelungen (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - BGBl. I 2007, 554) ist der am 14.06.1944 geborene Kläger gar nicht betroffen, bei ihm ist es also bei der Regelaltersgrenze von 65, wie sie in § 11 Abs. 5 MTV Einzelhandel NRW vorausgesetzt worden ist, geblieben.

Mit dem Bundesarbeitsgericht (18.06.2008 - 7 AZR 116/07 - AP TzBfG § 14 Nr. 48) ist die erkennende Kammer auch der Ansicht, dass zur Klärung der Frage, ob das Gemeinschaftsrecht der genannten tarifvertraglichen Regelung entgegensteht, eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht (mehr) geboten ist. Denn dieser hat in seiner Entscheidung vom 16.10.2007 (Rs C-411/05 - Felix Palacios - AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 8) mit der erforderlichen Eindeutigkeit die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Prüfung der Rechtfertigung einer auf dem Merkmal des Alters beruhenden Ungleichbehandlung herausgestellt, nämlich die legitimen Ziele des nationalen Gesetzgebers und den Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit und Erforderlichkeit.

Wenn demgegenüber das Arbeitsgericht Hamburg (20.01.2009 - 21 Ca 235/08 - LAGE Richtlinie 2000/87 EG-Vertrag 1999 Nr. 2) zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, beruht das auf den nicht verallgemeinerungsfähigen Besonderheiten des konkreten Vorlagefalles, nämlich einer teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin aus dem Niedriglohnsektor im Gebäudereinigergewerbe, der mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres lediglich eine monatliche Altersrente in Höhe von 253,19 € zustand. Demgegenüber war der Kläger allein bei der Beklagten über 19 Jahre in einem Vollzeitarbeitsverhältnis tätig - mit dem entsprechenden Erwerb von Rentenansprüchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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