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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.06.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 298/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 18.01.2006 - 6 Ca 3066/05 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen; der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung.

Der am 13.05.1966 geborene, geschiedene Kläger trat mit Wirkung ab 18.07.1988 in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten, bei der ca. 150 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Seit Juli 2005 wurde der Kläger, der Mitglied des im Betrieb bestehenden Betriebsrates ist, als Schichtführer in der Walzerei zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 4.000,00 € eingesetzt.

Am 04.10.2005 fand ein Gespräch zwischen dem Betriebsleiter K3xxx, der Prokuristin S6xxxx, dem Kläger und drei weiteren Mitarbeitern statt. In dieser Unterredung wurde dem Kläger vorgehalten, am 24.08.2005 bzgl. eines näher benannten Fertigungsauftrages vom Arbeitnehmer N3xxxxxxx auf Schlechtteile an drei gewalzten Behältern hingewiesen worden zu sein. Trotzdem habe er die Anweisung gegeben, den Fertigungsprozess fortzusetzen; anschließend habe er auf dem Bearbeitungsnachweis die Personalnummern der Mitarbeiter D4xxx und T1xxxx vermerkt, um den Verdacht der Schlechtleistung auf diese zu lenken. Ebenso sei er am 03.09.2005 von dem Arbeitnehmer D4xxx auf unrichtig eingestellte Walzen aufmerksam gemacht worden. Auch hier habe er den Arbeitsvorgang fortsetzen lassen und die Personalnummer des Beschäftigten T2xxxxxxxx auf dem Bearbeitungsnachweis vermerkt.

Am 05.10.2005 hörte die Beklagte den Betriebsrat schriftlich zur beabsichtigten "fristlosen" Kündigung an und führte zur Begründung aus:

Urkundenfälschung = Eintragung von Personalnummern auf Arbeitspapieren von Mitarbeitern, die an dem Prozess nicht beteiligt waren (Urlaub).

Wissentliche Weitergabe in dem Fertigungsprozess von Teilen mit Schrottanteil.

Nach der am selben Tag erfolgten Zustimmung des Betriebsrates sprach die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 06.10.2005 (Bl. 4 d. Akten) die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

Eine zweite - inhaltsgleiche - außerordentliche Kündigung erfolgte "vorsorglich" mit Schreiben vom 24.10.2005 (Bl. 14 d. Akten).

Der Kläger hat bestritten, jemals wissentlich Material mit Schlechtanteilen im weiteren Fertigungsprozess gelassen zu haben. Er habe auch niemals falsche Personalnummern auf Bearbeitungsnachweisen vermerkt, um anderen Mitarbeitern zu schaden. Dies wäre auch wenig erfolgversprechend gewesen, wenn er zuvor nachweislich von anderen Arbeitnehmern auf Schlechtteile aufmerksam gemacht worden wäre.

Des Weiteren hat der Kläger die Ansicht vertreten, die Anhörung des Betriebsrates sei wegen der bloßen schlagwortartigen Unterrichtung unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 06.10.2005 aufgelöst ist, sondern ungekündigt fortbesteht;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die weitere Kündigung der Beklagten vom 24.10.2005 aufgelöst ist, sondern ungekündigt fortbesteht;

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Vorarbeiter in der Walzerei zu gleichbleibenden Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die dem Kläger zugeschriebenen Geschehnisse, von denen man erstmals am 27.09.2005 Kenntnis erlangt habe, seien so abgelaufen, wie man ihm das im Gespräch am 04.10.2005 vorgehalten habe. Daraus folge in zwei Fällen ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten. Im Übrigen bestehe der dringende Verdacht, der Kläger habe die Bearbeitungsnachweise gefälscht, um die Weitergabe von Schlechtteilen in den Fertigungsprozess anderen Mitarbeitern zuzuschreiben.

Weiterhin hat die Beklagte behauptet, den Betriebsratsvorsitzenden B1xxxxxxxx am 04.10.2005 vom Kündigungssachverhalt mündlich umfassend in Kenntnis gesetzt zu haben.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.01.2006 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die erste Kündigung vom 06.10.2005 sei gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, weil nach dem Vortrag der Beklagten nicht festgestellt werden könne, dass der Betriebsrat im Vorfeld ordnungsgemäß angehört worden sei. So würden die Kündigungsvorwürfe im Schreiben vom 05.10.2005 nur schlagwortartig umschrieben. Es lasse sich dem Beklagtenvortrag auch nicht entnehmen, welche Details in der Unterredung mit dem Betriebsratsvorsitzenden am 04.10.2005 zur Sprache gekommen seien, insbesondere ob man dem Kläger die behauptete Urkundenfälschung als sicher begangene Tat oder als Verdacht vorhalte.

Hinsichtlich der vorsorglich ausgesprochenen Kündigung vom 24.10.2005 sei die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S. 1, S. 2 BGB nicht gewahrt.

Gegen dieses ihr am 01.02.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.02.2006 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 03.05.2006 - am 02.05.2006 begründet.

Die Beklagte behauptet, dem Betriebsratsvorsitzenden B1xxxxxxxx sei anlässlich eines Gesprächs am 04.10.2005 vom Betriebsleiter K3xxx und der Prokuristin S6xxxx der Sachverhalt so umfassend, wie er nunmehr auch im Prozess vorgetragen werde, erläutert worden. Namentlich habe man ihn auch über den "bloßen" Verdacht der Falscheintragung von Personalnummern durch den Kläger unterrichtet.

Über die Kündigungsvorwürfe habe sie erstmals durch den Mitarbeiter T2xxxxxxxx am 27.09.2005 erfahren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 18.01.2006 - 6 Ca 3066/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er weist weiterhin darauf hin, es werde nicht deutlich, dass im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden am 04.10.2005 der Kündigungssachverhalt in dem behaupteten Umfang erörtert worden sei. Dies müsse deshalb weiterhin bestritten werden. Im Übrigen habe er, der Kläger, die ihm zur Last gelegten Verfehlungen nicht begangen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Beide streitbefangenen außerordentlichen Kündigungen sind unwirksam, so dass der Kläger seine Weiterbeschäftigung verlangen kann.

I.

Die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigungen vom 06.10. und 24.10.2005 folgt bereits aus § 626 Abs. 1 BGB. Denn aus Sicht der erkennenden Kammer liegen keine ausreichenden Tatsachen vor, aufgrund derer man unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dazu kommen könnte, ein im Kündigungszeitpunkt mehr als 17 Jahre bestandenes Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden.

Selbst wenn man in dem Zusammenhang einmal vom Vortrag der Beklagten ausgeht, der Kläger habe sich in 2 Fällen bewusst über Hinweise von Arbeitnehmern auf Schlechtteile bzw. nicht ordnungsgemäß funktionierende Walzen hinweggesetzt, gewinnt ein solches Fehlverhalten nur Sinn, wenn es verbunden wird mit Maßnahmen, um den Verdacht auf andere zu lenken. Auf diesen zwingenden Zusammenhang hat die Beklagte selbst auch bereits im ersten Schriftsatz vom 09.12.2005 auf Seite 3 hingewiesen, wenn sie dort ausführt, das Einsetzen fremder Personalnummern habe einzig und allein dem Zweck dienen können, anderen Mitarbeitern eine Schlechtleistung "anzuhängen". Im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 02.05.2006 auf Seite 7 knüpft die Beklagte daran an, wenn sie von Vertuschungshandlungen spricht. Auch in der mündlichen Verhandlung am 09.06.2006 wurde von ihrem Vertreter die Vermutung aufgestellt, es sei darum gegangen, effektiver arbeitende Arbeitnehmer durch ihnen zugeschriebene fehlerhafte Leistungen in Misskredit zu bringen.

Dem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat und dem folgenden Kündigungsschreiben lässt sich auch aus der - nicht chronologischen - Reihenfolge der angeführten Gründe, nämlich zunächst die Falscheintragung von Personalnummern und dann die wissentliche Weitergabe von Teilen mit Schrottanteilen, entnehmen, dass nur beide Sachverhaltskomplexe zusammen den Kündigungsvorwurf begründen sollen und dies dem Betriebsrat auch so mitgeteilt worden ist. Bezeichnenderweise führt die Beklagte im Schriftsatz vom 09.12.2005 auf Seite 11 auch aus, die "Ungeheuerlichkeit" des Verdachts von Falscheintragungen habe ihr keine andere Wahl gelassen, als fristlos zu kündigen.

Was in dem Zusammenhang den Gerichtspunkt der Falscheintragung von Personalnummern auf Bearbeitungsnachweisen angeht, beruft sich die Beklagte selbst auf bloße Verdachtsgründe.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z. B. AP KSchG 1969 § 1 Nr. 79; AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37, 36, 25, 24, 23) kann in einer solchen Konstellation eine (außerordentliche) Kündigung nur gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem betroffenen Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Gerade wegen der Gefahr, einen Unschuldigen zu treffen, der seines durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheitsrechts auf Beibehaltung des gewählten Arbeitsplatzes verlustig gehen würde, muss vom Arbeitgeber im Vorfeld einer solchen Kündigung verlangt werden, alles zu tun, um den Verdacht zu objektivieren und den zugrundeliegenden Sachverhalt umfassend aufzuklären.

Diesen Anforderungen ist die Beklagte hier nicht gerecht geworden.

In dem Zusammenhang fällt bereits auf, dass es in der Rubrik "Unterschrift" auf den Bearbeitungsvermerken erlaubt ist, mit für alle Arbeitnehmer verfügbaren Stempeln oder sogar handschriftlich das Datum und die Personalnummer einzutragen. Der damit durch unzureichende Vorgaben der Beklagten eröffneten Gefahr von Manipulationen hätte diese im Falle des von ihr bezichtigten Klägers zum Beispiel durch Schriftvergleiche in Bezug auf die in den beiden einschlägigen Bearbeitungsvermerken verwandten Zahlen 2, 4, 0, 8 sowie 1, 5, 9 und 3 zwingend Rechnung tragen müssen. So wäre möglicherweise dem Einwand zu begegnen gewesen, ein anderer Mitarbeiter habe die Falscheintragungen vorgenommen, um den Verdacht auf den Kläger zu lenken.

Es hätte auch die Frage aufgeworfen werden müssen, warum namentlich der von beiden Vorfällen betroffen gewesene Arbeitnehmer T2xxxxxxxx mehr als einen Monat bzw. mehr als drei Wochen zuwartete, bevor er die Geschehnisse dem Arbeitgeber zur Kenntnis brachte.

Wegen des insoweit von der Beklagten nicht ausreichend ermittelten Sachverhaltes bestand die Gefahr, in der Person des Klägers einen Unschuldigen zu treffen.

Schon deshalb sind beide außerordentlichen Kündigungen rechtsunwirksam, so dass offen bleiben kann, ob die Beklagte den Anforderungen des § 102 Abs. 1 BetrVG gerecht geworden ist, wobei bezüglich der vorsorglich ausgesprochenen zweiten Kündigung vom 24.10.2005 gar kein diesbezüglicher Vortrag gegeben ist.

II.

Der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Fortbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses ergibt sich aus dem §§ 611 Abs. 11, 613, 242 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.



Ende der Entscheidung

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