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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.10.2004
Aktenzeichen: 13 Sa 874/03
Rechtsgebiete: KSchG, TzBfG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
TzBfG § 14 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 08.04.2003 - 3 Ca 2045/02 - abgeändert.

Es wird feststellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 04.11.2002 mit Ablauf des 31.05.2003 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Der am 01.02.13xx geborene Kläger ist verheiratet und hat drei Kinder, von denen noch zwei unterhaltsberechtigt sind. Mit einer Beschäftigungszeit ab dem 06.09.1978 (unter Anrechnung von Vordienstzeiten) steht er als Produktionshelfer zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.500,00 EUR in den Diensten der Beklagten, einem Betrieb der Küchenmöbelindustrie mit mehreren hundert Arbeitnehmern. Nachdem der Kläger in den Jahren 1996 bis 1998 insgesamt 316 Arbeitstage arbeitsunfähig erkrankt war, erhielt er unter dem 24.11.1998 eine erste ordentliche Kündigung zum 30.04.1999. Im anschließenden Kündigungsschutzverfahren schlossen die Parteien vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (AZ: 16 Sa 1342/99) am 03.02.2000 einen Vergleich, in dem unter anderem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.1999 und eine Wiedereinstellung des Klägers ab 05.09.1999 vereinbart wurde. Im Jahre 2000 fehlte der Kläger sodann krankheitsbedingt an 47 Arbeitstagen vom 17.08. bis zum 22.10.2000. Im Folgejahr war er am 20.04.2001 arbeitsunfähig erkrankt und dann ab dem 19.11.2001 durchgehend, bevor ihm die Beklagte am 04.11.2002, zugegangen am Folgetag, die ordentliche Kündigung zum 31.05.2003 aussprach. Mit seiner beim Arbeitsgericht am 18.11.2002 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt. Er hat darauf hingewiesen, dass er am 18.02.2003 eine Kur in B3x W4xxxxxxx angetreten habe, wo er wegen psychosomatischer Störungen therapiert werde. Es sei davon auszugehen, dass er nach Beendigung der Kur wieder arbeitsfähig sei. Der Kläger hat insoweit verwiesen auf eine Bescheinigung des Arztes D1. S4xxxxx vom 11.11.2002 (Bl. 16 d.A.). Der Kläger hat die Auffassung geäußert, die Arbeitsunfähigkeitszeiten, die zum Ausspruch der ersten Kündigung geführt hätten, könnten im vorliegenden Verfahren nicht mehr herangezogen werden, da sie "verbraucht" seien. Im Übrigen hat er bestritten, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden sei. Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 04.11.2002, dem Kläger zugegangen am 05.11.2002, nicht aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.05.2002 hinaus fortbesteht. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, für die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers im Jahre 2000 Entgeltfortzahlung in einer Gesamthöhe von 6.634,67 DM erbracht zu haben. Weitere wirtschaftliche Belastungen seien ihr durch die Zahlung von Urlaubsgeld auch für die Ausfallzeiten sowie durch die angefallenen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung entstanden, die sich im Jahre 2000 auf weitere 3.032,91 DM belaufen hätten. Im Jahre 2001 sei eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 6.989,44 DM erbracht worden sowie weitere Arbeitgeberanteile in Höhe von 2.126,61 DM. Die Beklagte hat die Auffassung geäußert, dass aufgrund der in der Vergangenheit aufgetretenen Fehlzeiten eine tatsächliche Vermutung dafür bestehe, dass der Kläger auch zukünftig im gleichen Maße arbeitsunfähig krank sein werde. Folglich könne von einer negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden. Die betrieblichen Beeinträchtigungen ergäben sich zum einen aus den finanziellen Belastungen. Zum anderen müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger seit dem 19.11.2001 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt sei, so dass das arbeitgeberseits bestehende Direktionsrecht auf unabsehbare Zeit nicht hätte ausgeübt werden können. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden, wie sich aus dem Schreiben vom 23.10.2002 im Einzelnen ergebe. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.04.2003 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Vergangenheit, namentlich ab dem 01.09.1997, davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger auch in Zukunft im gleichen Maße arbeitsunfähig krank sein werde. Anhaltspunkte für eine nachhaltige Verbesserung des Gesundheitszustandes seien nicht ersichtlich. Weil es dem Kläger unmöglich sei, auf Dauer seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen, bedürfe es keiner weiteren Prüfung der betrieblichen Beeinträchtigungen. Eine weitere Interessenabwägung müsse auch nicht vorgenommen werden, weil das Arbeitsverhältnis als gegenseitiges Austauschverhältnis nicht mehr fortgesetzt werden könne. Mit dem Schreiben vom 23.10.2002 sei der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden. Gegen dieses ihm am 26.05.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.06.2003 Berufung eingelegt und diese am 23.07.2003 begründet. Der Kläger behauptet, er sei gesundet und wieder voll einsatzfähig. Es bestehe nach erfolgreicher Beendigung einer Kur keine Besorgnis weiterer Erkrankungen mehr. Im Zusammenhang mit der Betriebsratsanhörung rügt der Kläger unter anderem das Fehlen der im Schreiben vom 23.10.2002 genannten Anlagen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 08.04.2003 - 3 Ca 2045/02 - abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 04.11.2002 mit Ablauf des 31.05.2003 aufgelöst worden ist. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie ist der Ansicht, die vorgetragenen Ausfallzeiten rechtfertigten eine negative Zukunftsprognose. Dem sei der Kläger nicht substanziiert entgegengetreten. Auch alle übrigen Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung seien gegeben, namentlich in Gestalt einer Dauererkrankung. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen D1. W6xxxxxxxxx vom 07.07.2004, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 153 ff. d.A.). Entscheidungsgründe: Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Er kann im Verhältnis zur Beklagten die Feststellung verlangen, dass das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche, arbeitgeberseitige Kündigung vom 04.11.2002 mit Ablauf des 31.05.2003 aufgelöst worden ist. Die Kündigung ist nämlich sozialwidrig (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) und damit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung lagen im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 05.11.2002 (noch) nicht vor. In dem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass in der Person des Klägers kein Fall sogenannter häufiger Kurzerkrankungen vorliegt. Davon kann nämlich nur ausgegangen werden bei Leistungsausfällen von jeweils kürzerer Dauer, die sich häufig wiederholen (vgl. ErfK/Ascheid, 4. Aufl., § 1 KSchG Rn. 232). Vorliegend war der Kläger im Jahr 2000 an insgesamt 47 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, und zwar ununterbrochen für mehr als zwei Monate vom 17.08. bis zum 22.10.2000. Im Jahre 2001 ist er dann, vom 20.04.2001 abgesehen, ununterbrochen ab dem 19.11.2001 über knapp ein Jahr bis zum Ausspruch der streitbefangenen Kündigung Anfang November 2002 krankheitsbedingt ausgefallen. Vor dem Hintergrund liegt eine Kündigung wegen langanhaltender Krankheit vor, deren soziale Rechtfertigung nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP KSchG 1969 Krankheit § 1 Nr. 36; AP KSchG 1969 § 1 Nr. 65) in drei Stufen zu prüfen ist. Zunächst bedarf es einer auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bezogenen negativen Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Dadurch muss eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen verursacht worden seien. Schließlich muss die gebotene Interessenabwägung ergeben, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers geführt haben. Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend dazu, dass im Falle des Klägers, bezogen auf den allein relevanten Zeitpunkt Anfang November 2002, nicht festgestellt werden kann, dass die von der Beklagten aufgrund der bis dahin aufgelaufenen beträchtlichen Fehlzeiten angestellte negative Zukunftsprognose tatsächlich schon gegeben war. Denn wie das Bundesarbeitsgericht (a.a.O.) wiederholt betont hat, kann die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit eine ordentliche Kündigung nur dann sozial rechtfertigen, wenn in absehbarer Zeit mit einer anderen - als der negativen - Prognose nicht gerechnet werden kann. Als absehbare Zeit ist in dem Zusammenhang der Zweijahreszeitraum des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG anzusehen, weil er gegebenenfalls durch die befristete Einstellung einer Ersatzkraft überbrückt werden kann. Vorliegend steht aufgrund der gut nachvollziehbaren Ausführungen des Facharztes für Arbeitsmedizin D1. W6xxxxxxxxx in seinem Sachverständigengutachten vom 07.07.2004 zur Überzeugung der Kammer fest, dass im Falle des Klägers in den nächsten 24 Monaten, gerechnet vom Kündigungszeitpunkt an, mit einer günstigeren Gesundheitsprognose zu rechnen war. So steht nach den Angaben des Sachverständigen fest, dass im November 2002 ärztlicherseits eine psychische Ursache für die beim Kläger aufgetretenen Ganzkörperbeschwerden gegeben war, nachdem der Psychiater und Psychotherapeut D1. D4xxxxxx in seinem Befundbericht vom 14.05.2002 entsprechende Feststellungen getroffen hatte. Weiterhin führt der Sachverständige aus, dass das Geschehen nach einer zweijährigen intensiveren Psychotherapie durchaus erfolgreich hätte aufgearbeitet werden können. Aufgrund dessen kann zugunsten der Beklagten nicht angenommen werden, dass schon Anfang November 2002 die angestellte negative Zukunftsprognose tatsächlich gerechtfertigt war. Nach alledem war der Kündigungsschutzklage stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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