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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.04.2008
Aktenzeichen: 13 TaBV 120/07
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 21.08.2007 - 2 BV 14/07 - abgeändert.

Der Antrag wird abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates im Zusammenhang mit der Anordnung unbezahlter arbeitsfreier Tage.

Im Einzelhandelsunternehmen der Arbeitsgeberin findet das Tarifwerk des Einzelhandels NRW Anwendung.

Unter dem 17.01.2001 schloss sie mit dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über eine "Arbeitszeitregelung für das Lager und den Fuhrpark".

Die Betriebsvereinbarung lautet wie folgt:

Der Samstag wird auf Grundlage des MTV Nordrhein-Westfalen aus Arbeitstag mit einbezogen.

Für alle Mitarbeiter gilt die 5-Tage-Woche.

Arbeitszeit im Lager/ Kommissionskontrolle / Handwerk

Planzeitrahmen von Montag bis Freitag 5.oo Uhr - 16.15 Uhr (Kommissionskontrolle 16.3o Uhr)

Beginn der Arbeitszeit zwischen 5.oo Uhr - 8.oo Uhr

Planzeitrahmen am Samstag von 5.oo Uhr - 13.oo Uhr

Pausenzeiten

Von Montag bis Freitag - 45 Minuten

Samstag - 3o Minuten

Arbeitszeit in der Obstabteilung

Planzeitrahmen von Montag bis Freitag 4.oo Uhr - 15.15 Uhr

Planzeitrahmen am Samstag von 4.oo Uhr - 12.oo Uhr

Pausenzeiten:

Von Montag bis Freitag - 45 Minuten

Samstag - 3o Minuten

Teilzeitkräfte

Teilzeitkräfte werden gemäß ihrer im Anstellungsvertrag vereinbarten Arbeitszeit innerhalb des Planzeitrahmens eingesetzt.

Mehrarbeit

Um zu gewährleisten, dass die Frühtouren für den Folgetag vollständig kommissioniert und kontrolliert sind, kann für jeden Mitarbeiter im Lager Mehrarbeit angeordnet werden (maximal 7.5 Stunden in der Woche), wobei der Planzeitrahmen einzuhalten ist. Hierfür gilt die Zustimmung des Betriebsrates im voraus als erteilt. Wünsche der Mitarbeiter sind bestmöglichst zu berücksichtigen.

Arbeitszeit im Fuhrpark

Die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit richtet sich nach den gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen.

Eine Regelmäßigkeit von über 45 Stunden pro Woche darf damit nicht verbunden sein.

Beginn der Arbeitszeit:

Von Montag bis Samstag zwischen 5.oo Uhr und 9.oo Uhr

Grundlage ist der jeweils gültige Fuhrenplan.

Pausenzeiten:

Von Montag bis Freitag - 45 Minuten

Samstag - 3o Minuten

Arbeitszeit in der Warenannahme

Planzeitrahmen Montag bis Freitag von 2.3o Uhr bis 15.oo Uhr

Samstag von 2.3o Uhr bis 13.oo Uhr

Pausenzeiten:

Von Montag bis Freitag 45 Minuten

Samstag 3o Minuten

Allgemein

Geschäftsleitung und Betriebsrat sind sich darüber einig, daß in Kalenderwochen mit Feiertagen für das Unternehmen keine Verpflichtung besteht den Mitarbeiter einen freien Tag zu gewähren.

Sollte über den vereinbarten Planzeitrahmen hinaus Mehrarbeit anfallen, ist diese mit den freigestellten Betriebsratsmitgliedern abzusprechen.

Die Personaleinsatzplanung (Regelung der freien Tage) wird am Montag der Vorwoche erstellt und ausgehängt.

Bei der Erstellung der Personaleinsatzplanung ist von den Abteilungsleitern darauf zu achten, dass die Mitarbeiter jeden 4. Samstag freibekommen.

Abweichungen betreffend des freien Tages sind mit Zustimmung des Mitarbeiters und des Abteilungsleiters möglich.

Wünsche der Mitarbeiter sind bestmöglichst zu berücksichtigen.

Alle Änderungen über den vorgegebenen Rahmen dieser Betriebsvereinbarung hinaus bedürfen der Absprache zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat.

Sollten sich aus der Anwendung dieser Vereinbarung Unstimmigkeiten ergeben, werden diese zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat beigelegt.

Diese Vereinbarung gilt ab 15.o1.2oo1 und kann mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden, erstmalig zum 3o.o6.2oo1.

Im Falle einer Kündigung dieser Vereinbarung wirkt diese bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung nach.

Mit Inkrafttreten dieser Vereinbarung ist die Betriebsvereinbarung über die feiertagsbezogene Regelung vom 12.1o.1987 sowie die Regelungsabrede vom o1.1o.1990 außer Kraft gesetzt.

Bis Ende des Jahres 2006 kam es insgesamt drei Mal vor, dass ein Feiertag auf einen Samstag viel. Alle Mitarbeiter arbeiteten in diesen Wochen von montags bis freitags - einschließlich derjenigen, die planmäßig eigentlich samstags zum Einsatz gekommen wären. Bei der letztgenannten Beschäftigtengruppe führte diese Handhabung zum Verlust des freien Tages, den sie eigentlich an den Werktagen von montags bis freitags bekommen hätten.

Um dieser aus Sicht der Arbeitgeberin ungerechtfertigten Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer entgegenzuwirken, entschloss sie sich mit Wirkung ab 01.01.2007 ohne vorherige Absprache mit dem Betriebsrat zu folgender Vorgehensweise:

Es wird eine gesonderte Personaleinsatzplanung speziell für Wochen mit einem Feiertag vorgenommen. Dies geschieht dergestalt, dass im Voraus der Mitarbeiter-Einsatz für einen bestimmten in der Zukunft liegenden Zeitraum einschließlich der in dieser Zeit auf Montag bis Samstag fallenden Feiertage geplant wird. Ziel ist es dabei, für alle Beschäftigten eine gleiche Anzahl vergüteter und unvergüteter Feiertage zu erhalten. Zugleich soll dadurch sichergestellt werden, dass es zu keinen Benachteiligungen bei der Gewährung zusätzlicher freier Tage kommt.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, durch die ab Anfang 2007 verfügte Einführung eines rollierenden Systems für Wochen mit Feiertagen habe die Arbeitgeberin gegen bestehendes Mitbestimmungsrecht verstoßen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass die Antragsgegnerin nicht berechtigt ist, im Lager/Fuhrpark einen Feiertag für einen Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin als unbezahlten arbeitsfreien Tag anzuordnen, ohne dass der Betriebsrat hierüber zuvor mitbestimmt hat.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hat zum Ausdruck gebracht, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates durch die abgeschlossene Betriebsvereinbarung hinreichend gewahrt sei. Die jetzige Handhabung stehe im Einklang mit der getroffenen Regelung wie auch mit den Maßgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes und sei überdies mit Blick auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz geboten.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 21.08.2007 dem Antrag des Betriebsrates stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die ab Anfang 2007 einseitig durch die Arbeitgeberin eingeführte Handhabung sei durch die Betriebsvereinbarung vom 17.01.2001 nicht gedeckt, weil ihr nicht entnommen werden könne, dass die Arbeitgeberin, soweit dort noch nicht geregelt, frei über die Verteilung der Arbeitszeit bestimmen könne.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Beschwerde.

Sie meint, mit der genannten Betriebsvereinbarung habe der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Personaleinsatzplanung umfassend wahrgenommen. Es sei im Übrigen auch nicht nachvollziehbar, dass nur für Wochen mit Feiertagen, wenn der arbeitsfreie Tag auf einen Feiertag falle, ein Mitbestimmungsrecht reklamiert werde.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 21.08.2007 - 2 BV 14/07 - abzuändern und den Antrag abzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Betriebsvereinbarung enthalte keine exakte Regelung über die Bestimmung freier Tage. Auch aus ihrem systematischen Aufbau ergebe sich kein Verzicht auf das bestehende Mitbestimmungsrecht, wobei schon aus Rechtsgründen auf seinen Kern nicht verzichtet werden könne.

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet.

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts verletzt die arbeitgeberseits mit Wirkung ab 01.01.2007 praktizierte Personaleinsatzplanung mit der Berücksichtigung von Wochenfeiertagen bei der Festlegung arbeitsfreier Tage nicht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.

I. Durch den Anschluss der Betriebsvereinbarung vom 17.01.2001 zur Arbeitszeitregelung für das Lager und den Fuhrpark hat der Betriebsrat sein gesetzliches Mitbestimmungsrecht in der hier streitigen Frage bereits abschließend ausgeübt. Dies ergibt die Auslegung der betrieblichen Absprache.

Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 11.12.2007 - 1 AZR 953/06; Urt. v. 13.03.2007 - 1 AZR 262/06 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 183; Urt. v. 02.03.2004 - 1 AZR 272/03 - AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 13; Urt. v. 12.11.2002 - 1 AZR 632/01 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 155; Urt. v. 17.11.1998 - 1 AZR 221/98 - AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 6; zustimmend z.B. Fitting, 24. Aufl., § 77 Rdnr. 15; GK-BetrVG/Kreutz, 8. Aufl., § 77 Rdnr. 63, jeweils m. w. N.) richtet sich die Auslegung einer Betriebsvereinbarung wegen der aus § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG folgenden Normqualität - ebenso wie bei Tarifverträgen - nach den für Gesetze geltenden Grundsätzen. Demnach ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Bei einem nicht eindeutigen Wortlaut ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien zu berücksichtigen, soweit er in der Betriebsvereinbarung seinen Niederschlag gefunden hat. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Normsystematik an. Von besonderer Bedeutung ist ferner der Sinn und Zweck der getroffenen Regelung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt, wobei auch die bisherige praktische Übung herangezogen werden kann.

Die Anwendung dieser Grundsätze führt hier dazu, dass mit der Betriebsvereinbarung vom 17.01.2001 die Materie der Gewährung freier Tage mitbestimmungsrechtlich einer umfassenden und abschließenden Regelung durch die Betriebspartner zugeführt worden ist.

So haben sie unter "Allgemein" im Absatz 1 geregelt, dass in Kalenderwochen mit Feiertagen keine Verpflichtung besteht, den Mitarbeitern einen freien Tag zu gewähren. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Betriebsparteien an die Problematik von Feiertagen und arbeitsfreien Tagen gedacht haben, als sie die Vereinbarung abschlossen.

Weiterhin ist zu beachten, dass unter "Allgemein" im Absatz 3 nach Maßgabe der getroffenen Formulierung der Arbeitgeberin einseitig das Recht eingeräumt wurde, die Personaleinsatzplanung mit der Regelung der freien Tage zu erstellen und bekannt zu machen. Dazu passt, dass nach den Absätzen 5 und 6 Abweichungen mit Zustimmung des zuständigen Abteilungsleiters und des Mitarbeiters unter bestmöglicher Berücksichtigung von dessen Wünschen möglich sind, alles also ohne Einschaltung des Betriebsrates.

Nach Absatz 4 wird auch "nur" den Abteilungsleitern aufgegeben, auf die Gewährung eines freien Samstages zu achten.

Wenn es sodann im Absatz 7 heißt, dass alle Änderungen "über den vorgegebenen Rahmen dieser Betriebsvereinbarung hinaus" der Absprache mit dem Betriebsrat bedürfen, kann daraus systematisch nur gefolgert werden, dass hinsichtlich der wöchentlichen Personaleinsatzplanung einschließlich der Regelung freier Tage unter Berücksichtigung von Wochenfeiertagen die Betriebspartner eine abschließende mitbestimmte Regelung getroffen haben (vgl. auch LAG Niedersachen, Beschl. v. 25.10.2005 - 1 TaBV 75/05; ArbG Herne, Beschl. v. 31.10.2007 - 6 BVGa 6/07).

Zwar ist es möglich, dass in einer Betriebsvereinbarung gesetzliche Wochenfeiertage bei der Festlegung der freien Tage einheitlich von vornherein ausgespart werden können (vgl. BAG, Urt. v. 24.01.2001 - 4 AZR 538/99 - AP EntgeltFG § 2 Nr. 5; Beschl. v. 31.01.1989 - 1 ABR 69/87 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 31). Dies ist hier aber so lange nicht möglich, wie die bislang ungekündigte Betriebsvereinbarung Geltung beansprucht.

II. Soweit in den abschließenden Regelungen zur Personaleinsatzplanung ein teilweiser Verzicht des Betriebsrates auf sein Mitbestimmungsrecht liegen sollte, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der entsprechenden Bestimmungen.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschl. v. 01.07.2003 - 1 ABR 22/02 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 103; Urt. v. 03.06.2003 - 1 AZR 349/02 - AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 19) darf der Betriebsrat die Entscheidung mitbestimmungspflichtiger Fragen an den Arbeitgeber delegieren, soweit dadurch nicht das Mitbestimmungsrecht in seiner Substanz verletzt wird.

Hier hat der Betriebsrat für alle Beschäftigten des Lagers und Fuhrparks in den wesentlichen Fragen des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage in einer zweieinhalbseitigen Betriebsvereinbarung sein Mitbestimmungsrecht im Kern wahrgenommen und ist dem Schutzzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG gebührend gerecht geworden, nämlich die Interessen der Arbeitnehmer an der Gestaltung ihres Privatlebens zu wahren. Wenn er dabei der Arbeitgeberin bei der Personaleinsatzplanung nach Maßgabe des vorgegebenen Rahmens Gestaltungsspielräume gelassen hat, ist dadurch das gegebene Mitbestimmungsrecht in seiner Substanz nicht verletzt worden.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage wird die Rechtsbeschwerde zugelassen (§ 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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