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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 139/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 99
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 30.06.2005 - 1 BV 4/05 - abgeändert.

Der Arbeitgeberin wird aufgegeben, die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin L1xxx H1xxxx-A3xxxx einzuholen und, falls sie nicht erteilt wird, das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen

Gründe:

I.

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Unternehmen, das als staatlich anerkannter Träger der Jugend- und Erwachsenenbildung Bildungs-, Qualifizierungs- und Trainingsmaßnahmen anbietet, vorrangig beauftragt durch die jeweils zuständigen Agenturen für Arbeit. Das Bildungswerk mit Hauptsitz in B4x O3xxxxxxxx gliedert sich in sechs Regionen und beschäftigt insgesamt ca. 280 Mitarbeiter. Für die Region 2 mit ca. 55 Arbeitnehmern ist der antragstellende Betriebsrat zuständig.

Bis Anfang 2004 galt bei der Arbeitgeberin ein Tarifwerk, unter anderem bestehend aus einem Manteltarifvertrag (Bl. 48 ff. d. Akten), einer Entgeltordnung (Bl. 249 ff. der Akten) und einem Tarifvertrag über die Entgelttabellen (Bl. 254 ff. der Akten). Danach wurden die Beschäftigten eingruppiert und vergütet.

Mit Schreiben vom 27.01.2004 (Bl. 120 d. Akten) kündigte die Arbeitgeberin gegenüber der Gewerkschaft ver.di alle "bestehenden Tarifverträge außerordentlich, hilfsweise zum jeweils möglichen Zeitpunkt". Sie berief sich darauf, mit der bisherigen Preisstruktur zukünftig keine Chance mehr auf dem Bildungsmarkt zu haben. Anschließend geführte Verhandlungen mit der Gewerkschaft scheiterten endgültig am 05.04.2004.

In der Folgezeit wandte die Arbeitgeberin das tarifliche Entgeltsystem bei neu eingestellten Mitarbeitern nicht mehr an.

Mit Schreiben vom 25.01.2005 (Bl. 4 d. Akten) beantragte die Arbeitgeberin bei dem für die Region 2 zuständigen Betriebsrat die Zustimmung zu einer ab dem 01.02. bis zum 31.07.2005 befristeten Einstellung der Mitarbeiterin H1xxxx-A3xxxx. Eine Unterrichtung über die geplante Eingruppierung erfolgte nicht.

Darauf erwiderte der Betriebsrat durch Schreiben vom 27.01.2005 auszugsweise wie folgt: ...

der Betriebsrat hat in seiner Sitzung vom 25.01.2005 beschlossen, seine Zustimmung zur geplanten Einstellung von Frau H1xxxx-A3xxxx gemäß BetrVG § 99 zu erteilen. Der Betriebsrat hat jedoch auch beschlossen, seine Zustimmung zur Eingruppierung wegen fehlerhafter Eingruppierung gemäß BetrVG § 99 zu verweigern.

Begründung:

Da Sie es ablehnen, dem Betriebsrat die ordentliche Eingruppierung der Mitarbeiterin in das gültige Eingruppierungssystem des E1xx - B5xxxxxxxxxxxx mitzuteilen bzw. keine ordentliche Eingruppierung der Mitarbeiterin vorgenommen haben, ist es für den Betriebsrat nicht möglich die Richtigkeit der Eingruppierung zu überprüfen bzw. seine Zustimmung zu erteilen.

Der Betriebsrat muss annehmen, dass das vereinbarte Bruttogehalt im vorgesehenem Arbeitsvertrag der gültigen Entgeltordnung und Entgelttabelle für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des E1xx - B5xxxxxxxxxxxx (siehe Tarifverträge vom 22.01.2003) widerspricht....

Mit Schreiben vom 03.03.2005 leitete er das vorliegende Beschlussverfahren ein - unter anderem mit dem Ziel, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Zustimmung zur Eingruppierung der genannten Arbeitnehmerin einzuholen und im Verweigerungsfall ersetzen zu lassen.

Der Betriebsrat hat die Meinung vertreten, die Arbeitgeberin sei verpflichtet, auch neu eingestellte Mitarbeiter nach dem bis Anfang 2004 geltenden Tarifwerk einzugruppieren. Die fristlose Kündigung der Tarifverträge sei unwirksam. In jedem Fall sei die Arbeitgeberin aber gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bis zur Vereinbarung neuer Vergütungsregelungen gehalten, nach den zuvor geltenden Eingruppierungsbestimmungen zu verfahren.

Soweit hier noch von Interesse, hat der Betriebsrat beantragt,

den Antragsgegner zu verurteilen, die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin L1xxx H1xxxx-A3xxxx einzuholen und im Verweigerungsfall durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie hat die Auffassung geäußert, wegen der dramatischen Verschlechterung der Situation auf dem Bildungsmarkt habe sie die geltenden Tarifverträge am 27.01.2004 zu Recht fristlos gekündigt. So sei sie nicht mehr verpflichtet gewesen, für die ab dem 01.02.2005 befristet eingestellte Mitarbeiterin H1xxxx-A3xxxx eine Eingruppierung vorzunehmen und insoweit den Betriebsrat zu beteiligen. Es werde nämlich kein Vergütungssystem mehr zur Anwendung gebracht; vielmehr treffe man, so auch im Falle der genannten Arbeitnehmerin, individuelle Entgeltabreden.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30.06.2005 die Anträge abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es bestehe keine Pflicht zur Eingruppierung, weil die Arbeitgeberin für alle nach der erfolgten (außerordentlichen) Kündigung der Tarifverträge eingestellten Mitarbeiter keine Vergütungsordnung mehr anwende. Vielmehr würden für diesen Bereich, so auch im Falle der Beschäftigten H1xxxx-A3xxxx, individuelle Entgeltvereinbarungen getroffen.

Gegen diesen ihm am 28.07.2005 zugestellten Beschluss hat der Betriebsrat am 12.08.2005 Beschwerde eingelegt und diese am 28.09.2005 begründet.

Er ist der Ansicht, es würden weiterhin die Entgeltbestimmungen der gekündigten Tarifverträge gelten. In jedem Fall komme im Betrieb weiterhin ein Vergütungssystem zur Anwendung, von dem auch alle neu eingestellten Mitarbeiter erfasst würden. Insoweit seien individuelle Entgeltabreden ohne Belang.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 30.06.2005 - 1 BV 4/05 - abzuändern und der Arbeitgeberin aufzugeben, die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitgeberin L1xxx H1xxxx-A3xxxx einzuholen und, falls sie nicht erteilt wird, das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das vorliegende Beschlussverfahren, bezogen auf die Eingruppierung für den Zeitraum vom 01.02. bis zum 31.07.2005, habe sich durch Zeitablauf erledigt. Für den Zeitraum danach sei von Seiten des Betriebsrats kein neues Verfahren eingeleitet worden. In dem Zusammenhang ist unstreitig, dass die Arbeitgeberin im Juli 2005 den Betriebsrat über die unbefristete Einstellung der Mitarbeiterin H1xxxx-A3xxxx unterrichtet hat. Darauf hat der Betriebsrat mit Schreiben vom 26.07.2005 (Bl. 264 d. Akten) ebenso reagiert wie im Vorfeld der befristeten Einstellung: Er hat sich mit der Einstellung einverstanden erklärt, aber die Zustimmung zur Eingruppierung verweigert.

In der Sache vertritt die Arbeitgeberin die Meinung, im Unternehmen komme seit der wirksamen Kündigung der Tarifverträge kein allgemein gültiges Eingruppierungs- oder Entgeltsystem mehr zur Anwendung. Vielmehr werde die jeweils im Arbeitsvertrag vereinbarte Vergütung mit jedem Arbeitnehmer individuell ausgehandelt, und zwar abhängig von den Ausschreibungsmodalitäten der einzelnen Maßnahme. Bedingt durch die jeweilige Kalkulation könne die Höhe der Vergütung von Mitarbeitern in ähnlichen Funktionen in vergleichbaren Maßnahmen sehr unterschiedlich sein. Vor dem Hintergrund sei auch das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht einschlägig, weil kein kollektiver Tatbestand vorliege.

B.

Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig und begründet.

I.

Soweit die Arbeitgeberin vorträgt, das Begehren des Betriebsrats habe sich durch Zeitablauf erledigt, kann dem nicht gefolgt werden.

1. So hat das Bundesarbeitsgericht (AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 17) zu Recht entschieden, dass eine erneute Eingruppierung nach § 99 Abs. 1 S.1 BetrVG dann nicht erforderlich ist, wenn sich unmittelbar an ein befristetes ein weiteres Arbeitsverhältnis anschließt und weder die Tätigkeit noch das Entgeltsystem sich geändert haben. Sollten diese Voraussetzungen in der Person der Mitarbeiterin H1xxxx-A3xxxx erfüllt sein, würde sich die erste Verweigerung der Zustimmung zur Eingruppierung auch erstrecken auf das sodann unbefristet fortgesetzte Arbeitsverhältnis und das Begehren des Betriebsrats im vorliegenden Beschlussverfahren weiter tragen.

2. Selbst wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sein sollten, hätte sich zwar das Ursprungsbegehren des Betriebsrats im Zusammenhang mit der bis zum 31.07.2005 vorgenommenen befristeten Einstellung in der Beschwerdeinstanz durch Zeitablauf erledigt, weil sich eine Entscheidung auf das Verhältnis zwischen den Betriebspartnern nicht mehr auswirken könnte (vgl. BAG BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 26).

Allerdings hatte die Arbeitgeberin zwischenzeitlich mit Schreiben vom 18.07.2005 beim Betriebsrat die Zustimmung zur unbefristeten Einstellung der genannten Mitarbeiterin beantragt und erhalten, wobei auch in dem Zusammenhang der Betriebsrat auf das Erfordernis der Einholung einer Zustimmung zur Eingruppierung - vergeblich - hingewiesen hatte.

Wenn in dieser Konstellation beim Antrag des Betriebsrats in der Beschwerdeinstanz ausschließlich an die zum 01.08.2005 vorgenommene unbefristete Einstellung angeknüpft werden könnte, ist die darin aufgrund des anderen Lebenssachverhalts liegende Antragsänderung in jedem Fall sachdienlich (§ 87 Abs. 2 S. 3 2 Hs. ArbGG i. V. m. § 81 Abs. 3 S. 1 ArbGG). Denn der bisherige Sachvortrag bildet eine in vollem Umfang verwertbare Entscheidungsgrundlage, und die Zulassung der Antragsänderung führt zu einer endgültigen Beilegung der Auseinandersetzung der Beteiligten und vermeidet ein neues Beschlussverfahren (vgl. BAG ZPO § 263 Nr. 3; BGH NJW 2000,800,803; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 81 Rdnr. 91).

II.

Der auf § 101 BetrVG gestützte Antrag des Betriebsrats ist auch begründet, weil die Arbeitgeberin im Zuge der unbefristeten Einstellung der Arbeitnehmerin H1xxxx-A3xxxx auch die Zustimmung zur Eingruppierung dieser Mitarbeiterin hätte einholen müssen.

Bei der Eingruppierung handelt es sich um einen Akt der Rechtsanwendung und der Kundgabe des hierbei gefundenen Ergebnisses, dass nämlich die vom betroffenen Arbeitnehmer zu verrichtenden Tätigkeiten bestimmten Merkmalen eines im Betrieb zur Anwendung kommenden Vergütungssystems entsprechen. Daran ist der Betriebsrat im Rahmen des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG in Gestalt eines Mitbeurteilungsrechts im Sinne einer Richtigkeitskontrolle zu beteiligen (z. B. BAG BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 23 m. w. N.).

Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin wendet sie ein dafür erforderliches und nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtiges Vergütungssystem mit abstrakt - generellen Grundsätzen zur Entgeltfindung unverändert an.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 105; zust. z.B. Fitting, 22. Aufl., § 87 Rdnr. 14 ff.; GK/Wiese, 8. Aufl., § 87 Rdnr. 15 ff. m.w.N.) erstreckt sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG allerdings nur auf die Entscheidung kollektiver Regelungsfragen. Er ist also nicht zu beteiligen bei einer individuellen Entgeltgestaltung, wenn also mit Rücksicht auf besondere Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses und ohne inneren Zusammenhang mit der Vergütung anderer Mitarbeiter eine Entgeltabrede getroffen wird. Die Abgrenzung richtet sich ausschlaggebend danach, ob es um Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen geht. Deshalb ist das Mitbestimmungsrecht auch dann gegeben, wenn der Arbeitgeber mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern " individuelle" Vereinbarungen über eine bestimmte Vergütung trifft, sofern er sich dabei allgemeiner Regeln bedient.

Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfüllt. Denn wie die Arbeitgeberin selbst in ihrem Beschwerdeerwiderungsschriftsatz vom 11.11.2005 auf Seite 6 ausgeführt hat, berücksichtigt sie bei der Bemessung des Entgelts für die einzelnen Mitarbeiter abstrakte Kriterien, namentlich die Modalitäten der Ausschreibungen für die einzelnen Maßnahmen. Danach stellt sie jeweils eine Kalkulation auf und bemisst aufgrunddessen die Höhe der Vergütung für jeden einzelnen Arbeitnehmer. Hierbei handelt es sich um generelle Strukturformen der Entgeltfindung, wobei die Arbeitgeberin selbst auch auf den Zusammenhang zwischen den Entgelten einzelner Mitarbeiter verweist, indem sie ausführt, diese könnten trotz ähnlicher Funktionen in vergleichbaren Maßnahmen sehr unterschiedlich sein. Typischerweise ist in solchen Konstellationen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gegeben, um dem Zweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gerecht zu werden, nämlich die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Entgeltgefüges zu sichern, die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit zu wahren und vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten Festlegung der Vergütung zu schützen (grundlegend: BAG GS BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51; zuletzt BAG AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 113).

Nach alledem wendet die Arbeitgeberin zur Zeit unverändert ein mitbestimmungspflichtiges kollektives System der Entgeltfindung an. Deshalb war ihr antragsgemäß aufzugeben, die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin H1xxxx-A3xxxx einzuholen und, falls sie nicht erteilt wird, das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen. In dem Zusammenhang wird auch die hier nicht zu entscheidende Frage zu klären sein, welche Rechtsfolgen die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat, welches Entgeltsystem also aktuell maßgeblich ist. Insoweit kann verwiesen werden auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 11.06.2002 und 02.03.2004 (AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 113; AP TVG § 3 Nr. 31), wonach bis zu einer Neuregelung die bislang für den Betrieb maßgebliche (tarifliche) Vergütungsordnung in ihrer Struktur weiter anzuwenden ist.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage war die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§§ 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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