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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.10.2009
Aktenzeichen: 13 TaBV 181/08
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 37 Abs. 6 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 30.10.2008 1 BV 17/08 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt lautet:

Es wird festgestellt, dass die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S1 an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung Rhetorik für Betriebsräte Teil 1", ausgerichtet von der A3 für A4- und S5 R1-W2 GmbH, H6, erforderlich ist.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden an einem einwöchigen Rhetorikseminar erforderlich ist.

Im Bereich der Unternehmensgruppe A1 N1 mit derzeit insgesamt 35 Regionalgesellschaften betreibt die Arbeitgeberin in B2 L1 eine Regionalgesellschaft mit Lager, Fuhrpark und Verwaltung, der derzeit 75 Filialen zugeordnet sind. Insgesamt werden dort ca. 900 Arbeitnehmer beschäftigt; es besteht ein Betriebsrat (Antragsteller zu 2).

Der stellvertretene Betriebsratsvorsitzende S1 (Antragsteller zu 1), ein gelernter Schlosser, der seit dem Jahr 1970 bei der Arbeitgeberin als Kraftfahrer fungiert, war zunächst ab April 2002 Betriebsratsmitglied und gehört seit seiner Wiederwahl im April 2006 dem 13köpfigen Betriebsrat als stellvertretender Vorsitzender an. In dieser Funktion hat er in der Vergangenheit den Betriebsratsvorsitzenden bei dessen Abwesenheit vertreten. Insoweit wird hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen auf die Aufstellung im antragstellerseitigen Schriftsatz vom 13.10.2008 (Bl. 87 f. d.A.).

Auf einer ersten Sitzung am 06.02.2008 und erneut am 05.03.2008 fasste der Betriebsrat den Beschluss, seinen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden zu einer vom 23. bis zum 27.06.2008 stattfindenden Schulung "Rhetorik für Betriebsräte - Teil 1", ausgerichtet von der A3 für A4- und S5, R1-W2 GmbH, zu entsenden.

Weil die Arbeitgeberin sich weigerte, die Kosten zu übernehmen, wurde mit Schriftsatz vom 30.05.2008 das vorliegende Verfahren eingeleitet, gerichtet auf die Freistellung von den zu erwartenden Kosten der konkreten Schulungsmaßnahme vom 23. bis zum 27.06.2008 und später vom 08. bis zum 12.09.2008 sowie vom 11. bis zum 15.05.2009; hilfsweise wurde u.a. allgemein die Freistellung von den Kosten des genannten Rhetorikseminars begehrt.

Das Schulungsprogramm hat folgenden Inhalt:

"Reden und Argumentieren in Sitzungen, Beratungen und Versammlungen ...

I. Grundlagen

Grundlagen der Kommunikationspsychologie

Grundlagen des freien und wirksamen Redens und Argumentierens

Abbau von Redehemmungen

Körpersprachliche Signale

Umgang mit und Abbau von Nervosität

Freies Formulieren von Gedanken

Aufbau und Wirkung von Argumenten

Auseinandersetzung mit Gegenargumenten der Gesprächspartner

Effektive Fragetechniken

Umgang mit überraschenden Situationen

Argumentationskonzepte in typischen Gesprächssituationen

II. Beratung von Kolleginnen und Kollegen als Aufgabe des Betriebsrats

Schaffung eines vertrauensvollen Gesprächsklimas

Was will mein Gegenüber?

Der richtige Einstieg ins Gespräch

Gesprächsverlauf und Gesprächsende

Abbau von Hemmungen beim Ratsuchenden

III. Überzeugendes Auftreten vor Publikum

Die Rede auf der Betriebsversammlung

Grundlagen für Reden und Vorträge

Vorbereitung der Redebeiträge

Reden mit Hilfe eines Stichwortkonzeptes

Gliederung einer Überzeugungsrede

Aufbau einer Präsentation

Aufbau eines Rechenschaftsberichts

Der Anfangs- und der Schlusssatz

Gestik, Mimik, Stimme

Gewinnen von Selbstsicherheit

Einsatz visueller Hilfsmittel

Umgang mit "Störern"

IV. Grundlagen der erfolgreichen Diskussion

V. Videounterstützte Praxisübungen

Individuelle Auswertung der Videoaufzeichnung

Persönliches Feedback"

Weil die Arbeitgeberin sich weigerte, die Kosten zu übernehmen, wurde mit Schriftsatz vom 30.05.2008 das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet, gerichtet auf Freistellung für die zu erwartenden Kosten.

Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, es sei erforderlich, dass der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende an der Wochenschulung teilnehme, um der Arbeitgeberseite mit ihren rhetorisch befähigten Vertretern gewachsen zu sein. In seiner Funktion als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender müsse er im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden diesen vertreten und habe ihn auch in der Vergangenheit regelmäßig vertreten, namentlich in Betriebsratssitzungen. Auch müsse er vorbereitet sein, in Vertretung des Betriebsratsvorsitzenden Betriebs- und Abteilungsversammlungen zu leiten. Darüber hinaus gehöre es zu seinen Aufgaben, gemeinsam mit dem Betriebsratsvorsitzenden die Verhandlungen über den Abschluss von Betriebsvereinbarungen zu führen.

Letztlich sei eine Rhetorikschulung auch deshalb dringend erforderlich, weil auf Arbeitgeberseite ausweislich eines Strategiepapiers, erstellt von deren Verfahrensbevollmächtigten, gezielt gegen "kritische Betriebsräte" vorgegangen werde.

Insoweit ist unstreitig, dass es für den Bereich der Regionalgesellschaft S6 anlässlich eines Streits um Arbeitszeiten mit dem Betriebsrat ein von den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin im Dezember 2005 entwickeltes Strategiepapier gibt. Darin heißt es u.a., man müsse vom Betriebsrat "die Meinungsführerschaft zurückgewinnen", wozu gehöre, dass zunächst "eine Gruppe von vier bis fünf loyal zum Unternehmen stehenden Filialleitern" den amtierenden Betriebsrat "innerbetrieblich als Störer darstellen". Als "Ansätze" zur "Aufklärungskampagne gegen den BR" wurden festgehalten:

1. Zunächst: Rundschreiben GL an alle MA im Verkauf

Darstellung der seit Monaten andauernden Verhandlungsbemühungen, um die Geschäftszeitenverlängerung wenigstens rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft geregelt zu bekommen/Darstellung der unverständlich erscheinenden Verhaltensweise des BR.

2. FL-Besprechung "auf Anforderung von einigen FL"

FL bitten GL um Aufklärung des mit Rundschreiben verbreiteten Sachverhalts/Gelegenheit für GL., die FL auf die eigene Seite zu bringen/Heftige Diskussion der 4-5 FL mit dem anwesenden Betriebsrat.

3. Dann: Rundschreiben der 4-5 FL an alle MA im Verkauf

Eigene Vorstellung/Darstellung der eigenen Motivation zum Tätigwerden: "Wir wollen nicht, dass mit den vom BR zu verantwortenden Umsatzeinbußen für uns zunächst Vergütungseinbußen und später vielleicht Arbeitsplatzgefährdungen einhergehen"//Aufforderung an den BR, einer sofortigen Verlängerung der Arbeitszeiten zuzustimmen/Unterschriftenaktion im Verkauf mit der entsprechenden Aufforderung an den BR.

4. (Evtl. Unterstützung durch AUB für die 4-5 FL

Eigene Liste der 4-5 FL für BR-Wahlen

5. Übernahme aller Aktivitäten direkt durch die AUB

AUB-Wahlkampf gegen u.a."

Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende S1 hat beantragt,

die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, den Beteiligten zu 1) von

1. den Schulungskosten in Höhe von 960,00 € zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer, insgesamt 1.142,40 € gegenüber dem Schulungsträger A5 A3 für A4- und S5, R1-W2 GmbH, R2 21 a, 43 H6, in der Zeit vom 08.12.2008 bis 12.12.2008,

2. den Kosten für die Übernachtung und Verpflegung während des Seminars in der Zeit vom 08.12.2008 bis 12.12.2008 in Höhe von 552,00 € (4 x 138,00 €) gegenüber dem Hotel D6, M4 S8. 52, 81 G4-P2 und

3. den Fahrtkosten zum und vom Schulungsort D1 - G4-P2 und zurück in Höhe von 345,60 € (576 km x2x0,30 €)

freizustellen,

hilfsweise

die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, den Beteiligten zu 1) von den S9 eines R3 b4 dem S7 A5 A3 für A4- und S5, R1-W2 GmbH, R2 2a, 43 H6, freizustellen,

und äußerst hilfsweise

die Beteiligte zu 2) zu verpflichten, den Beteiligten zu 1) von den Schulungskosten eines noch zu benennenden anderen Seminarträgers zuzüglich der Kosten für die notwendigen Übernachtungen und Verpflegung für die Teilnahme an einem Wochenseminar und den entstehenden Fahrtkosten freizustellen und die Erforderlichkeit der Teilnahme an einer Betriebsratsschulungsveranstaltung "Rhetorik für Betriebsräte - Teil 1/Grundlagen Reden und Argumentieren in Sitzungen und Versammlungen" freizustellen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass für den Antragsteller eine Rhetorikschulung nicht erforderlich sei. Auch seine herausgehobene Stellung als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender entbinde ihn nicht von der Pflicht, den Schulungsbedarf konkret darzulegen, was ihm nicht gelungen sei. Es bestehe in rhetorischer Hinsicht keine Unterlegenheit. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat sowohl fachlich als auch rhetorisch kompetent anwaltlich vertreten sei.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 30.10.2008 dem Hauptantrag stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Antragsteller als gelerntem Schlosser, der erst im Jahre 2006 zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt worden sei, müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, an einem Rhetorikseminar teilzunehmen, weil er nur dann in der Lage sei, seine herausgehobene betriebsverfassungsrechtliche Position sachgerecht auszufüllen. Im Falle der Verhinderung des Betriebsratsvorsitzenden müsse er alle diesem obliegenden Aufgaben wahrnehmen, also zum Beispiel Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen leiten. Dies erfordere den Einsatz bislang nicht ausreichend vorhandener rhetorischer Kenntnisse und Fähigkeiten. Entsprechendes gelte für die Auseinandersetzungen zwischen den Betriebsparteien über die Personaleinsatzplanung und die Einführung bzw. Änderung von Schicht- und Arbeitszeitmodellen. Auch das von Arbeitgeberseite verfasste "Strategiepapier", das darauf ausgerichtet sei, die Position des Betriebsrats in den Augen der Belegschaft zu schwächen, dokumentiere die Erforderlichkeit, den Vertretern auf Betriebsratsseite rhetorische Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Arbeitgeberin mit der Beschwerde.

Sie ist der Meinung, dass die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung im Ergebnis darauf hinauslaufe, dass entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts jeder Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter eine Rhetorikschulung beanspruchen könnten.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 30.10.2008 - 1 BV 17/08 - abzuändern und die Anträge abzuweisen.

Unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens beantragen der stellvertrende Betriebsratsvorsitzende S1 und der Betriebsrat,

die Beschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S1 an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung "Rhetorik für Betriebsräte - Teil 1", ausgerichtet von der A3 für A4- und S5 R1-W2 GmbH, H6, erforderlich ist,

hilfsweise nach Maßgabe der Freistellungsanträge gemäß Schriftsatz vom 27.02.2009.

In dem Zusammenhang weisen sie nochmals besonders darauf hin, dass die Arbeitgeberin, festgehalten in einem "Strategiepapier", beabsichtige, durch "heftige Diskussionen" und den Aufbau einer Gegenorganisation die Position des Betriebsrats im Verhältnis zur Belegschaft zu schwächen, was auf Betriebsratsseite besondere rhetorische Fähigkeiten erfordere.

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.

Es ist nämlich festzustellen, dass die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S1 an der einwöchigen Schulungsveranstaltung "Rhetorik für Betriebsräte - Teil 1", ausgerichtet von der A3 für A4- und S5 R1-W2 GmbH, erforderlich ist.

I. Zulässigerweise haben die Antragsteller das erstinstanzliche Hauptbegehren, gerichtet auf die Freistellung von den Kosten für die Teilnahme an dem genannten Rhetorikseminar, angesichts des bereits wiederholt eingetretenen und weiter drohenden Zeitablaufs dahingehend umgestellt, dass nurmehr festgestellt werden soll, dass die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung erforderlich ist. Es handelt sich bei gleichbleibendem Verfahrensgegenstand um eine zulässige bloße Beschränkung des Antrags im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO.

II. Das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO ist ebenfalls gegeben.

Wie gerade auch der konkrete Fall zeigt, wo ein erster Beschluss des Betriebsrats bereits am 06.02.2008 gefasst wurde, ist es kaum möglich, vor Beginn einer Schulungsveranstaltung eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Freistellung von den zur Diskussion stehenden Kosten zu erlangen (vgl. BAG, 16.03.1976 - 1 ABR 43/74 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 22). In einer solchen Konstellation besteht deshalb ein rechtliches Interesse daran, festzustellen, ob eine thematisch spezifizierte Veranstaltung in Bezug auf ein bestimmtes Betriebsratsmitglied den Anforderungen des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG gerecht wird, nämlich für die Arbeit des Betriebsrats erforderliche Kenntnisse zu vermitteln (vgl. zu einem solchen Antrag bereits BAG, 06.11.1973 - 1 ABR 15/73 - AP ArbGG 1953 § 89 Nr. 8) - mit entsprechender Präjudizwirkung für mögliche Folgeverfahren zur Kostenerstattung und zur Zahlung des Arbeitsentgelts (BAG, 06.05.1975 - 1 ABR 135/73 - AP BetrVG 1972 § 65 Nr. 5; Richardi/Thüsing, 11. Aufl., § 37 Rn. 190).

III. Der gestellte Feststellungsantrag ist auch begründet, weil in der Person des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S1 die Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG erfüllt sind. Danach hat die Arbeitgeberin für die Kosten der Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung einzutreten, soweit diese Kenntnisse vermittelt, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind.

1) Die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten ist für die Betriebsratsarbeit immer dann erforderlich, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratsmitglieder ihre derzeitigen und demnächst anfallenden Aufgaben sachgerecht wahrnehmen können; die Kenntnisse dürfen also nicht nur verwertbar und nützlich sein.

Dabei ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung des Betriebsrats abzustellen. Dieser hat bei seiner Entscheidung im Rahmen des ihm eröffneten Beurteilungsspielraums aus der Sicht eines vernünftigen Dritten abzuwägen zwischen den Interessen des Betriebs einerseits und denen des Betriebsrats und der Arbeitnehmerschaft andererseits.

2) In dem Zusammenhang hält das Bundesarbeitsgericht (15.02.1995 - 7 AZR 76/94 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 106; zustimmend z.B. LAG Hamm, 13.01.2006 - 10 TaBV 65/95 - NZA-RR 2006, 249; LAG Köln, 20.12.2007 - 10 TaBV 53/07 -; LAG Sachsen, 22.11.2002 - 9 TaBV 17/02 - NZA-RR 2003, 420; DKK/Wedde, 11. Aufl., § 37 Rn. 108; ErfK/Eisemann, 9. Aufl., § 37 Rn. 17; Fitting, 24. Aufl., § 37 Rn. 153; Däubler, Schulung und Fortbildung, 5. Aufl., Rn. 229) auch die Teilnahme an einer Rhetorikschulung im Einzelfall für erforderlich, sofern die konkreten Verhältnisse so gelagert sind, dass der Betriebsrat seine gesetzlichen Aufgaben nur dann sachgerecht erfüllen kann, wenn die rhetorischen Fähigkeiten bestimmter Betriebsratsmitglieder, namentlich des Betriebsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters, durch eine einschlägige Schulung verbessert werden (vgl. auch BAG, 24.05.1995 - 7 ABR 54/94 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 109).

3. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall führt dazu, dass die Teilnahme (auch) des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden an der Schulung erforderlich ist.

Weil er - ebenso wie der Betriebsratsvorsitzende - im Betrieb eine herausgehobene Stellung einnimmt (vgl. z.B. BAG, 15.02.1995 - 7 AZR 670/94 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 106) und diesen im Verhinderungsfall vollumfänglich zu vertreten hat (§ 26 Abs. 2 BetrVG), ist es sachgerecht, die Erforderlichkeit des Besuchs eines Rhetorikseminars nach denselben Maßstäben wie beim Betriebsratsvorsitzenden zu beurteilen. Denn nur dann ist gewährleistet, dass auch in Zeiten einer Abwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden zum Beispiel wegen Urlaubs oder der Teilnahme an Seminaren und gewerkschaftlichen Fachtagungen eine sachgerechte Vertretung erfolgt.

a) Maßgeblich für die Notwendigkeit, auch den stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrats in einem der Regionalgesellschaften der Unternehmensgruppe A1 N1 systematisch auf den Gebieten des Redens und Argumentierens zu schulen, spricht eine gegen den Betriebsrat der ebenfalls zur Gruppe gehörenden Regionalgesellschaft S6 im Dezember 2005 eingeleitete sogenannte Aufklärungskampagne. Sie hatte arbeitgeberseits zum Ziel, den Betriebsrat "innerbetrieblich als Störer darzustellen", um die "gewünschte Arbeitszeitänderung herbeiführen zu können".

In dem Papier, formuliert von den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin im hiesigen Verfahren, wurde dazu aufgerufen, zunächst in Rundschreiben an alle Mitarbeiter die aus Arbeitgebersicht unverständlich erscheinende Verhaltensweise des Betriebsrats zur Geschäftszeitenverlängerung darzustellen. Nach Ziffer 2 des Strategiepapiers sollten einzelne Filialleiter eine "heftige Diskussion" mit dem Betriebsrat führen. Gemäß Ziffer 4 sollten dem Betriebsrat wegen seiner Weigerung, Arbeitszeitverlängerungen zuzustimmen, die Verantwortung für Umsatz- und Vergütungseinbußen und vielleicht auch für Arbeitsplatzgefährdungen zugewiesen werden; weiterhin sollte er durch eine Unterschriftenaktion bei den Mitarbeiterinnen im Verkauf veranlasst werden, seine Meinung zu ändern.

Wenn auf diese Art und Weise durch Schuldzuweisungen und Druck betriebsverfassungsrechtliche Meinungsverschiedenheiten unter systematischer Einschaltung nicht nur von Filialleitern, sondern aller Verkaufsmitarbeiter zu Gunsten des Arbeitgebers gelöst werden sollen, bedarf es auf Seiten des Betriebsrats - über das übliche Maß hinaus - einer systematischen Vermittlung der Grundlagen der Kommunikationstechnik. Denn nur bei fachkundiger Unterweisung in die Kunst des freien und wirksamen Redens und Argumentierens ist es einem Betriebsrat in vergleichbaren Situationen möglich, sich auf Augenhöhe mit den strategisch vorbereiteten Vertretern auf Arbeitgeberseite auseinanderzusetzen. Es bedarf beispielsweise fachkundiger Kenntnisse zur Entwicklung von Argumentationskonzepten, damit der Betriebsrat sich kompetent auch "heftigen Diskussionen" mit entsprechend instruierten Filialleitern stellen kann.

Über das übliche Maß deutlich hinausgehende rhetorische Fähigkeiten erfordert auch die Auseinandersetzung in Konstellationen, wenn, wie geschehen, Filialleiter an alle Mitarbeiter im Verkauf Rundschreiben versenden, in denen der Betriebsrat wegen seiner Weigerung, in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit zuzustimmen, die Verantwortung letztlich sogar für den möglichen Verlust von Arbeitsplätzen zugewiesen wird. Um solchen für das Wirken des Betriebsrats sehr massiven und existentiellen Vorwürfen sachgerecht begegnen zu können, bedarf auch sein stellvertrender Vorsitzender einer einwöchigen Schulung auf dem Gebiet der Rhetorik. Denn nur wenn dieser ebenfalls gängige Argumentationstechniken beherrscht und damit vertraut ist, wie er in solchen zugespitzten Situationen namentlich auch gegenüber der bereits in eine Unterschriftenaktion einbezogen gewesenen Belegschaft zum Beispiel in Betriebsversammlungen überzeugend auftritt, kann er die dem Betriebsrat gesetzlich, zum Beispiel durch § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG, zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen.

b) Auch wenn die Arbeitgeberseite in der Vergangenheit konkrete Strategien zum Ablauf von Betriebsratswahlen im Zuständigkeitsbereich der Unternehmensgruppe A1 N1 unter Einschaltung der nicht nur von ihr finanziell geförderten Betriebsräte-Organisation Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB) in den Raum stellte, erfordert eine solche Art des arbeitgeberseitigen Wirkens bei allen davon potentiell betroffenen Betriebsräten eine schulungsmäßige Unterweisung in die einschlägigen Kommunikationstechniken, um auch in solchen den üblichen Rahmen betriebsverfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen sprengenden Situationen unter Beachtung der Vorgaben des § 2 BetrVG die Interessen sachgerecht zur Geltung bringen zu können.

c) Weiter ist zu beachten, dass bei der Struktur der in B2 L1 ansässigen Regionalgesellschaft mit ihren ca. 900 Arbeitnehmern, die größtenteils in den insgesamt 75 Filialen zum Einsatz kommen, der Betriebsrat ausreichend darüber unterrichtet sein muss, wie er gerade angesichts der zu überbrückenden räumlichen Entfernungen speziell den Filialmitarbeitern eine sachgerechte Beratung gewährleisten kann (vgl. II. des Schulungsprogramms).

d) Wegen der geschilderten Struktur der Arbeitgeberin kommt auch der jährlich stattfindenden Betriebsversammlung eine besondere Bedeutung zu, weil es das einzige Forum ist, wo der Betriebsrat seine Positionen in größerem Rahmen vor den persönlich erscheinenden 350-400 Belegschaftsangehörigen darstellen kann. Hier muss der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende als Leiter im Verhinderungsfall in besonderer Weise befähigt sein, nicht nur seine Rede kompetent vorzubereiten (s. III. des Schulungsprogramms), sondern - über ihr Ablesen hinaus - auch unter Einsatz körpersprachlicher Signale frei und wirksam reden und argumentieren zu können. Er muss vor allem auch den Umgang mit überraschenden Situationen professionell vermittelt bekommen, wenn man an die Betriebsversammlung vom 22.09.2007 denkt, in der der Personalleiter anlässlich der Informationen über die Betriebsratskosten auf Reisen in 4-Sterne-Hotels am Bodensee hinwies und damit den Betriebsrat und seine Vertreter vor den Belegschaftsangehörigen in Rechtfertigungszwang brachte.

e) Auch bei den immer wieder sehr kontroversen Verhandlungen der Betriebspartner zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen, in denen den Betriebsratsrepräsentanten als Verhandlungsführer akademisch geschulte Arbeitgebervertreter gegenüberstehen, bedarf der als Schlosser ausgebildete Antragsteller S1 einer fundierten Unterrichtung zum Beispiel über den Aufbau und das Wirken von Argumenten und die Auseinandersetzung mit Gegenargumenten, um die Position des Betriebsrats sachgerecht wahrnehmen und gegebenenfalls in einer gerichtlichen Auseinandersetzung bekräftigen zu können.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage war die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 92 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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