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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.06.2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 26/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 3
BetrVG § 19
BetrVG § 38
Die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder hat bei zwei Wahlvorschlägen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in einem Wahlgang zu erfolgen.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Betriebsratsmitglieds B1xxxxxxxx wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 26.11.2004 - 1 BV 31/04 - abgeändert.

Die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder vom 18.05.2004 wird für unwirksam erklärt.

Gründe: A. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Der Antragsteller B1xxxxxxxx ist Mitglied des am 13.05.2004 gewählten 27 köpfigen Betriebsrates der D1xxxxxxx T1xxxxx AG - T3-C2x, T4xxxxxxxxx I1xxxxxxxxx W6xx, der Beteiligten zu 20). Die Wahl fußt auf einem Zuordnungstarifvertrag für die D2xxxxxx T1xxxxx AG vom 15.05.2003 (im folgenden kurz: ZuordnungsTV). Danach wurde im Bereich der Region West unter anderem die Technische Infrastrukturniederlassung B3xxxx als " Betrieb im Sinne des § 1 Betriebsverfassungsgesetz" eingestuft; sie war hervorgegangen aus den ehemaligen drei Regionalniederlassungen B3xxxx, D6xxx und S9xxxx. § 4 Abs. 2 ZuordnungsTV lautet: Der Betriebsrat kann nach vorheriger Beratung mit der Leitung der Organisationseinheit durch Beschluss für seine freigestellten Mitglieder vom Sitz des Betriebsrats abweichende Freistellungsorte festlegen. Dabei ist die Funktionsfähigkeit der Geschäftsführung des Betriebsrats, die Zusammenarbeit mit der Leitung der Organisationseinheit, die Zusammenarbeit mit den weiteren am Standort eingerichteten Betriebsräten und der erforderliche Kontakt zu den Beschäftigten zu gewährleisten. Nach der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats am 18.05.2004 fand unmittelbar anschließend eine weitere Betriebsratssitzung statt. Die diesbezüglich erlassene Tagesordnung lautet auszugsweise wie folgt: TOP 5. Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder TOP 5.1. Beratung mit dem Arbeitgeber über die: TOP 5.1.1. Besetzung der Freistellungen TOP 5.1.2. Sitz des Betriebsrates TOP 5.1.3. Weitere Geschäftsstellen des Betriebsrates TOP 5.2. Beschluss über die Anzahl der Freistellungen des Betriebsrates TOP 5.2.1. Beschluss über den Sitz des Betriebsrates TOP 5.2.2. Beschluss über weitere Geschäftsstellen des Betriebsrates TOP 5.3. Wahl in die Freistellung des Betriebsrates TOP 5.3.1. Region 1 B3xxxx TOP 5.3.2. Region 2 D6xxx TOP 5.3.3. Region 31 S9xxxx In der Sitzung beschloss der vollzählig versammelte Betriebsrat, seine Organisation dem räumlichen Bereich der drei ehemaligen Regionalniederlassungen anzupassen. So fand jeweils eine getrennte Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder für die Regionen B3-xxxx, D6xxx und S9xxxx statt. Der jeweils einzige Wahlvorschlag für die Bereiche B3xxxx und D6xxx mit 7 bzw. 5 Freistellungen wurde einstimmig angenommen. Für die Region S9-xxxx mit ebenfalls 5 Freistellungen gab es zwei Wahlvorschläge. Neben einer aus 5 Personen bestehenden Vorschlagsliste gab es eine des antragstellenden Betriebsratsmitgliedes B1xxxxxxxx, mit der er sich selbst vorschlug. Bei der anschließenden Wahl erhielt er drei Stimmen und wurde deshalb nicht als freigestelltes Betriebsratsmitglied gewählt. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Sitzungsniederschrift wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 26.05.2004 eingereichte Kopie (Bl. 14 ff. d. Akten). Mit einem beim Arbeitsgericht am 27.05.2004 eingegangenen Antrag hat der Beteiligte B1xxxxxxxx sich gegen die Rechtmäßigkeit der Wahl gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, die Wahl sei insgesamt unwirksam, weil sie in einem einheitlichen Wahlgang hätte erfolgen müssen. Durch einen "Trick" sei es erreicht worden, dass sämtliche der Gewerkschaft ver.di angehörenden Betriebsratsmitglieder freigestellt worden seien. Damit habe man gegen den Minderheitenschutz verstoßen. Der Beteiligte B1xxxxxxxx hat beantragt, die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder vom 18.05.2004 für unwirksam zu erklären. Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Meinung vertreten, der Antrag sei rechtsmissbräuchlich, weil das Betriebsratsmitglied B1xxxxxxxx selbst an der Arbeitsorganisation durch eine Aufteilung in drei Regionen mitgewirkt habe. Es sei notwendig gewesen, bereits die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder an der notwendigen regionalen Betreuung auszurichten. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.11.2004 den Wahlanfechtungsantrag als ungegründet angesehen. Im Wesentlichen hat es ausgeführt, das Gesetz schließe bei der Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder mehrere Wahlgänge nicht aus. Dies gelte insbesondere dann, wenn - wie hier - die besondere Betriebssituation eine Aufteilung der Freigestellten in verschiedene Regionen sinnvoll erscheinen lasse. Der Überzeugung seien auch alle 27 Betriebsratsmitglieder gewesen, als sie am 18.05.2004 einstimmig beschlossen hätten, sich in drei Regionen zu organisieren und die Freistellungen entsprechend aufzuteilen. Der Minderheitenschutz sei durch die durchgeführte Verhältniswahl voll und ganz gewährleistet worden. Gegen diesen ihm am 10.01.2005 zugestellten Beschluss hat das Betriebsratsmitglied B1xxxxxxxx am 10.02.2005 Beschwerde eingelegt und diese am 25.02.2005 begründet. Es weist darauf hin, dass man in der Betriebsratssitzung am 18.05.2004 keinen Beschluss über die Abweichung von einem einheitlichen Wahlgang gefasst habe. Im Übrigen gehe das Gesetz davon aus, dass alle Freistellungen für den jeweiligen Betrieb in einem einheitlichen Wahlgang zu erfolgen hätten. Namentlich bei der Verhältniswahl sei es zur Gewährleistung des gesetzlichen Minderheitenschutzes unzulässig, getrennte Wahlgänge durchzuführen. Vorliegend hätte man deshalb zunächst über die Freistellungen entscheiden müssen, bevor man sodann die Freistellungsorte bestimmt hätte. Bei einer einheitlichen Wahl sei er, B1xxxxxxxx, nach dem d`Hondtschen Höchstzahlenwahlsystem gewählt worden. Der Beteiligte B1xxxxxxxx beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 26.11.2004 - 1 BV 31/04 - abzuändern und die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder vom 18.05.2004 für unwirksam zu erklären. Der Betriebsrat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er und die anderen beteiligten Betriebsratsmitglieder sind der Auffassung, das Gesetz enthalte nicht die Vorgabe eines einheitlichen Wahlganges. Gemäß TOP 4 der Sitzung am 18.05.2004 habe man einstimmig über die Abweichung von einem einheitlichen Wahlgang entschieden. Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sei es sinnvoll gewesen, schon bei der Wahl der Freistellungen eine Aufteilung nach Regionen vorzusehen. B. Die Beschwerde des Betriebsratsmitglieds B1xxxxxxxx ist begründet. Die am 18.05.2004 erfolgte Wahl der insgesamt 17 freizustellenden Betriebsratsmitglieder war für unwirksam zu erklären. I. In entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG kann die Wahl freizustellender Betriebsratsmitglieder innerhalb der in § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG vorgesehenen Frist von 2 Wochen (auch) durch ein einzelnes Betriebsratsmitglied angefochten werden, wenn gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen wurde (BAG AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; AP Nr. 11 zu § 38 BetrVG 1972; AP Nr. 10 zu § 26 BetrVG 1972; Fitting, BetrVG, 22. Aufl., § 38 Rdnr. 105 f.). Den Voraussetzungen hat der Beteiligte B1xxxxxxxx durch seinen neun Tage nach der Betriebsratssitzung beim Arbeitsgericht am 27.05.2005 eingereichten Antrag Rechnung getragen. II. Alle 17 freigestellten Betriebsratsmitglieder waren gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG am Verfahren zu beteiligen. Denn bei einer erfolgreichen Wahlanfechtung laufen sie Gefahr, nicht wieder freigestellt und damit in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung betroffen zu werden (vgl. BAG AP Nr. 1 und Nr. 10 zu § 26 BetrVG). III. Die Wahl vom 18.05.2004 ist unwirksam, weil gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen wurde (§ 19 Abs. 1 BetrVG analog). Nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG hat die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder im Regelfall nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu erfolgen. Nur wenn es lediglich einen Wahlvorschlag gibt, ist ausnahmsweise eine Mehrheitswahl vorzunehmen (§ 38 Abs. 2 S. 2 BetrVG), die in Form eines Wahlganges oder von getrennten Wahlgängen durchgeführt werden kann (Fitting, a.a.O.; § 38 Rdnr. 44). 1. In dem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass Freistellungen betriebsbezogen vorgenommen werden, wie namentlich die Bezugnahme auf den Betriebsbegriff als maßgebliche Organisationseinheit in § 38 Abs. 1 BetrVG zeigt. Vorliegend ist auf der Grundlage des § 3 BetrVG am 15.05.2003 ein ZuordnungsTV für den Bereich der D1xxxxxxx T1xxxxx AG geschlossen worden, der verbindlich regelt, dass die selbstständige Organisationseinheit Technische Infrastrukturniederlassung (T5-NL) B3xxxx mit ihren Außenstellen einen Betrieb im Sinne des BetrVG bildet. Dementsprechend wurde für den genannten Bereich am 13.05.2004 ein einheitlicher, 27 Mitglieder umfassender Betriebsrat gewählt. Haben damit die zuständigen Tarifvertragsparteien den gesetzgeberischen Gesichtspunkten Rechnung getragen, die Bildung von Betriebsräten zu erleichtern und/oder für eine sachgerechte Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen zu sorgen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 a. E. BetrVG), ist an dieser Zielsetzung auch festzuhalten, wenn es um die an eine Betriebsratsbildung anknüpfenden Maßnahmen wie die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern geht. Die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder hat also auch betriebsbezogen zu erfolgen und darf nicht auf einzelne Teile begrenzt werden, wie es vorliegend in Bezug auf die Regionen B3xxxx, D6xxx und S9xxxx geschehen ist. 2. Nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG hätten "die", also alle freizustellenden Betriebsratsmitglieder bei zwei eingereichten Wahlvorschlägen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl in einem Wahlgang gewählt werden müssen (vgl. DKK/B6xx, BetrVG, 9. Aufl., § 38 Rdnr. 42 a. E.; Fitting, a.a.O., § 38 Rdnr. 41; GK-BetrVG/Wiese/Weber, Bd. I, 7. Aufl., § 38 Rdnr. 49 mit Verweis u.a. auf § 27 Rdnr. 19). Nur so wäre dem gesetzgeberischen Willen, auch bei Freistellungen den Minderheitenschutz in Gestalt mehrerer (kleiner) Wahllisten stärker zu berücksichtigen, ausreichend Rechnung getragen worden; die Arbeitnehmer einer Minderheitengruppe haben nämlich ein erhebliches Interesse daran, auch unter den freigestellten Betriebsratsmitgliedern eine Person ihres Vertrauens zu finden (BT-Drucksache 11/2503, S. 24; BAG AP Nr. 8 zu § 25 BetrVG 1972; AP Nr. 15 zu § 38 BetrVG 1972). Bei Durchführung einer Verhältniswahl wäre in Anlehnung an die Regelungen in § 5 und § 15 WO das dŽHondtsche Höchstzahlensystem zur Anwendung gekommen (BAG AP Nr. 11 zu § 38 BetrVG 1972; Fitting, a.a.O., § 38 Rdnr. 42) - mit der Folge, dass auf den zweiten Wahlvorschlag "U1xxxx B1xxxxxxxx", der bei der nur auf die Region S9xxxx bezogenen Wahl drei Stimmen erhalten hatte, (mit sehr großer Wahrscheinlichkeit) auch eine Freistellung entfallen wäre. Nur damit wäre auch dem Minderheitenschutz, wie er in § 38 Abs. 2 S. 6 BetrVG ausdrücklich erwähnt wird, Genüge getan worden. 3. Den vom Betriebsrat vorgebrachten Gesichtspunkten, durch getrennte Wahlen habe man die notwendige regionale Betreuung und die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats sicherstellen wollen, hätte man durch die in § 4 Abs. 2 ZuordnungsTV vorgesehene Möglichkeit, abweichende Freistellungsorte festzulegen, um unter anderem den erforderlichen Kontakt zu den Beschäftigten zu gewährleisten, gebührend Rechnung trägen können. Im Übrigen ist es, wie die Bestimmung des § 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG zeigt, nur möglich, hinsichtlich der Anzahl und des Umfangs der Freistellungen vom Gesetz abweichende Vereinbarungen in einem Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung zu treffen. Demgegenüber ist das Verfahren zur Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG von Gesetzes wegen einer Änderung nicht zugänglich (DKK/Berg, a.a.O., § 38 Rdnr. 29; ErfK/Eisemann, 5. Aufl., § 38 BetrVG Rdnr. 5; Fitting, a.a.O., § 38 Rdnr. 29; GK-BetrVG/Wiese/ Weber, a.a.O., § 38 Rdnr. 41). Vor dem Hintergrund ist die am 18.05.2004 durchgeführte Wahl unwirksam. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 ArbGG i. V. m. § 72 Abs.2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, weil die entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat.

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