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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.08.2007
Aktenzeichen: 13 TaBV 26/07
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 118
Die A1 ist ein Tendenzunternehmen mit karitativer Zielsetzung, wobei die Mitglieder der Pflegedienstleitung in einer Einrichtung Tendenzträger sind.
Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 18.01.2007 - 4 BV 40/06 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten darum, ob eine stellvertretende Pflegedienstleiterin Tendenzträgerin ist und damit insoweit das Betriebsverfassungsgesetz keine uneingeschränkte Anwendung findet.

Der als Verein organisierte Arbeitgeber verfolgt nach § 2 seiner Satzung unter anderem die Aufgabe, vorbeugende, helfende und heilende Tätigkeiten auf allen Gebieten der sozialen Arbeit zu leisten. Die genannten Ziele werden gemäß § 3 der Satzung unter anderem verwirklicht durch die Schaffung und Unterhaltung von Einrichtungen im stationären (Altenhilfe-)Bereich. Dabei verfolgt er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Satzung und des Verbandsstatuts wird verwiesen auf die mit Arbeitgeberschriftsatz vom 07.09.2006 eingereichten Kopien (Bl. 41 ff.d.A.).

So betreibt der Arbeitgeber zahlreiche Seniorenzentren, unter anderem in H1 mit ca. 193 Betten und in B5 mit ca. 112 Betten. Als Heimleiter für beide Einrichtungen fungiert Herr B6. Er wird jeweils vertreten durch die stellvertretende Heimleiterin T1, die zugleich auch Pflegedienstleiterin in H1 ist. Daneben gibt es in H1 auch eine stellvertretende Pflegedienstleiterin, die Beteiligte K3.

Es existieren inhaltlich deckungsgleiche Stellenbeschreibungen für die Pflegedienstleiterin und ihre Stellvertreterin. Danach müssen sie Pflegefachkräfte mit Berufserfahrung und einer Zusatzqualifikation "PDL" sein. Sie haben die Verantwortung für die Durchführung der Pflege und üben nach grundsätzlicher Abstimmung mit dem Leiter/stellvertretenden Leiter des Heims selbständig die Fachaufsicht über alle im Pflegedienst beschäftigten Kräfte aus, die ihnen insoweit unterstellt sind. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Stellenbeschreibungen wird verwiesen auf die mit arbeitgeberseitigem Schriftsatz vom 07.09.2006 eingereichten Kopien (Bl. 64 ff.d.A.).

Bei der am 26.06.2006 erfolgten Einstellung der Beteiligten K3 als stellvertretende Pflegedienstleiterin wurde der für das Seniorenzentrum in H1 gewählte Betriebsrat nicht vollumfänglich im Rahmen des § 99 BetrVG beteiligt. Daraufhin leitete er das vorliegende Beschlussverfahren ein mit dem Feststellungsbegehren, die Beteiligte K3 sei keine Tendenzträgerin. Er hat die Auffassung vertreten, es werde nicht deutlich, in welcher Art und Weise sich angeblich welche Tendenz bei der Umsetzung der Arbeiten einer Pflegedienstleitung zeige. Es werde in den Seniorenzentren des Arbeitgebers ebenso für Menschen gearbeitet wie in anderen, z.B. von Kommunen getragenen, Einrichtungen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

1. festzustellen, dass die stellvertretende Pflegedienstleiterin im Seniorenzentrum Parkheim H1, Frau M2 K3, keine Tendenzträgerin i.S.d. BetrVG ist,

2. hilfsweise festzustellen, dass die bereits erfolgte personelle Einzelmaßnahme (Einstellung/Versetzung) der stellvertretenden Pflegedienstleiterin im Seniorenzentrum Parkheim H1, Frau M2 K3, als personelle Einzelmaßnahme (Einstellung/Versetzung) der Mitbestimmung des Antragstellers nach § 99 BetrVG unterliegt.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, ausweislich der Satzung und des Verbandsstatuts verfolge er ohne die Absicht der Gewinnerzielung karitative Bestimmungen, nämlich vorbeugend, helfend und heilend auf allen Gebieten der sozialen Arbeit tätig zu werden, namentlich auch in Gestalt von Seniorenzentren. Die dort in der Pflegedienstleitung tätigen Beschäftigten seien Tendenzträger, weil sie verantwortlich seien für die Tendenzverwirklichung im Bereich der Pflege. Dies gelte auch für die Beteiligte K3 als stellvertretende Pflegedienstleiterin, weil sie über die bloße Abwesenheitsvertretung hinaus als Dauervertretung in der Funktion zum Einsatz komme.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 18.01.2007 die Anträge des Betriebsrats abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Arbeitgeber diene karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 BetrVG. So sei er als gemeinnütziger Verein anerkannt und verfolge nach seiner Satzung karitative Aufgaben, was sich auch aus den Präambeln der Stellenbeschreibungen ergebe. Die stellvertretende Pflegedienstleiterin sei Tendenzträgerin, weil sie als Fachvorgesetzte für alle im Pflegebereich Tätigen und damit in einer Schlüsselfunktion gestaltend auf die Art und Weise der Pflege der Heimbewohner einwirke.

Gegen diesen dem Betriebsrat am 12.02.2007 zugestellten Beschluss hat er am 15.02.2007 Beschwerde eingelegt und diese - nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 14.05.2007 - am 11.05.2007 begründet.

Der Betriebsrat meint, bei dem Arbeitgeber handele es sich allenfalls um ein Mischunternehmen mit untergeordneter karitativer Zielsetzung, sodass aktuell kein Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 BetrVG gegeben sei.

Jedenfalls sei die stellvertretende Pflegedienstleiterin keine Tendenzträgerin. Weil die Pflegedienstleitung im fachlichen Bereich das letzte Wort besitze, habe ihre Stellvertreterin nicht die Möglichkeit, inhaltlich prägend auf eine - angebliche - geistig-ideelle Zielsetzung des Unternehmens Einfluss zu nehmen.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 18.01.2007 - 4 BV 40/06 - abzuändern und festzustellen, dass die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes auf die als stellvertretende Pflegedienstleiterin im Seniorenzentrum Parkheim H1 tätige Arbeitnehmerin M2 K3 uneingeschränkt zur Anwendung kommen.

Unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens beantragt der Arbeitgeber,

die Beschwerde zurückzuweisen.

B.

Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist unbegründet, weil der Arbeitgeber ein Tendenzunternehmen ist und die Beteiligte K3 bei ihm als sogenannte Tendenzträgerin zum Einsatz kommt.

I.

Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht allerdings die stellvertretende Pflegedienstleiterin K3 nicht am Verfahren beteiligt, was aber in der Beschwerdeinstanz noch von Amts wegen nachgeholt werden konnte.

Beteiligter eines Beschlussverfahrens in Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes ist jede Stelle, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen wird (§ 83 Abs. 3 ArbGG; vgl. z.B. BAG AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 26). Die Voraussetzungen sind in der Person der stellvertretenden Pflegedienstleiterin K3 erfüllt. Denn mit der Klärung der Frage, ob auf sie die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes ganz oder - im Falle einer Tendenzträgereigenschaft - nur eingeschränkt zur Anwendung kommen, wird verbindlich über ihren betriebsverfassungsrechtlichen Status entschieden.

II.

Der Antrag des Betriebsrats ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Im Rahmen des § 256 Abs. 1 ZPO, der auch im Beschlussverfahren anwendbar ist, kann ein Streit der Betriebsparteien über das Bestehen, den Inhalt und den Umfang von Beteiligungsrechten des Betriebsrats mit einem Feststellungsantrag zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden (vgl. BAG NZA-RR 2006, 23; AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 43). Danach ist es hier ohne Weiteres zulässig, dass der Betriebsrat in Bezug auf die stellvertretende Pflegedienstleiterin K3 die auch für die Zukunft des betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses zum Arbeitgeber relevante Frage verbindlich geklärt haben will, ob die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes vollumfänglich oder nur im Rahmen des § 118 Abs. 1 BetrVG eingeschränkt zur Anwendung kommen.

2. Der Feststellungsantrag ist aber unbegründet, weil der Arbeitgeber ein Tendenzunternehmen und die bei ihm tätige Beteiligte K3 eine sogenannte Tendenzträgerin ist.

a) Der Arbeitgeber unterhält nach seinen Statuten, namentlich seiner Satzung, ein Unternehmen, das unter anderem im Betrieb des Seniorenzentrums in H1 unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dient.

Nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 56, 69; zust. z.B. Fitting, 23. Aufl., § 118 Rn. 18) liegt eine karitative Tätigkeit vor, wenn für körperlich, geistig oder seelisch leidende Menschen soziale Dienste geleistet werden, die auf die Heilung oder Milderung innerer und äußerer Nöte der Hilfsbedürftigen gerichtet sind. Dabei können kostendeckende Einnahmen erzielt werden, doch darf die Betätigung nicht mit der Absicht der Gewinnerzielung erfolgen (vgl. BAG AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 37, 57).

In Anwendung dieser Grundsätze verfolgt der hier beteiligte Arbeitgeber unmittelbar und überwiegend karitative Ziele.

Nach § 2 Ziff. 1 (1) i.V.m. § 3 Ziff. 1 der Satzung hat er sich als Verband der Freien Wohlfahrtspflege zur Aufgabe gemacht, auf allen Gebieten der sozialen Arbeit vorbeugende, helfende und heilende Tätigkeiten zu leisten, in dem er z.B. Einrichtungen im stationären Bereich schafft und unterhält. In Erfüllung dieses Satzungszwecks betreibt er unter anderem das ca. 193 Betten umfassende Seniorenzentrum in H1, um dort im Rahmen der stationären Altenhilfe den aufgenommenen Menschen humane Lebensbedingungen, insbesondere durch eine individuelle Betreuung, fachgerechte Versorgung und Pflege zu sichern.

Die darin liegende karitative Betätigung zum Wohle älterer und hilfsbedürftiger Menschen erfolgt nicht mit der Absicht der Gewinnerzielung. Denn als eingetragener nichtwirtschaftlicher Verein (§ 21 BGB) verfolgt der Arbeitgeber gem. § 3 Ziff. 1 Satz 1 der Satzung ausschließlich gemeinnützige bzw. mildtätige Zwecke. Als solcher ist er selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Ziele (§ 3 Ziff. 2 Satz 1 der Satzung), wobei die Mittel nur für satzungsmäßige Zwecke verwandt werden dürfen (§ 3 Ziff. 3 Satz 1 und Ziff. 5 Satz 2 der Satzung). Der Akte lassen sich keine durch den Betriebsrat konkret belegten Anhaltspunkte entnehmen, dass sich der Arbeitgeber satzungswidrig verhält und über das zulässige Maß kostendeckender Einnahmen hinaus Gewinne erzielt, die seine juristische Existenz in Frage stellen würde.

Nach alledem führt der Arbeitgeber ein Tendenzunternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, wie es das Bundesarbeitsgericht bereits im Beschluss vom 23.09.1980 (AP BetrVG 1972 § 47 Nr. 4) zum vergleichbaren Fall des B7 der A1 e.V. festgestellt hat (s. auch ausdrücklich LAG Baden-Württemberg, Beschl. vom 03.03.1999 - 22 TaBV 1/98; Fitting, a.a.O. § 118 Rd. 18).

b) Die als stellvertretende Pflegedienstleiterin im Seniorenzentrum H1 tätige Beteiligte K3 ist auch Tendenzträgerin.

Allgemein sind Beschäftigte in einem den Zwecken des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG dienenden Unternehmen bzw. Betrieb dann Tendenzträger, wenn die jeweilige Bestimmung für ihre Tätigkeit prägend ist (BAG, Beschl. vom 13.02.2007 - 1 ABR 14/06 - teilw. in BB 2007, 1680; AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 80; AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 18, 43; AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 34). Dies bedingt die Möglichkeit einer entsprechenden Einflussnahme auf die Tendenzverwirklichung; eine bloße Mitwirkung bei der Verfolgung der Tendenz genügt dafür nicht.

Die genannten Voraussetzungen sind in der Person der Beteiligten K3 erfüllt.

Als stellvertretende Pflegedienstleiterin im Seniorenzentrum H1 kommt ihr in allen Fällen der Abwesenheit der Pflegedienstleiterin T1, also nicht nur bei Urlaub und Arbeitsunfähigkeit z.B., sondern immer auch dann, wenn Frau T1 als stellvertretende Heimleiterin in H1 oder B5 zum Einsatz kommt, die Aufgabe zu, eigenverantwortlich den Pflegedienstbereich in der mit ca. 193 Betten bestückten Einrichtung in H1 zu leiten und alle ihr dann unterstellten Pflegekräfte zu beaufsichtigen. Dabei ist sie nach den gesetzlichen Vorgaben unter anderem dafür verantwortlich, den Pflegeprozess fachlich zu planen und zu organisieren sowie eine fachgerechte Dokumentation und Kontrolle sicherzustellen (s. die Vereinbarungen betr. die Maßstäbe und Grundsätze zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität, BAnz. Nr. 213, S. 12041, gestützt auf § 80 Abs. 1 SGB XI).

Die hervorgehobene Stellung der Mitglieder der Pflegedienstleitung kommt unter anderem auch darin zum Ausdruck, dass die in dieser Funktion zum Einsatz kommenden Beschäftigten nach § 4 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 HeimpersonalVO eine Ausbildung als staatlich anerkannte Fachkraft im Gesundheits- oder Sozialwesen aufweisen und über eine Dauer von mindestens zwei Jahren die für die Leitung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben müssen.

Aus alledem wird deutlich, dass die Beschäftigten, denen die Leitung der Pflegenden in einer Einrichtung der stationären Altenhilfe übertragen worden ist, prägenden Einfluss auf die Verwirklichung der verfolgten Tendenz haben, ältere Menschen zu betreuen, zu versorgen und zu pflegen. Dabei steht ihnen z.B. bei der täglichen Dienstplangestaltung und der Kontrolle der Pflegeabläufe ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zu, wodurch sie sich vom übrigen an Richtlinien und Weisungen gebundenen Pflegepersonal deutlich unterscheiden.

Folglich sind auf die Beteiligte K3 die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes entgegen der Ansicht des Betriebsrats nicht uneingeschränkt, sondern nur insoweit anwendbar, wie die karitative Zielsetzung des Arbeitgebers dem nicht entgegensteht. Im Anlassfall der vorgenommenen Einstellung in den Betrieb in H1 war deshalb der Betriebsrat zwar im Rahmen des § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen. Ihm stand aber kein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 BetrVG zu. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber frei darin bleibt, nur Personen seines Vertrauens mit den für die geistig-ideelle Zielsetzung prägenden Aufgaben zu betrauen (vgl. BAG AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 7, 51).

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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