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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.08.2008
Aktenzeichen: 13 TaBV 56/08
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 40 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 03.04.2008 - 6 BV 6/08 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Der antragstellende einköpfige Betriebsrat begehrt von der Arbeitgeberin die Freistellung von den Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts.

Im Jahre 2005 war der Betriebsrat zuständig für die zur Arbeitgeberin gehörende T2-Tankstelle nebst Einzelhandel in H2. Einziges Betriebsratsmitglied war die Arbeitnehmerin R1, während die Mitarbeiterin C1 als Ersatzmitglied fungierte.

In der Mittagszeit des 04.11.2005 wandte sich die Arbeitgeberin an den Betriebsrat mit der Bitte um Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitgliedes R1.

In dem Schreiben heißt es auszugsweise wie folgt:

"Anhörung des Betriebsrates vor einer Verdachtskündigung

Die Firma beabsichtigt, Frau S1 R1, 02.10.1965, geschieden, 1 Kind, wohnhaft in H5 123, 12345 H2, außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen.

Die zu Kündigende ist seit dem 01.04.2001 als Mitarbeiterin Tankstelle/Bistro im Betrieb beschäftigt. Sie arbeitet in Teilzeit (20 Stunden/Woche).

Die Kündigung ist erforderlich, weil das notwendige Vertrauen in die Rechtschaffenheit von Frau R1 zerstört ist.

Es besteht der dringende Tatverdacht, dass Frau R1 am 30.10.2005 während ihrer Mittagsschicht in mehreren Fällen die Kasse manipuliert hat. Als Beweismittel beziehen wir uns auf die ... beigefügte Schichtanlage zum Kassenbericht, sowie den Aufzeichnungen der Überwachungsanlage. Die Schichtanlage weist insgesamt 48 Stornierungsvorgänge über die Gesamtsumme von 210,01 € aus.

Am 02.11.2005 hat Herr K3 D3 eine Stichprobeninventur durchgeführt....Die Inventur hat ergeben, dass als storniert gebuchte Artikel im Warenbestand fehlen. Zum Beispiel fehlt eine als storniert gebuchte Flasche Chantré. Des weiteren fehlt eine Flasche Jägermeister. Die beiden Artikel stellten zugleich Differenzen in dieser Warengruppe seit der letzten Inventur dar. Es fehlten des weiteren die folgenden, als storniert gebuchten Artikel: MM Sekt und Viala Wein. Auch bei den vorbezeichneten Artikeln zeigt die Stichprobeninventur von Herrn D3 jeweils Differenzen auf.

Die Aufzeichnungen der Überwachungsanlage (durch die Umstellung zur Winterzeit ca. 1:02 Std. zeitversetzt zum Kassenjournal) zeigen, dass als storniert gebuchte Waren von Frau R1 an Kunden übergeben wurden. So ist beispielsweise auf der Aufzeichnung zu erkennen, dass Frau R1 um 12:32 Uhr von einer Dame Geld für Weinflaschen kassiert. Um 13:48 Uhr kassiert Frau R1 für 1 Flasche Chantré von 2 Herren, um 14:56 Uhr kassiert Frau R1 von einer Dame für 2 MM'chen und um 16:27 Uhr ist zu erkennen, dass Frau R1 für einen Jägermeister von einem Herrn kassiert.

Eine Rückgabe der Artikel an Kunden ist auf der Aufzeichnung nicht erkennbar. Es ist jedoch in allen Fällen auf dem Kassenjournal ersichtlich, dass Frau R1 die gescannte Ware in der Kasse storniert hat. Die vorbezeichneten Vorgänge sind nur exemplarisch genannt.

Für einen unberechtigten Stornierungsvorgang gibt es einen Zeugen. Es handelt sich dabei um Herrn R2 L3. Herr L3 hat Herr M3 bestätigt, dass er am 30.10.2005 bei Frau R1 7 Flaschen Hansa Pils gekauft und bezahlt hat. Diese 7 Flaschen sind laut Journal von Frau R1 jedoch nachträglich storniert worden. Der Zeuge wurde am 03.11.2005 von Herrn M3 zu dem Vorgang angesprochen, da er von ihm auf der Aufzeichnung der Überwachungskamera identifiziert wurde.

Wir bitten den Betriebsrat erneut darum, die Aufzeichnungen selbst einzusehen.

Aus dargelegten Gründen besteht für uns der dringende Verdacht, dass Frau R1 vor der Kassenübergabe an Frau K4 oder während ihrer Schicht einen Betrag in Höhe von 210,01 € aus der Kasse entnommen hat.

Frau R1 wurde von Herrn D3 am 02.11.2005 darüber informiert, dass gegen sie der dringende Tatverdacht einer Straftat besteht und deshalb wurde sie freigestellt.

Am 03.11.2005 um 9:56 Uhr hat Herr D3 unter Beisein von Herrn M3 Frau R1 tel. gebeten, zu den Verdachtsmomenten Stellung zu nehmen. Herr D3 hat Frau R1 ebenfalls angeboten, die Aufzeichnungen persönlich einzusehen. Frau R1 hat dieses abgelehnt. Auch die Bitte zur Vermittlung zwischen der TD - A und Frau R1 an Herrn B1 blieb erfolglos....

Das ausgesprochene Hausverbot gegenüber Frau R1 wird für den Zeitraum der Anhörung außer Kraft gesetzt. Frau R1 wird von der Betriebsinhaberin nicht daran gehindert, an der Betriebsratsanhörung teilzunehmen.

Der Betriebsrat wird gebeten, der Kündigung zuzustimmen bzw. etwaige Einwände aufgrund der Eilbedürftigkeit schnellstmöglich mitzuteilen".

Da die Zustimmung in der Folgezeit nicht erteilt wurde, ließ die Arbeitgeberin durch die Anwaltssozietät H4 und Partner am 10.11.005 vor dem Arbeitsgericht Herne (4 BV 40/05) ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG einleiten.

Mit Schriftsatz vom 22.11.2005 bestellten sich die jetzigen Vertreter des Betriebsrates zu dessen Verfahrensbevollmächtigten, nahmen am 01.12.2005 an der Güteverhandlung teil und verfassten am 28.12.2005 einen elfseitigen Schriftsatz, mit dem sie die Abweisung des Arbeitgeberantrages begründeten. Das Beschlussverfahren wurde später eingestellt, nachdem sich das Betriebsratsmitglied R1 mit der Arbeitgeberin im Verfahren 5 Ca 18/06 (ArbG Herne) vergleichsweise auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.10.2006 geeinigt hatte.

Mit Rechnungen vom 14.02.2006 an die Arbeitgeberin und vom 02.06.2008 an den Betriebsrat (Bl. 93 f. d.A.) machten die Rechtsanwälte B1 und Kollegen ihre Kosten in Höhe von 571,30 € geltend. Da sich die Arbeitgeberin in der Folgezeit weigerte, den Betrag zu zahlen, leitete der Betriebsrat das vorliegende Verfahren ein.

Er hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin sei zur Kostenerstattung verpflichtet. Es habe keine Verpflichtung bestanden, der beabsichtigten Kündigung zuzustimmen. Im anschließenden Verfahren hätte er, der Betriebsrat, der anwaltlichen Unterstützung bedurft.

Der Betriebsrat hat beantragt,

der Antragsgegnerin, Beteiligten zu 2), aufzugeben, den Antragsteller von einer Zahlungsverpflichtung gegenüber Rechtsanwalt R3 B1 in W1 in Höhe von 571,30 € freizustellen und zwar durch Zahlung an Rechtsanwalt R3 B1.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht gewesen, die Verursachung der Anwaltskosten sei mutwillig erfolgt. Der Betriebsrat in Person der Arbeitnehmerin C1 habe sich nicht im geringstem mit den vorhandenen Beweismitteln auseinandergesetzt. Hätte sie sich die vorhandene und ihr angebotene Videoaufzeichnung angesehen, wäre für sie ohne weiteres erkennbar gewesen, dass die Kollegin R1 die ihr vorgeworfenen Straftaten begangen hätte. Dieser Erkenntnis hätte sie sich durch ihr destruktives und mutwilliges Verhalten verschlossen.

Es sei deshalb "nur" der Ausspruch einer Verdachtskündigung beabsichtigt gewesen, um das Risiko nahezu auf Null zu reduzieren.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 03.04.2008 dem Begehren des Betriebsrates stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Betriebsrat habe es noch für erforderlich halten dürfen, im § 103 BetrVG-Verfahren einen Verfahrensbevollmächtigten einzuschalten. Dabei sei zu berücksichtigten, dass die Arbeitgeberin keine Tat-, sondern "nur" eine Verdachtskündigung habe aussprechen wollen. Insoweit habe der Betriebsrat auf Umstände im Kassensystem hingewiesen, die ihn zu Recht davon abgehalten hätten, vorab die Zustimmung nach § 103 BetrVG zu erteilen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Beschwerde.

Sie weißt nochmals darauf hin, dass aufgrund der Videoaufnahmen, die die Taten der Arbeitnehmerin R1 deutlich sichtbar wiedergegeben hätten, die Verweigerung der Zustimmung offensichtlich aussichtslos gewesen sei. Der Betriebsrat habe sich die Aufnahmen bewusst nicht angesehen und sich damit vorsätzlich unwissend gestellt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 03.04.2008 - 6 BV 6/08 - abzuändern und den Antrag abzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er streicht heraus, dass auch die Arbeitgeberin sich veranlasst gesehen habe, im damaligen Beschlussverfahren anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Was die Videoaufzeichnungen angehe, habe gar keine Zeit bestanden, sich diese anzuschauen. Im Übrigen habe man sich mit den geäußerten Verdachtsmomenten auseinandergesetzt.

Abgesehen davon sei das an den Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben vom 04.11.2005 unklar, namentlich was ein Verfahren nach § 103 BetrVG angehe.

B.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht entschieden, dass die Arbeitgeberin gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG verpflichtet ist, den Betriebsrat von den Kosten der Rechtsanwälte B1 und Kollegen gemäß Rechnung vom 02.06.2008 in Höhe von 571,30 € freizustellen.

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt 17.08.2005 - 7 ABR 56/04 - AP InsO § 55 Nr. 10) hat der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG Honorarkosten eines Rechtsanwaltes dann zu tragen, wenn der Betriebsrat die Heranziehung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren für erforderlich halten durfte. Die Freistellungspflicht entfällt immer nur dann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung von vornherein aussichtlos erscheint oder die Heranziehung eines Verfahrensbevollmächtigten rechtsmissbräuchlich erfolgt und deshalb das Interesse des Arbeitgebers an der Begrenzung seiner Kostentragungspflicht missachtet wird.

Nach diesem Grundsätzen hat der Betriebsrat hier einen Anspruch auf Freistellung von den für das Beschlussverfahren 4 BV 40/05 (ArbG Herne) entstandenen Rechtsanwaltskosten. Der Betriebsrat war nämlich in der konkreten Situation Anfang November 2005 nicht gehalten, die gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des damaligen Betriebsratsmitgliedes R1 zu erteilen, um ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG zu vermeiden.

So hat es die Arbeitgeberin, als sie sich in der Mittagszeit des 04.11.2005 an den Betriebsrat wandte, in dem zweiseitigen Schreiben versäumt, unmissverständlich klarzumachen, wozu sie den Betriebsrat mit welchem Ziel eingeschaltet hat. Der in der Überschrift gewählte Begriff "Anhörung" weißt auf eine bloße Beteiligung nach § 102 BetrVG hin. Dazu passt, dass im folgenden ersten Satz von der Absicht die Rede ist, "außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen". In beiden Fällen bedarf es "nur" einer Einschaltung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG, während es bei der konkret allein möglichen außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitgliedes R1 zwingend der (ausdrücklichen) Zustimmung des Betriebsrates nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedurfte.

Allerdings wird dann im letzten Absatz des Schreibens darum gebeten, der Kündigung zuzustimmen. Aber auch dieses Begehren deutet nicht unmissverständlich auf § 103 BetrVG hin, weil auch in Fällen des § 102 BetrVG eine Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung in Betracht kommt (vgl. § 102 Abs. 2 S. 2 BetrVG).

Aus alledem wird deutlich, dass schon das schriftliche Ersuchen der Arbeitgeberin an den Betriebsrat nicht den Anforderungen des § 103 Abs. 1 BetrVG gerecht geworden ist.

Wenn sie daraufhin keine ausdrückliche Antwort des Betriebsrates erhielt und sich deshalb veranlasst sah, ein Beschlussverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG einzuleiten, kann dem Betriebsrat nicht das Recht abgesprochen werden, sich in dem Verfahren als Beteiligter von einem Verfahrensbevollmächtigten vertreten zu lassen.

Davon abgesehen bleibt auch in der Sache festzuhalten, dass die Mitarbeiterin C1, die in der damaligen Situation die Aufgaben des einköpfigen Betriebsrates wahrzunehmen hatte, frühestens in der Mittagszeit des 04.11.2005, einem Freitag, amtlich in das Verfahren eingebunden wurde und sich sofort mit massiven Vorwürfen gegenüber ihrer Kollegin R1 auseinanderzusetzen hatte. Dafür blieb ihr nur ein Zeitraum von drei Tagen (§ 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG), also bis zum kommenden Montag, den 07.11.2005. Wenn sie in dieser zugespitzten Konstellation, auch angesichts der Tatsache, dass bei einer außerordentlichen Kündigung immer alle Umstände des Einzelfalles zu beachten und die Interessen beider Seiten abzuwägen sind (§ 626 Abs. 1 BGB), von einer positiven Antwort zugunsten der Arbeitgeberin absah und sich im folgenden Beschlussverfahren eines Verfahrensbevollmächtigten bediente, kann darin keine aussichtslose Rechtsverfolgung oder ein rechtsmissbräuchliches Verhalten gesehen werden.

Letztlich soll in dem Zusammenhang auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich auch die Arbeitgeberin veranlasst gesehen hat, in dem auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gerichteten Beschlussverfahren von Beginn an Verfahrensbevollmächtigte mit der damit verbundenen Kostentragungspflicht einzuschalten.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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