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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.01.2007
Aktenzeichen: 13 TaBV 58/06
Rechtsgebiete: SGB IX


Vorschriften:

SGB IX § 83
Die Schwerbehindertenvertretung hat keinen gesetzlichen Anspruch auf Abschluss einer Integrationsvereinbarung nach § 83 SGB IX.
Tenor:

Die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.05.2006 - 3 BV 8/06 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag abgewiesen wird.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die gerichtliche Erzwingbarkeit einer Integrationsvereinbarung.

In der Niederlassung E1xxxxx B1xxxxxxx der Arbeitgeberin, in der insgesamt rund 1000 Arbeitnehmer beschäftigt sind, haben die dort tätigen schwerbehinderten Menschen eine Schwerbehindertenvertretung gewählt, die das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet hat. Daneben besteht ein Betriebsrat, der Beteiligte zu 3).

Am 22.05./16.06.2003 hat die Arbeitgeberin mit dem im Unternehmen errichteten Gesamtbetriebsrat (Beteiligter zu 4) und der Gesamtschwerbehindertenvertretung (Beteiligte zu 5) "gem. § 50 Abs. 1 BetrVG in Verbindung mit §§ 77, 88 BetrVG auf der Grundlage von § 83 SGB IX" eine "Freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung zur Integration schwerbehinderter Menschen bei der D6xxxxxxx P1xx AG" abgeschlossen. Sie sieht namentlich Maßnahmen zur Förderung der Integration (§ 3), die Beratung von Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen (§ 4), Berichte des Arbeitgebers (§ 5), Regelungen zum Arbeitsumfeld und zur Arbeitsplatzgestaltung (§ 6) sowie die Förderung des beruflichen Fortkommens (§ 7) vor. Hinsichtlich der Einzelheiten wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 20.02.2006 eingereichte Kopie (Bl. 10 - 14 d. Akten).

In der Niederlassung E1xxxxx B1xxxxxxx wurde in der Vergangenheit auch durch die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat mit dem dortigen Abteilungsleiter Personal, G3xxxx, über den Abschluss einer Integrationsvereinbarung verhandelt. Den schließlich abgefassten Entwurf hieß der Abteilungsleiter G3xxxx für gut, stellte den Abschluss aber unter den Vorbehalt einer Rücksprache mit der Zentrale der Arbeitgeberin in B2xx. Mit Schreiben vom 31.10.2005 (Bl. 15 d. Akten) wurde sodann der Abschluss der Integrationsvereinbarung auf örtlicher Ebene abgelehnt.

Der ausformulierte Entwurf sieht nach der Übernahme der Regelungen der freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarung vom 22.5/16.06.2003 (§ 2) Bestimmungen über die Besetzung freier Stellen (§ 3), über die befristete Beschäftigung (§ 4), über die berufliche Förderung (§ 5), über das Beurteilungs-/Beschwerdeverfahren (§ 6) und über die Beteiligung der Integrationsfachdienste (§ 7) vor. Daneben finden sich Regelungen zur Prävention (§ 8), zur Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an Personalgesprächen (§ 9), zum Anspruch auf einen behinderungsgerechten Parkplatz (§ 10), zum Einsatz von Schwerbehinderten in Gruppenmodellen (§ 11), zur Mehrarbeit (§ 12), zum Vorrang im Sozialplanverfahren (§ 13), zur Schulung von Führungskräften (§ 14) sowie zur Informationspolitik der Niederlassung, zur Auftragsvergabe und zu Berufspraktika für behinderte Schüler/Innen (§§ 15 - 17). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auch insoweit verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom 20.02.2006 eingereichte Kopie (Bl. 4 - 9 der Akte).

Die Schwerbehindertenvertretung hat die Auffassung vertreten, ihr stehe aus § 83 SGB IX ein Anspruch auf Abschluss der im Entwurf vorliegenden Integrationsvereinbarung zu.

Sie hat beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihre Zustimmung zum Abschluss der als Anlage 1 der Antragsschrift beigefügten Integrationsvereinbarung der Niederlassung E1xxxxx B1xxxxxxx (Betrieb B1xxxxxxx) der D6xxxxxxx P1xx AG zu erklären.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, die Schwerbehindertenvertretung könne nicht im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens den Abschluss einer ausformulierten Integrationsvereinbarung erzwingen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.05.2006 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es fehle für den Fall der Nichteinigung über eine Integrationsvereinbarung an einer gesetzlichen Regelung zu ihrer gerichtlichen Durchsetzung. Im Übrigen seien die Gerichte für Arbeitssachen auch gar nicht in der Lage, den Beteiligten in einer Regelungsstreitigkeit eine "gerechte" Integrationsvereinbarung im Beschlusswege aufzuoktroyieren.

Gegen den ihr am 14.06.2006 zugestellten Beschluss hat die Schwerbehindertenvertretung am 14.07.2006 Beschwerde eingelegt und diese zugleich auch begründet.

Sie streicht heraus, dass bei einer bestehenden gesetzlichen Handlungspflicht wie hier diese auch gerichtlich durchsetzbar sein müsse. Davon sei namentlich dann auszugehen, wenn - wie hier - inhaltlich keine Bedenken gegen den vorhandenen Entwurf bestünden.

Die Schwerbehindertenvertretung beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.05.2006 - 3 BV 8/06 - abzuändern und die Arbeitgeberin zu verpflichten, die Zustimmung zum Abschluss der "Integrationsvereinbarung der Niederlassung E1xxxxx B1xxxxxxx der D1xxxxxx P1xx AG" (Anlage 1 zum Antragsschriftsatz vom 20.02.2006 - Bl. 4 bis 9 der Akten) mit der Maßgabe zu erklären, dass auch in der Präambel und im § 1 Abs. 1 der Zusatz "Betrieb B1xxxxxxx" ersatzlos entfällt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, in § 83 Abs. 1 S. 2 SGB IX werde lediglich eine Verhandlungsverpflichtung statuiert. Es lasse sich dem Gesetz aber keinerlei Kontrahierungszwang entnehmen; es sei nicht einmal ein zwingendes Einigungsstellenverfahren vorgesehen worden. Vor diesem Hintergrund könne es nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen sein, eine im Detail ausgearbeitete Integrationsvereinbarung durch eine entsprechende Entscheidung für den Arbeitgeber verbindlich zu machen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung einen Anspruch auf Abschluss der mit Antragsschriftsatz vom 20.02.2006 als Anlage 1 zur Gerichtsakte gereichten Integrationsvereinbarung (Bl. 4 - 9 d. Akten) verneint.

1. Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen, über die aufgeworfene Frage im Beschlussverfahren zu entscheiden, ergibt sich aus § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG i.V.m. § 95 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB IX. Bei dem Problem des (verpflichtenden) Abschlusses einer Integrationsvereinbarung gemäß § 83 SGB IX handelt es sich nämlich um eine Angelegenheit, die in den Aufgabenbereich der Schwerbehindertenvertretung fällt (vgl. Düwell in: LPK- SGB IX, § 95 Rdnr.3; GK-ArbGG/Dörner, § 2a Rdnr. 70; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 2a Rdnr. 23; zum alten Recht: BAG AP SchwbG 1986 § 25 Nr. 1).

2. Im Verfahren waren (auch) der zuständige Betriebsrat, der Gesamtbetriebsrat und die Gesamtschwerbehindertenvertretung als Beteiligte zu hören.

Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben neben dem Antragsteller auch diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach § 95 SGB IX im einzelnen Fall beteiligt sind. Dies setzt voraus, dass sie durch die begehrte Entscheidung in ihrer gesetzlich verliehenen Rechtsstellung unmittelbar betroffen sind (vgl. zuletzt z. B. BAG PersV 2007, 75; AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 125, jeweils m. w. N.).

a) Dies gilt zunächst für den im Rahmen des § 83 Abs. 1 S. 1 SGB IX i.V.m. § 93 SGB IX einzuschaltenden Betriebsrat der zuständigen Niederlassung E1xxxxx B1xxxxxxx. Dieser ist nämlich in die Verhandlungen über die Integrationsvereinbarung eingebunden und bei einem Abschluss rechtlich mit verpflichtet (vgl. GK-SGB IX/Schimanski, § 83 Rdnr. 137; Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 2. Aufl., § 83 Rdnr. 3; Laskowski/Welti, ZESAR 2003, 215, 218); dabei können verschiedene ihm eingeräumte Beteiligungsrechte tangiert sein (GK-SGB IX/Schimanski, § 83 Rdnr. 10). Deshalb ist er in einem Beschlussverfahren anzuhören, wenn es um die Frage des Abschlusses einer solchen Integrationsvereinbarung geht.

b) Bei der Lösung der hier von der Schwerbehindertenvertretung aufgeworfenen Frage, ob die Arbeitgeberin zum Abschluss einer mit einem präzise vorgegebenen Inhalt versehenen Integrationsvereinbarung verpflichtet ist, sind auch der Gesamtbetriebsrat und die Gesamtschwerbehindertenvertretung als Vertragspartner der "Freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarung zur Integration schwerbehinderter Menschen bei der D6xxxxxxx P1xx AG" vom 22.05./ 16.06.2003 unmittelbar in ihrer Rechtsstellung betroffen. Denn bei einer grundsätzlichen Bejahung eines Anspruchs der antragstellenden Schwerbehindertenvertretung auf Abschluss einer Integrationsvereinbarung bestimmten Inhalts würde sich die Frage stellen, ob bzw. inwieweit Diskrepanzen bestehen zu der auf der Grundlage des § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG und § 97 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 SGB IX mit dem Gesamtbetriebsrat und der Gesamtschwerbehindertenvertretung geschlossenen Vereinbarung. Die erstrebte Entscheidung kann aber auch die Frage des Umfangs der Regelungskompetenz der beiden genannten Interessenvertretungen nach § 97 Abs. 6 S. 1 SGB IX aufwerfen, was ihre Beteiligung zwingend erfordert (vgl. BAG AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 23 und 26; AP BetrVG 1972 § 76 Einigungsstelle Nr. 20).

c) Hingegen waren alle anderen im Unternehmen der Arbeitgeberin bestehenden Betriebsräte und Schwerbehindertenvertretungen nicht zu beteiligen. Denn durch den Abschluss einer nur für den Bereich E1xxxxx B1xxxxxxx erstrebten Integrationsvereinbarung mit einem genau umrissenen Inhalt sind Beteiligungsrechte anderer Betriebsräte und Schwerbehindertenvertretungen nicht unmittelbar betroffen.

3. Ein Anspruch der für den Bereich E1xxxxx B1xxxxxxx zuständigen Schwerbehindertenvertretung auf Abschluss einer bestimmten Integrationsvereinbarung besteht nicht.

Allerdings gibt es zahlreiche Stimmen in der Literatur (z.B. Feldes/Kamm/Peiseler, Schwerbehindertenrecht, 8. Aufl., § 83 SGB IX Rdnr. 3; Laskoswki/Welti, ZESAR 2003, 215, 218; Ritz, Integrationsvereinbarung - Geschichte, Anspruch und (rechts-)politische Bewertung in: Teilhabe behinderter Menschen und betriebliche Praxis, 2004, S. 6, 15; Schröder in: Hauck/ Noftz, SGB IX, § 83 Rdnr. 6; Seel, br 2001, 61, 63 f.; Von Seggern, AiB 2000, 717, 724; Worseck, br 2003, 136,138 f.), die einen entsprechenden Kontrahierungszwang bejahen.

Demgegenüber sind andere Vertreter in der Literatur (z. B. Düwell in: LPK-SGB IX, § 83 Rdnr. 4; Kossens/von der Heide/Maaß, a.a.O., § 83 Rdnr. 5; Müller/Wenner/Schorn, § 83 SGB IX Rdnr. 5; Neumann in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl., § 83 Rdnr. 4 und 9) und das Landesarbeitsgericht Köln (NZA-RR 2006, 580, 581) der Meinung, es bestehe lediglich ein auf § 83 Abs. 1 S. 2 SGB IX beruhender Verhandlungsanspruch, aber kein Recht auf Abschluss einer Integrationsvereinbarung (siehe auch Bericht der Bundesregierung nach § 160 SGB IX über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen, BT-Drucks. 15/1295, S. 38).

Die Kammer schließt sich der letzteren Ansicht an.

a) Wenn es in § 83 Abs. 1 S. 1 SGB IX heißt, der Arbeitgeber treffe mit den dort genannten Stellen eine verbindliche Integrationsvereinbarung, kann daraus nicht im Umkehrschluss zwingend ein entsprechender Anspruch der Schwerbehindertenvertretung abgeleitet werden. Denn in der Rechtsordnung gibt es neben der Möglichkeit, auf die Verpflichtung einer Seite mit einem entsprechenden Anspruch der anderen Seite zu reagieren (z.B. § 433 Abs. 2 BGB), auch die Konstellationen des Entstehens "bloßer" Sekundärpflichten (z. B. Schadensersatz im Fall des § 681 S. 1 BGB) oder von Obliegenheiten (z. B. Anzeigepflicht gemäß § 377 HGB).

Gegen das Bestehen eines Anspruchs spricht entscheidend der Bedeutungszusammenhang mit § 83 Abs. 1 S. 2 SGB IX. Wenn danach auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung als Trägerin eines eigenen Mitwirkungsrechts Verhandlungen über den Abschluss einer Integrationsvereinbarung zu führen sind, diese also vom Arbeitgeber ein entsprechendes Tun verlangen kann (vgl. § 194 Abs. 1 BGB; Düwell in: LPK-SGB IX, § 83 Rdnr. 4 u. 8; GK-SGB IX/Schimanski, § 83 Rdnr. 15 und 18; Kossens/von der Heide/Maaß, a.a,O., § 83 Rdnr. 6; Laskowski/Welti, ZESAR 2003, 215, 218; Von Seggern, AiB 2002, 717, 724), ergibt sich daraus bei einem Schweigen des Gesetzgebers im Umkehrschluss, dass kein Anspruch auch auf den Abschluss einer solchen Integrationsvereinbarung besteht. Anderenfalls wäre die Verpflichtung zur Aufnahme von Verhandlungen überflüssig, denn sie würde von der weitergehenden Verpflichtung zum Abschluss einer auszuhandelnden Integrationsvereinbarung mit umfasst (Kossens/von der Heide/Maaß, a.a.O., § 83 Rdnr. 5).

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement in § 84 Abs. 2 SGB IX, in dessen Satz 1 dem Arbeitgeber die Pflicht zur Klärung bestimmter Fragen auferlegt und in Satz 6 unter anderem der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ein entsprechender Anspruch eingeräumt wird.

Die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Unterscheidung zwischen einer Verpflichtung einerseits und einem Anspruch andererseits erschließt sich auch aus § 97 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 SGB IX im Zusammenhang mit den Regelungen zur Zuständigkeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung.

Nach alledem ist der Gesetzgeber wohl offensichtlich vom guten Willen aller Beteiligten ausgegangen, aufgrund gegebenenfalls erzwingbarer Verhandlungen einvernehmlich zum Abschluss einer Integrationsvereinbarung zu gelangen (vgl. Düwell in: LPK-SGB IX, § 83 Rdnr. 4; GK-SGB IX/Schimanski, § 83 Rdnr. 141).

b) Das Auslegungsergebnis wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des § 83 SGB IX in seiner aktuellen Fassung. Die Regelung geht zurück auf § 14b SchwbG, der durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter (SchwbBAG) mit Wirkung ab 01.10.2000 eingeführt wurde (BGBl. I, 1394). Die genannte Regelung wurde dann im Wesentlichen unverändert in den ab 01.07.2001 geltenden § 83 SGB IX übernommen (BGBl. I, 1046).

In dem gemäß § 160 SGB IX vorgeschriebenen Bericht der Bundesregierung vom 26.06.2003 über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen und die danach zu treffenden Maßnahmen wird unter 6.2.4 (BT-Drucks. 15/1295, S. 38) ausdrücklich die Frage ausgeworfen, ob der Schwerbehindertenvertretung neben einem Recht auf Verhandlungen auch ein solches auf Abschluss einer Integrationsvereinbarung eingeräumt werden sollte. Wenn darauf von Seiten des Gesetzgebers als Adressat des Berichts keine Reaktion erfolgte, obwohl noch mit dem Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.04.2004 (BGBl. I, 606) unter anderem eine Ergänzung des § 83 SGB IX um den Absatz 2a vorgenommen wurde, lässt dies nur den Schluss zu, dass die Prüfung einer Ergänzung auch des § 83 Abs. 1 SGB IX negativ verlaufen ist.

c) Auch der Sinn und Zweck einer Integrationsvereinbarung spricht gegen einen Anspruch auf Abschluss einer solchen Abrede. In ihr werden - insoweit vergleichbar mit einer Betriebsvereinbarung - nicht in erster Linie Rechtsfragen gelöst. Vielmehr enthält sie "Regelungen" im Zusammenhang mit der Eingliederung schwerbehinderter Menschen (§ 83 Abs. 2, Abs. 2a SGB IX). Dabei auftretende Meinungsverschiedenheiten werden im Bereich des BetrVG in der Einigungsstelle beigelegt, wobei deren Spruch nur einer begrenzten arbeitsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (§ 76 BetrVG).

Wenn demgegenüber der Gesetzgeber in § 83 Abs. 1 Satz 4 SGB IX "nur" die Möglichkeit vorsieht, das Integrationsamt als neutralen Vermittler (GK-SGB IX/Schimanski, § 83 Rdnr. 45), Moderator (Düwell in: LPK-SGB IX, § 83 Rdnr. 4; Worseck, br 2003, 136,138) bzw. Mediator (Laskowski/Welti, ZESAR 2003, 215,219) einzuschalten, um unter sachkundiger Begleitung zum (freiwilligen) Abschluss einer Integrationsvereinbarung zu gelangen, kann dieses System nicht durch die Aufstellung eines Kontrahierungszwangs unterlaufen werden.

Abgesehen davon ist es nicht vorstellbar, wie die Gerichte für Arbeitssachen bei einem Streit über den Inhalt einer Integrationsvereinbarung "nach billigem Ermessen" (vgl. § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG) selbst eine solche Vereinbarung entwerfen und dem Arbeitgeber eine entsprechende Abschlussverpflichtung auferlegen sollen (vgl. Laskowski/Welti, ZESAR 2003, 215, 219; Seel, br 2001, 61, 65); auch bei der Vollstreckung solcher gestaltender Willenserklärungen kann es zu größeren Schwierigkeiten kommen (Weyand/Schubert, Das neue Schwerbehindertenrecht, Rdnr. 221; Worseck, br 2003, 136,138 f.).

Deshalb ist es in Konstellationen wie hier zu überlegen, ob der an den gescheiterten Verhandlungen über den Abschluss einer Integrationsvereinbarung beteiligte Betriebsrat im Rahmen des § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG seine ihm nach dem BetrVG eröffneten Möglichkeiten nutzt, um für die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu sorgen, z. B. über den unter den Voraussetzungen des § 95 Abs. 2 BetrVG erzwingbaren Abschluss einschlägiger Auswahlrichtlinien (vgl. LAG Köln NZA-RR 2006, 580: allgemein dazu: Worseck, br 2003, 136, 139).

Im Übrigen werden in einer Integrationsvereinbarung "nur" konkretisierende Regelungen über die Fort- bzw. Durchführung ohnehin bereits bestehender gesetzlicher Verpflichtungen getroffen (Neumann, a.a.O., § 83 Rdnr. 12), so dass der Arbeitgeber bei Ablehnung des Abschlusses einer solchen auf die konkreten betrieblichen Verhältnisse abgestellten Vereinbarung eher Gefahr läuft, sich nicht gesetzeskonform zu verhalten, zum Beispiel bei der Einstellung von Arbeitnehmern, bei Teilzeitarbeit oder beim betrieblichen Eingliederungsmanagement im Vorfeld einer krankheitsbedingten Kündigung (§ 83 Abs. 2, Abs. 2a SGB IX; vgl. LAG Hamm, Urteil vom 29.03.2006 - 18 Sa 2104/05). Es wird auch die Frage einer Behinderung der Amtsausübung der Vertrauensperson aufgeworfen (GK-SGB IX/Schimanski, § 83 Rdnr. 25).

Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Abschluss einer Integrationsvereinbarung besteht jedenfalls nicht.

Weil der entscheidungserheblichen Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt, war gemäß § 92 Abs. 1 S. 1, S. 2 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

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