Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 02.06.2005
Aktenzeichen: 15 Sa 126/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 16.11.2004 - 1 Ca 2125/04 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung.

Der am 29.10.1959 geborene und verheiratete Kläger, der drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 01.05.1987 bei der Beklagten als Verwaltungsfachangestellter beschäftigt. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung nach Vergütungsgruppe V c der Vergütungsordnung zum BAT. Diese betrug zuletzt im Monat durchschnittlich 3.300,00 EUR brutto.

Die Beklagte beschäftigt ständig weit mehr als 5 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Personalrat gewählt.

Der Kläger war seit 1998 als Sachbearbeiter in der Bußgeldstelle des Amtes für öffentliche Sicherheit, Verkehr und Personenstandswesen der Beklagten tätig. Nach der Tätigkeitsbeschreibung war seine Aufgabe dort die ganzheitliche Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten für den Bereich ruhender Verkehr und Geschwindigkeitsanzeigen. Im Arbeitsbereich des Klägers gingen Anzeigen der Autobahnpolizei, aus der Einrichtung stationärer Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen, des Polizeipräsidiums Hagen sowie aus der Überwachung des ruhenden Verkehrs durch Politessen ein. Zur Bearbeitung der Ordnungswidrigkeiten steht ein EDV-Programm namens WinOWiG zur Verfügung. Dabei werden die Anzeigen aus den Bereichen Autobahnpolizei, stationäre Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen sowie Überwachung des ruhenden Verkehrs direkt in die Datenverarbeitung eingespielt mit der Folge, dass der Kläger die weitere Bearbeitung zu übernehmen hatte. Anzeigen der Polizeiinspektion Hagen werden dagegen in Papierform an die Bußgeldstelle der Beklagten abgegeben. Ein Mitarbeiter der Beklagten trägt dabei die eingehenden Anzeigen in eine Liste nach Eingangsdatum und Namen ein. Anschließend verteilt er diese Anzeigen, die nach Darstellung des Klägers in der Regel aus lose zusammengefügten Papieren bestehen, nach einem Buchstabenschlüssel an die einzelnen Sachbearbeiter. Der Kläger hatte dabei die Anzeigen mit dem Buchstaben W, R und Y zu bearbeiten.

Da Ordnungswidrigkeiten innerhalb von drei Monaten ab Tattag verjähren, sind die Sachbearbeiter gehalten, die in Papierform eingehenden Anzeigen zeitnah in das EDV-System einzugeben, da erst dann eine weitere Bearbeitung stattfinden kann. Bezogen auf die Verjährungsfristen erfolgt eine Kontrolle der Sachbearbeiter bei den sogenannten Direktüberspielungen durch einen automatischen Ausdruck von Verjährungslisten im EDV-Programm. Diese Liste enthält automatisiert alle Fälle, in denen innerhalb der nächsten 4 Wochen Verjährung eintreten wird. Im Bereich der von der Polizeiinspektion Hagen eingehenden Anzeigen erfolgt die Kontrolle in der Form, dass anhand der in der Registratur geführten Eingangsliste stichprobenartig geprüft wird, ob diese Fälle auch tatsächlich durch die Sachbearbeiter in das Programm eingegeben worden sind. Soweit die Sachbearbeiter beabsichtigen, ein Verfahren einzustellen, müssen diese Fälle jedenfalls zur Kontrolle der Teamleitung vorgelegt werden. Streitig ist zwischen den Parteien, ob Einstellungen selbständig vorgenommen werden dürfen oder dies zur Aufgabe der Teamleitung gehört.

Mit Schreiben vom 08.10.2003 fand im Sachgebiet, in welchem der Kläger beschäftigt war, eine Befragung der Mitarbeiter nach Arbeitsrückständen statt. Die Anfrage vom 08.10.2003 hat folgenden Wortlaut:

"Meldung von Rückständen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die letzte Abfrage liegt nun ca. 18 Monate zurück. Verglichen mit damals, hat sich die Situation extrem entspannt.

Trotzdem oder gerade deswegen sollten wir eine Zwischenbilanz ziehen.

Falls Arbeitsrückstände vorliegen, bitte ich daher mal wieder um Abgabe einer entsprechenden schriftlichen Meldung bis zum 30.10.03 - Fehlanzeige ist erforderlich.

Ich bitte bei der Meldung auf folgende Einzelheiten einzugehen:

1. Art und Umfang der Rückstände

2. Worin liegen die Rückstände begründet?

3. Welche Maßnahmen sind selbst getroffen worden, um diesen entgegenzuwirken?

4. Warum haben diese Maßnahmen bisher nicht (oder nicht in dem gewünschten Umfang) gegriffen?

5. Welche Vorschläge können zur Verbesserung der Situation gemacht werden?

gez. Unterschrift."

Hierauf antwortete der Kläger mit Schreiben vom 29.10.2003, das folgenden Wortlaut hat:

"32/01101

An

32/01

Meldung von Rückständen

Anfrage vom 08.10.2003

Hinsichtlich der o.g. Anfrage wird mitgeteilt, dass in dem Sachgebiet 32/01101 derzeit keine Arbeitsrückstände vorliegen."

Ausweislich einer von der Beklagten vorgelegten Aufstellung hatte der Kläger im Zeitraum Januar bis April 2004 insgesamt 915 Bußgeldverfahren zu bearbeiten. 166 Verfahren hiervon betrafen Polizeianzeigen, die von der Polizeiinspektion Hagen in der oben geschilderten Weise in Papierform an die Bußgeldstelle der Beklagten abgegeben worden waren. Bei einer Stichprobenkontrolle im Frühsommer 2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger von den 166 Polizeianzeigen des Zeitraums 01.01. bis 30.04.2004 insgesamt 144 Polizeianzeigen nicht bearbeitet hatte, wobei 103 dieser 144 Anzeigen nicht mehr auffindbar waren. Daraufhin veranlasste die Beklagte am 05.07.2004 eine Anhörung des Klägers, in der sie ihn mit diesem Sachverhalt konfrontierte. In der Anhörung räumte der Kläger ein, dass er die nicht mehr auffindbaren Fälle vernichtet hatte. Der Kläger gab weiter an, es habe sich dabei nicht ausschließlich um verjährte Fälle gehandelt, sondern auch um Fälle, in denen z.B. kein ausreichender Tatnachweis habe geführt werden können, oder die Verwarnungsgelder bereits bei der Regierungshauptkasse eingezahlt worden waren. Wegen der Einzelheiten des Gesprächsvermerks vom 05.07.2004 wird auf Bl. 37 d.A. Bezug genommen.

Zu einem weiteren Anhörungsgespräch, das die Beklagte für den 08.07.2004 angesetzt hatte, erschien der Kläger nicht, da er seit dem 08.07.2004 arbeitsunfähig erkrankt ist.

Mit Schreiben vom 08.07.2004 erstattete die Beklagte Strafanzeige gegen den Kläger und einen weiteren Mitarbeiter, dem ebenfalls die Vernichtung von Bußgeldakten vorgeworfen wird, und stellte zugleich Strafantrag wegen des Verdachts der Untreue, der Urkundenunterdrückung, der Sachbeschädigung sowie aller weiteren in Betracht kommenden Delikte. Wegen der weiteren Einzelheiten der Strafanzeige wird auf Bl. 43 f. d.A. verwiesen.

Mit Schreiben vom 09.07.2004 unterrichtete die Beklagte den bei ihr gewählten Gesamtpersonalrat über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Klägers. Wegen der Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf Bl. 45 f. d.A. Bezug genommen.

Mit weiterem Schreiben vom 09.07.2004 beantragte die Beklagte beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe - Integrationsamt Münster - die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers, die mit Telefax vom 23.07.2004 erteilt wurde (Bl. 50 d.A.).

Mit Schreiben vom 23.07.2004, übersandt an die bereits zuvor vom Kläger eingeschalteten Prozessbevollmächtigten, erklärte die Beklagte dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens vom 23.07.2004 wird auf Bl. 4 f. d.A. verwiesen. Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 09.08.2004, der am selben Tage beim Arbeitsgericht Hagen einging, Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagten stehe kein Kündigungsgrund zu. Die Nichtbearbeitung einiger Anzeigen sei auf eine erhebliche Arbeitsüberlastung zurückzuführen. Er, der Kläger, habe im Zeitraum vom 01.01. bis zum 30.04.2004 166 Vorgänge zu bearbeiten gehabt. Vergleichbare Arbeitnehmer hätten nur 70 oder 42 bzw. 28 Vorgänge zur Bearbeitung erhalten. Darüber hinaus habe er mit größter Gewissenhaftigkeit gearbeitet. Er habe versucht, alle Ermittlungen mit Akribie erfolgreich abzuschließen. Vorschläge zur Einstellung von Verfahren habe er äußerst selten gemacht. Er selbst habe diese nicht abschließend vornehmen dürfen. Seine sorgfältige Arbeitsweise habe zusätzliche Aufgaben bedingt. Er, der Kläger, habe in diesem Bereich einen besonderen Ehrgeiz entwickelt, da er als Rollstuhlfahrer Wert darauf gelegt habe, von seinen Vorgesetzten anerkannt zu werden.

Neben den umfangreichen Ermittlungstätigkeiten habe er, der Kläger, neue Sachbearbeiter/innen einzuarbeiten gehabt, obwohl hierfür eigentlich die Teamleiterin oder der Sachgruppenleiter zuständig gewesen seien. Schließlich sei er Ansprechpartner für schwierige Fälle gewesen. Die Mitarbeiter hätten lieber ihn, den Kläger, gefragt, da sie mit den Auskünften der Teamleitung bzw. der Sachgruppenleitung nicht immer zufrieden gewesen seien. Er, der Kläger, habe noch im Oktober 2003 auf seine übermäßige Arbeitsbelastung hingewiesen.

Soweit die Beklagte ihm vorwerfe, Anzeigen vernichtet zu haben, habe dies im Ergebnis zu keinem Schaden geführt, da er mehr Zeit für die sorgfältige Bearbeitung anderer Fälle aufgewendet habe. Dieses Verhalten sei der Beklagten sogar dienlich gewesen und habe durch sachgerechte Bearbeitung Einnahmen gebracht.

Der Kläger hat weiter vorgetragen, die Aufklärungsarbeit der Beklagten sei nicht korrekt erfolgt. In der Liste der 103 vernichteten Anzeigen im Zeitraum von Januar bis April 2004 befinde sich ein Bürger, dessen Nachname mit dem Anfangsbuchstaben "L" beginne. Dieser Buchstabe gehöre nicht zu den von ihm zu bearbeiteten Fällen. Ein weiterer Name sei nicht richtig geschrieben. Dies bedeute, dass der Name aufgrund seiner falschen Schreibweise im Computer nicht auffindbar sei.

Hinsichtlich der verbleibenden 101 Anzeigen liege kein kündigungsrelevanter Sachverhalt vor. Er, der Kläger, habe mit der Vernichtung der Anzeigen nur entsprechend den Vorgaben der Teamleiterin E2xxxx gehandelt. Ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten, der Zeuge S3xxxxx, sei unter Vorlage eines Leitzordners zu ihm, dem Kläger, gekommen und habe ihn gefragt, was er mit den nicht eingegebenen verjährten Polizeianzeigen machen solle. Er habe den Zeugen S3xxxxx auf die hinter seinem Schreibtisch stehenden Ordner verwiesen, in die er bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche bereits verjährten Polizeianzeigen abgeheftet habe. Mit dieser Auskunft habe sich der Zeuge S3xxxxx nicht zufrieden gegeben, sondern sich an die damals stellvertretende Teamleiterin Frau E2xxxx gewandt. Frau E2xxxx habe dem Zeugen S3xxxxx daraufhin die Anweisung erteilt: "Die verjährten Fälle könnte er in die Tonne kloppen, da ja nichts mehr zu holen sei."

Hierüber habe der Zeuge S3xxxxx ihn, den Kläger, sogleich unterrichtet. Erst nach dieser Aussage habe er damit begonnen, seine verjährten und aus anderen Gründen nicht eingegebenen Vorgänge ebenfalls zu vernichten. Er, der Kläger, sei nicht davon ausgegangen, gegen Dienstpflichten zu verstoßen, sondern entsprechend der Anweisung von Frau E2xxxx zu handeln. Zumindest habe er vor diesem Hintergrund nicht schuldhaft gehandelt. Bei den vernichteten Vorgängen habe es sich um solche gehandelt, bei denen Verjährung eingetreten gewesen sei. Schaden sei der Beklagten somit nicht entstanden.

Andere Mitarbeiter der Beklagten hätten demgegenüber zahlreiche Einstellungsverfügungen getroffen, ohne diese der Teamleiterin vorzulegen. Auf diese Weise hätten sie sich Spielraum im Hinblick auf die enorme Arbeitsüberlastung verschafft. So sei es zu unberechtigten Einstellungen gekommen, nur um nach Außen zu dokumentieren, dass alle Vorgänge sachgerecht bearbeitet worden seien. Er, der Kläger, sei im übrigen der Auffassung, es könne keinen Unterschied machen, ob verjährte Fälle in einem Ordner aufbewahrt oder vernichtet würden, insbesondere da die Vernichtung auf Anweisung der Teamleiterin erfolgt sei; dies sei sinnvoll und zweckmäßig gewesen.

Schließlich bestreite er, dass der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung in der gesetzlich erforderlichen Form gehört worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch eine Kündigung der Beklagten vom 23.07.2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, aus den schriftlichen Anhörungsunterlagen ergebe sich, dass der Personalrat ordnungsgemäß angehört worden sei.

Sie, die Beklagte, habe auch einen wichtigen Grund zur Kündigung gehabt. Bei der Vernichtung von Anzeigen handele es sich um Straftatbestände, die der Kläger in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten begangen habe. Hierdurch sei das Vertrauensverhältnis zum Kläger in einer Art und Weise erschüttert worden, die eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung erforderlich mache. Soweit der Kläger prozessual vorgetragen habe, er habe lediglich bereits verjährte Polizeianzeigen vernichtet, so widerspreche dies seinen Einlassungen im Personalgespräch vom 05.07.2004. Dort habe er ausdrücklich eingeräumt, es habe sich auch um Fälle gehandelt, in denen ein ausreichender Tatnachweis nicht habe geführt werden können oder die Verwarnungsgelder bereits bei der Regierungshauptkasse einbezahlt worden seien. Auch die Auffassung des Klägers, ihr, der Beklagten, sei ein Schaden nicht entstanden, sei unzutreffend.

Der Kläger sei auch nicht überlastet gewesen. Falsch sei, dass der Kläger im Oktober 2003 seine angeblich übermäßige Arbeitsbelastung mitgeteilt habe. Vielmehr habe der Kläger auf die am 08.10.2003 durch den Sachgruppenleiter durchgeführte Anfrage hinsichtlich bestehender Arbeitsrückstände mit Schreiben vom 29.10.2003 mitgeteilt, dass bei ihm keine Arbeitsrückstände vorlägen. Im übrigen habe eine dienstliche Verpflichtung bestanden, Rückstände zu melden. Drohe Verjährung und damit auch ein finanzieller Schaden, so sei es Pflicht eines jeden Beschäftigten, Rückstände so rechtzeitig zu melden, dass eine Umverteilung der Fälle im Team und dadurch eine Bearbeitung dieser Fälle ermöglicht werde. Dies sei auch die Vorgabe innerhalb der Bußgeldstelle gewesen, was dem Kläger bekannt gewesen sei.

Entgegen der Darstellung des Klägers habe die Teamleiterin Frau E2xxxx dem Zeugen S3xxxxx nicht erklärt, die "verjährten Fälle könnte er in die Tonne kloppen, da ja nichts mehr zu holen sei". Frau E2xxxx habe vielmehr ständig darauf hingewiesen, dass verjährte Polizeianzeigen abzuheften und aufzubewahren seien. Dies sei allen Mitarbeitern klar gewesen. Alle Mitarbeiter hätten entsprechende Ordner geführt. Die Vernichtung von Vorgängen sei niemals angeordnet worden. Die Vernichtung von Vorgängen gehöre weder zu der allgemeinen Verfahrensweise in der Bußgeldstelle noch in der übrigen Verwaltung. Die Vernichtung von Vorgängen sei ein genau geregelter Vorgang, da es um die Einhaltung von vorgeschriebenen Aufbewahrungsfristen gehe. Für Bußgeldakten sei durch Runderlass des Innenministers vom 29.04.2003 - 55/19 - 24.10 MBl. NRW 2003, Seite 457, eine Aufbewahrungsfrist von drei Jahren geregelt. Dies sei auch dem Kläger bekannt gewesen. Im übrigen sei der Kläger verpflichtet gewesen, vor Vernichtung der Akten Rücksprache mit dem Sachgruppenleiter zu nehmen. Der Widerspruch zwischen den angeblichen Anweisung von Frau E2xxxx und der geltenden Erlasslage hätte dem Kläger sofort auffallen müssen, zumal die übrigen Sachbearbeiter diese Vorgänge ordnungsgemäß ablegten und nicht vernichteten. Falsch sei auch, dass die übrigen Sachbearbeiter aufgrund dieser vermeintlichen Arbeitsanweisung der Teamleiterin mit der Vernichtung von Anzeigen begonnen hätten. Vernichtete Anzeigen seien lediglich beim Kläger und seinem unmittelbaren Kollegen, dem Zeugen S4xxxx, aufgefallen. Nicht richtig sei auch, dass andere Mitarbeiter unberechtigter Weise eine Vielzahl von Fällen eingestellt hätten, obwohl diese hätten weiterverfolgt werden können.

Durch Urteil vom 16.11.2004 hat das Arbeitsgericht Hagen die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 23.12.2004 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung des Klägers, die am 19.01.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.03.2005 - am 23.03.2005 begründet worden ist.

Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, die Kündigung vom 23.07.2004 sei als rechtsunwirksam anzusehen. Die Vernichtung von Akten, die wegen bereits eingetretener Verjährung nicht mehr hätten bearbeitet werden müssen, stelle keinen Kündigungsgrund dar. Er, der Kläger, habe die Akten, die wegen Verjährung keiner Bearbeitung mehr bedurft hätten, in Leitzordnern in seinem Zimmer geordnet aufbewahrt. Er sei niemals auf den Gedanken gekommen, irgendwelche Akten zu vernichten. Er habe die Akten - wenn auch völlig sinnlos - gesammelt und sein Zimmer damit gefüllt. So habe sich die Situation dargestellt, als ihn der Zeuge S3xxxxx gefragt habe, was er mit verjährten Akten mache. Er, der Kläger, habe dem Zeugen S3xxxxx erklärt, dass er diese Aktenvorgänge in Leitzordnern abhefte und aufbewahre. Der Zeuge S3xxxxx habe sich mit dieser Auskunft nicht zufrieden gegeben und erklärt, er werde nunmehr Auskunft von der damals stellvertretenden Teamleiterin Frau E2xxxx einholen, was mit solchen Akten zu geschehen habe. Der Zeuge S3xxxxx habe seine Ankündigung umgesetzt und Frau E2xxxx befragt, von der er die Antwort erhalten habe: "Die verjährten Fälle könne er in die Tonne kloppen, da ja nichts mehr zu holen sei". Nach diesem Gespräch habe der Zeuge S3xxxxx sich zu ihm, dem Kläger, begeben und ihm diese Anweisung mitgeteilt. Der Zeuge S3xxxxx habe diese Arbeitsanweisung sofort umgesetzt und die verjährten Akten in blaue Müllsäcke gepackt, die er in den Keller transportiert habe, der für die Entsorgung der Akten vorgesehen gewesen sei. Er, der Kläger, habe die von Frau E2xxxx erteilte Anweisung als sinnvoll erachtet und die Akten zur vereinfachten Abwicklung sogleich in den Schredder geworfen. Für ihn sei dies eine sinnvolle Aktion gewesen, hätten doch die schon seit geraumer Zeit verjährten Akten wertloses Papier dargestellt, das keinerlei Aufbewahrungswert mehr gehabt habe.

Nicht unberücksichtigt bleiben könne, dass beim Zeugen S3xxxxx keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen gezogen worden seien, obwohl er auch verjährte Akten zur Vernichtung preisgegeben habe. Ihm, dem Kläger, sei zu Ohren gekommen, dass auch weitere Mitarbeiter die Bearbeitung von Aktenvorgängen nicht in der erforderlichen Sorgfalt ausgeführt hätten, wobei sich auch hier der Verdacht aufdränge, dass von diesen Mitarbeitern Akten vernichtet worden seien. Nach seiner Kenntnis seien diese Vorgänge der Beklagten bekannt, ohne dass arbeitsrechtliche Konsequenzen eingeleitet worden seien.

Er, der Kläger, halte die Rüge aufrecht, dass die Personalvertretung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen abzuändern und nach dem Schlussantrag des Klägers erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Entgegen der klägerischen Behauptung seien bei der Bußgeldstelle keine Anzeigen der Polizei nach Eintritt der Verjährung eingegangen. Allerdings komme es vor, dass Vorgänge innerhalb der kurzen Verjährungszeit von drei Monaten nicht zum Erlass eines Bußgeldbescheides führten. Im Jahre 2002 seien die Fallzahlen so hoch gewesen, dass sie vom Team insgesamt nicht hätten bewältigt werden können. Demgemäss sei es teilweise zur Verjährung von Anzeigen gekommen, die aus Zeitmangel nicht hätten bearbeitet werden können. Diese Fälle würden jedoch nicht vernichtet, sondern in Aktenordnern gesammelt und in den Kellerräumen des Dienstgebäudes bis zum Ablauf der vorgeschriebenen Aufbewahrungszeit, die drei Jahre betrage, gelagert. Einmal jährlich würden die nach dem Schlusstermin der Aufbewahrung liegenden Fälle durch ein Unternehmen abgeholt und als Datenmüll entsorgt. Die Vernichtung von Vorgängen außerhalb dieses Verfahrens sei nicht angeordnet worden und habe weder zu der allgemeinen Verfahrensweise in der Bußgeldstelle noch in der übrigen Verwaltung gehört.

Entgegen der Behauptung des Klägers habe die Zeugin E2xxxx dem Zeugen S3xxxxx keine dahingehende Weisung erteilt, "die verjährten Fälle könne er in die Tonne kloppen, da ja nichts mehr zu holen sei". Selbst wenn die Zeugin sinngemäß eine entsprechende Äußerung gemacht habe, habe dies keine Anweisung beinhaltet, Akten zu vernichten. Umgangssprachlich sei damit lediglich ausgedrückt worden, dass diese Fälle nicht mehr zu realisieren seien. Wenn also eine solche Äußerung überhaupt gefallen sei, habe der Zeuge S3xxxxx sie im "umgangssprachlichen" Sinne verstanden. Denn der Zeuge S3xxxxx habe

Im ,,umgangssprachlichen'' Sinne verstanden. Denn der Zeuge S3xxxx habe keinerlei Akten vernichtet.

Selbst wenn der Kläger eine entsprechende Äußerung des Zeugen S3xxxxx wörtlich genommen haben sollte, sei es unverständlich, warum dies nicht zu einer Rückfrage beim Zeugen K1xxxxx geführt habe. Denn eine solche Äußerung in dem vom Kläger verstandenen Sinne habe im offenkundigen Widerspruch zu der geltenden Erlasslage gestanden.

Entgegen dem vom Kläger geäußerten Verdacht seien bei ihr, der Beklagten, keine weiteren Akten vernichtet worden. Demgemäss habe es auch keinen Anlass gegeben, gegenüber dem Zeugen S3xxxxx arbeitsrechtliche Konsequenzen zu ziehen.

Soweit der Kläger die Rüge der nicht ordnungsgemäßen Anhörung der Personalvertretung aufrecht erhalte, sei die Berufung nicht ordnungsgemäß begründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Der Sache nach hat die Berufung indes keinen Erfolg. Denn das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.07.2004 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.

1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die streitgegenständliche Kündigung nicht wegen Verstoßes gegen § 85 SGB IX unwirksam ist. Denn bei Ausspruch der Kündigung lag unstreitig die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Klägers als eines schwerbehinderten Menschen vor. Die erkennende Kammer folgt insoweit den zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Einwände gegen die Ausführungen des Arbeitsgerichts macht die Berufung insoweit nicht geltend.

2. Die Kündigung ist auch nicht wegen mangelhafter Beteiligung des Personalrats unwirksam.

a) Nach anfänglichem pauschalen Bestreiten durch den Kläger in der Klageschrift, dass der Personalrat vor Ausspruch der Kündigung in der gesetzlich erforderlichen Form gehört worden ist, hat die Beklagte unter Vorlage des Anhörungsschreibens zum 09.07.2004 dargelegt, in welcher Weise das Anhörungsverfahren durchgeführt worden ist. Wie das Arbeitsgericht in seinem Urteil vom 16.11.2004 zutreffend ausführt, ist der Personalrat hierdurch in vollem Umfang über alle Tatsachen unterrichtet worden, die die Beklagte subjektiv zum Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung bewegt haben. Insbesondere hat sie dem Personalrat die persönlichen Daten, die Funktion des Klägers, seine Vergütung sowie seine Schwerbehinderung mitgeteilt. Darüber hinaus hat sie den Kündigungsvorwurf der Vernichtung von Anzeigen aus dem Bereich der Polizeiinspektion Hagen detailliert geschildert und dabei über das Ergebnis des Personalgesprächs unterrichtet, sowie darauf hingewiesen, dass der Kläger angegeben habe, bei ihm habe eine Arbeitsüberlastung vorgelegen. Die Beklagte hat damit dem Betriebsrat sämtliche erforderlichen Tatsachen im Rahmen der Anhörung vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gemacht. Weitere Einzelheiten musste die Beklagte dem Personalrat nicht mitteilen. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger anlässlich des Gesprächs vom 05.07.2004 eingeräumt hatte, die nicht mehr auffindbaren Polizeianzeigen vernichtet zu haben, ist die allgemeine Information, der Kläger habe zugegeben, die 103 nicht mehr auffindbaren Anzeigen vernichtet zu haben, als ausreichend anzusehen. Insbesondere kann nicht verlangt werden, dass die Beklagte im Rahmen der Anhörung des Personalrats konkretisiert, um welche Anzeigen es sich dabei im einzelnen gehandelt hat. Da die Tatsache der Vernichtung von Polizeianzeigen, auf die die Beklagte die Kündigung stützen wollte, vom Kläger eingeräumt worden war, genügt die Mitteilung dieser unstreitigen Tatsache im Rahmen des Anhörungsverfahrens.

b) Im Anschluss an die Darlegung der ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats durch die Beklagte wäre es nunmehr im Rahmen der abgestuften Darlegungslast Sache des Klägers gewesen, konkret zu beanstanden, in welchen Punkten er die Anhörung für fehlerhaft hält, wobei auch ein völliges oder teilweises Bestreiten mit Nichtwissen wegen mangelnder eigener Wahrnehmung möglich und zulässig st. Der Kläger hat jedoch die Angaben der Beklagten weder substantiiert noch mit Nichtwissen, sondern nur pauschal ohne Berufung auf fehlende eigene Wahrnehmungen bestritten. Ein solches Bestreiten ist unzureichend mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO. Geht es um einen komplexen Sachverhalt wie die Anhörung des Personalrats, so muss die nicht beweisbelastete Partei nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast auf substantiierte Darlegungen der Gegenseite hin deutlich machen, welche Angaben sie für zutreffend erachtet und welche nicht. Es ist durchaus denkbar, dass die nicht beweisbelastete Partei einzelne der gegnerischen Angaben, sei es aufgrund eigener Wahrnehmungen, aufgrund von Informationen beteiligter Personen ihres Vertrauens oder aufgrund der Plausibilität und voraussichtlich problemlosen Beweisbarkeit des Vorbringens, für glaubhaft erachtet und nicht länger in Zweifel zieht, oder dass sie einen anderen Sachverhalt darlegen kann. Bei solch komplexen Sachverhalten genügt deshalb kein undifferenziertes pauschales Bestreiten, vielmehr muss die nicht beweisbelastete Partei ihr Bestreiten zumindest soweit substantiieren, dass für das Gericht erkennbar wird, über welche einzelnen Behauptungen der beweisbelasteten Partei Beweis erhoben werden soll (vgl. BAG, Urteil vom 16.03.2000 - 2 AZR 75/99 -, NZA 2000, 1332 f. m.w.N.; Urteil vom 05.04.2001 - 2 AZR 159/00 -, NZA 2001, 954 ff.; Urteil vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG 1972 Namensliste). Da der Kläger dies unterlassen und auch nicht deutlich gemacht hat, dass er mangels eigener Wahrnehmungen den gesamten Sachvortrag der Beklagten zur Personalratsanhörung mit Nichtwissen bestreiten will, ist das Vorbringen der Beklagten als zugestanden zu werten und demgemäss die Personalratsanhörung als ordnungsgemäß zu erachten.

c) Die Beklagte war auch nicht gehalten, den Personalrat nach Erteilung der Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt erneut anzuhören. Die Beklagte hat zulässigerweise das Anhörungsverfahren gegenüber dem Personalrat sowie das Zustimmungsverfahren beim Integrationsamt parallel geführt (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.1994, EZA § 611 BGB Abmahnung Nr. 31 m.w.N.).

3. Der Beklagten stand auch ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB i.V.m. § 54 Abs. 1 BAT zur Seite. Denn es liegen Tatsachen vor, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der theoretisch denkbaren ordentlichen Kündigung weiter zu beschäftigen. Allerdings kann diese Prüfung im Rahmen des § 54 Abs. 1 BAT nur hypothetisch erfolgen, da der Kläger aufgrund seines Lebensalters und der Dauer seiner Beschäftigung gemäß § 53 Abs. 3 BAT ordentlich nicht mehr kündbar ist.

a) Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die vom Kläger eingeräumte Vernichtung von Polizeianzeigen eine schwerwiegende Verletzung seiner Dienstpflichten als eines Sachbearbeiters in der Bußgeldstelle darstellt. Dem Kläger, der seit 1987 als Verwaltungsfachangestellter bei der Beklagten beschäftigt und seit 1998 in der Bußgeldstelle tätig war, musste bekannt sein und war auch nach Überzeugung der Kammer bekannt, dass Bußgeldakten nach der eindeutigen Erlasslage drei Jahre aufbewahrt werden müssen, und erst dann in einem geregelten Verfahren vernichtet werden. Dass dem Kläger die Aufbewahrungsfristen bekannt waren, folgt schon daraus, dass er sich in der Vergangenheit nach diesen Vorschriften gerichtet und die verjährten Bußgeldverfahren ordnungsgemäß aufbewahrt hat. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Vernichtung von Verwaltungsvorgängen im offenen Widerspruch zur eindeutigen Erlasslage, die der Kläger eingeräumt hat, ein gravierender Verstoß gegen Dienstpflichten ist. Die erkennende Kammer folgt auch insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und sieht deshalb gemäß § 69 Abs. 2 von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Der Kläger hat er die o.g. Pflichtverletzung auch schuldhaft begangen. Hieran kann sein Einwand, der Zeuge S3xxxxx habe ihm mitgeteilt, die damalige stellvertretende Teamleiterin, Frau E2xxxx, habe erklärt, er, der Zeuge S3xxxxx, könne verjährte Akten "in die Tonne kloppen", nichts ändern. Die Kammer unterstellt hierbei zugunsten des Klägers, dass der Zeuge S3xxxxx als Kollege des Klägers die oben genannte Äußerung tatsächlich getan hat. Wenn der Kläger sich im Anschluss an diese Äußerung zu einer Vernichtung von Akten entschließen wollte, so hätte er zuvor eine autorisierte Person, z.B. die stellvertretende Teamleiterin Frau E2xxxx selbst, fragen müssen, ob er im Gegensatz zur eindeutigen Erlasslage berechtigt sei, seine bisherige Praxis der Aufbewahrung von verjährten Bußgeldverfahren aufzugeben und diese Akten sofort zu vernichten. Der Kläger wusste aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit bei der Beklagten und auch in der Bußgeldstelle, wie mit Anzeigen, seien sie nun verjährt oder nicht, umzugehen war und hat sich auch in der Vergangenheit danach gerichtet. Die Vernichtung von Akten allein unter Hinweis auf die angebliche Äußerung des Zeugen S3xxxxx und ohne Rückfrage bei einem Vorgesetzten kann nur als schuldhaft bezeichnet werden. Die schuldhafte Verletzung der oben genannten Dienstpflichten durch den Kläger ist "an sich" als Grund für eine fristlose Kündigung geeignet.

b) Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiter erkannt, dass die vom Kläger eingeräumte schwerwiegende Verletzung seiner Dienstpflichten den Schluss auf eine negative Prognose für die Zukunft zulässt, auch wenn er bisher nicht einschlägig abgemahnt worden ist. Zwar ist bei einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nach dem Ultima-Ratio-Prinzip grundsätzlich eine Abmahnung als milderes Mittel in Erwägung zu ziehen, insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig. Unter den hier gegebenen Umständen scheidet eine Abmahnung als Reaktion auf den Pflichtverstoß des Klägers nach Auffassung der Kammer allerdings aus. Wenn der Arbeitnehmer die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens sicher kannte und mit einer Billigung durch den Arbeitgeber nicht rechnen konnte, kommt eine Abmahnung als gegenüber einer Kündigung milderes Mittel nicht in Betracht (vgl. BAG, Urteil vom 28.10.1971, AP Nr. 62 zu § 626 BGB; Urteil vom 05.11.1992 - 2 AZR 287/92 - Rechtsprechung zum Kündigungsrecht I.5 i Nr. 81; Urteil vom 30.06.1983 - 2 AZR 524/81 - EZA § 1 KSchG Tendenz Betrieb Nr. 14). Angesichts der Tatsache, dass der Kläger als langjährig bei der Beklagten und seit 1998 in der Bußgeldstelle beschäftigter Verwaltungsfachangestellter wusste, wie er mit verjährten Bußgeldverfahren umzugehen hatte, ist die Vernichtung von Akten unter Verstoß gegen die im oben genannten Erlass geregelten Aufbewahrungsfristen als eine derartig schwere Pflichtverletzung anzusehen, dass das für eine weitere Zusammenarbeit notwendige Vertrauen, der Kläger werde sich in Zukunft rechtmäßig verhalten, in absehbarer Zeit nicht wiederhergestellt werden kann.

c) Auch die Interessenabwägung muss zu Lasten des Klägers ausgehen. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere auch der langen Beschäftigungszeit, der Schwerbehinderung und der Unterhaltspflichten des Klägers, muss das Bestandsschutzinteresse des Klägers im Ergebnis hinter dem Interesse der Beklagten auf sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurücktreten. Die Kammer hat hierbei berücksichtigt, dass der Kläger angesichts seiner Schwerbehinderung, seines Lebensalters und aufgrund der allgemeinen Arbeitsmarktsituation voraussichtlich nur schwer eine anderweitige Beschäftigung finden wird. Dieser Gesichtspunkt allein kann die Interessenabwägung jedoch nicht zugunsten des Klägers ausgehen lassen. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger langjährig als Verwaltungsfachangestellter bei der Beklagten beschäftigt und seit einigen Jahren in der Bußgeldstelle tätig war. Der Kläger war also ein erfahrener Verwaltungsangestellter und kein Berufsanfänger, der möglicherweise aus Unerfahrenheit unter Verstoß gegen die eindeutige Erlasslage Akten vernichtet. Auch der Hinweis des Klägers auf seine angebliche Überlastung kann die Interessenabwägung nicht entscheidend zu seinen Gunsten beeinflussen. Zum einen belegen die von der Beklagten zur Akte gereichten Aufstellungen über die von den Sachbearbeitern in der Bußgeldstelle zu bearbeitenden Gesamtfallzahlen, dass der Kläger im Zeitraum von Januar bis April 2004 sich belastungsmäßig im Mittelfeld befand. Im übrigen wäre der Kläger im Falle seiner tatsächlichen Überlastung gehalten gewesen, seine Vorgesetzten zu benachrichtigen und um Entlastung zu bitten. Die Vernichtung von Verwaltungsverfahren als Reaktion auf eine angebliche Arbeitsüberlastung kann nur als unverständliches Verhalten gewertet werden. Dem Kläger als erfahrene Verwaltungsfachkraft musste bekannt sein, dass bei der Vernichtung von Akten in der von ihm getätigten Weise die Erfüllung von Straftatbeständen in Frage standen.

d) Die Beklagte hat auch die Bestimmungen der §§ 91, 85 SGB IX eingehalten. Nachdem die Beklagte im Rahmen einer Stichprobenkontrolle im Frühsommer 2004 festgestellt hatte, dass von den durch den Kläger in den Monaten Januar bis April 2004 zu bearbeitenden Anzeigen der Polizeiinspektion Hagen 103 Verfahren weder bearbeitet noch auffindbar waren, hat sie anlässlich des Gesprächs am 05.07.2004 erfahren, dass der Kläger die nicht mehr auffindbaren Fälle vernichtet hatte. Die Beklagte hat daraufhin mit Schreiben vom 09.07.2004 und damit innerhalb der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers beim Integrationsamt beantragt. Nach Eingang der Zustimmung durch das Integrationsamt mit Telefax vom 23.07.2004 hat die Beklagte mit Schreiben vom gleichen Tage und damit unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX die streitgegenständliche Kündigung ausgesprochen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung gegenüber einem Schwerbehinderten gemäß § 91 SGB IX schon dann erklären, wenn ihm das Integrationsamt die Zustimmungsentscheidung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX mündlich oder fernmündlich bekannt gegeben hat. Einer vorherigen Zustellung der Entscheidung bedarf es nicht (vgl. BAG, Urteil vom 12.08.1999 - 2 AZR 748/98 - NZA 1999, 1267 m.w.N.). Im Gegensatz zum Verfahren bei der ordentlichen Kündigung stellt der Gesetzgeber in § 91 Abs. 3 SGB IX auf das "Treffen" der Entscheidung ab. Hieraus ist zu schließen, dass die außerordentliche Kündigung bereits erfolgen darf, nachdem das Integrationsamt entschieden und diese Entscheidung in irgendeiner Form, ggfls. telefonisch, mündlich oder per Telefax, dem Arbeitgeber bekannt gemacht hat. Wenn der Gesetzgeber bei der außerordentlichen Kündigung auf das "Treffen" der Entscheidung, nicht jedoch auf die Zustellung des Bescheides abstellt, so besteht der Schutzzweck dieser Norm nicht darin, den schwerbehinderten Arbeitnehmer trotz des Vorliegens einer Entscheidung des Integrationsamtes für die wenigen Tage bis zur Zustellung des Zustimmungsbescheides vor einer Kündigung zu schützen (so BAG a.a.0.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.



Ende der Entscheidung

Zurück