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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.04.2006
Aktenzeichen: 15 Sa 22/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 9 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 23.11.2005 - 2 (5) Ca 1540/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Der am 13.05.1955 geborene Kläger ist aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 07.03.1977 (Bl. 88 d.A.) seit dem 23.11.1976 als Hauer bei der Beklagten beschäftigt und war zuletzt auf der Schachtanlage P1xxxxx-H1xxxx in B2xxxxx tätig. Nach Ziffer 8 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für die Arbeiter der Bergbau-Spezialgesellschaften sowie die jeweils geltenden Tarifverträge für den Steinkohlenbergbau Anwendung. Er erhielt zuletzt Vergütung nach Lohngruppe 11 des Lohnrahmentarifvertrages für den Rheinisch-Westfalischen Steinkohlenbergbau. Der Kläger ist schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50. Bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Betriebsrat gewählt.

Bis Ende November 2002 wurde der Kläger im Streckenvortrieb auf der Schachtanlage P1xxxxx-H1xxxx eingesetzt. Seit dem 01.12.2002 wird er im nachgeschalteten Bereich einer Streckenauffahrung, im sogenannten Hinterland, beschäftigt. Im Zusammenhang mit dieser personellen Maßnahme führte die Beklagte ein Versetzungsverfahren gemäß § 99 BetrVG nicht durch. Der Kläger erhielt auch über den 01.12.2002 hinaus weiterhin Lohn der Lohngruppe 11 des genannten Lohnrahmentarifvertrages.

Mit Schreiben vom 21.08.2003 (Bl. 81 d.A.) beantragte die Beklagte beim zuständigen Integrationsamt in Münster die Zustimmung zu einer beabsichtigten Änderungskündigung zum 31.12.2003 bzw. hilfsweise zu einer fristgemäßen Kündigung zum 31.03.2004, da die vom Kläger im nachgeschalteten Bereich der Schachtanlage P1xxxxx-H1xxxx verrichteten Tätigkeiten einer Einstufung in Lohngruppe 10 entsprächen. Mit Bescheid vom 11.05.2004, der am 13.05.2004 bei der Beklagten einging, stimmte das Integrationsamt einer ordentlichen Kündigung mit dem Ziel der Veränderung der Lohngruppe des Klägers zu. Wegen der Einzelheiten des Zustimmungsbescheides vom 11.05.2004 wird auf Bl. 82 f. d.A. verwiesen.

Mit Datum vom 28.05.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Änderungskündigung des Klägers zum 30.09.2004 an. Hierauf erwiderte der Betriebsrat mit Schreiben vom 03.06.2004, das folgenden Inhalt hat:

"Der Betriebsrat der D1xxxxxx-H1xxxx GmbH hat sich am 01.05.2004 eingehend mit der o.g. Maßnahme befasst, und ist zu dem Entschluss gelangt dieser nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu widersprechen.

Begründung:

Nach einem persönlichen Gespräch mit Herrn K1xxxxxxxx und bezugnehmend auf die Stellungnahme vom 11.02.2004 für das Integrationsamt von seitens des Betriebsrates und des Vertrauensmanns der Schwerbehinderten stellt sich folgender Sachverhalt dar:

Herr K1xxxxxxxx wurde von der Betriebsstellenleitung für Arbeiten im nachgeschalteten Bereich einer Streckenauffahrung eingesetzt. Die dort zu verrichtenden Arbeiten tragen maßgeblich zur Leistungserbringung des gesamten Streckenvortriebssystems bei.

Herr K1xxxxxxxx ist in der Lage und gewillt seine vertragliche Arbeitsleistung im Vorortbereich abzuleisten. Seine körperliche Einschränkung bezüglich im Umgang mit Druckluftwerkzeugen bezieht sich nach dem Bescheid des Versorgungsamtes G1xxxxxxxxxxx Zentralstelle für den Bergmannsversorgungsschein NRW auf einen dauernden Einsatz.

In konventionellen Streckenvortrieben mit einem Bohrwagen ist von einer Langzeit-Schwingungsbelastung hervorgerufen durch Handbohrhämmer nicht auszugehen. Herr K1xxxxxxxx ist in einer Streckenauffahrung mit einem solchen Vortriebssystem eingesetzt. Schwingungsbelastungen hervorgerufen durch Tätigkeiten mit Schlagschraubern ist der Mitarbeiter sowohl im nachgeschalteten Bereich sowie auch im Vorortbereich kurzzeitig ausgesetzt. Gesicherte Erkenntnisse wie sie durch eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 3 ABBergV vom Unternehmer gefordert werden, liegen in diesem Tätigkeitsbereich nicht vor.

Somit kann sich die Einsatzbeschränkung nur auf einen nicht dauernden Einsatz mit Druckluftwerkzeugen beschränken.

Die zeitliche Einsatzbeschränkung, die technische Ausrüstung des Streckenvortriebes und der Einsatzwille des Mitarbeiters, rechtfertigen nicht eine Änderungskündigung in die Lohngruppe 10."

Unter dem Datum des 04.06.2004 richtete die Beklagte folgendes Schreiben an den Kläger:

"Sehr geehrter Herr K1xxxxxxxx,

seit dem 01.12.2002 werden Sie im nachgeschalteten Bereich auf der Betriebsstelle P1xxxxx H1xxxx eingesetzt. Die von Ihnen dort verrichteten Tätigkeiten entsprechen einer Einstufung in die Lohngruppe 10. Tatsächlich sind Sie jedoch in der Lohngruppe 11 eingestuft.

Hiermit kündigen wir im Wege der Änderungskündigung Ihren bisherigen Arbeitsvertrag wie folgt:

1. Ihre Beschäftigung erfolgt als Hauer für Erweiterungsarbeiten, Schl.Nr. 101.9.

2. Im Übrigen gelten die Bestimmungen des alten Arbeitsvertrages.

Das Integrationsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe sowie das Versorgungsamt Gelsenkirchen - Zentralstelle für den Bergmannsversorgungsschein - haben die Zustimmungen zur Änderungskündigung erteilt.

Der Betriebsrat hat Widerspruch erhoben. Eine Abschrift ist beigefügt.

Im Übrigen gelten die Bestimmungen des alten Arbeitsvertrages unverändert."

Mit Schreiben vom 07.06.2004 teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr K1xxxxxxxx,

als Anlage übersenden wir Ihnen eine erneute Änderungskündigung.

Unser Schreiben vom 4. Juni 2004 ist damit gegenstandslos."

Ebenfalls unter dem 07.06.2004 richtete die Beklagte ein weiteres Schreiben an den Kläger, das folgenden Inhalt hat:

"Sehr geehrter Herr K1xxxxxxxx,

seit dem 01.12.2002 werden Sie im nachgeschalteten Bereich auf der Betriebsstelle P1xxxxx-H1xxxx eingesetzt. Die von Ihnen dort verrichteten Tätigkeiten entsprechen einer Einstufung in die Lohngruppe 10. Tatsächlich sind Sie jedoch in der Lohngruppe 11 eingestuft.

Hiermit kündigen wir im Wege der fristgemäßen Änderungskündigung Ihren bisherigen Arbeitsvertrag wie folgt:

1. Ihre Beschäftigung erfolgt ab 01.10.2004 als Hauer für

Erweiterungsarbeiten, Schl.Nr. 101.9.

2. Im Übrigen gelten die Bestimmungen des alten Arbeitsvertrages.

Das Integrationsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe sowie das Versorgungsamt Gelsenkirchen - Zentralstelle für den Bergmannsversorgungsschein - haben die Zustimmungen zur Änderungskündigung erteilt.

Der Betriebsrat hat Widerspruch erhoben. Eine Abschrift ist beigefügt.

Im Übrigen gelten die Bestimmungen des alten Arbeitsvertrages unverändert."

Hiergegen richtet sich die am 21.06.2004 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen eingegangene Feststellungsklage. Im Termin vom 23.11.2005 vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen hat der Kläger nur die gegen die Änderungskündigung der Beklagten vom 07.06.2004 gerichtete Feststellungsklage aufrechterhalten, nachdem unstreitig gestellt worden war, dass die Änderungskündigung vom 04.06.2004 gegenstandslos ist. Darüber hinaus begehrt der Kläger weiterhin Vergütung nach Lohngruppe 11 des genannten Lohnrahmentarifvertrages.

Der Kläger hat vorgetragen, seine Tätigkeit habe sich beginnend mit dem 01.12.2002 nicht geändert. Er habe sowohl im Streckenvortrieb als auch im sogenannten Hinterland gearbeitet, wenn im Vortrieb zu wenig Arbeit vorhanden gewesen sei. Er, der Kläger, sei jeweils nach den Weisungen seines Steigers tätig geworden. Eine grundsätzliche Anweisung, nur noch im Hinterland zu arbeiten, habe es nicht gegeben. Auch seine bisherige Vergütung nach Lohngruppe 11 sei weitergezahlt worden. Dies habe nicht zu Missstimmungen bei anderen Arbeitnehmern geführt. Die mit ihm zusammenarbeitenden Kollegen, welche dieselbe Arbeit wie er, der Kläger, ausführten, seien fast ausschließlich in Lohngruppe 11 oder 12 eingruppiert. Unzutreffend sei, dass er Arbeiten ohne Aufsicht nicht durchführen könne und hierfür keine Qualifikation habe. Er, der Kläger, arbeite seit 28 Jahren unter Tage und habe die Qualifikation als Schachthauer. Eine Beaufsichtigung finde nicht statt. Er werde lediglich vom Schichtsteiger oder Aufsichtshauer bei Schichtbeginn für seine Arbeit eingeteilt. Er sei auch in der Lage, die übertragenen Aufgaben im Hinterland ohne Aufsicht allein durchzuführen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 07.06.2004 nicht geändert worden sind, sondern ungekündigt und unverändert fortbestehen,

2. festzustellen, dass der Kläger über den 30.09.2004 hinaus in die Lohngruppe 11 eingestuft ist und ihm die Vergütung der Lohngruppe 11 des Lohnrahmentarifvertrages für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger sei seit Januar 2003 nur noch im sogenannten Hinterland bei der Erweiterung sowie in Montage- und Raubbetrieben eingesetzt worden. Ein Einsatz vor Ort sei nicht mehr möglich gewesen, da der Kläger dem dort vorhandenen Druck aus gesundheitlichen Gründen nicht gewachsen gewesen sei und die entsprechende Leistung nicht habe erbringen können. Obwohl von den zu beaufsichtigenden Arbeitnehmern, die mit dem Kläger vergleichbar seien, niemand nach Lohngruppe 11 bezahlt werde, sei die Vergütung des Klägers nach Lohngruppe 11 zunächst nicht verändert worden. Dies habe zu Missstimmungen bei anderen Arbeitnehmern geführt, die korrekt eingruppiert gewesen seien. Aus diesem Grunde habe sie sich veranlasst gesehen, die Umgruppierung des Klägers vorzunehmen. Bei ihrem Schreiben vom 07.06.2004 habe es sich nicht um eine Änderungskündigung im Rechtssinne gehandelt. Ihr, der Beklagten, sei es nicht um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gegangen. Bei der Umgruppierung habe es sich um eine zulässige, sich letztlich aus dem Direktionsrecht ergebende Maßnahme im Sinne einer korrigierenden Umgruppierung gehandelt. Ursprünglich sei der Kläger als Hauer in der Aus- und Vorrichtung beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit habe der Lohngruppe 11 entsprochen. Aus gesundheitlichen Gründen sei der Kläger nicht mehr in der Lage gewesen, die dort abverlangten Tätigkeiten auszuüben. Einvernehmlich sei er deshalb seit dem 01.12.2004 im sogenannten Hinterland als Hauer für Erweiterungsarbeiten eingesetzt worden. Der Kläger sei damals mit dieser "Umsetzung" ausdrücklich einverstanden gewesen. Die im Hinterland zu verrichtenden Tätigkeiten seien nach Lohngruppe 10 zu vergüten gewesen. Irrtümlich habe sie, die Beklagte, den Kläger zunächst weiterhin in Lohngruppe 11 eingruppiert. Die Umgruppierung des Klägers in Lohngruppe 10 habe lediglich die Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten dargestellt. Nach § 32 des genannten Manteltarifvertrages erfolge die Eingruppierung der Arbeitnehmer in die Lohngruppen entsprechend der von ihnen verrichteten Tätigkeiten.

Durch Urteil vom 23.11.2005 hat das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Gegen diese Entscheidung, die der Beklagten am 12.12.2005 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 05.01.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 07.02.2006 begründet worden ist.

Die Beklagte trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor, bei der Umsetzung des Klägers Ende 2002 habe es sich nicht um eine zustimmungspflichtige Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG gehandelt. Der Kläger sei ursprünglich als Hauer in der Aus- und Vorrichtung beschäftigt gewesen. Aus gesundheitlichen Gründen sei er nicht mehr in der Lage gewesen, diese nach Lohngruppe 11 zu vergütenden Tätigkeit auszuüben. Im Einvernehmen mit dem Kläger sei er deshalb seit dem 01.12.2002 im sogenannten Hinterland eingesetzt worden. Der Einsatz des Klägers sei weiterhin am selben Einsatzort und sogar am selben Betriebspunkt innerhalb derselben Baustelle unter Tage erfolgt. Seit dem 01.12.2002 sei der Kläger dauerhaft und ausschließlich und nicht nur vertretungsweise im Hinterland eingesetzt worden. Gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 BetrVG liege keine mitbestimmungspflichtige Versetzung vor, wenn der Arbeitnehmer nach der Eigenart des Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt werde. Dies sei beim Kläger der Fall gewesen. Als Bergbauspezialgesellschaft sei sie, die Beklagte, mit einem Unternehmen des Baugewerbes durchaus vergleichbar. Sie betreibe auf fast allen Bergwerken der Deutschen Steinkohle-AG Baustellen unter Tage mit bis zu zehn Betriebspunkten. Auf den einzelnen Betriebspunkten seien bis zu sechs bis acht Mitarbeiter im Drei-Schicht-Rhythmus rund um die Uhr im Einsatz. Auf jedem Betriebspunkt seien Mitarbeiter vor Ort im nachgeschalteten Bereich im Einsatz. Ähnlich wie im eigentlichen Baugewerbe sei es unerlässlich, je nach betrieblichen Erfordernissen die Arbeitnehmer zumindest innerhalb dieser Betriebspunkte verschieben zu können. Dabei könne es sich nicht jedes Mal um eine zustimmungspflichtige Versetzung handeln.

Im Übrigen sei eine Versetzung durch Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erst dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer mit einer Tätigkeit betraut werde, die sich inhaltlich erheblich von seiner früheren Aufgabe unterscheide. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht gegeben. Im Steinkohlebergbau sei es durchaus üblich, aufgrund der weitgehenden Überschneidung der Tätigkeitsbereiche den Arbeitnehmer unter Tage vom Vortrieb ins sogenannte Hinterland umzusetzen.

Zuzustimmen sei dem Arbeitsgericht insoweit, dass die vor dem Hintergrund der rechtswirksamen Umsetzung im Jahre 2002 mit Datum vom 07.06.2004 ausgesprochene "Änderungskündigung" keine solche im Rechtssinne darstelle. Dennoch habe es sich bei der vorgenommenen Umgruppierung um eine zulässige, sich letztlich aus dem Direktionsrecht ergebende Maßnahme im Sinne einer korrigierenden Rückgruppierung gehandelt. Nach § 32 des genannten Manteltarifvertrages erfolge die Eingruppierung der Arbeitnehmer in Lohngruppen entsprechend der von ihnen verrichteten Tätigkeiten. Die Umgruppierung des Klägers in die Lohngruppe 10 stelle demnach lediglich eine Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten dar. Aufgrund der rechtswirksamen Umsetzung des Klägers im Jahre 2002 habe dieser seit nunmehr 1 1/2 Jahren Tätigkeiten verrichtet, die denen der Lohngruppe 10 entsprächen. Die vergönnungsweise Bezahlung des Klägers nach Lohngruppe 11 seit dem 01.11.2002 habe im Rahmen einer erneuten tarifvertraglichen Zuordnung der zu bewertenden Tätigkeit über § 32 des genannten Manteltarifvertrages korrigiert werden können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 23.11.2005 - 2 (5) Ca 1540/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, es sei unzutreffend, dass er Ende des Jahres 2002 nicht mehr in der Lage gewesen sei, die in Lohngruppe 11 verlangten Tätigkeiten auszuüben. Ebenso unzutreffend sei es, dass er sich mit einer Umsetzung ab dem 01.12.2002 einverstanden erklärt habe. Diese Umsetzung, sollte sie denn vorgenommen worden sein, sei zudem als mitbestimmungspflichtige Versetzung zu werten, da die Arbeitsbedingungen wesentlich geändert worden seien. Er, der Kläger, wäre dann nicht mehr im Vortrieb, also im Kohleabbau tätig gewesen. Zudem habe diese Tätigkeit eine geringere Wertigkeit, nämlich statt Lohngruppe 11 nur Lohngruppe 10. Er, der Kläger, bleibe demgegenüber bei seinem Vorbringen, dass er bis zum 30.09.2004 sowohl im Hinterland als auch im Vortrieb gearbeitet habe.

Soweit die Beklagte auf § 4 Ziffer 2 Satz 1 des Tarifvertrages für die Arbeitnehmer der Bergbauspezialgesellschaften verweise, werde hierdurch der Versetzungsbegriff nicht eingeschränkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Der Sache nach hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 07.06.2004 nicht geändert worden sind, sondern ungekündigt und unverändert fortbestehen, und dass dem Kläger über den 30.09.2004 hinaus die Vergütung der tariflichen Lohngruppe 11 der Lohnordnung für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau zusteht. Hierbei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 07.06.2004 um eine Änderungskündigung im Rechtssinne handelt oder ob hierin eine im Direktionsrecht der Beklagten begründete Maßnahme zu sehen ist.

1. Sollte es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 07.06.2004 um eine Änderungskündigung im Rechtssinne handeln, also um eine unbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien verbunden mit dem Angebot der Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen, so ist diese Änderungskündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

a) Nach § 102 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Kündigung und damit auch vor Ausspruch einer Änderungskündigung zu hören (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 123 VIII 1 Rn. 92 m.w.N.). Eine Anhörung nach § 102 BetrVG entfaltet dabei grundsätzlich nur für diejenige Kündigung Wirksamkeit, für die sie eingeleitet worden ist. Hat der Arbeitgeber nach Durchführung des Anhörungsverfahrens gekündigt und ist dem Arbeitnehmer die Kündigung zugegangen, bedarf es zur Wirksamkeit einer wiederholten Kündigung einer erneuten Anhörung des Betriebsrats. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt (vgl. Schaub, a.a.O., Rn. 97 a) m.w.N.) und die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt gestützt wird (BAG, Urteil vom 10.11.2005 - 2 AZR 623/04).

b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gesichtspunkte ist die arbeitsrechtliche Maßnahme der Beklagten vom 07.06.2004, sollte sie als Änderungskündigung im Rechtssinne zu werten sein, ohne Weiteres gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hatte nach Anhörung des Betriebsrates am 28.05.2004 bereits mit Schreiben vom 04.06.2004 eine Änderungskündigung ausgesprochen, diese aber mit Schreiben vom 07.06.2004 im Einvernehmen mit dem Kläger für gegenstandslos erklärt. Vor Ausspruch der weiteren Änderungskündigung vom 07.06.2004 ist der Betriebsrat der Beklagten unstreitig nicht erneut gemäß § 102 BetrVG angehört worden. Damit ist diese arbeitsrechtliche Maßnahme, sollte sie als Änderungskündigung im Rechtssinne zu werten sein, bereits deshalb als unwirksam anzusehen. Durch Änderungskündigung der Beklagten können die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses des Klägers damit nicht dahingehend geändert worden sein, dass er nunmehr nicht mehr Vergütung nach Lohngruppe 11, sondern nur nach Lohngruppe 10 verlangen kann.

2. Auch wenn es sich bei dem Schreiben der Beklagten vom 07.06.2004 nicht um eine Änderungskündigung im Rechtssinne gehandelt hat, steht dem Kläger weiterhin über den 30.09.2004 hinaus Vergütung nach Lohngruppe 11 der Lohnordnung für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau zu. Denn die Beklagte hat dem Kläger nicht rechtswirksam Tätigkeiten zugewiesen, die lediglich nach Lohngruppe 10 zu vergüten sind.

a) Nicht streitig zwischen den Parteien ist, dass der Kläger zunächst im Streckenvortrieb eingesetzt war und dort Tätigkeiten ausgeübt hat, die nach Lohngruppe 11 zu vergüten waren. Nach dem Sachvortrag der Beklagten ist der Kläger seit dem 01.12.2002 dauerhaft und nicht nur zur Vertretung oder vorübergehend im sogenannten Hinterland eingesetzt und dort mit Tätigkeiten beschäftigt worden, die nach Lohngruppe 10 zu vergüten sind. Wird dies zu Gunsten der Beklagten unterstellt, so handelt es sich bei der dauerhaften Zuweisung von Tätigkeiten im Hinterland um eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG.

aa) Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs im Sinne des § 95 BetrVG liegt dann vor, wenn dem Arbeitnehmer ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Gegenstand der geschuldeten Leistung, also der Inhalt der Arbeitsaufgabe, ein anderer wird. Dabei ist es unerheblich, ob dies für den Arbeitnehmer vorteilhaft oder nachteilig ist. Auch wenn der Arbeitnehmer zwar formal seinen bisherigen Tätigkeitsbereich behält, ihm jedoch wesentliche Teilfunktionen neu übertragen oder entzogen werden, die der Gesamttätigkeit ein solches Gepräge geben, dass von einer anderen Tätigkeit ausgegangen werden muss, liegt eine Versetzung im Sinne des Gesetzes vor. Dabei können quantitative und (oder) qualitative Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Als quantitativ erheblich für die Hinzufügung oder den Entzug von Teilfunktionen ist ein Anteil von 20 % anzusehen, bei dessen Vorliegen die Bildung eines neuen Arbeitsbereichs zu vermuten ist.

Allerdings kann nicht schematisch ohne Berücksichtigung der jeweiligen Struktur des Arbeitsbereichs nur quantitativ bewertet werden. Teilfunktionen können wegen ihrer Bedeutung qualitativ auch dann prägend sein, wenn sie einen zeitlich geringeren Anteil ausmachen. Bei qualitativer Änderung einzelner Teiltätigkeiten ist ein Indiz für das Vorliegen einer wesentlichen Änderung und damit einer Versetzung die Erforderlichkeit einer Umgruppierung (vgl. Fitting, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, 23. Aufl., § 99 Rn. 105 ff. m.w.N.).

bb) Angesichts dessen kann nicht zweifelhaft sein, dass der dauerhafte Entzug der Tätigkeiten im Streckenvortrieb in Verbindung mit dem ständigen Einsatz des Klägers im sogenannten Hinterland mit Wirkung vom 01.12.2002 als Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG anzusehen ist. Nach dem Sachvortrag der Beklagten war der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, die Arbeiten als Hauer in der Aus- und Vorrichtung auszuführen, so dass ihm qualitativ andere Tätigkeiten im sogenannten Hinterland zugewiesen wurden, die vergütungsmäßig nicht mehr nach Lohngruppe 11, sondern nur noch nach Lohngruppe 10 zu vergüten sind. Die Zuweisung anderer, gegenüber der früheren Tätigkeit eingruppierungsmäßig geringer zu bewertender Tätigkeiten ist als Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG anzusehen (vgl. Fitting, a.a.O., § 99 Rn. 109 m.w.N.).

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der dauerhafte Entzug der Tätigkeiten im Streckenvortrieb in Verbindung mit der Zuweisung von Tätigkeiten im sogenannten Hinterland nicht als Maßnahme gemäß § 95 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gewertet werden, so dass sie nicht als Versetzung zu gelten haben. Um eine solche Maßnahme handelt es sich dann, wenn ein Arbeitnehmer nach der Eigenart seines Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt wird. Der ständige Wechsel des Arbeitsplatzes muss für das Arbeitsverhältnis typisch sein. Die jeweilige Bestimmung des Ortes der Arbeitsleistung ist dann keine Versetzung. Nach der Eigenart ihrer Arbeitsverhältnisse werden z.B. Arbeitnehmer des Baugewerbes nicht ständig am gleichen Ort beschäftigt; ihr Beschäftigungsort wechselt mit den Baustellen. Werden sie allerdings zu einer Arbeitsgemeinschaft entsandt, handelt es sich wiederum um eine Versetzung. Unabhängig davon, ob die Entsendung zu einer Arbeitsgemeinschaft durch Freistellung oder Abordnung erfolgt, werden die entsandten Arbeitnehmer in einen anderen Betrieb, nämlich den der Arbeitsgemeinschaft, eingegliedert und erbringen damit ihre Arbeit nicht nur an einem anderen Ort, sondern vor allem in einer anderen organisatorischen Einheit (vgl. Fitting, a.a.O., § 99 Rn. 134). Auch die Zuweisung einer tariflich geringer zu vergütenden Tätigkeit kann nicht als Maßnahme nach § 95 Abs. 3 Satz 2 BetrVG bewertet und damit nicht als Versetzung angesehen werden. § 95 Abs. 3 Satz 2 BetrVG erlaubt lediglich unter bestimmten Voraussetzungen die mitbestimmungsfreie Bestimmung des Ortes der Arbeitsleistung, nicht jedoch die dauerhafte Zuweisung einer tariflich geringer zu bewertenden und damit auch zu vergütenden Tätigkeit.

b) Handelte es sich damit bei dem dauerhaften Entzug der Tätigkeiten des Klägers im Streckenvortrieb in Verbindung mit der ständigen Zuweisung von Tätigkeiten im sogenannten Hinterland um eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, so konnte die Beklagte diese Maßnahme nur mit Zustimmung des Betriebsrats oder deren gerichtlicher Ersetzung durchführen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Zustimmung des Betriebsrats individualrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung für die Versetzung (vgl. Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.08.1993 - 1 ABR 22/93 - NZA 1994, 187, 189 m.w.N.). Das Mitbestimmungsrecht bei der Versetzung dient auch dem Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers. Die fehlende Zustimmung des Betriebsrats hat zur Folge, dass die Versetzung auch individualrechtlich unwirksam ist und der Arbeitnehmer das Recht hat, die Arbeit zu den geänderten Bedingungen zu verweigern (so BAG, Urteil vom 05.04.2001 - 2 AZR 580/99 -, NZA 2001, 893, 896 m.w.N.). Eine Versetzung kann dem Arbeitnehmer gegenüber individualrechtlich erst nach Zustimmung des Betriebsrats oder ihrer gerichtlichen Ersetzung wirksam durchgeführt werden. Bis dahin kommt allenfalls eine vorläufige Beschäftigung unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG in Betracht (vgl. BAG, Beschluss vom 10.08.1993 - 1 ABR 22/93 -, NZA 1994, 187, 189). Eine solche Maßnahme hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht durchgeführt.

Hat die Beklagte dem Kläger damit den Arbeitsbereich im Hinterland unter gleichzeitiger Entziehung des Arbeitsbereichs im Streckenvortrieb nicht rechtswirksam zugewiesen, so hat sich die tarifliche Wertigkeit der vom Kläger geschuldeten Tätigkeiten nicht geändert. Dem Kläger steht deshalb über den 30.09.2004 hinaus weiterhin Vergütung der tariflichen Lohngruppe 11 der Lohnordnung für den Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau zu.

c) Unabhängig davon ist die dauerhafte Umsetzung des Klägers aus dem Streckenvortrieb in das sogenannte Hinterland auch individualrechtlich unwirksam. Das Direktions- oder Weisungsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber zwar, die Einzelheiten der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Arbeitsleistungen einseitig zu bestimmen, soweit diese nicht anderweitig geregelt sind. Sein Umfang bestimmt sich vor allem nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages. Es kann einzelvertraglich oder auch durch tarifliche Regelungen innerhalb bestimmter Grenzen erweitert werden, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht.

Allerdings berechtigt das allgemeine Direktions- oder Weisungsrecht den Arbeitgeber grundsätzlich nicht, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten einer niedrigeren Vergütungsgruppe zu übertragen. Dies gilt nicht nur deshalb, weil damit regelmäßig eine Veränderung der vertraglich zugesagten Vergütung verbunden ist. Auch die Art der Beschäftigung kann durch das allgemeine Direktionsrecht nicht unbegrenzt abgeändert werden. Zwar ist bei entsprechender Fassung des Arbeitsvertrages die Übertragung unterschiedlicher Tätigkeiten kraft Weisung zulässig. Voraussetzung ist aber, dass diese als gleichwertig anzusehen sind. Die Gleichwertigkeit bestimmt sich mangels anderer Anhaltspunkte grundsätzlich aus der auf den Betrieb abgestellten Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild. Bei Anwendung eines tariflichen Vergütungsgruppensystems orientiert sie sich zwar in der Regel an diesem System, sie wird aber nicht allein durch die Vergütung hergestellt. Das Arbeitsverhältnis genießt Bestandschutz auch gegen eine inhaltliche Änderung der Tätigkeit. Der Arbeitgeber kann deshalb dem Arbeitnehmer auch dann keine niedriger zu bewertende Tätigkeit zuweisen, wenn er dennoch die höhere Vergütung zahlt, die der bisherigen Tätigkeit entspricht (vgl. BAG, Urteil vom 30.08.1995 - 1 AZR 47/95 -, NZA 1996, 440, 441 m.w.N.).

Dahinstehen kann, inwieweit die Vertragsparteien das Direktionsrecht erweitern und etwa auch für die einseitige Übertragung niedriger vergüteter Tätigkeit öffnen können (vgl. hierzu KA-Rost, § 2 KSchG Rn. 54 a m.w.N.). Der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbare Tarifvertrag für die Arbeitnehmer der Bergbau Spezialgesellschaften enthält in § 2 Ziffer 2 folgende Regelung:

"Sofern nach einer Versetzung eines Arbeitnehmers der entsprechend dem Einsatzort anzuwendende Tarifvertrag für den Arbeitnehmer ungünstiger ist als der Tarifvertrag für den Einstellungsort, behält letzterer für die Dauer der Versetzung Gültigkeit. Als Vergleichskriterium für die Günstigkeit wird die Höhe der tariflichen Grundvergütung herangezogen."

Danach darf eine Versetzung jedenfalls im Hinblick auf tarifliche Rechte des Arbeitnehmers keine negativen Folgen nach sich ziehen. Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unter Überschreitung des Direktionsrechts eine geringer bewertete Tätigkeit zu, so ist er zur Fortzahlung der bisherigen Vergütung verpflichtet (Schaub, a.a.O., § 45 Rdnr. 43 m.w. Nachw.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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