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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.12.2008
Aktenzeichen: 15 Sa 838/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 08.04.2008 - 2 Ca 3150/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen und um Weiterbeschäftigung.

Die am 13.11.1951 geborene Klägerin war seit dem 01.02.1988 als Bürokauffrau bei der Beklagten beschäftigt. Ihr durchschnittliches Monatsgehalt betrug zuletzt 2.209,16 EUR brutto. Mit Bescheid vom 31.07.2007 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Sowohl ein am 09.08.2007 durch die Klägerin gestellter Gleichstellungsantrag als auch ein am 08.09.2007 gestellter Verschlimmerungsantrag sind inzwischen bestandskräftig abgewiesen worden.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig weniger als 5 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist nicht gewählt.

Mit Schreiben vom 30.11.2007, das der Klägerin am selben Tage zuging, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2008. Hiergegen richtet sich die am 05.12.2007 beim Arbeitsgericht Herne eingegangene Feststellungsklage.

Auf Antrag der Beklagten stellte das Integrationsamt Westfalen mit Bescheid vom 19.12.2007 fest, dass der besondere Kündigungsschutz nach dem Sozialgesetzbuch IV im Falle der Klägerin nicht greift. Nachdem der Beklagten dieses sogenannte Negativ-Attest zugestellt worden war, erklärte sie mit Schreiben vom 21.12.2007, das der Klägerin am 24.12.2007 zuging, vorsorglich eine weitere Kündigung zum 30.06.2008. Hiergegen richtet sich die am 03.01.2008 klageerweiternd erhobene Feststellungsklage der Klägerin.

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, zu ihren wesentlichen Tätigkeiten habe die interne Buchführung einschließlich der Überwachung der Debitoren, Kreditoren und der Banken gehört. Sie habe die komplette Buchführung für den Steuerberater vorbereitet. Außerdem habe sie Lohnabrechnungen einschließlich der Meldungen an die Krankenkassen, die Lohnsteueranmeldung für das Finanzamt und alle sonstigen anfallenden Arbeiten der Personalabteilung erledigt. Lohnabrechnungen habe sie wöchentlich anhand von Wochenzetteln erstellt, um so kurzfristig Nachtragskalkulationen zu ermöglichen. Innerhalb der Auftrags- und Projektbearbeitung habe sie mit einer branchenspezifischen Software Angebote, Lieferscheine und Rechnungen erstellt. Der gesamte Schriftverkehr der Beklagten sei selbständig von ihr, der Klägerin, erledigt worden. Daneben habe sie alle allgemeinen Büroarbeiten wie Kassenführung, Einkauf von Büromaterial, Bedienen der Telefonanlage und die gesamte Ablage erledigt. Soweit die Beklagte behaupte, die Lohnbuchhaltung sei ausgelagert worden, mache dies nur einen Teil ihrer Arbeit aus. Die anderen Tätigkeiten seien jedoch so spezifisch, dass sie nicht auswärtig erledigt werden könnten. Tatsächlich sei es so, dass der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten ihren Arbeitsplatz übernehmen solle. Dabei handele es sich um den 25-jährigen, unverheirateten und kinderlosen T2 B3, der sich in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der Firma R4 befinde. Herr T2 B3 werde bereits seit Juli 2007 auf der Basis eines 400-Euro-Vertrages eingearbeitet, um ihren Arbeitsplatz zu übernehmen. Bei dem Vortrag der Beklagten, ihr Arbeitsplatz sei weggefallen bzw. werde ausgelagert, handele es sich um einen vorgeschobenen Kündigungsgrund. In Wahrheit solle sie, die Klägerin, gegen den Sohn des Geschäftsführers ausgetauscht werden.

Ein sachlicher Grund für diese Maßnahme der Beklagten sei nicht gegeben. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass ihr Arbeitsplatz weggefallen sei. Auch wenn das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, sei im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 242, 138 BGB) zum Schutz der Arbeitnehmer vor einer sitten- und treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten, so dass der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition in jedem Fall gesichert sei. Vorliegend habe die Beklagte keinen einleuchtenden Grund für ihre Kündigung dargelegt. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass ihr Arbeitsplatz weggefallen sei. Zu berücksichtigte sei das in 20-jähriger Betriebszugehörigkeit erdiente Vertrauen in den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses. Dieses Vertrauen wiege umso schwerer, als sie, die Klägerin, mit 57 Jahren in die Arbeitslosigkeit entlassen werde. Aufgrund ihres Alters und ihrer Behinderung werde sie keinen neuen Arbeitsplatz mehr finden. Vor diesem Hintergrund müsse die Beklagte sich den Vorwurf willkürlicher, sachfremder und diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts gefallen lassen. Es widerspreche dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, eine erprobte und bewährte Arbeitnehmerin nach Jahrzehnten der Betriebszugehörigkeit in die Arbeitslosigkeit und die absehbare staatliche Fürsorge zu entlassen, um im Gegenzug ohne Not einen Jüngeren einzustellen. Die Kündigung verstoße deshalb auch gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und der Behinderung.

Hintergrund der Kündigung sei nicht die Ausgliederung der Buchhaltung und der Lohnbuchhaltung an einen externen Dienstleister, die mit Nichtwissen bestritten werde und auch nur etwa 30 % ihrer Tätigkeit umfasst habe. Die übrigen Tätigkeiten sollten ohnehin unstreitig nicht ausgelagert werden. Im Gegenzug kämen nach dem Sachvortrag der Beklagten neue Aufgaben hinzu, die von ihr, der Klägerin, im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses hätten übernommen werden können.

Ob und inwieweit eine angeblich geplante Betriebsnachfolge im Hinblick auf den Sohn des Geschäftsführers T2 B3 ihr Ausscheiden erforderlich gemacht habe, sei nicht ersichtlich. Es bleibe dabei, dass auf demselben Arbeitsplatz ohne sachlichen Grund sie, die Klägerin, gegen den Sohn des Geschäftsführers der Beklagten ausgetauscht werden solle, mit dem sie vergleichbar sei. Sie und der Sohn des Geschäftsführers seien von ihrer Ausbildung her Bürokaufleute. Das Aufgabengebiet sei jeweils der Verwaltungsbereich bei der Beklagten. Der Sohn des Geschäftsführers verfüge über keine Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie, die Klägerin, nicht auch besitze bzw. sich kurzfristig aneignen könne.

Von einer völligen Umstrukturierung im Betrieb der Beklagten könne nicht ausgegangen werden. Soweit es sich hierbei um die angebliche Auslagerung der Buchhaltung und Lohnbuchhaltung, die Einführung eines Internet-Shops sowie die Umstellung der Lagerhaltung auf IT-Systeme handeln solle, stelle sich lediglich die Frage der Ausgestaltung ihres Arbeitsplatzes. Hierbei handele es sich um Aufgaben, die sie aufgrund ihrer jahrzehntelangen Berufserfahrung problemlos erledigen könne. Von einem Wegfall des Arbeitsplatzes könne also keine Rede sein.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.11.2007, zugegangen am 30.11.2007, nicht aufgelöst werden wird,

2. die beklagte Partei zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Bürokauffrau über den 31.05.2008 hinaus zu beschäftigen,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die weitere arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.12.2007, zugegangen am 24.12.2007, aufgelöst werden wird,

4. die Beklagte zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Bürokauffrau über den 30.06.2008 hinaus zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie unterhalte einen Familienbetrieb. Die Planung sei ursprünglich dahingegangen, den Sohn des Geschäftsführers C2 B3 in den Betrieb aufzunehmen. Dieser habe den technischen Bereich des Betriebes übernehmen sollen. Des Weiteren sei beabsichtigt gewesen, auch den zweiten Sohn T2 B3 in den Betrieb aufzunehmen, um mittelfristig auf beide das Familienunternehmen zu übertragen. Diese Planung habe sich im Februar 2007 zerschlagen. Ihr, der Beklagten, Geschäftsführer habe sich im Frühjahr 2007 mit der Zukunft seines Betriebes auseinandergesetzt und entschieden, sich zukünftig gemäß seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seiner Berufserfahrung wieder schwerpunktmäßig mit den Bereich Akquisition und Betriebstechnik zu befassen. Soweit er sich in der Vergangenheit auch um administrative Dinge gekümmert habe, sollten diese zukünftig vom Sohn T2 B3 erledigt werden, der nach Ausscheiden der Klägerin in den Betrieb eintreten werde. T2 B3 werde den Betrieb übernehmen und sich aufgrund seiner Ausbildung als Bürokaufmann und einer Fortbildung als Betriebswirt des Handwerks um die Verwaltung des Unternehmens kümmern. Richtig sei, dass er in diesem Zusammenhang Teile der Arbeiten, die bisher von der Klägerin wahrgenommen worden seien, übernehmen werde. Hierbei handele es sich aber nicht um den Schwerpunkt seiner Tätigkeit, weil die Buchhaltung und die Lohnbuchhaltung an externe Dienstleister ausgelagert würden. T2 B3 solle sich zukünftig ergänzend insbesondere um einen beabsichtigten Internet-Shop kümmern. Ferner sei beabsichtigt, die Lagerverwaltung auf IT-Systeme umzustellen. Unabhängig davon, ob und inwieweit ihr, der Beklagten, geschäftsführender Gesellschafter bereits an sich berechtigt sei, eine solche Nachfolgeentscheidung zu treffen und Aufgaben an seinen Sohn zu übertragen, sei die Klägerin auch nicht in der Lage, die vorgenannten zusätzlichen Arbeiten zu erfüllen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz nicht anzuwenden sei, nicht aus anderen Gründen als rechtsunwirksam anzusehen. Ein Unternehmer habe ein verfassungsrechtlich geschütztes Interesse daran, im Rahmen eines Kleinbetriebes in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu ihm stehende, einzelne Mitarbeiter selbst zu bestimmen. Infolge dessen könnten Kündigungen in Kleinbetrieben lediglich daraufhin überprüft werden, ob diese auf willkürlichen oder sachfremden Motiven beruhten. Davon könne vorliegend nicht ausgegangen werden. In der Beschäftigung des Sohnes ihres Geschäftsführers liege keine Willkür; denn es sei eine Betriebsübernahme durch den Sohn des Geschäftsführers beabsichtigt. Die Unternehmensnachfolge solle langfristig geplant werden und werde auch umgesetzt. Sie diene der Firmenfortführung und damit der Sicherung der übrigen Arbeitsplätze. Eine Diskriminierung der Klägerin sei hierin nicht zu sehen.

Durch Urteil vom 08.04.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung, die der Klägerin am 29.04.2008 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung der Klägerin, die am 28.05.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.07.2008 - am 30.07.2008 begründet worden ist.

Die Klägerin vertritt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin die Auffassung, die Kündigungen der Beklagten seien als rechtsunwirksam anzusehen. Soweit die Beklagte geltend mache, die Buchführung solle ausgelagert werden, betreffe dies lediglich 20 - 30 % ihrer Tätigkeit. Die übrigen Aufgaben im Bereich der allgemeinen Büroarbeit sowie die Auftrags- und Projektbearbeitung blieben unstreitig bestehen. Die angeblich beabsichtigte "völlige Umstrukturierung" des Betriebes der Beklagten stehe ihrer Weiterbeschäftigung nicht im Wege. Sie sei aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung als IT-Anwenderin sehr wohl in der Lage, nach entsprechender Einweisung einen Internet-Shop zu pflegen und zu betreiben. Sie könne ebenfalls eine IT-gestützte Lagerhaltung realisieren.

Soweit die Beklagte vortrage, sie wolle den Sohn ihres Geschäftsführers T2 B3 in ihren Betrieb holen, fehle jeder Vortrag, warum hierdurch ihr Arbeitsplatz entfalle. Die Beklagte habe keinen "irgendwie einleuchtenden Grund" für die Kündigungen vorgetragen. Richtig sei zwar, dass es grundsätzlich dem Arbeitnehmer obliege, darzulegen und zu beweisen, dass eine Kündigung nach § 242 BGB treuwidrig sei. Allerdings werde der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Arbeitnehmers außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dadurch gewährleistet, dass die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast anzuwenden seien. Sie, die Klägerin, habe unbestritten vorgetragen, dass der 25-jährige unverheiratete und kinderlose Sohn T2 B3, der sich zum Zeitpunkt der Kündigungen in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der Firma R4 befunden habe, bereits seit dem 01.07.2007 auf 400-Euro-Basis auf ihrem Arbeitsplatz eingearbeitet werde, um diesen später zu übernehmen. Die Beklagte wolle also den sozial stärkeren Sohn T2 B3 gegen sie, die Klägerin, austauschen. Soweit die zusätzlichen und neuen Aufgaben in Frage stünden, die der Sohn T2 B3 übernehmen solle, habe sie dargelegt, dass sie diese ebenso gut ausführen könne. Die Beklagte habe nicht dargelegt, warum der angebliche Einstieg des Sohnes T2 B3 ihre Beschäftigung ausschließe.

Sie, die Klägerin, habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass der wahre Kündigungsgrund in ihren behinderungs- und krankheitsbedingten Fehlzeiten liege. Vor diesem Hintergrund stellten sich die Kündigungen als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen Alters und Behinderung dar.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des am 08.04.2008 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Herne - 2 Ca 3150/07 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.11.2007, zugegangen am 30.11.2007, nicht aufgelöst worden ist,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Bedingungen als Bürokauffrau über den 31.05.2008 hinaus zu beschäftigen,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die weitere arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.12.2007, zugegangen am 24.12.2007, aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt vor, sie habe ihr Kündigungsrecht nicht willkürlich, sachfremd oder diskriminierend ausgeübt. Denn sie habe hierfür einen einleuchtenden Grund gehabt. Die Entscheidung, den Sohn ihres Geschäftsführers in den Familienbetrieb zu holen und ihm entsprechend Aufgaben zu übertragen, sei eine gerade in einem Familienbetrieb nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung. Die Ausführungen der Klägerin, die Kündigungen seien wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten erfolgt, beruhten auf Spekulationen und könnten nicht mit der nötigen Evidenz darlegen, dass sie, die Beklagte, das erforderliche Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen habe. Kündigungsgrund sei allein der Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin gewesen, da die Buchhaltung an das Steuerbüro ausgelagert und die übrigen Tätigkeiten vom Sohn ihres Geschäftsführers übernommen werden sollten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I

Die Berufung der Klägerin ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II

Der Sache nach hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 30.11.2007 mit Ablauf des 31.05.2008 aufgelöst worden.

1. Die Kündigung vom 30.11.2007 bedurfte zu ihrer Wirksamkeit nicht gemäß § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Denn die Klägerin hat keinen Grad der Behinderung von mindestens 50 und ist auch einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Sie hat im Termin vom 18.12.2008 vor der erkennenden Kammer erklärt, sowohl ihr Antrag auf Gleichstellung gemäß § 68 SGB IX vom 09.08.2007 als auch ihr Verschlimmerungsantrag vom 08.09.2007 seien zwischenzeitlich bestandskräftig zurückgewiesen worden.

2. Die Kündigung vom 30.11.2007 ist nicht aus Gründen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, das streitlos auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet, als unwirksam anzusehen.

a) Die auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes gebotene Berücksichtigung des durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordert, dass der Grund für Kündigungen gegenüber langjährig beschäftigten Arbeitnehmern auch angesichts der Betriebszugehörigkeit "einleuchten" muss (so BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 333/02 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung). Insbesondere bei Auswahlentscheidungen hat auch der Arbeitgeber im Kleinbetrieb, für den der erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes nicht gilt, das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren. Eine Kündigung, die diesen Anforderungen nicht entspricht, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist deshalb unwirksam. Ist bei einem Vergleich der grundsätzlich von dem gekündigten Arbeitnehmer vorzutragenden Sozialdaten evident, dass dieser erheblich schutzbedürftiger als ein vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer ist, so spricht dies zunächst dafür, dass der Arbeitgeber das gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat Setzt der Arbeitgeber dem schlüssigen Sachvortrag des Arbeitnehmers weitere (betriebliche, persönliche etc.) Gründe entgegen, die ihn zu der getroffenen Auswahl bewogen haben, so hat unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Abwägung zu erfolgen. Dabei ist zu prüfen, ob auch unter Einbeziehung der vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe die Kündigung die sozialen Belange des betroffenen Arbeitnehmers in treuwidriger Weise unberücksichtigt lässt. Der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers im Kleinbetrieb kommt bei dieser Abwägung ein erhebliches Gewicht zu (vgl. BAG, Urteil vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 - NZA 2001, 833 m.w.N.; Urteil vom 06.02.2003 - 2 AZR 672/01, NZA 2003, 717).

Den Arbeitnehmern in Kleinbetrieben ist danach das größere rechtliche Risiko eines Arbeitsplatzverlustes angesichts der schwerwiegenden und grundrechtlich geschützten Belange der Arbeitgeber zuzumuten. Allerdings sind sie nicht völlig schutzlos gestellt. Im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln ist der objektive Gehalt der Grundrechte, hier vor allem aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz, zu beachten. Wie weit der Schutz des Arbeitnehmers in einem Kleinbetrieb reicht, ist von den Arbeitsgerichten zu entscheiden. Ausgangspunkt einer solchen Würdigung muss der Respekt vor der gesetzgeberischen Eingrenzung des gesetzlichen Kündigungsschutzes in § 23 Abs. 1 KSchG sein. Der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz darf nicht dazu führen, dass dem Kleinunternehmer praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. Darüber hinaus wirkt der Schutz dieser Generalklauseln umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind. In sachlicher Hinsicht geht es darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, zum Beispiel vor Diskriminierungen im Sinne von Art. 3 Grundgesetz (so BAG, Urteil vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 - NZA 2001, 833 ff. m.w.N.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesarbeitsgerichts, der die erkennende Kammer sich anschließt, kann die Kündigung vom 30.11.2007 nicht als unwirksam angesehen werden. Denn sie verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

aa) Soweit die Beklagte geltend macht, sie habe Teile der Tätigkeiten, die die Klägerin bisher ausgeübt habe, ihrem Steuerberatungsbüro als externem Dienstleister übertragen, könnte diese unternehmerische Entscheidung selbst bei Geltung des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich nicht beanstandet werden. Solche Maßnahmen können allenfalls dann in Frage gestellt werden, wenn sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (sogenannte Mißbrauchskontrolle; vergl. KR-Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 522 m.w.N.). Dahingehende Anhaltspunkte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

bb) Soweit die Beklagte die weiteren Tätigkeiten, welche die Klägerin in der Vergangenheit im Betrieb der Beklagten ausgeführt hat, dem Sohn ihres Geschäftsführers T2 B3 übertragen hat, so dass hierdurch das Bedürfnis zur Beschäftigung der Klägerin entfallen ist, kann auch diese Maßnahme nicht beanstandet werden.

(1) Zwar ist die Klägerin 57 Jahre alt und seit dem 01.02.1988 bei der Beklagten beschäftigt. Darüber hinaus hat sie einen Grad der Behinderung von 30. Demgegenüber ist der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 erst 25 Jahre alt, unverheiratet, kinderlos und befand sich zuletzt in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der Firma R4. Bei einem Vergleich dieser Sozialdaten ist evident, dass die Klägerin sozial erheblich schutzbedürftiger ist als der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3.

(2) Die Beklagte hat aber weitere beachtliche Gründe dargelegt, die sie bei der Auswahl bewogen haben, die in ihrem Betrieb weiterhin anfallenden kaufmännischen Tätigkeiten in Zukunft nicht durch die Klägerin, sondern durch den Sohn ihres Geschäftsführers T2 B3 ausführen zu lassen.

(a) Die Beklagte hat unter Darlegung der Planungen zur Fortführung ihres Familienbetriebes vorgetragen, sie habe mit dieser Entscheidung das Ziel verfolgt, den Sohn ihres Geschäftsführers in den Betrieb zu holen und ihm entsprechende Aufgaben zu übertragen, da dieser den Betrieb fortführen und übernehmen solle. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass hierin eine nachvollziehbare, jedenfalls nicht treuwidrige unternehmerische Entscheidung zu sehen ist.

(b) Da dem Arbeitnehmer die Beweislast für die von ihm geltend gemachte Treuwidrigkeit der Kündigung trifft, muss er, wenn der Arbeitgeber Tatsachen vorträgt, die die Treuwidrigkeit ausschließen, Gegentatsachen vortragen oder zumindest die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen substantiiert bestreiten und für die Gegentatsachen sowie für sein Bestreiten selbst Beweis anbieten (vgl. BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 333/02 -, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung unter Ziff. 4 der Orientierungssätze). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Insbesondere fehlt es an jedem Beweisantritt, soweit die Klägerin bestreiten will, dass der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 den Familienbetrieb übernehmen und fortführen soll.

(c) Angesichts dessen musste die Kammer davon ausgehen, dass die Auswahlentscheidung zwischen der Klägerin und dem Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 von der Absicht getragen war, die Fortführung des Familienbetriebes mit derzeit vier Beschäftigten zu sichern. Unter Einbeziehung dieser besonderen persönlichen Gründe, welche die Beklagte bewogen haben, nicht die Klägerin, sondern den Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 weiter zu beschäftigen, kann in der Kündigung vom 30.11.2007 kein Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen werden. Der Kammer ist dabei bewusst, dass diese Entscheidung die Klägerin angesichts ihres Alters und ihrer Behinderung sowie der Situation auf dem Arbeitsmarkt hart trifft.

Andererseits gilt es zu bedenken, dass die Planungen der Beklagten hinsichtlich der Übernahme und Fortführung ihres Familienunternehmens durch den Sohn ihres Geschäftsführers T2 B3 in Frage gestellt würden, falls sie gezwungen wäre, die Klägerin weiter zu beschäftigen. Da der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz vor Verlust des Arbeitsplatzes durch private Dispositionen auch außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes umso schwächer wird, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind, muss die Klägerin unter den hier gegebenen Umständen die in der Kündigung vom 30.11.2007 zum Ausdruck kommende unternehmerische Maßnahme zur Sicherung der Weiterführung des Familienbetriebes der Beklagten hinnehmen.

3. Die Kündigung vom 30.11.2007 verstößt auch nicht gegen §§ 7, 1 AGG. Wie oben ausgeführt wurde, ist unter Berücksichtigung der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast davon auszugehen, dass die Kündigung der Klägerin ausgesprochen worden ist, damit der Sohn des Geschäftsführers der Beklagten T2 B3 zur Sicherung der Nachfolge und Fortführung des Familienunternehmens statt der Klägerin weiterbeschäftigt werden kann. In dieser Entscheidung der Beklagten ist keine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters oder ihrer Behinderung zu sehen.

Soweit die Klägerin auf ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit verweist, kann dies keine andere Beurteilung rechtfertigen. Auch unter der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes wäre die Klägerin nicht vor einer krankheitsbedingten Kündigung geschützt gewesen, falls die Beklagte eine solche hätte aussprechen wollen. Eine Benachteiligung wegen des Alters der Klägerin oder ihrer Behinderung wäre hierin grundsätzlich nicht zu sehen.

Angesichts eines Grades der Behinderung von 30 wäre eine solche Kündigung auch nicht nach Maßgabe des SGB IX als unwirksam anzusehen. Außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes kann nichts anderes gelten.

4. Ist das Arbeitsverhältnis bereits durch die Kündigung vom 30.11.2007 mit Ablauf des 31.05.2008 aufgelöst worden, so kommt es auf die Wirksamkeit der vorsorglich ausgesprochenen Kündigung vom 21.12.2007 nicht an.

5. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.05.2008 hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung über diesen Zeitpunkt hinaus.

III

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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