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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 17 Sa 1503/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BGB, BetrVG, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 519
ZPO § 520
BGB § 626 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 01.08.2006 - 7 Ca 1947/06 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Beklagten beendet ist.

Die am 11.12.13xx geborene, nicht verheiratete Klägerin ist seit dem 01.07.1982 als Metallarbeiterin mit einem Bruttomonatslohn von zuletzt 2.400,00 € bei der Beklagten tätig. Diese beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Es besteht ein Betriebsrat. Seit dem Jahre 2000 ist die Klägerin alkoholabhängig.

Mit Schreiben vom 08.01.2001, 12.01.2001 und 07.07.2003 erteilte die Beklagte der Klägerin Abmahnungen wegen kurzfristiger Inanspruchnahme von Freischichten und Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht bei Arbeitsunfähigkeit. Wegen der Einzelheiten wird auf die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.05.2006 vorgelegten Kopien (Bl. 35, 36, 38 d.A.) Bezug genommen.

Nach Entbindung des Werkarztzentrums W4xxxxxxx-M3xxx e.V. von der Schweigepflicht im Hinblick auf eine Alkoholerkrankung wurde die Klägerin am 30.07. und 01.10.2003 werkärztlich untersucht. Wegen des Ergebnisses der Untersuchung wird auf das Schreiben des D2. K3xxxxx an die Beklagte vom 02.10.2003 (Bl. 41 d.A.) Bezug genommen.

In einem Gespräch am 09.10.2003 (Bl. 43 d.A.) wurde die Klägerin zu einer Therapiemaßnahme zur Vermeidung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgefordert.

Mit Schreiben vom 22.04.2004 (Bl. 44 d.A.) erteilte die Beklagte der Klägerin erneut eine Abmahnung mit der Begründung, diese habe unentschuldigt gefehlt.

Mit Schreiben vom 29.04.2004 kündigte sie das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2004. Die Klägerin wendete sich gegen diese Kündigung mit einer beim Arbeitsgericht Dortmund unter dem Aktenzeichen 9 Ca 3090/04 geführten Klage. Auf Vorschlag des Gerichts einigten sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 31.10.2004. Die Beklagte verpflichtet sich, die Klägerin unter Anrechnung der bisherigen Betriebszugehörigkeit zu unveränderten Arbeitsbedingungen wieder einzustellen, sofern sie bis zum 31.10.2006 den erfolgreichen Abschluss einer Alkoholentwöhnungstherapie durch ärztliches Attest eines Facharztes oder des Werkarztzentrums nachwies.

Die Beklagte stellte die Klägerin entsprechend der gütlichen Einigung zum 01.03.2005 wieder ein.

Für die Zeit vom 17.03.2006 bis zum 21.03.2006 gewährte die Beklagte der Klägerin nach deren Vortrag Urlaub. Nach Behauptung der Beklagten hatte sie am 17.03.2006 und 20.03.2006 Urlaub. Vom 21.03.2006 bzw. 22.03.2006 bis zum 23.03.2006 war sie arbeitsunfähig krank, ohne eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Am 23.03.2006 wurde sie nach einem Rückfall in die Alkoholabhängigkeit in die Westfälische Klinik D4xxxxxx eingeliefert. Der stationäre Aufenthalt dauerte bis zum 05.04.2006. Die Klägerin war anschließend bis zum 16.10.2006 arbeitsunfähig krank. Seit dem 10.08.2006 nimmt sie an einer ambulanten Psychotherapie teil.

Mit Schreiben vom 27.03.2006 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich fristlos und vorsorglich ordentlich fristgemäß zum nächstzulässigen Kündigungstermin zu kündigen. Zur Begründung gab sie Folgendes an:

"...

Frau K2xxxxx war vom 1.07.82 bis 31.10.2004 bei uns beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitsgerichtlichen Vergleich wegen Alkoholabhängigkeit. Nach erfolgreicher Therapie wurde das Arbeitsverhältnis vom 1.03.05 fortgesetzt. Seit dem 17.03.06 fehlt Frau K2xxxxx aus unterschiedlichen Gründen. Aufgrund der Aussagen von H2. M4xxxxxx und H2. L3xxxx K2xxxxx ist von einem Rückfall auszugehen. Für Freitag, den 31.03.06 ist ein Untersuchungstermin im W5x terminiert.

..."

Mit Schreiben vom 29.03.2006 (Bl. 81 d.A.) widersprach der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung mit folgender Begründung:

" ...

- Auf Grund der besonderen Umstände und der Tatsache, dass die Mitarbeiterin J1xxx K2xxxxx dem Unternehmen L1x U1xx seit dem 01.07.1982 angehört, stellt die Maßnahme einer außerordentlichen Kündigung eine unverhältnismäßige Härte dar.

- Weiterhin haben wir die Feststellung getroffen, das die Mitarbeiterin seit einem Jahr nach Ihrer erfolgreichen Therapie, keinerlei Gründe zum Anlass gab, mit Ihrer Arbeitsleistung und Ihrem Verhalten unzufrieden zu sein.

- Außerdem sollte der Umstand, das der Rückfall der Frau K2xxxxx im Zusammenhang mit Mobbing stehen könnte (Angaben von Frau K2xxxxx), nicht unberücksichtigt bleiben, und auch dementsprechend von allen Beteiligten aufgeklärt werden, bevor eine Endscheidung über eine Kündigung oder einer Weiterbeschäftigung getroffen wird.

..."

Mit Schreiben vom 06.04.2006, der Klägerin am 08.04.2006 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30.11.2006.

Mit ihrer am 26.04.2006 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung.

Sie hat behauptet:

Die Fehlzeiten in der Vergangenheit von 27 Tagen in 2000, 168 Tagen in 2001, 26 Tagen in 2002, 26 Tagen in 2003 und 89 Tagen in 2004 setzten sich zusammen aus entschuldigten Freischichten, Krankheits- und Urlaubstagen. Zu keinem Zeitpunkt habe sie unentschuldigt gefehlt.

Ihre Fehlzeiten hätten keine betrieblichen Auswirkungen gehabt. Bei der Beklagten seien ohnehin ständig Überstunden angeordnet worden. Diese beruhten nicht auf ihrem Fehlen. Im Übrigen beschäftige die Beklagte Leiharbeitnehmer als Aushilfskräfte.

Die Information des Betriebsrates sei unzureichend. Die Beklagte habe bei der Anhörung keine sorgfältige Trennung zwischen personenbedingten und verhaltensbedingten Gründen vorgenommen. Betriebliche oder wirtschaftliche Belastungen durch ihre Fehlzeiten seien dem Betriebsrat nicht vorgetragen worden. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten des klägerischen Vortrages wird auf den Schriftsatz vom 10.07.2006 (Bl. 106, 107 d.A.) Bezug genommen.

Ihr Rückfall sei durch eine anhaltende Mobbing-Situation im Betrieb ausgelöst worden. Die Mitarbeiterin B3xxxxxxx habe sie systematisch ausgegrenzt und ihr suggeriert, sie sei fachlich sowie persönlich ungeeignet bzw. minderwertig. Sie habe sie aufgefordert, Hilfsarbeiten zu verrichten, wie z.B. das Kaffeeholen. Sie habe auch Aufträge an sie nicht weitergegeben, so dass sie unbeschäftigt geblieben sei. Im Übrigen habe Frau B3xxxxxxx jede Kommunikation eingestellt.

Bereits Anfang 2006 habe sie sich an ihren direkten Vorgesetzten M4xxxxxx gewandt und um Schutz gegen Mobbing-Attacken der Mitarbeiterin B3xxxxxxx gebeten. Es habe daraufhin ein Gruppengespräch unter der Leitung des Vorgesetzten gegeben. Er habe unter dem 26.05.2006 (Bl. 82 d.A.) über die Erörterungen einen Aktenvermerk erstellt. Trotz dieses Gesprächs sei sie in der Folgezeit wiederum Opfer unzähliger Mobbing-Attacken gewesen. Sie habe auch in der Folgezeit mehrfach das Gespräch mit Herrn M4xxxxxx gesucht und ihn inständig um ihre Versetzung in die Produktionsabteilung gebeten. Ihrer Bitte sei nicht entsprochen worden. Noch ein oder zwei Tage vor ihrem letzten Arbeitstag habe sie ihm die Ausweglosigkeit ihrer Situation geschildert. Sie habe sich auch bei dem Betriebsrat beschwert.

Aufgrund der stetigen Anfeindungen am Arbeitsplatz habe sie unter Angstzuständen und Depressionen gelitten, die Mitte März 2006 dazu geführt hätten, dass sie wieder Alkohol zu sich genommen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2006 weder außerordentlich fristlos noch ordentlich zum 30.11.2006 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet:

Der Betriebsrat sei vollständig informiert worden. Aufgrund der Gespräche sei ihm bekannt gewesen, dass der Klägerin nicht ein bestimmtes Verhalten am Arbeitsplatz habe vorgeworfen werden sollen, sondern dass in erster Linie personenbedingte Gründe - die Alkoholerkrankung der Klägerin - für die Kündigung ausschlaggebend gewesen seien.

Dem Betriebsrat seien aus den Gesprächen mit der Klägerin ihre Fehlzeiten und ihr Gesundheitszustand bekannt gewesen. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende P2xxxxxxxx sei in ihrer Abteilung beschäftigt gewesen und habe deswegen Kenntnis von den betrieblichen Auswirkungen ihrer Fehlzeiten gehabt. Der Betriebsrat sei stetig über die wirtschaftlichen Belastungen wie Entgeltfortzahlungskosten sowie die betrieblichen Beeinträchtigungen in Form von notwendigen personellen Umsetzungen informiert worden.

Dass die Klägerin einem Mobbing ausgesetzt gewesen sei, sei ihr nicht bekannt gewesen und werde nachdrücklich bestritten. Weder seien der Klägerin Aufträge vorenthalten worden noch sei sie Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Aus der Aktennotiz des Vorgesetzten M4xxxxxx vom 26.05.2006 ergebe sich, dass er auf eine Nachfrage drei Wochen nach dem Gruppengespräch die Mitteilung erhalten habe, es bestünden keine Probleme mehr. Die Klägerin habe ihren Rückfall selbst verschuldet.

Mit Urteil vom 01.08.2006 hat das Arbeitsgericht Dortmund festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2006, zugegangen am 08.04.2006, weder mit sofortiger Wirkung beendet worden ist noch mit Ablauf des 30.11.2006 beendet werden wird.

Es hat ausgeführt:

Die Kündigung vom 06.04.2006 habe das Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Die Beklagte habe die Kündigung darauf gestützt, dass die Klägerin nach ihrer zunächst erfolgreichen Entziehungskur rückfällig geworden und seit dem 17.03.2006 der Arbeit ferngeblieben sei. Die Klägerin habe jedoch am 17.03. und 20.03.2006 Urlaub gehabt, seit dem 21.03.2006 sei sie alkoholbedingt arbeitsunfähig krank gewesen.

Da die Kündigung wegen ihrer Trunksucht erfolgt sei, sei sie nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen. Dem alkoholabhängigen Arbeitnehmer, der infolge seiner Abhängigkeit gegen seine Arbeitsvertragspflichten verstoße, könne im Hinblick auf seine Abhängigkeit kein Schuldvorwurf gemacht werden. Insbesondere gebe es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine Alkoholabhängigkeit in der Regel selbst verschuldet sei.

Im Übrigen sei es dem Arbeitgeber in der Regel zuzumuten, einen alkoholkranken Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.

Die Kündigung sei auch als ordentliche rechtsunwirksam. Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung habe in drei Stufen zu erfolgen. Danach setze eine sozial gerechtfertigte Kündigung zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes voraus. Der Rückfall der Klägerin rechtfertige keine negative Zukunftsprognose. Sie habe in der Vergangenheit gezeigt, dass sie - wenn auch erst nach einigem Druck - therapiebereit bereit gewesen sei, sich einer Therapie unterzogen habe und diese mit Erfolg habe abschließen können. Danach habe es keine alkoholbedingten Probleme gegeben. Die Klägerin sei demnach grundsätzlich imstande, eine Therapie durchzuführen und danach für einen nicht unerhebliche Zeitraum "trocken" zu bleiben. Bei Therapiefähigkeit und Therapiebereitschaft des alkoholerkrankten Arbeitnehmers indiziere ein alkoholbedingter Rückfall nach einer erfolgreichen Entwöhnungskur allein noch nicht eine negative Prognose.

Die Beklagte könne sich in der zweiten Prüfungsstufe zur Begründung einer Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen nicht auf eine erhebliche wirtschaftliche Belastung durch Entgeltfortzahlungskosten berufen. Das Gericht habe dem Vortrag nicht entnehmen können, dass sie in der Vergangenheit Entgeltfortzahlung für mehr als 30 Arbeitstage jährlich geleistet habe. Im Übrigen sei sie mit ihrem Vortrag zu diesem Punkt präkludiert.

Die Beklagte könne sich auch nicht auf schwerwiegende Störungen im Produktionsprozess berufen. Kurzfristige Urlaube und Freischichten habe sie nicht genehmigen müssen. Die Betriebsablaufstörungen seien dem Betriebsrat auch nicht mit Anhörungsschreiben vom 27.03.2006 mitgeteilt worden. Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dem Betriebsrat seien der klägerische Arbeitsplatz und die möglichen Betriebsablaufstörungen bekannt gewesen. Der Betriebsrat brauche keine Vermutung darüber anzustellen, welche Störungen im Einzelnen der Arbeitgeber für erheblich halte und welche Überbrückungsmaßnahmen er noch als zumutbar ansehe.

Wegen der Einzelheiten des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 01.08.2006 wird auf Blatt 144 bis 157 d.A. verwiesen.

Gegen das ihr am 18.08.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.09.2006 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.11.2006 am 21.11.2006 bei dem Landesarbeitsgericht eingehend begründet.

Sie führt aus:

Erstinstanzlich habe das Gericht im Gütetermin darauf hingewiesen, dass die Kündigung unter dem Gesichtspunkt personenbedingter, d.h. krankheitsbedingter Gründe zu prüfen sei. Entsprechend habe sie erstinstanzlich vorgetragen.

Tatsächlich sei jedoch für die Überprüfung des Urteils im Berufungsverfahren von verhaltensbedingten Gründen auszugehen. Insoweit baue sie ihre Argumentationsschiene neu auf.

Die Klägerin habe den Urlaub für den 17.03.2006 und 20.03.2006 unter Vorspiegelung falscher Tatsachen beantragt. Sie habe alkoholisiert ihre Arbeit bei ihr nicht antreten können. Sie habe gegen die Betriebsvereinbarung verstoßen, nach der Urlaubstage oder Freischichten mindestens zwei Tage vor dem Beginn mit dem Vorgesetzten abzustimmen seien.

In der Zeit vom 21.03.2006 bis zum 23.03.2006 habe sie erneut alkoholbedingt gefehlt. Ihr sei vorzuwerfen, für diese Zeit keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt zu haben.

Sie habe ihren Rückfall selbst verschuldet. Daher habe sie auch ihre Pflichtverletzung zu vertreten. Dem alkoholabhängigen Arbeitnehmer, der eine stationäre Entziehungskur erfolgreich absolviert habe, dem damit die Gefahren des Alkoholkonsums genau bekannt seien, treffe ein Verschulden, wenn er unfähig zur Abstinenz sei und im Zustand akuter Trunkenheit Arbeitsvertragsverletzungen begehe.

Die Beklagte behauptet:

Es stehe gar nicht fest, dass die Klägerin ihre Arbeitspflichten tatsächlich in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand der Alkoholisierung begangen habe. Sie habe während ihrer Arbeit keinen Alkohol zu sich genommen. Habe sie Alkohol außerhalb des Betriebes in der Freizeit genossen, so sei davon auszugehen, dass sie ihren Alkoholkonsum habe steuern können. Durch die Kündigung und die nachfolgende Therapie sei die Klägerin ausreichend gewarnt gewesen. Es sei auch eine negative Prognose für die zukünftige Vertragserfüllung zu stellen. Die Wiederholungsgefahr folge schon aus der Alkoholabhängigkeit selbst. Auch der Rückfall trotz eindringlicher Warnungen und einer ersten alkoholbedingten Kündigung spreche für eine negative Prognose.

Der Betriebsrat sei von dem Rückfall der Klägerin im Sinne eines Fehlverhaltens informiert gewesen. Sie hätte die Anhörung anders gefasst, hätte sie ihn zu einer krankheitsbedingten Kündigung beteiligen wollen. Selbstverständlich hätte sie dann in der Anhörung auf die Fehlzeiten in der Vergangenheit und auf die negative Zukunftsprognose hingewiesen. Sie habe darauf aber ausdrücklich verzichtet.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund vom 01.08.2006 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und behauptet, der Betriebsrat sei zu verhaltensbedingten Kündigungsgründen nicht angehört worden.

Den Rückfall habe sie nicht selbst verschuldet. Sie habe sich durch die Kollegin B3xxxxxxx so unter Druck gesetzt gefühlt, dass sie einfach nicht mehr "gewollt" und sich deshalb Bier geholt habe. Im Februar 2006 habe sie sich bemüht, einen in der Produktion freigewordenen Arbeitsplatz zu übernehmen, um ihre betriebliche Situation zu verändern. Leider sei dieser Arbeitsplatz zum Zeitpunkt der Bewerbung schon besetzt gewesen.

Sie habe auch ihre Vertragspflichtverletzung nicht zu vertreten, da sie ausschließlich im Zustand der Trunkenheit geschehen seien.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I

Die gemäß §§ 64 Abs. 2 c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO an sich statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht Dortmund hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die zulässige Kündigungsschutzklage ist begründet.

1. Die Kündigung ist nicht durch Tatsachen gerechtfertigt, aufgrund derer es der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden konnte, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzuführen, § 626 Abs. 1 BGB.

Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst müssen Tatsachen vorliegen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zu bilden. Im zweiten Schritt ist festzustellen, ob unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls eine Weiterbeschäftigung zumutbar ist (vgl. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 11. Aufl., § 125 Rn. 43).

a. Die Beklagte hat die Kündigung zweitinstanzlich mit einem Eigenverschulden der Klägerin an dem Rückfall begründet und die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung sei damit aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt, die Klägerin habe trotz vorhergehender Abmahnungen ab dem 17.03.2006 aus unterschiedlichen Gründen verschuldet gefehlt. Das hat sie in der mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich klargestellt.

Bei alkoholbedingtem Fehlverhalten können verhaltens- oder personenbedingte Kündigungsgründe vorliegen. Maßgeblich für die Qualifizierung des Kündigungsgrundes ist, aus welchem Bereich die sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses nachteilig auswirkende Störung vorwiegend kommt (vgl. BAG, Urteil v. 31.01.1996 - 2 AZR 158/05 - EzA § 626 BGB Druckkündigung; Urteil v. 13.03.1987 - 7 AZR 724/85 - EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44). Zu fragen ist, ob die Störquelle in dem Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers liegt. Im Zentrum jeder verhaltensbedingten Kündigung steht eine schuldhafte Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Im Gegensatz zur personenbedingten Kündigung impliziert die verhaltensbedingte Kündigung den Vorwurf, sich auch anders, nämlich vertragstreu verhalten zu können (vgl. ErfK/Ascheid, 6. Aufl., § 1 KSchG Rn. 286).

Ist der Alkoholgenuss des Arbeitnehmers dadurch gekennzeichnet, dass infolge psychischer und physischer Abhängigkeit trotz besserer Einsicht, der Konsum nicht gesteuert werden kann, es zu einem Alkoholmissbrauch kommt, liegt eine Krankheit vor (vgl. BAG, Urteil v. 09.04.1987 - 2 AZR 210/86 - NZA 1987, 811; LAG Hamm, Urteil v. 02.05.1986 - 16 Sa 1987/85 - LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 4). Stehen die Kündigungsgründe im Zusammenhang mit der Alkoholsucht, finden deshalb die Grundsätze der krankheitsbedingten Kündigung Anwendung. Eine verhaltensbedingte Kündigung scheidet aus (vgl. BAG, Urteil v. 26.01.1995 - 2 AZR 649/94 - NZA 1995, 517; LAG Hamm, Urteil v. 15.01.1999 - 10 Sa 1235/98 - NZA 1999, 1221; LAG Hamm, Urteil v. 04.09.2001 - 11 Sa 1918/00 - LAGE § 1 KSchG Krankheit Nr. 33). Streitig ist, ob ausnahmsweise dann eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommt, wenn die Pflichtverletzung zwar auf der Alkoholabhängigkeit beruht, dem Arbeitnehmer aber der Vorwurf zu machen ist, er habe seine sich negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirkende Alkoholabhängigkeit schuldhaft herbeigeführt, habe z.B. einen Rückfall zu vertreten (vgl. BAG, Urteil v. 11.11.1987 - 5 AZR 497/86 - AP Nr. 75 zu § 616 BGB; Urteil v. 07.12.1989 - 2 AZR 134/89 - RzK I 7 c Nr. 7; LAG München, Urteil v. 13.12.2005 - 8 Sa 739/05 - NZA-RR 2006, 350).

Hier will die Beklagte die Kündigung ausdrücklich als verhaltensbedingte qualifiziert und geprüft wissen. Deshalb scheidet eine gerichtliche Überprüfung als personenbedingte Kündigung - wie sie das erstinstanzliche Gericht vorgenommen hat - aus.

Die Kammer ist jedoch gehindert, die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung unter dem Gesichtspunkt eines vorwerfbaren Fehlverhaltens der Klägerin, dokumentiert in dem Rückfall, zu prüfen.

aa. Die Beklagte hat nämlich den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer personenbedingten Kündigung, durch die Alkoholerkrankung der Klägerin veranlassten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört.

Zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gehört, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat seine Kündigungsabsicht deutlich zu erkennen gibt und die beabsichtigte Kündigung konkretisiert. Er muss insbesondere alle Tatsachen und subjektiven Vorstellungen mitteilen, die ihn zur Kündigung veranlassen (vgl. KR-Etzel, 7. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 62). Zwar braucht der Arbeitgeber seine Kündigungsgründe nicht rechtlich zu qualifizieren. Er muss aber durch Tatsachen verdeutlichen, ob er dem Arbeitnehmer ein steuerbares Fehlverhalten vorwirft oder ob er von einem personenbedingten, hier von einem krankheitsbedingten Kündigungsgrund ausgeht. Nur dann ist der Betriebsrat in der Lage, ohne eigene zusätzliche Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich selbst ein Bild zu machen (vgl. dazu BAG, Urteil v. 02.11.1983 - 7 AZR 65/82 - AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972).

Die Beklagte hat den Betriebsrat personenbedingte Gründe mitgeteilt. Das folgt aus ihrem Hinweis in dem Anhörungsschreiben, das Arbeitsverhältnis sei in 2004 wegen der Alkoholabhängigkeit der Klägerin beendet und nach einer erfolgreichen Therapie fortgesetzt worden; nunmehr sei von einem Rückfall auszugehen. Entsprechend hat sie erstinstanzliche darauf verwiesen, dem Betriebsrat seien anlässlich seiner Anhörung zu der Kündigung vom 29.04.2004 die Fehlzeiten der Klägerin und ihrer Aufforderung mitgeteilt worden, die Klägerin möge sich einer Therapie unterziehen. Nach ihrem Vorbringen hat sie den Betriebsrat am 18.03.2006 noch einmal mündlich darüber informiert, die Klägerin fehle wegen eines Rückfalls. Sie will ihn weiterhin über die Auswirkungen und betrieblichen Beeinträchtigungen durch die Fehlzeiten unterrichtet haben, die dem Betriebsrat im Übrigen über den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden P2xxxxxxxx bekannt gewesen sein sollen. Vom objektiver Empfängerhorizont konnte der Betriebsrat die Anhörung nur dahin verstehen, dass die Beklagte die Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen im Hinblick auf den Alkoholismus der Klägerin und ihren Rückfall aussprechen wollte. Aus der Anhörung ergibt sich dagegen kein Hinweis auf den Vorwurf eines trotz der Krankheit ausnahmsweise steuerbaren Fehlverhaltens der Klägerin, den die Beklagte zweitinstanzlich erhoben hat. Die Verweisung auf einen Rückfall reicht nicht aus, um dem Betriebsrat zu verdeutlichen, die Kündigung solle aufgrund eines von der Klägerin zu vertretenden Vertragsverstoßes ausgesprochen werden. Ein Rückfall kann auch ein entscheidender Ansatzpunkt für eine negative Zukunftsprognose im Rahmen einer personenbedingten Kündigung sein (vgl. LAG Hamm, Urteil v. 04.09.2001, a.a.O.). Die Mitteilung der Beklagten, die Klägerin fehle seit dem 17.03.2006 aus unterschiedlichen Gründen, lässt ebenfalls keinen sicheren Schluss auf ein Fehlverhalten als Anknüpfungspunkt des Kündigungsentschlusses zu. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass die Beklagte die Kündigung erstinstanzlich auf personenbedingte Gründe gestützt und die negative Zukunftsprognose mit dem Rückfall begründet hat.

Die Stellungnahme des Betriebsrates vom 29.03.2006 gibt keinen Aufschluss darüber, dass er entgegen dem Inhalt der Anhörung von einem verschuldeten vertragswidrigen Verhalten der Klägerin als Grund ausgegangen ist, der die Beklagte zu ihrem Kündigungsentschluss geführt hat.

bb. Die fehlende Anhörung hindert diese zwar nicht, den Vorwurf des verschuldeten Rückfalls verbunden mit weiteren Vertragsverletzungen in den Kündigungsschutzprozess einzuführen. Das Nachschieben von Kündigungsgründen, die im Zeitpunkt der Kündigungsausspruchs bereits bestanden, ist unter kündigungsschutzrechtlichen Gesichtspunkten stets zulässig (vgl. BAG, Urteil v. 11.04.1985 - 2 AZR 239/84 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 62; KR-Etzel, a.a.O., § 102 BetrVG Rn. 70).

Es bestehen auch unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keine Bedenken, wenn der dem Betriebsrat mitgeteilte Kündigungsgrund im Prozess nur durch weitere Tatsachen erläutert wird (vgl. BAG, Urteil v. 11.04.198, a.a.O.; KR-Etzel, a.a.O., § 102 BetrVG Nr. 70). Der mitgeteilte Kündigungsgrund bleibt bestehen und wird nur näher substantiiert.

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn sich der Kündigungsgrund durch die nachgeschobenen Gründe in seinem Charakter und seiner Gewichtung ändert. In diesem Fall ist das Nachschieben der Gründe unzulässig, wenn sie dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Unterrichtung des Personalrates bekannt waren, dieser aber nicht angehört wurde (vgl. BAG, Urteil v. 01.04.1981 - 7 AZR 1003/78 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 45; Sächs. LAG, Teilurteil v. 16.02.2006 - 8 Sa 968/04 - AE 2006, 121).

Ist der Betriebsrat bei einer alkoholbedingten Kündigung nur zu verhaltensbedingten Gründen angehört worden, ist ein Nachschieben der dem Arbeitgeber bekannten personenbedingten Kündigungsgründe im Kündigungsschutzprozess unzulässig (vgl. Sächs. LAG, Teilurteil. v. 16.02.2006, a.a.O.; zustimmend: Kohte/Faber, juris, PR-ArbR 36/06 Anm. 2). Der Arbeitgeber hat sich in der Anhörung des Betriebsrates auf die verhaltensbedingten Gründe festgelegt, die eine andere Struktur und andere Begründungselemente haben als personenbedingte Gründe.

Diese Grundsätze gelten auch in dem hier gegebenen umgekehrten Fall der Anhörung des Betriebsrates zur krankheitsbedingten Kündigung und dem Wechsel des Beklagtenvorbringens zu verhaltensbedingten Gründen.

2. Die Kündigung ist aus den dargestellten Gründen auch nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG als ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Prüfung der Kündigung als personenbedingte ist dem Gericht nach der zweitinstanzlichen Darstellung der Beklagten verwehrt. Zu den verhaltensbedingten Gründen ist der Betriebsrat nicht angehört worden.

II

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Gründe im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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