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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.04.2005
Aktenzeichen: 18 Sa 1320/04
Rechtsgebiete: EFZG


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 28.05.2004 - 3 Ca 1618/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.417,20 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.07.2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 1/10 und der Beklagten zu 9/10 auferlegt.

Tatbestand: Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der am 18.01.1965 geborene Kläger war bei der Beklagten als Hausmeister tätig. Am Freitag, dem 16.05.2003, verursache der Kläger einen Verkehrsunfall. Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad die Bundesautobahn 45 in Fahrtrichtung Dortmund in Höhe des Hagener Kreuzes. Als der vor ihm fahrende Pkw verkehrsbedingt bremsen musste, bemerkte der Kläger dies zu spät und fuhr gegen das vorausfahrende Fahrzeug. Es entstand ein Sachschaden sowohl am Motorrad des Klägers als auch am Pkw. In der polizeilichen Unfallmitteilung ist ein etwaiger Personenschaden nicht erwähnt. Am Montag, dem 19.05.2003, übergab der Kläger der Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und teilte mit, dass er bei dem Unfall am Freitag, dem 16.05.2003, einen Handbruch erlitten habe, der voraussichtlich eine Arbeitsunfähigkeit von cirka 10 bis 12 Wochen nach sich ziehen würde. Die Beklagte leistete auf eine Mahnung des Klägers hin die Vergütung für den Monat Mai 2003. Für den Monat Juni 2003 verweigerte die Beklagte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Kläger habe den Motorradunfall und damit seine Arbeitsunfähigkeit selbst grob fahrlässig verschuldet. Nach erfolgloser Geltendmachung vom 09.07.2003 mit Fristsetzung zum 12.07.2003 hat der Kläger am 16.07.2003 die vorliegende Klage erhoben. Mit der Klage verlangt er Vergütung für den Monat Juni 2003. Der Kläger hat behauptet, er habe sich bei dem Motorradunfall am 16.05.2003 einen Kahnbeinbruch zugezogen. Zum Zeitpunkt der polizeilichen Unfallaufnahme habe er noch keine Schmerzen verspürt, erst als er in den Abschleppwagen eingestiegen sei, habe er bemerkt, dass er in der Hand kein Gefühl gehabt habe. Er sei dann zunächst ins Krankenhaus nach Hagen gefahren, dort habe man nichts feststellen können, ihm jedoch geraten, am darauffolgenden Tag weitergehende Untersuchungen durchführen zu lassen. Am Samstag habe er sodann im Krankenhaus in Siegen eine weitergehende Röntgenaufnahme erstellen lassen, bei der sodann der Kahnbeinbruch und somit die Arbeitsunfähigkeit festgesellt worden sei. Der Kläger hat beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.583,52 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2003 zu zahlen, 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 102,26 € brutto nebst 5 % Zinsen seit dem 01.07.2003 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestritten. Des Weiteren hat sie die Auffassung vertreten, der Unfall sei vom Kläger grob fahrlässig verursacht worden, weil er viel zu dicht aufgefahren und mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit aufgefahren sei. Durch Urteil vom 28.05.2004 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 2.685,78 € festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Beweiswert der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den polizeilichen Unfallbericht nicht erschüttert worden sei. Aus dem Vortrag der Beklagten lasse sich ein grober Sorgfaltspflichtverstoß des Klägers nicht feststellen. Gegen dieses ihr am 24.06.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 13.07.2004 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.09.2004 am 21.09.2004 begründet. Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich weiterhin maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 28.05.2004 - 3 Ca 1618/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 28.05.2004 - 3 Ca 1618/03 - zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen. Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Dem Kläger steht im Monat Juni 2003 für die Zeit vom 01.06. bis 27.06.2003 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG zu. I. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen liegen in der Zeit vom 01.06. bis 27.06.2003 vor. 1. Der Kläger hat das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit in diesem Zeitraum durch die der Beklagten vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bewiesen. a) Der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu (vgl. BAG, Urteil vom 26.02.2003 - 5 AZR 122/02 - EzA § 5 EFZG Nr. 7; BGH, Urteil vom 16.10.2001 - VI ZR 408/00 - NZA 2002, 128; LAG Hamm, Urteil vom 20.02.2001, LAGE § 3 EFZG Nr. 72; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 5 Rdnr. 103 ff; Marienhagen/Künzl, EFZG, § 5 Rdnr. 15 a). Legt der Arbeitnehmer eine vom Arzt unterschriebene Bescheinigung vor, hat er regelmäßig den Beweis seiner zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung erbracht. b) Allein die Tatsache, dass eine Verletzung des Klägers dem polizeilichen Unfallbericht nicht zu entnehmen ist, führt nicht zur Erschütterung des Beweiswerts der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, wie auch das Arbeitsgericht festgestellt hat. Auf die zutreffende Begründung des Arbeitsgerichts wird verwiesen. 2. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass er die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ab 16.05.2003 selbst verschuldet hat. a) Schuldhaft im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt der Arbeitnehmer, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt, was nur bei vorsätzlichem, besonders leichtfertigem oder grob fahrlässigem Verhalten angenommen werden kann. Ob dieses Verhalten erfüllt ist, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BAG, Urteil vom 01.06.1983 - 5 AZR 536/80 - AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG; LAG Hamm vom 24.09.2003 - 18 Sa 785/03 - NZA-RR 2004, 61; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 3 Rz. 111; Marienhagen/Künzl, EFZG, § 3 EFZG Rz. 26). Das Gesetz schließt den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei eigenem Verschulden des Arbeitnehmers aus, weil es unbillig wäre, den Arbeitgeber mit der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu belasten, wenn der Arbeitnehmer zumutbare Sorgfalt sich selbst gegenüber außer Acht gelassen und dadurch seine Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. z.B. BAG, Urteil vom 11.03.1987 - 5 AZR 739/85 - AP Nr. 71 zu § 1 LohnFG; BAG, Urteil vom 11.11.1987 - 5 AZR 497/86 - AP Nr. 75 zu § 616 BGB). Im Streitfall hat der Arbeitgeber zu beweisen, dass der Arbeitnehmer besonders leichtfertig, grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat (BAG, Urteil vom 23.11.1971 - 1 AZR 404/70 - AP Nr. 9 zu § 1 LohnFG; BAG, Urteil vom 07.08.1991 - 5 AZR 410/90 - AP Nr. 94 zu § 1 LohnFG). b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist schon dem Tatsachenvortrag der Beklagten ein besonders grober Sorgfaltsverstoß des Klägers nicht zu entnehmen. aa) Der Kläger räumt zwar selbst ein, dass er, so wie im polizeilichen Unfallbericht festgehalten, zu spät bemerkt hat, dass das vor ihm fahrende Fahrzeug verkehrsbedingt bremsen musste und er deshalb auf den Pkw aufgefahren ist. Ein solches Verhalten ist fahrlässig, aber noch nicht grob fahrlässig, auch wenn der Kläger zu dicht aufgefahren war. bb) Aus den von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass der Kläger mit weit überhöhter Geschwindigkeit "herangebraust" sein muss. Die Tatsache, dass ein Sachschaden an beiden Fahrzeugen entstanden ist und auch die Höhe des Schadens lassen nicht den Schluss zu, dass der Kläger mit weit überhöhter Geschwindigkeit aufgefahren ist. Soweit die Beklagte für diese Behauptung die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens beantragt hat, fehlen konkrete Tatsachen, die der Sachverständige einem solchen Gutachten zugrunde legen könnte. Der Antrag der Beklagten führt zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis. II. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall endete mit dem 27.06.2003. Da sich der Unfall am Freitag, dem 16.05.2003, gegen 18.00 Uhr nach Arbeitsschluss ereignete, begann die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG am 17.05.2003 zu laufen und endete am Freitag, dem 27.06.2003. Damit stehen dem Kläger für den Monat Juni 2003 lediglich 27 Kalendertage Entgeltfortzahlung zu, so dass er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 2.417,20 € (2.685,78 € : 30 x 27) hat. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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