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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: 18 Sa 1411/03
Rechtsgebiete: BMTV, ArbGG, ZPO
Vorschriften:
BMTV § 6 | |
BMTV § 6.2 | |
BMTV § 6.2.1 | |
BMTV § 6.3 | |
BMTV § 6.3.1 | |
BMTV § 6.3.1 Satz 2 | |
BMTV § 6.4 | |
ArbGG § 69 Abs. 2 | |
ZPO § 447 | |
ZPO § 448 |
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 09.07.2003 - 5 Ca 1157/03 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Zahlung eines tariflichen Wochenendfahrgeldes.
Der am 23.04.1955 geborene Kläger ist seit dem 10.09.1990 bei der Beklagten als Monteur/Schlosser tätig.
Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der zwischen den Parteien am 06.09.1990 geschlossene Montagezeitarbeitervertrag (Bl. 8 und 9 d.A.), in dem u.a. Folgendes geregelt ist:
Die Einstellung erfolgt ab 10.09.1990 als Schlosser.
...
(2) Für alle Arbeits- und Lohnbedingungen gelten die Bestimmungen des Manteltarifvertrages und des Lohntarifvertrages der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen und des Bundesmontagetarifvertrages in ihrer jeweils gültigen Fassung, soweit dieser Vertrag keine andere Regelung trifft.
...
(17) Vereinbarungen außerhalb dieses Vertrages bestehen zwischen den Parteien nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages sind nur rechtswirksam, wenn sie schriftlich bestätigt werden.
...
In der Zeit vom 27.11.2002 bis zum 18.05.2003 war der Kläger auf einer Baustelle der Beklagten bei der Firma Z1xxxxx in B2xxxxxx-G1xxxxxx, An der G2xxxxxxxx, eingesetzt. Nach der Behauptung des Klägers betrug die kürzeste Entfernung zwischen dem Betriebssitz der Beklagten und der Baustelle in B2xxxxxx-G1xxxxxx 81,3 km. Mit Schriftsatz vom 18.05.2004 hat die Beklagte erstmals vorgetragen, dass die kürzeste Entfernung zwischen Betriebssitz und Baustelle 79,7 km betrage. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Entfernung von der Baustelle nach S1xxxxxxxxx, dem Wohnort des Klägers, 554,8 km beträgt.
Mit Schreiben vom 07.03.2003 (Bl. 5 d.A.) machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung von Wochenendfahrgeld für insgesamt 11 Wochenendheimfahrten in der Zeit vom 30.11.2002 bis zum 23.02.2003 geltend. In den weiteren Schreiben vom 22.04.2003 (Bl. 37 d.A.) und vom 12.06.2003 (Bl. 38 d.A.) machte der Kläger das Wochenendfahrgeld für jeweils drei weitere Wochenenden in den Monaten März und Mai 2003 geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Zahlung des Wochenendfahrgeldes nach § 6.3 des Bundestarifvertrags für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaus (BMTV) verpflichtet. Die Anwendung des Bundesmontagetarifvertrags sei im Arbeitsvertrag der Parteien ausdrücklich vereinbart worden. Allein der Umstand, dass die Beklagte derartige Gelder in der Vergangenheit nicht gezahlt habe, lasse seinen Anspruch nicht für die Zukunft entfallen. Dieses gelte um so mehr, als er über seine Rechte aus dem Tarifvertrag nicht umfassend informiert worden sei. Erst seitdem er in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werde, sei er von der dortigen Gewerkschaft vollständig über seine tariflichen Rechte informiert worden.
Der Kläger hat behauptet, er habe an folgenden Tagen Wochenendheimfahrten tatsächlich durchgeführt:
30.11./01.12.2002
07./08.12.2002
14./15.12.2002
04./05.01.2003
11./12.01.2003
18./19.01.2003
25./26.01.2003
01./02.02.2003
08./09.02.2003
15./16.02.2003
22./23.02.2003
15./16.03.2003
22./23.03.2003
29./30.03.2003
03./04.05.2003
10./11.05.2003
17./18.05.2003
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.807,29 EUR netto zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2003 zu zahlen;
die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn 1.531,24 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Anspruch des Klägers bestünde nicht, da sich in ihrem Betrieb eine negative betriebliche Übung herausgebildet hätte, die den tariflichen Normen vorgehen würde. So habe der Kläger weder 1997 noch 1998 entsprechende Wochenendfahrgelder geltend gemacht. Hierzu habe er sich auch nicht veranlasst gesehen, da hinsichtlich der Montageauslösesätze jeweils über den tariflichen Sätzen gezahlt worden sei. Bereits seit vielen Jahren würden Wochenendheimfahrten bei einer Entfernung von rund 90 Kilometern vom Betriebssitz nicht gesondert vergütet. Hiermit seien bislang alle Arbeitnehmer einverstanden gewesen.
Durch Urteil vom 09.07.2003 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 4.338,53 EUR festgesetzt.
In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Bundesmontagetarifvertrag komme auf das Arbeitsverhältnis kraft der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zur Anwendung. Die tariflichen Voraussetzungen des § 6.3 BMTV seien gegeben. Das tarifliche Wochenendfahrgeld stelle eine pauschalierte Aufwandsentschädigung dar. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger überhaupt - wie behauptet - die Heimfahrten tatsächlich durchgeführt habe.
Gegen dieses ihr am 25.07.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 25.08.2003 Berufung eingelegt und diese am 25.09.2003 begründet.
Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich auch weiterhin maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 09.07.2003 - 5 Ca 1157/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 09.07.2003 - 5 Ca 1157/03 - zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugin L2xxx-S2xxxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09.06.2004 verwiesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe:
A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf das begehrte Wochenendfahrgeld nach § 6.3 BMTV in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag nicht zu.
I. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Regelungen des Bundesmontagetarifvertrags Anwendung. In Ziffer 2 des Arbeitsvertrags ist die Geltung dieses Tarifwerks ausdrücklich vereinbart. Das Berufungsgericht teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass § 6.3 BMTV nicht durch eine negative betriebliche Übung verdrängt worden ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG verwiesen. Des Weiteren liegt eine schriftliche Bestätigung nach Ziffer 17 des Arbeitsvertrages nicht vor.
II. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist aber nicht bewiesen, dass der Kläger die von ihm behaupteten 17 Heimfahrten in der Zeit vom 30.11.2002 bis 18.05.2003 tatsächlich durchgeführt hat.
1. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist nach § 6.3 BMTV die Entstehung des Anspruchs auf das Wochenendfahrgeld von der tatsächlichen Durchführung der Wochenendheimreise abhängig.
Der Anspruch auf das tarifliche Wochenendfahrgeld bei Fernmontagen in Entfernungen bis 180 km entsteht nur, wenn die Heimreise tatsächlich angetreten wird. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Vorschrift.
a) Die Auslegung von Tarifverträgen folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln.
Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lassen sich auch so zuverlässige Auslegungsergebnisse nicht gewinnen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Anhaltspunkte wie die Tarifgeschichte, die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags und die praktische Tarifübung zurückgreifen. Auch auf die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen fachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. z.B. BAG, Beschluss vom 21.03.2002 - 6 AZR 108/01 - NZA 2003, 112; BAG, Urteil vom 18.08.1999 - 4 AZR 247/98 - NZA 2000, 432, 433; BAG, Urteil vom 28.07.1999 - 4 AZR 175/98 - NZA 2000, 41, 42; BAG, Urteil vom 11.11.1998 - 5 AZR 63/98 - NZA 1999, 605; BAG, Urteil vom 16.06.1998 - 5 AZR 97/97 - NZA 1998, 1288, 1290).
b) Dem Wortlaut der tariflichen Vorschrift ist nicht zu entnehmen, dass das Wochenendfahrgeld als Aufwendungspauschale zu zahlen ist, unabhängig davon, ob die Heimfahrt angetreten wird oder nicht.
§ 6.3 BMTV regelt nicht pauschal die Mehraufwendungen, die am Montageort entstehen. Die tarifliche Vorschrift befasst sich konkret mit dem Aufwendungsersatz bei Wochenendheimfahrten. Nach § 6.3.1 BMTV besteht bei Wochenendheimfahrten allein ein Anspruch auf das Fahrgeld. Bezüglich der Fahrtkostenentschädigung ist lediglich der Entfernungskilometersatz pauschaliert (§ 6.3.2 BMTV).
§ 6.3.1 Satz 2 BMTV ordnet ausdrücklich an, dass die Wochenendheimreise außerhalb der Arbeitszeit stattfindet. Dieser Satz wäre unnötig, wenn der Anspruch unabhängig von der Durchführung der Heimfahrt entstehen würde.
c) Auch aus der Systematik der Regelung des tariflichen Aufwendungsersatzes bei Fernmontage für Montagestammarbeiter in § 6 BMTV ergibt sich, dass der Anspruch nach § 6.3 BMTV auf ein Wochenendfahrgeld nur entsteht, wenn die Heimreise tatsächlich durchgeführt wird.
aa) Die Mehraufwendungen, die am Montageort entstehen, werden durch die Fernauslösung, die in § 6.2 BMTV geregelt ist, pauschal erstattet. § 6.2.1 BMTV enthält die ausdrückliche Regelung, dass die Auslösung eine Pauschalerstattung der Mehraufwendungen am Montageort ist.
bb) Eine solche Regelung fehlt in § 6.3 BMTV bezüglich der Zahlung des Wochenendfahrgeldes bei Fernmontagen in Entfernungen bis 180 km. Schon aus der tariflichen Trennung zwischen der Auslösung in § 6.2 BMTV und des Wochenendfahrgeldes in § 6.3 BMTV ergibt sich, dass das Wochenendfahrgeld keine Auslösung im weiteren Sinne ist. § 6.3 BMTV enthält eine eigenständige Regelung des Wochenendfahrgeldes für Wochenendheimreisen, die auch tatsächlich durchgeführt werden.
cc) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bezieht sich die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.09.1991 - 7 AZR 91/90 - nicht auf den tariflichen Anspruch auf das Wochenendfahrgeld, sondern auf die Fernauslösung nach § 6.4 BMTV in der Fassung vom 30.04.1980, eine Regelung, die inhaltlich im Wesentlichen identisch ist mit der Regelung in § 6.2 BMTV in der Fassung vom 20.06.2001.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht bewiesen, dass der Kläger die behaupteten 17 Wochenendheimfahrten in der Zeit vom 30.11.2002 bis 18.05.2003 tatsächlich auch durchgeführt hat.
a) Die Aussage der Zeugin L2xxx-S2xxxxx war schon nicht ergiebig.
Die Zeugin hat zwar bekundet, dass der Kläger in der Zeit vom 30.11.2002 bis zum 18.05.2003 an jedem Wochenende nach S1xxxxxxxxx in seine Wohnung zurückgekehrt ist außer an zwei oder drei Wochenenden. Sie konnte sich aber nicht mehr erinnern, an welchen konkreten zwei oder drei Wochenenden eine Heimfahrt nicht stattgefunden hat. Damit konnte sie auch nicht positiv die Wochenenden konkret bestimmen, an denen der Kläger zur gemeinsamen Wohnung heimgefahren ist.
b) Eine Parteivernehmung des Klägers nach § 447 ZPO konnte schon nicht durchgeführt werden, da die Beklagte nicht einverstanden war.
c) Das Berufungsgericht musste weiter von einer Parteivernehmung nach § 448 ZPO Abstand nehmen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren.
Nach § 448 ZPO kann das Gericht von Amts wegen die Vernehmung einer Partei über die Tatsache anordnen, wenn das Ergebnis der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme nicht ausreicht, um die Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Vernehmung der Zeugin L2xxx-S2xxxxx liegt schon der gesetzlich geforderte Anfangsbeweis nicht vor, da die Aussage der Zeugin nicht ergiebig war.
B. Nach alledem hat das Rechtsmittel Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
Ende der Entscheidung
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