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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.07.2003
Aktenzeichen: 18 Sa 215/03
Rechtsgebiete: EFZG, SGB VI


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1
SGB VI § 44 Abs. 2
1. Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG kann auch dann gegeben sein, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass sie den Arbeitnehmer dauernd erwerbsunfähig macht.

2. Ist ein im Erziehungsurlaub/in der Elternzeit erkrankter Arbeitnehmer nach Beendigung des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit weiterhin arbeitsunfähig krank im Sinne des § 3 Abs. 1 EFZG, so ist der Arbeitgeber mit Ablauf des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet. Auf die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 EFZG, die in diesem Fall mit Ablauf des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit beginnt, wird die Dauer der Arbeitsunfähigkeit während des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit nicht angerechnet.


Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

18 Sa 215/03

Verkündet am: 09.07.2003

In Sachen

hat die 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 09.07.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Knipp sowie die ehrenamtlichen Richter Biederlack und Stelter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 09.01.2003 - 3 Ca 1682/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall.

Die am 21.01.12xx geborene Klägerin war in der Zeit vom 01.08.1995 bis zum 28.02.2003 bei dem Beklagten, der als Zahnarzt tätig ist, als medizinisch-technische Fachangestellte tätig. Ihr Bruttogehalt betrug zuletzt 1.687,26 Euro. Die Klägerin ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Bis zum 12.02.2002 befand sich die Klägerin im Erziehungsurlaub. Auf ihren Antrag vom 25.09.2001 hin wurde der Klägerin mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 10.04.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet für die Zeit vom 01.05.2002 bis zum 31.10.2003 bewilligt. In dem Bescheid heißt es unter anderem:

"... Rentenart

Sie haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Der Rentenanspruch ist zeitlich begrenzt, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann.

Die Anspruchsvoraussetzungen sind ab dem 19.10.2001 erfüllt.

Beginn der Rente

Die Rente auf Zeit wird ab Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs. 1 SGB VI). Als Rentenantrag gilt nach § 116 Abs. 2 SGB VI der am 25.09.2001 gestellte Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ..."

In der Zeit vom 13.02. bis zum 27.03.2002 war die Klägerin arbeitsunfähig krank.

Der Beklagte lehnte die Zahlung der Entgeltfortzahlung für diesen Zeitraum ab.

Mit der vorliegenden, am 17.07.2002 erhobenen Klage hat die Klägerin den Anspruch gerichtlich geltend gemacht.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.338,00 € brutto zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Entgeltfortzahlungsanspruch für diesen Zeitraum stehe der Klägerin nicht zu. Die Klägerin sei in der Zeit vom 13.02.2002 bis 27.03.2002 erwerbsunfähig gewesen. Dies schließe das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 EFZG aus. Des Weiteren sei am 13.02.2002 schon die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 EFZG abgelaufen. Auch wenn die Klägerin arbeitsfähig gewesen wäre ab 13.02.2002, sei es ihr wegen ihrer persönlichen Verhältnisse nicht möglich gewesen, ihre vertraglich geschuldete Vollzeittätigkeit zu erbringen.

Durch Urteil vom 09.01.2003 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 2.338,00 € festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die gesetzliche Sechswochenfrist habe erst mit Beendigung des Erziehungsurlaubs am 13.02.2002 zu laufen begonnen. Auf den Entgeltfortzahlungsanspruch habe die Frage, ob der Rentenantrag verspätet gestellt worden sei, keine Bedeutung. Der Beginn der Rente sei verbindlich im Bescheid festgesetzt worden.

Gegen dieses ihm am 16.01.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Beklagte am 11.02.2003 Berufung eingelegt und diese am 11.03.2003 begründet.

Der Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt sich im Wesentlichen weiterhin auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 09.01.2003 - 3 Ca 1682/02 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 09.01.2003 - 3 Ca 1682/02 - zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Klägerin steht der begehrte Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall für die Zeit vom 13.02.2002 bis zum 27.03.2002 gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG zu.

I. Die Klägerin war in der Zeit vom 13.02.2002 bis zum 27.03.2002 infolge Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert, ohne dass sie ein Verschulden traf.

1. Dass die Klägerin nach dem Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 10.04.2002 die Anspruchsvoraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 29.10.2001 erfüllt, schließt das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit nach § 3 Abs. 1 EFZG nicht aus.

Eine Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG kann auch dann gegeben sein, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass sie den Arbeitnehmer dauernd erwerbsunfähig macht (vgl. BAG, Urteil vom 22.12.1971 - 1 AZR 180/71 - AP Nr. 2 zu § 6 LohnFG). Erwerbsunfähigkeit ist nicht unbedingt mit Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verbunden. Der Begriff setzt nach der Definition in § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann (vgl. Vossen, EFZG, 1997, Rz. 93).

2. Des Weiteren besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch dann, wenn die Krankheitsursache nicht mehr behoben werden kann (vgl. Feichtinger, HwB AR, Stichwort 1080, Entgeltfortzahlung, Rz. 26).

II. Entgegen der Auffassung des Beklagten begann die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 EFZG erst nach Ablauf des Erziehungsurlaubs der Klägerin am 13.02.2002 zu laufen, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat.

1. Im Regelfall entsteht der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung mit Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (vgl. Schmitt, EFZG, 4. Aufl., § 3, Rz. 124; Brecht, EFZG, 2. Aufl., § 3 , Rz. 46 a; Vossen, EFZG, Rz. 179).

2. Aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung in § 3 Abs. 1 EFZG ergibt sich als Ausnahme, dass es zu einer Verschiebung des Beginns des Entgeltfortzahlungszeitraums kommt, wenn das Arbeitsverhältnis bei Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ruht.

a) Die gesetzliche Vorschrift in § 3 Abs. 1 EFZG soll sicherstellen, dass der Arbeitnehmer bei Krankheit bis zu sechs Wochen in seiner Lebensgrundlage nicht beeinträchtigt wird, als diese auf seinem Arbeitseinkommen beruht. Der Arbeitnehmer soll seinen Vergütungsanspruch für die durch unverschuldete Krankheit herbeigeführte Arbeitsverhinderung nicht verlieren. Daher kann der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur für die Zeit bestehen, in der der Arbeitnehmer ohne Arbeitsverhinderung seine Dienste hätte leisten können und müssen und er auch den Vergütungsanspruch gehabt hätte. Ruht das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt, dann ist die Arbeitsverhinderung infolge der Erkrankung für die Frage des Vergütungsfortzahlungsanspruches und für die Frage des Zeitraumes, in dem dieser zu erfüllen ist, ohne Bedeutung (vgl. BAG, Urteil vom 26.08.1969 - 1 AZR 202/59 - AP Nr. 20 zu § 63 HGB; BAG, Urteil vom 03.03.1961 - 1 AZR 76/60 - AP Nr. 27 zu § 63 HGB).

b) Endet das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, so läuft von diesem Zeitpunkt an die normale Sechswochenfrist, denn es sind keine Gründe ersichtlich, den Arbeitgeber aus seiner sozialen Verpflichtung zu entlassen, solange er nicht die vom Gesetzgeber zugemuteten Leistungen voll erbracht hat (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 14.06.1974 - 5 AZR 467/73 - AP Nr. 36 zu § 1 LFZG; Rz. 41; S4xxxxx, EFZG, 4. Aufl., Rz. 129).

c) Diese Grundsätze gelten auch während des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit. In dieser Zeit ruht das Arbeitsverhältnis (vgl. BAG, Urteil vom 22.06.1988 - 5 AZR 526/87 - AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG).

Dauert die Arbeitsunfähigkeit über das Ende des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit hinaus fort, so ist der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat den Entgeltfortzahlungsanspruch für die vollen sechs Wochen des § 3 Abs. 1 EFZG. Auf die Sechswochenfrist wird die Dauer der Arbeitsunfähigkeit während des Erziehungsurlaubs/der Elternzeit nicht angerechnet (vgl. Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 5. Aufl., § 15 BErzGG Rz. 35; Schmitt EFZG, 4. Aufl. § 3 Rz. 135; Klempt, HzA, Mutterschutz/Elternzeit Rz. 375; Vossen, HzA, Entgeltfortzahlung Rz. 120 f; vgl. auch BAG Urteil vom 02.03.1971 - 1 AZR 284/70 - DB 1971, 1627 zur Erkrankung während der Freistellung nach dem Arbeitsplatzschutzgesetz).

III. Der Klägerin wäre die Erbringung ihrer Arbeitsleistung auch möglich gewesen, wenn sie nicht arbeitsunfähig krank gewesen wäre.

Soweit der Beklagte pauschal auf die häusliche Situation und die Betreuungsverpflichtungen der Klägerin verweist, lässt sich hieraus nicht der Schluss ziehen, dass der Klägerin auch im Falle der Nichterkrankung die Erbringung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit unmöglich gewesen wäre.

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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