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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 31.03.2004
Aktenzeichen: 18 Sa 2219/03
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 4
Auch wenn die Leistungsunfähigkeit eines Arbeitnehmers auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist, ergibt sich aus der erhöhten Fürsorgepflicht für den Arbeitgeber nicht die Verpflichtung, einen leidensgerechten Arbeitsplatz freizukündigen oder durch Änderungskündigung zu schaffen.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 20.11.2003 - 1 Ca 677/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten vom 20.03.2003.

Der am 25.05.1966 geborene, ledige Kläger ist seit dem 02.11.1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Dachdeckergehilfe beschäftigt. Zuletzt betrug seine Monatsvergütung 1.728,-- EUR. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 21.10.1992, in dem u.a. Folgendes vereinbart wurde:

"1. Das Arbeitsverhältnis beginnt am 02. November 1992.

Der Arbeitnehmer ist zur Leistung aller Arbeiten verpflichtet, die im Betrieb anfallen."

Die Beklagte beschäftigte zum Zeitpunkt der Kündigung ca. 65 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist nicht gewählt.

Am 24.01.2002 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall auf dem Werksgelände der Firma D2xxxxx C1xxxxxx AG in Bad C2xxxxxxx. Der Kläger stürzte von einer Leiter und zog sich hierbei einen Fersenbeinbruch am linken Fuß und einen Oberarmkopfbruch rechts zu. Wegen dieser Erkrankung war der Kläger arbeitsunfähig krank bis zum 18.02.2003. Seit dem 19.02.2003 befindet sich der Kläger in einer Umschulmaßnahme.

Mit Schreiben vom 05.03.2003 teilte er der Beklagten u.a. Folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr S2xxxxx,

aufgrund der verbleibenden Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 24.01.2002 möchte ich Ihnen mitteilen, dass es mir zur Zeit nicht möglich ist, den Beruf des Dachdeckers auszuführen.

Ich bin seit dem 18.02.2003 gesund geschrieben und nehme seit dem 19.02.2003 an einer Aktion für Arbeit "strategische Berufswegplanung", die von der BauBG in Bremen unterstützt wird, teil.

Hiermit möchte ich Sie bitten, meinen Arbeitsvertrag bis auf Weiteres ruhen zu lassen."

Mit Schreiben vom 20.03.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2003 wie folgt:

"Sehr geehrter Herr H5xx,

leider müssen wir Ihnen unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31.07.2003 personenbedingt kündigen.

Aufgrund Ihrer uns mit Schreiben vom 05.03.2003 mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen können Sie für die gemäß Ihres Arbeitsvertrages auszuführenden Arbeiten in unserem Unternehmen nicht eingesetzt werden.

Es ist uns auch nicht möglich, auch nicht durch Umsetzung, einen leidensgerechten Arbeitsplatz für Sie zu schaffen."

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit der vorliegenden, am 10.04.2003 erhobenen Kündigungsschutzklage gewehrt.

Der Kläger hat behauptet, er könne auf anderen Arbeitsplätzen bei der Beklagten beschäftigt werden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.03.2003 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, ihr stünde kein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung, auf dem sie den Kläger beschäftigen könne.

Durch Urteil vom 20.11.2003 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Den Streitwert hat es auf 5.184,-- EUR festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, wegen der Leistungsunfähigkeit des Klägers als Dachdecker sei trotz der erhöhten Fürsorgepflicht der Beklagten, die sich aus dem Arbeitsunfall ergebe, die Kündigung sozial gerechtfertigt, da im Betrieb der Beklagten kein anderer leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden sei.

Gegen dieses ihm am 27.10.2003 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 29.12.2003 Berufung eingelegt und diese am 27.01.2004 begründet.

Der Kläger stützt die Berufung maßgeblich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er ist der Auffassung, dass er weiterhin im Betrieb der Beklagten eingesetzt werden könne mit Tätigkeiten ohne dauerhafte und starke körperliche Belastungen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 20.11.2003 - 1 Ca 677/03 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.03.2003 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 20.11.2003 - 1 Ca 677/03 - zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 20.03.2003 mit Wirkung zum 31.07.2003 aufgelöst worden. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG.

I. Das Kündigungsschutzgesetz kommt auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung (§ 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG).

II. Nach § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

Die Kündigung der Beklagten vom 20.03.2003 ist durch Gründe bedingt, die in der Person des Klägers liegen, nämlich krankheitsbedingt.

Bei einer krankheitsbedingten Kündigung ist die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung in drei Stufen vorzunehmen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 07.11.2002 - 2 AZR 599/01 - AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969, Krankheit). Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustands erforderlich (erste Stufe). Sodann müssen die zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustands des Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (zweite Stufe). Schließlich ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (dritte Stufe).

2. Die dauernde Unmöglichkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, begründet grundsätzlich eine negative Zukunftsprognose. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen gegeben.

Der Kläger ist für seine vertraglich geschuldete Tätigkeit als Dachdeckergehilfe aufgrund des Betriebsunfalls leistungsunfähig krank. Beide Parteien gehen davon aus, dass der Kläger die vertraglich geschuldete Leistung eines Dachdeckergehilfen nicht mehr erbringen kann.

Die vertraglich geschuldete Tätigkeit des Klägers ist auch die eines Dachdeckergehilfen. Unstreitig ist er als solcher eingestellt und auch eingesetzt worden. Insoweit ergibt die Auslegung der Regelung in Ziffer 1 des Arbeitsvertrags (§ 133, § 157 BGB), dass der Kläger im Rahmen seiner vertraglichen Tätigkeit als Dachdeckergehilfe zur Leistung aller Arbeiten verpflichtet ist, die im Betrieb der Beklagten anfallen.

3. Mit der Leistungsunfähigkeit ist auch regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen verbunden, da der leistungsunfähige Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf Dauer nicht mehr zur Disposition zur Verfügung steht.

4. Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen liegt nicht vor, wenn der für die vertraglich geschuldete Tätigkeit leistungsunfähige Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, auf dem er voll einsatz- und leistungsfähig sein könnte.

a) Der Arbeitgeber ist verpflichtet - insbesondere nach einem Betriebsunfall -, den leistungsunfähigen Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen, falls ein solcher gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist. Gegebenenfalls hat der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts freizumachen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 29.01.1997 - 2 AZR 9/96 - AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969, Krankheit).

b) Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit die Darlegungs- und Beweislast. Wenn der Arbeitgeber zunächst pauschal behauptet, es bestehe keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, so muss aber der Arbeitnehmer darlegen, wie er sich eine andere Beschäftigung vorstellt und dass er trotzt seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung diese Tätigkeit ausüben kann. Die den Vorstellungen des Arbeitnehmers entsprechende Tätigkeit muss seinem Leiden adäquat sein, was sich aus seinem Sachvortrag ergeben muss (vgl. z.B. BAG Urteil vom 26.05.1977 - 2 AZR 201/76 - AP Nr. 14 zu § 102 BetrVG1972; Bernadi, NZA 1999, 683).

c) Schon diesen Anforderungen an die Darlegungslast wird der Vortrag des Klägers nicht gerecht.

Der Kläger stellt sich vor, dass er mit Tätigkeiten betraut werden kann ohne dauerhafte, starke körperliche Belastungen, z.B. Arbeiten in der inneren Verwaltung, die spezielles Wissen eines Praktikers erfordern oder reine Hilfs- und Zulieferarbeiten und Arbeiten im Speditions- und Dispositionsbereich. Hier ist zu beachten, dass eine Betrauung mit Tätigkeiten der inneren Verwaltung und auch Arbeiten im Speditions- und Dispositionsbereich dem Kläger schon nicht im Rahmen des Direktionsrechts übertragen werden können. Im Übrigen fehlt ein Vortrag des Klägers, dass er von seiner Ausbildung und seinen Kenntnissen her in der Lage ist, solche Tätigkeiten auszuüben. Bei den reinen Hilfs- und Zulieferarbeiten ist nicht nachzuvollziehen, dass der Kläger diese auch gesundheitlich ausführen kann, denn bei einem Betrieb wie dem der Beklagten fallen auch hier dauerhafte und starke körperliche Belastungen an. Dass ein Arbeitsplatz, auf dem diese Tätigkeiten verrichtet werden, frei ist, hat der Kläger schon nicht vorgetragen. Er geht davon aus, dass in einem Betrieb, wie dem der Beklagten, ein solcher Arbeitsplatz freigemacht werden kann. Die Beklagte ist aber aus der wegen des Arbeitsunfalls gesteigerten Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, einen Arbeitsplatz frei zu kündigen oder durch Änderungskündigungen einen entsprechenden Arbeitsplatz zu schaffen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 29.01.1997 - 2 AZR 9/96 - a.a.O.; LAG Hamm, Urteil vom 20.01.2000 - 8 Sa 1420/99 - NZA-RR 2000, 239).

5. Auch die vorzunehmende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen.

Liegt Leistungsunfähigkeit vor, kann nur in seltenen Ausnahmefällen die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers ausfallen, etwa wenn der Arbeitnehmer aufgrund schwerwiegender persönlicher Umstände besonders schutzbedürftig ist und dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung unter diesen Umständen gegebenenfalls auf einem neu zu schaffenden Arbeitsplatz zuzumuten ist (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 21.02.1985 - 2 AZR 72/84 - RzK I 5 G Nr. 10). Berücksichtigt man die persönlichen Verhältnisse des Klägers und die Tatsache, dass Ursache der Leistungsunfähigkeit ein nicht von der Beklagten verschuldeter Betriebsunfall im Betrieb der Beklagten ist, so liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor. Anders wäre eventuell die Interessenabwägung zu beurteilen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einen vom Arbeitgeber verursachten Arbeitsunfall beruhen würde (vgl. KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG, Rdnr. 377), was nicht der Fall ist.

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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