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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: 18 Sa 996/02
Rechtsgebiete: BUrlG, MTV Metall NRW


Vorschriften:

BUrlG § 7 Abs. 4
BUrlG § 13 Abs. 1
MTV Metall NRW § 11 Nr. 3
Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer freistellen unter Anrechnung auf den Urlaubsanspruch, so muss die hiermit verbundene Urlaubsgewährung nach § 7 Abs. 1 BUrlG für den Arbeitnehmer klar und eindeutig (§ 133 BGB) erklärt werden.

Aus der Erklärung, ein Arbeitnehmer sei von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, ergibt sich für den Arbeitnehmer nur, dass der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung die Annahme der Arbeit mit den Folgen des Annahmeverzugs verweigert.

Die Urlaubserteilung erfolgt durch eine (Willens-) Erklärung des Arbeitgebers. Aus der Erklärung muss für den Arbeitnehmer erkennbar sein, dass der Arbeitgeber ihn in Erfüllung der Verpflichtung zur Urlaubsgewährung durch die zeitliche Festlegung der Arbeitsbefreiung von den Arbeitspflichten freistellt.

Dem Urlaubsabgeltungsbegehren des Arbeitnehmers steht nicht die Einrede aus § 242 BGB entgegen, wenn der Arbeitnehmer sich während der Zeit der Freistellung nicht um die Urlaubsgewährung bemüht. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, während der Zeit der Freistellung Urlaub zu beantragen. Er kann sich auch nicht in der Zeit der Freistellung selbst beurlauben.


Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

Geschäfts-Nr.: 18 Sa 996/02

Verkündet am 04.09.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 04.09.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Knipp sowie die ehrenamtlichen Richter Menne und Hering

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 05.06.2002 - 2 Ca 103/02 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.943,73 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2002 zu zahlen.

Die Kosten des ersten Rechtszugs trägt der Kläger zu 55 % und die Beklagte zu 45 %. Die Kosten der Berufung werden dem Kläger zu 29 % und der Beklagten zu 71 % auferlegt.

Die Revision wird für keine der Parteien zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.721,22 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers.

Der am 27.02.1957 geborene, verheiratete Kläger war in der Zeit vom 01.09.1979 bis zum 30.11.2001 bei der Beklagten als Graveur tätig. Seine Vergütung betrug zuletzt 3.411,23 DM brutto. Die Beklagte betreibt ein technisches Unternehmen zur Herstellung und Bearbeitung von Tastaturen, Frontplatten, Industrieschildern etc.. Sie beschäftigt ca. 200 Arbeitnehmer. Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gewählt. Der Kläger war Mitglied des Betriebsrats. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommen die tariflichen Vorschriften für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW zur Anwendung.

Am 26.10. und 27.10.2000 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem Abteilungsleiter der Gravierabteilung Binder.

Die Beklagte sah in diesen Vorgängen schwere Pflichtverletzungen des Klägers und stellte diesen ab 27.10.2000 von der Erbringung der Arbeitsleistung frei.

Durch Entscheidungen des Arbeitsgerichts Herford (2 BV 22/00), des LAG Hamm (10 TaBV 11/01) und des Bundesarbeitsgerichts (2 ABN 40/01) wurde im Beschlussverfahren die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Klägers rechtskräftig ersetzt.

Mit Schreiben vom 29.11.2001, welches dem Kläger am 30.11.2001 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Die hiergegen vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage (ArbG Herford 2 Ca 1778/01) wurde rechtskräftig erstinstanzlich abgewiesen.

Mit Schreiben vom 10.12.2001 (Bl. 31 f d.A.) machte der Kläger u.a. Urlaubsabgeltung für 14 Urlaubstage aus dem Jahr 2000 und 28 Urlaubstage aus dem Jahr 2001 geltend.

Nach Ablehnung des Begehrens hat der Kläger am 24.01.2002 die vorliegende Klage anhängig gemacht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.276,20 € brutto nebst Zinsen entsprechend eines Zinssatzes von 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Urlaubsansprüche des Klägers aus dem Jahr 2000 seien bereits mangels einer Übertragung in das Jahr 2001 am 31.12.2000 verfallen. Als der Kläger am 27.10.2000 auf Grund eines zur fristlosen Kündigung berechtigenden Verhaltens von der Arbeitsleistung freigestellt wurde, sei zum Ausdruck gebracht worden, dass eventuelle Urlaubsansprüche hierauf anzurechnen seien. Im Übrigen seien Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers gemäß § 11 Nr. 3 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter und Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW (im Folgenden MTV genannt) auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch eine rechtswirksame fristlose Kündigung verfallen.

Durch Urteil vom 05.06.2002 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Den Streitwert hat es auf 4.276,20 € festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei gemäß § 11 Nr. 3 MTV verfallen. Im Übrigen sei die Geltendmachung der Urlaubsabgeltungsansprüche unter den gegebenen Umständen der Freistellung rechtsmissbräuchlich.

Gegen dieses ihm am 18.06.2002 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 01.07.2002 Berufung eingelegt und diese am 23.07.2002 begründet.

Der Kläger beschränkt die Berufung auf die Urlaubsabgeltungsansprüche für das Jahr 2001 in Höhe von 28 Urlaubstagen.

Er ist der Auffassung, dass die Urlaubsabgeltungsansprüche weder nach der tariflichen Vorschrift verfallen seien noch dass die Geltendmachung rechtsmissbräuchlich sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 05.06.2002 - 2 Ca 103/02 - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.721,22 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 05.06.2002 - 2 Ca 103/02 - zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.

Dem Kläger steht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG für das Jahr 2000 ein Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe von 20 Arbeitstagen zu.

I. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG wandelte sich der Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2001 mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.11.2001 (Zugang der Kündigung vom 29.11.2001) in einen Abgeltungsanspruch um. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses standen dem Kläger aus dem Urlaubsjahr 2001 28 Arbeitstage zu.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Anspruch nicht durch Gewährung des Urlaubs (§ 7 Abs. 1 BUrlG) im Rahmen der Freistellung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Eine hinreichend klare Urlaubserteilung durch die Beklagte liegt nicht vor.

1. Der Urlaubsanspruch ist ein durch das Bundesurlaubsgesetz bedingter Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, von den vertraglichen Arbeitspflichten befreit zu werden, ohne dass die Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts berührt wird (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 09.06.1998 - 9 AZR 43/97 - NZA 1999, 80 m.w.N.).

Die Urlaubserteilung erfolgt durch eine (Willens-) Erklärung des Arbeitgebers. Aus der Erklärung muss für den Arbeitnehmer erkennbar sein, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in Erfüllung der Verpflichtung zur Urlaubsgewährung durch die zeitliche Festlegung der Arbeitsbefreiung von den Arbeitspflichten freistellt (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 31.05.1990, AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit; BAG, Urteil vom 09.06.1998 - 9 AZR 43/97 - AP Nr. 23 zu § 7 BUrlG; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht, 2. Aufl., § 7 Rz. 5). Der Erklärung des Arbeitgebers muss hinreichend klar zu entnehmen sein, dass der Arbeitgeber Urlaub gewähren will (vgl. BAG, Urteil vom 23.01.2001 - 9 AZR 26/00 - NZA 2001, 597; BAG, Urteil vom 20.06.2000 - 9 AZR 405/99 - NZA 2001, 100).

2. Eine solch hinreichend klare Urlaubserteilung durch die Beklagte ist im vorliegenden Fall nicht vorgetragen.

Es kommt nicht darauf an - wie von der Beklagten zuletzt im Schriftsatz vom 29.05.2002 vorgetragen -, dass der Zeuge H4xxx bei der Erklärung der Freistellung jedenfalls davon ausgegangen ist, dass er damit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht habe, dass eventuelle Urlaubsansprüche auf die Freistellungszeit anzurechnen seien. Maßgeblich ist wie der Kläger als Empfänger dieser Erklärung diese verstehen durfte (§ 133 BGB).

Aus der Erklärung, ein Arbeitnehmer sei von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, ergibt sich für den Arbeitnehmer nur, dass der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung die Annahme der Arbeit mit den Folgen des Annahmeverzugs verweigert (vgl. Leinemann a.a.O., § 7 Rz. 6 BUrlG; Hohmeister, DB 1998, 1130 f; Hoß/Lohr, BB 1998, 2575, 2579 f).

II. Der Abfindungsanspruch beschränkt sich aber auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 24 Werktagen (= 20 Arbeitstage). Der darüber hinausgehende tarifliche Urlaubsanspruch ist nach § 11 Nr. 3 Satz 2 MTV verfallen.

1. Nach § 11 Nr. 3 Satz 2 MTV entfällt der Urlaubsabgeltungsanspruch ausnahmsweise, wenn der Arbeitnehmer durch eigenes schwerwiegendes Verschulden aus einem Grund entlassen worden ist, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, oder das Arbeitsverhältnis unberechtigt vorzeitig gelöst hat und in diesen Fällen eine grobe Verletzung der Treuepflicht aus dem Arbeitsverhältnis vorliegt.

Durch die rechtskräftigen Entscheidungen in dem Beschlussverfahren zwischen den Parteien ArbG Herford 2 BV 22/00 und in dem Kündigungsschutzverfahren zwischen den Parteien ArbG Herford 2 Ca 1778/01 steht fest, dass diese Voraussetzungen gegeben sind.

2. Soweit die tarifliche Regelung auch den gesetzlichen Urlaubsanspruch erfasst, ist sie gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG unwirksam (vgl. grundlegend BAG, Urteil vom 30.11.1977 - 5 AZR 667/76 - AP Nr. 4 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit).

a) Der gesetzliche Urlaub ist der Disposition der Tarifvertragsparteien entzogen. Dies gilt auch für sein Surrogat, die Urlaubsabgeltung. Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch steht ebenso wie der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht unter dem Vorbehalt eines vertragsgemäßen Verhaltens des Arbeitnehmers (vgl. auch Ziepke/Weiss, Kommentar zum MTV - Metall NRW, 4. Aufl., § 11 Anm. 9).

b) Dem Kläger steht auch der volle gesetzliche Jahresurlaub zu. Durch § 12 Nr. 2 MTV kann der gesetzliche Urlaub und damit auch sein Surrogat, der Abgeltungsurlaub nicht verkürzt werden (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 08.03.1984 - 6 AZR 442/83 - AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG).

III. Dem gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch steht nicht die Einrede aus § 242 BGB entgegen.

1. Das Abgeltungsbegehren des Klägers ist nicht rechtsmissbräuchlich, auch wenn das Arbeitsverhältnis wegen Pflichtverletzungen des Klägers durch wirksame fristlose Kündigung aufgelöst worden ist.

Nach der ab 01.04.1974 geltenden Rechtslage kommt es nicht mehr darauf an, ob eine grobe Verletzung der Treuepflicht vorliegt. Vielmehr soll der Abgeltungsanspruch auch bei vom Arbeitnehmer selbst verschuldeten Ausscheiden nach der Entscheidung des Gesetzgebers erhalten bleiben (vgl. z.B. Dersch/Neumann, BUrlG, 7. Aufl., § 7 Rz. 120).

2. Dem gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers steht auch nicht der Einwand der rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung gegenüber, weil der Kläger sich nicht während der Zeit der Freistellung um die Urlaubsgewährung bemüht hat.

a) Der Kläger hat die Urlaubserteilung durch die Beklagte nicht verhindert. Es stand der Beklagten frei, jederzeit während der Zeit der Freistellung zu erklären, dass die Zeit der Freistellung auf den Urlaubsanspruch angerechnet wird. Eine solche klare eindeutige Erklärung hat die Beklagte nicht abgegeben.

b) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts war es nicht Aufgabe des Klägers, von sich aus die Gewährung des Urlaubs während der Zeit der Freistellung zu beantragen, auch wenn er nicht mit einem Rückruf auf den Arbeitsplatz zu rechnen brauchte. Die alte Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 16.11.1968 (AP Nr. 3 zu § 7 BUrlG) ist durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.1994 (- 9 AZR 312/92 - NZA 1994, 652) überholt.

Will der Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Urlaubsgewährung erfüllen, so muss er klarstellen, dass er den Arbeitnehmer freistellen will zwecks Urlaubsgewährung. Hiergegen kann auch nicht eingewendet werden, der Kläger habe während der Freistellung den Urlaub selbst verwirklichen können. Der Arbeitnehmer kann sich nicht selbst beurlauben. Dies gilt selbst in dem Fall, in dem der Arbeitgeber wegen eines Beschäftigungsverbots dem Arbeitnehmer keine Arbeit zuteilen kann (BAG, Urteil vom 25.01.1994 - 9 AZR 312/92 - NZA 1994, 652; vgl. auch Leinemann/Linck, a.a.O., § 7 Rz. 7 und 9 BUrlG).

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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