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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.09.2006
Aktenzeichen: 18 Ta 539/06
Rechtsgebiete: ZPO, SGB XII


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 115 Abs. 3
ZPO § 120 Abs. 4
SGB XII § 90 Abs. 1
SGB XII § 90 Abs. 2
Eine für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung ist Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO.

Die dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Kosten sind im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu berücksichtigen. Als Anhaltspunkt für die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes typischerweise entstehenden Kosten kann derzeit im Regelfall die Höhe des Betrages für Ledige nach der Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII dienen.


Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der PKH-Abänderungsbeschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.06.2006 - 10 Ca 1080/06 - aufgehoben

Gründe:

I. Die ledige Klägerin hat am 06.03.2006 die Kündigungsschutzklage Arbeitsgericht Dortmund - 10 Ca 1080/06 - gegen die Beklagte anhängig gemacht.

Durch Beschluss vom 07.04.2006 hat das Arbeitsgericht Dortmund der Klägerin auf ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe mit Wirkung vom 24.03.2006 bewilligt und ihr Rechtsanwalt V1x beigeordnet. Die Bewilligung erfolgte mit der Maßgabe, dass die Klägerin keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten brauchte.

Der Rechtsstreit zwischen den Parteien 10 Ca 1080/06 wurde am 31.03.2006 durch folgenden Vergleich beendet:

1. Die Parteien sind sich darin einig, dass das Arbeitsverhältnis durch fristgerechte, arbeitgeberseitige, betriebsbedingte Kündigung zum 31.03.2006 enden wird.

2. Die Beklagte verpflichtet sich, an die klagende Partei für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 4.000,00 EUR brutto zu zahlen.

3. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt und die Bewertung enthält, dass die Klägerin die ihr übertragenen Arbeiten stets zur vollen Zufriedenheit erledigt hat.

4. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.

Durch Abänderungsbeschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.06.2006 ist der PKH-Bewilligungsbeschluss vom 13.04.2006 dahingehend abgeändert worden, dass die Klägerin zu den Kosten der Prozessführung einen sofort fälligen einmaligen Betrag in Höhe von 400,-- € aus ihrem Vermögen zu zahlen hat.

Gegen diesen der Klägerin am 28.06.2006 zugestellten und hiermit in Bezug genommenen Beschluss hat die Klägerin am 19.07.2006 sofortige Beschwerde eingelegt.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 21.07.2006 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 11 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässig und begründet.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hat die Klägerin keinen einmaligen Betrag in Höhe von 400,-- € aus ihrem Vermögen auf die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.

1. Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei, die Prozesskostenhilfe begehrt, ihr Vermögen einzusetzen, soweit es ihr zumutbar ist.

a) Eine für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung ist als Bestandteil des Vermögens im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO, § 11 a Abs. 3 ArbGG bei der Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl. BAG, Beschluss vom 22.12.2003 - 2 AZB 23/03 - RVGreport 2004, 196 f.; BAG, Beschluss vom 24.04.2006 - 3 AZB 12/05 - EzA - SD 2006, Nr. 11, 12 f.; GK-ArbGG/Bader, § 11 a Rdnr. 87; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller/Glöge, ArbGG 5. Aufl., § 11 a Rdnr. 41; ErfK/Koch, 6. Aufl., § 11 a ArbGG Rdnr. 28).

b) Zum Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO zählen alle beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie geldwerte Forderungen und Rechte (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 115 Rdnr. 86). Da die Abfindung regelmäßig nicht der Erfüllung von geschuldetem Arbeitsentgelt dient, ist sie kein zeitraumbezogenes Einkommen, sondern Vermögensbestandteil (BAG, Beschluss vom 22.12.2003, a.a.O.).

c) Kündigungsschutzabfindungen sind nicht in einer solchen Weise zweckgebunden, dass eine Berücksichtigung als Vermögensbestandteil ausscheiden würde.

Die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG hat auch Entschädigungsfunktion für die Aufgabe des als "sozialer Besitzstand" anzusehenden Arbeitsplatzes (BAG, Urteil vom 25.06.1987 - 2 AZR 504/96 - EzA KSchG 1969, § 9 Nr. 23).

Mit Gewährung der Abfindung sollen alle unmittelbar mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen vermögensrechtlichen und immateriellen Nachteile des Arbeitnehmers abgegolten werden. Daneben stellt sie auch eine Überbrückungshilfe für den Fall dar, dass der Arbeitnehmer nicht sofort eine neue Arbeit findet und damit finanzielle Einbußen erleidet (vgl. z.B. KR-Spilger, 7. Aufl., § 10 KSchG Rdnr. 11 f).

Zu berücksichtigen ist aber, dass die Abfindung der freien Verfügung des Arbeitnehmers unterliegt und nicht der Erfüllung eines Zwecks. Das gilt vor allem für im Vergleichswege vereinbarte Kündigungsabfindungen nach §§ 9, 10 KSchG analog. Bei ihnen handelt es sich vielfach sogar um einen schlichten Risikoausgleich. Der Arbeitgeber wird sich oft zur Zah-lung einer Abfindung deshalb bereit finden, um einen möglichen Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Insbesondere bei hohen Abfindungsleistungen ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich, warum diese Beträge dem Arbeitnehmer verbleiben und stattdessen die Staatskasse die Kosten seiner arbeitsgerichtlichen Prozessführung tragen soll. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe als Leistung staatlicher Daseinsvorsorge soll gewährleisten, der bedürftigen Partei in gleicher Weise wie einer vermögenden Partei die Führung eines Prozesses zu ermöglichen und ihr den gleichen Zugang zum Verfahren zu verschaffen (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976, 2977). Weder aus dem Charakter einer vergleichsweise erzielten Abfindung noch aus dem Zweck der Prozesskostenhilfe kann erkannt werden, dass eine solchermaßen vereinbarte Abfindung als Bestandteil des Vermögens des Arbeitnehmers bei der Betrachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu berücksichtigen ist (BAG, Beschluss vom 22.12.2003, aa0).

2. Die der Klägerin zugeflossene Abfindung war aber nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur einzusetzen, soweit es ihr zumutbar war. Der Einsatz von 400,-- € aus der erhaltenen Abfindung war der Klägerin nicht zuzumuten.

a) Nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO gilt § 90 SGB XII entsprechend. Die sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmen typisierend, bis zu welcher Höhe das Vermögen des Antragstellers geschont werden soll. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht von der Verwertung bzw. dem Einsatz kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Dabei beträgt das Schonvermögen für den Antragsteller 2.600,00 €, so auch im vorliegenden Fall für die Klägerin.

b) Bei Prüfung der Zumutbarkeit des Einsatzes einer Abfindung ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes typischerweise Kosten entstehen, etwa für Bewerbungen, Fahrten, unter Umständen auch Schulungen und Umzug. Die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Kosten hängt von zahlreichen Faktoren ab, unter anderem von seiner beruflichen Qualifikation und seinem Alter sowie den Gegebenheiten des jeweiligen Arbeitsmarktes. Diese sind oft nicht leicht zu vermitteln. Zudem ist bei Zufluss der Abfindung und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach § 120 Abs. 4 ZPO oft noch nicht absehbar, ob und gegebenenfalls welche weiteren Kosten dem Arbeitnehmer in Zukunft infolge des Verlustes des Arbeitsplatzes noch entstehen werden. Aus Gründen der Praktikabilität erweist sich eine Typisierung als erforderlich. Als Anhaltspunkt für die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes typischerweise entstehenden Kosten kann derzeit im Regelfall die Höhe des Betrages für Ledige nach der Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII dienen (vgl. BAG, Beschluss vom 24.04.2006 - 3 AZB 12/05 - aaO).

Besonderheiten, die es rechtfertigen, im vorliegenden Fall hiervon abzuweichen, sind nicht gegeben.

c) Für die Klägerin bedeutet dies, dass sie neben dem Schonbetrag für sich selbst in Höhe von 2.600,-- € einen weiteren Betrag in Höhe von 2.600,-- € in Abzug bringen kann. Die ihr zugeflossene Abfindung liegt unter dem Gesamtbetrag von 5.200,-- € und war damit nicht einzusetzen.

III. Nach alledem hat das Rechtsmittel Erfolg.

Ende der Entscheidung

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