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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 1284/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO
Vorschriften:
ArbGG § 64 Abs. 6 | |
ZPO § 233 | |
ZPO § 234 Abs. 1 Satz 1 | |
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 | |
ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 | |
ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 2 |
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 11.07.2006 - 1 Ca 1/06 - aufgehoben.
Unter Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Arbeitsgericht Münster zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug darum, ob das Arbeitsgericht den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 04.04.2006 zu Recht als unzulässig verworfen hat.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt sowie den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat den Einspruch der Beklagten, der unstreitig um einen Tag verspätet erst am 19.04.2006 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, durch Urteil vom 11.07.2006 als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagten sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, denn sie habe den Wiedereinsetzungsantrag nach Ablauf der Zweiwochenfrist gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf neue, nachgeschobene Gründe gestützt, die nicht mehr berücksichtigt werden dürften. Zunächst habe sich die Beklagte ausschließlich auf eine verzögerte Postbeförderung der vollständig und richtig adressierten Einspruchsschrift berufen. Erstmals mit Schriftsatz vom 23.05.2006, beim Arbeitsgericht eingegangen am 26.05.2006, begründe sie den Wiedereinsetzungsantrag damit, dass die Einspruchsschrift von der Angestellten P2xxx versehentlich mit in einen an das Arbeitsgericht Hamm in einer anderen Sache adressierten Umschlag gelegt worden sei. Dieses Nachschieben von neuen Gründen sei unzulässig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit der dagegen eingelegten Berufung will die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erreichen. Dazu trägt sie vor, sie habe erstmals am 12.05.2006 davon erfahren, dass der an das Arbeitsgericht Münster adressierte Einspruchsschriftsatz zusammen mit den gleichlautenden Einsprüchen in den Parallelverfahren am 18.04.2006 beim Arbeitsgericht Hamm eingegangen und von dort als Irrläufer an das Arbeitsgericht Münster weitergeleitet worden sei. Erst daraufhin habe sie Veranlassung gehabt, weitere Nachforschungen über den Postausgang anzustellen. Tatsächlich sei das Einspruchsschreiben am 12.04.2006 nach 17:00 Uhr verfasst und unterschrieben worden. Die donnerstags zuständige Mitarbeiterin Frau P2xxx habe die Einspruchsschrift dann in diesem und den fünf Parallelverfahren versehentlich mit in einen an das Arbeitsgericht Hamm adressierten Umschlag gesteckt. Der Vorgang lasse sich zwar nicht mehr ganz genau rekonstruieren, aber es könne nur so gewesen sein, dass es sich um einen an das Arbeitsgericht Hamm in der Sache 3 Ca 633/06 adressierten Fensterumschlag gehandelt habe, in den die Einspruchsschriften versehentlich geraten seien. Deshalb hätte das Arbeitsgericht den zur Wiedereinsetzung ausführlich begründeten Schriftsatz vom 23.05.2006 berücksichtigen müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 11.07.2006 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an eine andere Kammer des Arbeitsgerichts Münster zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogene Akte Arbeitsgericht Hamm 3 Ca 633/06L Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht.
I
Der Beklagten ist bezüglich der Versäumung der Einspruchsfrist gemäß §§ 234, 236 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn sie war unverschuldet daran gehindert, die am 18.04.2006 ablaufende Einspruchsfrist gemäß § 59 ArbGG einzuhalten. Zur Überzeugung des Berufungsgerichts steht fest, dass der verspätete Eingang der Einspruchsschrift am 19.04.2006 nicht auf ein der Beklagten zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurückzuführen ist. Vielmehr ist glaubhaft gemacht, dass die Einspruchsschrift versehentlich einem Schriftsatz beigefügt worden ist, der am 13.04.2006 in der Sache G4xxxx ./. N1xxx - 3 Ca 633/06L gefertigt und an diesem Tag ebenfalls zur Post gegeben worden ist. Dies ergibt sich mit hinreichender Sicherheit aus der beigezogenen Akte Arbeitsgericht Hamm - 3 Ca 633/06L, denn dort befindet sich auf dem Schriftsatz vom 13.04.2006 (Bl. 11 der beigezogenen Akte) der Eingangsstempel des Arbeitsgerichts Münster vom 19.04.2006 mit dem handschriftlichen Vermerk "Irrläufer". Dies ist nur in der Weise erklärbar, dass dieser Schriftsatz zusammen mit dem Einspruch in dem vorliegenden und in den Parallelverfahren in einen Umschlag getan, sodann zur Post gegeben worden ist und deshalb beim Arbeitsgericht Münster eingegangen ist. Die Bediensteten der gemeinsamen Posteingangsstelle des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Hamm haben alles zusammen am 18.04.2006 an das Arbeitsgericht Münster weitergeleitet.
Dies wird dadurch bestätigt, dass nach den Nachforschungen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 13.04.2006 lediglich zwei Großbriefe herausgegangen sind. Dies Versehen der Büroangestellten ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht zuzurechnen, denn er kann darauf vertrauen, dass die Angestellte ordnungsgemäß dafür sorgt, fristgebundene Schriftsätze der Post zu übergeben. Das Einspruchsschreiben ist auch nicht verspätet herausgegangen, denn bei normaler Postbeförderung konnte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten damit rechnen, dass der am Gründonnerstag, 13.04.2006, zur Post gegebene Schriftsatz rechtzeitig innerhalb der einwöchigen Einspruchsfrist spätestens bis zum 18.04.2006 beim Arbeitsgericht eingeht.
II
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts scheitert der somit gegebene Wiedereinsetzungsgrund nicht darin, dass er erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist gemäß §§ 234 Abs. 1 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorgebracht worden ist. Es muss zunächst richtig gesehen werden, dass sowohl der Schriftsatz des Klägers vom 08.05.2006 als auch der Vermerk der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts vom 05.05.2006 dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten frühestens am 12.05.2006 zur Kenntnis gebracht worden sind. Das Arbeitsgericht hat den Prozessbevollmächtigten zunächst nur auf den verspäteten Eingang der Einspruchsschrift hingewiesen. Die dienstlichen Stellungnahmen des Wachtmeisters M1xxx vom 03.05.2006 und der Regierungsangestellten H2xxxxx waren diesem Hinweis nicht beigefügt. Die Stellungnahme der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts vom 05.05.2006 ist den Prozessbevollmächtigten nach dem Akteninhalt erst am 15.05.2006 übersandt worden. Demzufolge war die Verspätung für den Prozessbevollmächtigten der Beklagten angesichts des Eingangs beim Arbeitsgericht Münster und der richtigen Adressierung nur durch eine Verzögerung des Postlaufs erklärbar. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte zu diesem Zeitpunkt keine Veranlassung weitere Nachforschungen anzustellen. Wie in der Berufungsverhandlung erörtert, hätten solche Nachforschungen nicht zu neuen Erkenntnissen geführt, weil bei der herausgehenden Post nicht gesondert vermerkt wird, an wen sie herausgeht. Dies stellt auch kein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten dar, wenn nur, wie vorliegend, die erforderlichen Vorkehrungen zur Einhaltung der Frist getroffen worden sind. Erst durch die weiteren Mitteilungen hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erstmals am 12.05.2006 Veranlassung, der Sache nachzugehen und zu klären, wie es zu dem verspäteten Eingang beim Arbeitsgericht Münster gekommen sein konnte.
Allerdings handelt es sich bei dem mit Schriftsatz vom 23.05.2006 vorgebrachten Wiedereinsetzungsgrund um einen abweichenden Sachverhalt. Es ist aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben im Wiedereinsetzungsantrag, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, auch noch nach Ablauf der zweiwöchigen Antragsfrist erläutert oder vervollständigt werden können (BGH vom 05.10.1999 - VI ZB 22/99 - NJW 2000, 365). Hätte das Arbeitsgericht, wie an sich geboten, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Aktenvermerke über den beim Arbeitsgericht Hamm eingegangenen "Irrläufer" übersandt, hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sich damit auseinandersetzen und seinen Wiedereinsetzungsantrag nicht mit der verzögerten Postlaufzeit begründen können. Deshalb kann der erstmals mit Schriftsatz vom 23.05.2006 vorgebrachte Wiedereinsetzungsgrund nicht als verspätet zurückgewiesen werden, weil es sich dabei um eine Stellungnahme zu aufklärungsbedürftigen Tatsachen handelt, die ihm unverschuldet erst nach Stellung seines Wiedereinsetzungsantrags bekannt geworden sind.
Die später vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe sind auch deshalb zu berücksichtigen, weil das Hindernis gemäß § 234 Abs. 2 ZPO erst mit Kenntnis der Tatsachen über den Posteingang beim Arbeitsgericht Hamm behoben worden war, so dass die Zweiwochenfrist gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO erneut in Lauf gesetzt worden ist. Gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist in dem Schriftsatz der Beklagten vom 23.05.2006 ein neuer Antrag auf Wiedereinsetzung zu erblicken, denn eines ausdrücklichen Wiedereinsetzungsantrages bedarf es nicht. Auch ohne ausdrücklichen Antrag kann Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn wie vorliegend geschehen, die maßgeblichen Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen werden und die versäumte Prozesshandlung nachgeholt wird (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 236 RdNr. 5; BAG vom 11.01.1995 - 4 AS 24/94, NZA 1995, 515).
Der Beklagten ist daher hinsichtlich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 04.04.2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
III
Der Rechtsstreit war gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur anderweitigen Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen. Hat das Arbeitsgericht, wie vorliegend geschehen, einen Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen, hat das Berufungsgericht nur zu prüfen, ob der Einspruch gegebenenfalls wegen Wiedereinsetzung ordnungsgemäß war, ohne dass eine materiellrechtliche Prüfung der Klage stattfindet (Weth/Schwab, ArbGG, § 68, RdNr. 11; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., § 68, RdNr. 9, 10; Düwell/Breinlinger, ArbGG, 2. Aufl., § 68, RdNr. 17). Den für die Zurückverweisung erforderlichen Antrag hat die Beklagte gestellt. Das Arbeitsgericht wird daher aufgrund des zulässigen Einspruchs der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 04.04.2006 erneut über die Sache verhandeln müssen.
IV
Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, weil von der Aufhebung die gesamte erstinstanzliche Entscheidung betroffen ist und daher erneut über die Kostentragung entschieden werden muss (Germelmann, ArbGG, 5. Aufl., § 68, RdNr. 10).
V
Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.
Ende der Entscheidung
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