Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 04.06.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 1571/05 (1)
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 628 Abs. 2
KSchG § 10 Abs. 1
KSchG § 10 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 15.07.2005 - 1 Ca 2012/04 - teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass dem Kläger in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma W1 S1 GmbH & Co. KG über die vom Arbeitsgericht zuerkannten 16.433,82 € hinaus eine weitere Insolvenzforderung in Höhe von 30.128,67 € zusteht.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Nachdem das BAG das Berufungsurteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29.03.2006 bezüglich der zurückgewiesenen Berufung des Klägers aufgehoben und den Rechtsstreit insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen hat, streiten die Parteien nur noch darum, ob dem Kläger aus dem Gesichtspunkte des Auflösungsverschuldens gemäß § 628 Abs. 2 BGB als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine weitere Insolvenzforderung in Höhe von 30.128,67 € zusteht.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des Urteils vom 29.03.2006 Bezug genommen.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger als Schadensersatz gemäß § 628 Abs. 2 BGB nur den Verdienstausfall bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist zugebilligt, aber darüber hinaus keine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kostenausspruch und soweit es die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat, aufgehoben. Zur Begründung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, der Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB umfasse neben der entgangenen Vergütung auch eine angemessene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, der kumulativ zu dem Anspruch auf Ersatz des Vergütungsausfalls hinzutrete. Der Schaden bestehe in dem Verlust des durch das Kündigungsschutzgesetz vermittelten Bestandsschutzes. Nur für die Bemessung des Ausgleichs seien die Abfindungsregeln der §§ 9, 10 KSchG heranzuziehen. Es komme nicht darauf an, ob unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände eine Abfindung gezahlt worden wäre, sondern darauf, ob der Kläger sich in einem durch das Kündigungsschutzgesetz bestandsgeschützten Arbeitsverhältnis befunden habe. Der Entschädigungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes setze neben der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes weiter voraus, dass der Arbeitgeber nicht selbst hätte kündigen können, dass also kein Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bestanden habe. Nach dem Schutzzweck des § 628 Abs. 2 BGB sei der Einwand des Arbeitgebers, er habe seinerseits das Arbeitsverhältnis wegen eines Kündigungsgrundes gemäß § 1 Abs. 2 KSchG oder § 626 Abs. 1 kündigen können, erheblich. Der hypothetische Ausspruch einer Kündigung begrenze den durch die Schadensersatzpflicht gewährleisteten Schutz. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Kündigungsgegner sich auf seine Kündigungsmöglichkeit berufe und beweise, dass er sie ausgeübt hätte. Im vorliegenden Fall sei nicht die Annahme gerechtfertigt, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis hätte betriebsbedingt wegen Betriebsstilllegung kündigen können. Die wegen der erheblichen Lohnrückstände ausgesprochenen fristlosen Eigenkündigungen der Arbeitnehmer führten nicht zum Vorliegen einer vom Arbeitgeber geplanten oder durchgeführten Betriebsstilllegung. Es sei nicht festgestellt, ob die Arbeitgeberin die Kündigungsformulare im Hinblick auf eine von ihr geplante Betriebsstilllegung ausgeteilt hätte. Wenn die Stilllegung alsbald nach Insolvenzeröffnung erfolgt sei, deute dies darauf hin, dass der Stilllegungsbeschluss erst durch den Beklagten als Insolvenzverwalter gefasst worden sei. Dieser habe sich zwar auf die Betriebsstilllegung berufen, aber zum Zeitpunkt und Inhalt des Stilllegungsbeschlusses nichts vorgetragen. Um die die noch erforderlichen Feststellungen zur Betriebsstilllegung, insbesondere zum Zeitpunkt und Inhalt des Stilllegungsbeschlusses und zum Beginn der Umsetzung zu treffen, müsse der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Der Entschädigungsanspruch hänge davon ab, ob die Arbeitgeberin bereits am 07.03.2003 den Beschluss gefasst hätte, den Betrieb stillzulegen und durch die Mitteilung, Lohnzahlungen nicht mehr leisten zu können und die Ausgabe von Eigenkündigungsformularen mit der Umsetzung dieses Beschlusses begonnen hätte. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, wegen des später eröffneten Insolvenzverfahrens sei der Bestandsschutz des Klägers entfallen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des BAG vom 26.07.2007 - 8 AZR 817/06 - Bezug genommen.

Der Beklagte hat nach Zurückverweisung ergänzend vorgetragen, die Schuldnerin habe bei Insolvenzantragstellung ab 07.03.2003 noch 37 Arbeitnehmer beschäftigt, deren Löhne seit Dezember 2002 nicht mehr vollständig gezahlt worden seien. Deshalb hätten 36 Mitarbeiter im Anschluss an die auf den 07.03.2003 einberufene Betriebsversammlung fristlose Eigenkündigungen ausgesprochen, um Nachteile bei der Gewährung des Insolvenzgeldes zu vermeiden. Infolgedessen sei es am 07.03.2003 zu einer endgültigen Einstellung des Geschäftsbetriebes gekommen. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 18.03.2003 habe es keine geschäftlichen Aktivitäten mehr gegeben. Zu diesem Zeitpunkt sei der Geschäftsbetrieb bereits eingestellt gewesen.

Demgegenüber meint der Kläger, es stehe auch nach dem ergänzten Vortrag des Beklagten nicht fest, dass das Arbeitsverhältnis am 07.03.2003 betriebsbedingt wegen Betriebsstilllegung hätte gekündigt werden können. Es habe zu diesem Zeitpunkt noch kein Betriebsstilllegungsbeschluss vorgelegen. Außerdem sei bis zum Ausspruch der Eigenkündigung kein Interessenausgleich mit dem im Betrieb der Insolvenzschuldnerin gebildeten Betriebsrat versucht worden. Deshalb müsse der Beschluss zur Betriebsstilllegung erst nach Eigenkündigung der Mitarbeiter gefasst worden sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht gemäß § 628 Abs. 2 BGB als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Insolvenzforderung in Höhe der geltend gemachten 30.128,67 € zu.

I

1. Nach der Rechtsprechung des BAG kommt es maßgeblich darauf an, ob die Insolvenzschuldnerin das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers am 07.03.2003 selbst hätte kündigen können. Dies setzt gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG voraus, dass die Insolvenzschuldnerin zu diesem Zeitpunkt ernstlich und endgültig entschlossen war, den Betrieb stillzulegen und die vorhandene Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufzuheben. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Der Beklagte hat eine zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Stilllegungsabsicht der Insolvenzschuldnerin nicht behauptet. Er hat auch keine Tatsachen und Umstände vorgetragen, aus denen zweifelsfrei auf einen bereits am 07.03.2003 gefassten Stilllegungsbeschluss geschlossen werden kann. Insbesondere hat der Beklagte nicht dargelegt, dass die Aushändigung der Eigenkündigungsformulare an die Arbeitnehmer aufgrund eines Stilllegungsbeschlusses erfolgt sei. Der Beklagte hat vielmehr vorgetragen, dass es infolge der Eigenkündigungen tatsächlich zu einer endgültigen Einstellung des Geschäftsbetriebes gekommen sei. Dies rechtfertigt die Schlussfolgerung, dass ein betriebsbedingter Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, nämlich die tatsächliche Einstellung des Geschäftsbetriebes, erst nach Ausspruch der Eigenkündigungen eingetreten ist. Selbst wenn der Beklagte spätestens mit der Insolvenzeröffnung am 18.03.2003 die Möglichkeit gehabt hätte, eine sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG wegen Einstellung des Geschäftsbetriebes auszusprechen, wird der geltend gemachte Entschädigungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes dadurch nicht hinfällig. Maßgebend sind nämlich die Verhältnisse bei Ausspruch der Eigenkündigung am 07.03.2003. Fehlt es zu diesem Zeitpunkt aber an greifbaren Tatsachen und Umständen, die auf einen zu diesem Zeitpunkt bereits gefassten Stilllegungsbeschluss der Insolvenzschuldnerin schließen lassen, kann der Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, die Insolvenzschuldnerin hätte zu diesem Zeitpunkt selbst betriebsbedingt kündigen können. Es kommt nicht darauf an, ob der Betrieb nach den Eigenkündigungen der Mitarbeiter praktisch nicht mehr fortgeführt worden ist und der Beklagte nach Abschluss der Abwicklungsarbeiten bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 18.03.2003 eine betriebsbedingte Kündigung wegen Betriebsstilllegung hätte aussprechen können. Der betriebsbedingte Kündigungsgrund muss bei Ausspruch der Arbeitnehmerkündigungen bereits bestehen und darf nicht erst durch ihren Ausspruch entstehen.

2. Bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung sind die §§ 9, 10 KSchG entsprechend anwendbar (BAG, 26.07.2001, 8 AZR 739/00, NJW 2002, 1593).

3. Die Höhe der geltend gemachten Entschädigung ist gemäß § 10 Abs. 2 KSchG nicht zu beanstanden und vom Beklagten auch nicht gerügt worden. Die vom Kläger beanspruchte Abfindung in Höhe von elf Monatsverdiensten ist angesichts seiner 22-jährigen Betriebszugehörigkeit und seines Lebensalters gemäß § 10 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt.

II

Der Beklagte hat als insgesamt unterlegene Partei gemäß § 91 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Für die erneute Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

Zurück