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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.10.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 481/05
Rechtsgebiete: KSchG, InsO, BetrVG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 17
KSchG § 18
InsO § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
InsO § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BetrVG § 102 Abs. 1
BGB § 613 a Abs. 1 Satz 1
Keine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Verstoßes gegen die Massenentlassungsvorschriften. Vertrauensschutz bei Altfällen (hier: Kündigung des Insolvenzverwalters vom 25.06.2004).
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 10.02.2005 - 4 Ca 3894/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit ihrer am 02.07.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten zu 1., der das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.06.2004 fristgemäß zum 30.09.2004 gekündigt hat. Mit ihrer weiteren am 06.08.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen und verbundenen Klage will die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2. als Betriebserwerberin den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses feststellen lassen.

Die am 28.11.1962 geborene, verheiratete Klägerin war bei der Bäckerei und Konditorei und Café K3xx B2xxxxxxxx (Inhaber H1xxx P2xxxxxxxxxxx) seit dem 01.11.1998 als Verkäuferin tätig. Vorher arbeitete sie seit April 1989 als Aushilfe.

ber das Vermögen des Inhabers wurde am 01.03.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser schloss mit dem Betriebsrat am 24.06.2004 einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf der sich auch der Name der Klägerin befindet. Der Interessenausgleich beinhaltet die Umstrukturierung des Betriebes der Insolvenzschuldnerin aufgrund eines Erwerberkonzepts. Darin ist die Übernahme von drei Filialen ab 01.10.2004 durch die Beklagte zu 2. vorgesehen. Die übrigen sechs Filialen werden geschlossen bzw. teilweise vom Beklagten zu 1. fortgeführt, soweit dies aus wirtschaftlichen und mietvertraglichen Gründen möglich ist. Von den ursprünglich 55 Beschäftigten der Gemeinschuldnerin sind nach dem Interessenausgleich 20 namentlich genannte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlassen. Die von der Beklagten zu 2. zu übernehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Interessenausgleich ebenfalls namentlich aufgeführt.

Die Betriebsparteien vereinbarten Auswahlrichtlinien, wonach das Lebensalter für jedes vollendete Lebensjahr ab 25. Lebensjahr einen Punkt zählt, maximal 30 Punkte. Jedes vollendete Beschäftigungsjahr zählt mit zwei Punkten. Im Rahmen der Unterhaltsverpflichtung erhalten Verheiratete vier Punkte und pro 0,5 Kind laut Steuerkarte werden zwei Punkte berechnet. Die Schwerbehinderung zählt fünf Punkte. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Gruppen legten die Betriebsparteien fest, dass nur jeweils Verkäufer in Vollzeit und Verkäufer in Teilzeit miteinander vergleichbar sind. Dem Betriebsrat lag bei Abschluss des Interessenausgleichs eine komplette Personalliste mit den sozialen Daten aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin sowie zusätzlich eine Liste mit den errechneten Punkten vor.

Die Klägerin hält die Kündigung für sozialwidrig, weil die Auswahl der von der Beklagten zu 2. übernommenen Arbeitnehmer willkürlich sei. Sie sei mit der Arbeitnehmerin S3xxxxxxx, die wie sie 130 Stunden monatlich arbeite, sowie mit den Arbeitnehmerinnen Q1xxxx, K8xxxxx, S4xxxxx und R2xxxx vergleichbar. Sie sei auch bereit in Vollzeit zu arbeiten. Sie hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten, bei der Ermittlung der sozialen Punkte sei ihre Betriebszugehörigkeit nicht richtig berücksichtigt worden. Unter Zugrundlegung ihrer Betriebszugehörigkeit ab 01.10.1998 erreiche sie die 35 Punkte.

Der Beklagte zu 1. verweist bezüglich der Betriebsratsanhörung auf den Interessenausgleich. Zur Sozialauswahl hat er vorgetragen, dass Frau S3xxxxxxx mit der Klägerin nicht vergleichbar sei, weil sie 167 Stunden monatlich arbeite und mit 67 Sozialpunkten eine deutlich höhere Punktzahl als die Klägerin aufweise.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 10.02.2005 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei nicht gemäß § 613 a Abs. 4 BGB wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen worden, sondern aus betriebsbedingten Gründen aufgrund der Sanierung des Betriebes der Insolvenzschuldnerin. Die Betriebsbedingtheit der Kündigung sei gemäß den §§ 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG, 125 InsO zu vermuten, weil die Klägerin in dem Interessenausgleich namentlich als zukündigende Arbeitnehmerin bezeichnet werde. Die nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfende soziale Auswahl sei nicht zu beanstanden. Frau S3xxxxxxx gehöre einer anderen Vergleichsgruppe an, weil sie nicht teilzeitbeschäftigt sei. Eine Vergleichbarkeit der Klägerin mit der Betriebsratsfrau R2xxxx und der Aushilfe Frau K8xxxx scheide ebenfalls aus. Die Anhörung des Betriebsrats sei in zulässiger Weise mit der Erstellung der Namensliste verbunden worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Die Klägerin greift das Urteil mit ihrer Berufung in vollem Umfang an. Zur Begründung ihres Rechtsmittels trägt sie vor:

Das Urteil sei fehlerhaft, weil die Kündigung gemäß § 18 KSchG unwirksam sei. Der Beklagte habe der Agentur für Arbeit die Massenentlassung erst nach Ausspruch der Kündigung am 07.07.2004 angezeigt. § 18 KSchG sei aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung erfolgen müsse. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, weil ihm ihre Sozialdaten nicht richtig mitgeteilt worden seien. Die Arbeiternehmerin S3xxxxxxx arbeite ebenfalls 130 Stunden monatlich und sei nicht hochgestuft worden. Sie sei in allen drei Filialen, welche die Beklage zu 2. übernommen habe, tätig gewesen. Sie sei auch bereit, Vollzeit zu arbeiten.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

1. gegenüber dem Beklagten zu 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten zu 1. vom 25.06.2004 nicht aufgelöst worden ist und

2. gegenüber der Beklagten zu 2. festzustellen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2. ein Arbeitsverhältnis besteht, wonach die Klägerin gegen brutto 1.306,50 € monatlich und eine Arbeitszeit von 130 Stunden als Verkäuferin eingesetzt ist.

Der Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 2. beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil und treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Der Beklagte zu 1. trägt ergänzend vor, aus der erst nach Ausspruch der Kündigung erstatten Massenentlassungsanzeige ergäbe sich nicht die Unwirksamkeit der Kündigung. Es sei nicht möglich, die §§ 17, 18 KSchG richtlinienkonform auszulegen. Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folge, gelte der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Die veränderte Auslegung der Richtlinie könne keine Auswirkungen haben auf Sachverhalte, die vor Bekanntwerden der EuGH Entscheidung bereits abgeschlossen gewesen seien. Die soziale Auswahl sei nicht fehlerhaft, denn nach dem Erwerberkonzept hätten keine Teilzeitbeschäftigten weiterbeschäftigt werden sollen. Deshalb seien die Arbeitsverhältnisse sämtlicher teilzeitbeschäftigten Verkäuferinnen gekündigt worden. Ungeachtet einer höheren Punktzahl anderer Mitarbeiterinnen wäre die Klägerin in jedem Fall entlassen worden. Anders als von der Klägerin behauptet, arbeite die Mitarbeiterin S3xxxxxxx 167 Stunden monatlich. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden, denn auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit sei es bei den teilzeitbeschäftigten Verkäuferinnen nicht angekommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung des Beklagten zu 1. zum 30.09.2004 aufgelöst worden. Zwischen der Klägerin und Beklagten zu 2. besteht keine Arbeitsverhältnis. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden und überzeugend begründet. Auf seine Entscheidungsgründe wird gemäß § 68 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:

I.

Die Kündigung des Beklagten zu 1. ist aus dringenden betrieblichen Gründen, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen, gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Die Betriebsbedingtheit der Kündigung ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zu vermuten, weil der Beklagte zu 1. in Abstimmung mit der Beklagten zu 2. eine Betriebsänderung geplant hat, die eine Umstrukturierung des Betriebes der Insolvenzschuldnerin und eine daraus folgende Personalreduzierung um 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Gegenstand hatte. Dass die Betriebsänderung mit einer Betriebsveräußerung einher ging und die Umstrukturierung nach den Vorstellungen der Beklagten zu 2. erfolgte, ändert an der Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung nichts. § 128 Abs. 2 InsO stellt ausdrücklich klar, dass sich die Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO im Falle eines Betriebsübergangs auch darauf erstreckt, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt. Das Arbeitsgericht hat daher zu Recht die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 613 a Abs. 4 BGB verneint.

II.

Die Sozialwidrigkeit der Kündigung folgt auch nicht aus einer fehlerhaften sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Die Überprüfung der sozialen Auswahl ist vorliegend gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO auf den Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit beschränkt, weil die Klägerin in dem Interessenausgleich als zu entlassende Arbeitnehmerin ausdrücklich genannt wird. Die eingeschränkte Überprüfung bezieht sich auf den gesamten Vorgang der sozialen Auswahl und daher nicht nur auf die Gewichtung der sozialen Daten, sondern auch auf die Bildung der Vergleichsgruppen (BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 -, ZIP 2004, Seite 1271). Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen gebieten ein umfassendes Verständnis der sozialen Auswahl. Um die Sanierung insolventer Unternehmen durch Kündigungserleichterung zu fördern, ist der individuelle Kündigungsschutz bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste zu Gunsten einer kollektivrechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebsparteien eingeschränkt worden (BAG, Urteil vom 07.05.1998 - 2 AZR 536/97 -, NZA 1998, Seite 933 und BAG, Urteil vom 21.01.1999 - 2 AZR 624/98 -, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG, 1969 Namensliste).

Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass die Klägerin nicht mit den vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen verglichen worden ist. Es entspricht dem in dem Interessenausgleich niedergelegten unternehmerischen Konzept, dass die Beklagte zu 2. in dem fortgeführten, aber umstrukturierten und verkleinerten Betrieb nur noch vollzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie geringfügig Beschäftigte, die sie als Aushilfe bezeichnet, einsetzt. Die Klägerin hat keine teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer benannt, die wie sie teilzeitbeschäftigt waren und einen deutlich geringeren sozialen Schutz aufweisen. Eine grob fehlerhafte soziale Auswahl ist auch dann nicht erkennbar, wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die Mitarbeiterin Frau S3xxxxxxx ebenso wie die Klägerin nur 130 Stunden monatlich arbeitet und damit als mit der Klägerin vergleichbar angesehen werden kann. Frau S3xxxxxxx ist nach den Angaben in der vorlegten Personalliste (Bl. 18 d.A.) 64 Jahre alt und war bei der Insolvenzschuldnerin seit dem 01.09.1993 tätig. Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin im Rahmen der Betriebszugehörigkeit ihre Aushilfstätigkeit ab April 1989 mit berücksichtigt, errechnet sich dadurch für die Klägerin im Vergleich zu Frau S3xxxxxxx keine höhere Punktzahl. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht zu Recht hingewiesen. Jedenfalls lässt die von den Betriebsparteien getroffene soziale Auswahl nicht jede Ausgewogenheit vermissen. Auch wenn kein Interessenausgleich mit Namensliste vorliegt, hat der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die sozialen Gesichtspunkte nur "ausreichend" zu berücksichtigen. Er kann daher bei der Gewichtung der sozialen Kriterien einen Wertungsspielraum in Anspruch nehmen. Es kommt nur darauf an, ob die von ihm getroffene Auswahlentscheidung vertretbar ist. Dies schließt andere, ebenfalls mögliche Auswahlentscheidungen nicht aus. Nur deutlich schutzwürdige Arbeitnehmer können die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl mit Erfolg rügen (BAG, Urteil vom 18.01.1990 - 2 AZR 357/89 -, NZA 1990, Seite 729 und BAG, Urteil vom 05.12.2000 - 2 AZR 549/01 -, NZA 2003, Seite 791).

Ist die Überprüfung der sozialen Auswahl wie vorliegend noch weiter eingeschränkt, kann von ihrer groben Fehlerhaftigkeit nur dann die Rede sein, wenn die Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG, Urteil vom 02.12.1999 - 2 AZR 757/98 -, DB 2000, Seite 1338 sowie BAG, Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 -, BB 2004, Seite 1229). Davon kann vorliegend keine Rede sein. Die Klägerin ist nicht eklatant schutzwürdiger als Frau S3xxxxxxx. Zwar hat die Klägerin eine um vier Jahre längere Betriebszugehörigkeit aufzuweisen; andererseits ist Frau S3xxxxxxx 22 Jahre älter als die Klägerin.

Andere vergleichbare Arbeitnehmer hatte die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht mehr genannt, so dass bezüglich der Arbeitnehmerinnen R2xxxx und K8xxxxx auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen werden kann.

III.

Entgegen der Auffassung der Klägerin scheitert die Wirksamkeit der Kündigung nicht an der unzureichenden Anhörung des Betriebsrats. Dem Betriebsrat lag streitlos die Personalliste vor, aus der sich die Namen und die sozialen Daten aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergeben. Die Unterrichtung des Betriebsrats ist nicht deshalb fehlerhaft, weil als Eintrittsdatum der Klägerin der 01.10.1998 angegeben worden ist. Von einer bewusst unrichtigen oder falschen Information des Betriebsrats kann keine Rede sein, denn die Klägerin trägt selbst vor, dass sie ab April 1989 zunächst nur als Aushilfe eingesetzt und erst im November 1998 mit längeren Arbeitszeiten eingestellt worden ist. Der Arbeitgeber braucht den Betriebsrat nur über die jenigen Kündigungsgründe in Kenntnis zu setzen, die er für maßgeblich hält. Wenn für den Beklagten zu 1. die Aushilfsbeschäftigung im Rahmen der Betriebszugehörigkeit nicht zählte, brauchte er dem Betriebsrat davon auch keine Mitteilung zu machen. Bezeichnenderweise hat die Klägerin selbst in der Klageschrift angegeben, sie sei am 01.11.1998 in die Dienste der Insolvenzschuldnerin eingetreten.

IV.

Die von dem Beklagten erklärte Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen die Massenentlassungsvorschriften nach den §§ 17 ff. KSchG unwirksam.

Zwar sind nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 in Sachen Junk/Kühnel (RSC-188/03, ZIP 2005, Seite 230), die Artikel 2 bis 4 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis ist, das als Entlassung gilt. Dies bedeutet, dass der Beklagte zu 1. die Massenentlassungsanzeige nach europäischem Recht bereits vor Ausspruch der Kündigung erstatten muss. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen, denn der Beklagte hat der Agentur für Arbeit die Massenentlassung erst nach Ausspruch der Kündigung am 07.07.2004, eingegangen bei der Agentur für Arbeit D1xxxxxx am 09.07.2004, angezeigt (Bl. 13 d.A.). Ob die §§ 17, 18 KSchG nunmehr richtlinienkonform im Sinne der Rechtsprechung des EuGH ausgelegt werden können und müssen und ob bei Nichtbeachtung die Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung eintritt, ist heftig umstritten (vgl. dazu Bauer/Krieger/Powiejetzka, DB 2005, Seite 445; Appel DB 2005, Seite 1002; Riesenhuber/Domröse, EWS 2005, Seite 97). Die Mehrzahl der Landesarbeitsgerichte hat bisher eine richtlinienkonforme Auslegung abgelehnt (LAG Köln, Urteil vom 10.05.2005 - 1 Sa 1510/04 -, ZIP 2005, Seite 1524; ArbG Krefeld, Urteil vom 14.04.2005 - 1 Ca 3731/04 -, NZA 2005, Seite 582; LAG Hamm, Urteil vom 08.07.2005 - 7 Sa 540/05 - a.A., ArbG Bochum, Urteil vom 17.05.2004, - 3 Ca 307/04 -, NZA 2005, Seite 587, ArbG Berlin, Urteil vom 22.06.2005 - 9 Ca 2728/05 -). Gegen eine richtlinienkonforme Auslegung spricht insbesondere, dass das Kündigungsschutzgesetz nach seinem Wortlaut und seiner Systematik deutlich zwischen Kündigung und Entlassung unterscheidet, so dass ihre Gleichsetzung die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung überschreitet. Deshalb kann der Begriff Entlassung in § 17 KSchG nicht im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie als "Kündigung" ausgelegt werden. Das nationale Recht ermöglicht es unter Anwendung seiner Auslegungsmethoden gerade nicht, die §§ 17, 18 KSchG so auszulegen, dass eine Kollision der Massenentlassungsrichtlinie vermieden wird (vgl. zu den Grenzen richtlinienkonformer Auslegung BAG, Urteil vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 - NZA 2003, Seite 742 und EuGH, Urteil vom 05.10.2004, NZA 2004, Seite 1145). Vielmehr ist nunmehr der Gesetzgeber aufgerufen, den mit der Richtlinie bezweckten Schutz der betroffenen Arbeitnehmer mit den arbeitsmarktpolitischen Zwecken der §§ 17, 18 KSchG in Einklang zu bringen.

Die Berufungskammer schließt sich der Auffassung an, dass dem Insolvenzverwalter, der in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG gekündigt und erst danach die Massenentlassung gegenüber der Agentur für Arbeit angezeigt hat, jedenfalls für Kündigungen, die er vor Bekanntwerden des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 ausgesprochen hat, Vertrauensschutz zu gewähren ist, so dass Kündigungen nicht wegen Verstoßes gegen die §§ 17 ff. KSchG unwirksam ist (LAG Niedersachsen, Urteil vom 11.08.2005, - 7 Sa 1256/04 -, NZA-RR 2006, Seite 16). Der Beklagte durfte im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass die Massenentlassungsanzeige nicht bereits vor Ausspruch der Kündigung erforderlich war, sondern erst vor dem tatsächlichen Ausscheiden der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis erfolgen musste. Das Berufungsgericht schließt sich ferner der Auffassung an, dass auch aus europarechtlichen Gründen ein Vertrauensschutz geboten ist (vgl. dazu Thüsing, BB 2005, I.). Überragende Gründe des Gemeinschaftsrechts gebieten es keineswegs, der Rechtsprechung des EuGH Rückwirkung zu verleihen und sie auch auf bereits abgeschlossene Sachverhalte in der Vergangenheit anzuwenden (so aber Riesenhuber/Domröse, EWS 2005, Seite 103).

V.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch den gegen die Beklagte zu 2. gerichteten Feststellungsantrag zurückgewiesen. Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin wirksam zum 30.09.2004 aufgelöst worden ist, ist zwischen ihr und der Beklagten kein Arbeitsverhältnis gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB zustande gekommen. Ein Betriebsübergang erfasst nur bestehende Arbeitsverhältnisse.

VI.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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