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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.12.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 867/06
Rechtsgebiete: KSchG, InsO


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 2
InsO § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 20.04.2006 - 1 (2) Ca 1332/05 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 15.07.2005 nicht zum 31.10.2005 aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 3/5 und der Kläger zu 2/5.

Streitwert für das Berufungsverfahren: unverändert 16.430,30 €.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der von dem Beklagten aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 15.07.2005 zum 31.10.2005.

Der am 12.13.14xx geborene Kläger, der verheiratet ist und noch eine Tochter zu unterhalten hat, war seinen Angaben zufolge seit Juni 1992, nach den Angaben des Beklagten seit dem 01.01.1993 bei der in B2x L1xxxxxxxxx a1xxxxxxxx S2xxxxxxxxxx GmbH, einem Möbelwerk, zuletzt als Kraftfahrer im Fuhrpark gegen eine monatliche Vergütung von 3.286,00 € brutto tätig.

Über das Vermögen der S2xxxxxxxxxx GmbH wurde am 01.07.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser schloss mit dem Betriebsrat am 08.07.2005 eine umfängliche Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich, der sich über ein Sanierungskonzept zur Fortführung der Kernbereiche des Schuldnerunternehmens verhält und den Abbau von 151 Arbeitsplätzen vorsieht.

Nach der Darstellung im Interessenausgleich fallen im Fuhrpark 16 der bisher vorhandenen 36 Arbeitsplätze weg, weil die Auslieferung der Waren auslastungsorientiert erfolgen und eine Auslastung von zwei Touren pro Woche bei einer Mindestbeladung von 52 qm pro Auflieger erreicht werden soll. Die zu entlassenden Arbeitnehmer sind namentlich in einer Liste mit Angaben ihrer sozialen Daten aufgeführt. Darunter befindet sich auch der Kläger, der nach einem mit dem Betriebsrat abgestimmten Punkteschema ohne Berücksichtigung unterhaltspflichtiger Kinder 75 Sozialpunkte erreicht. Der Kläger erlitt am 05.07.2001 einen Arbeitsunfall und bezieht wegen geminderter Erwerbsfähigkeit von der Berufsgenossenschaft eine Rente in Höhe von 20 %.

Im Rahmen der sozialen Auswahl ist der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer nach Darstellung des Beklagten in Abstimmung mit dem Betriebsrat nach folgenden Qualifikationsstufen gebildet worden:

- MB FA = Maschinenbediener und Facharbeiter

- MB ang. = angelernter Maschinenbediener

- FA = Facharbeiter

- Helfer qualifizierte Tätigkeit

- Helfer einfache Tätigkeit

Die Sozialdaten sind wie folgt gewichtet worden:

- Unterhaltspflicht für Ehegatten: 8 Punkte

- Unterhaltspflicht für Kinder: 4 Punkte pro Kind gemäß Lohnsteuerkarte

- Betriebszugehörigkeit: 1 Punkt pro Jahr bis zu 10 Jahren,

2 Punkte pro Jahr ab dem 11. Jahr

- Lebensalter: 1 Punkt pro Jahr, max. 55 Punkte

- Schwerbehinderung ab GdB 50: 4 Punkte

Gemäß Kapitel XI des Interessenausgleichs sind insgesamt 25 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG von der Sozialauswahl ausgenommen worden. Darunter 18 Arbeitnehmer aus dem Fuhrpark, nämlich:

W2xxxxxx H2xxx, 40 Jahre alt, 5 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, drei Kinder;

A3xxx E1x, 40 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;

P3xxx B5xxxxxx, 46 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder;

H1xxx-A4xxxxx F2xxx, 41 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;

H1xxx-G1xxx B3xxx, 47 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, ledig, keine Kinder;

P3xxx B4xxxxxx, 37 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, drei Kinder;

G2xxxxx B6xxx, 49 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;

H3xxx K5xxxxx, 52 Jahre, 11 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, ein Kind;

A5xxxxxxx K6xxxxxxx, 44 Jahre alt, 8 Jahre Betriebszugehörigkeit, verheiratet, zwei Kinder.

Mit dem Abschluss des Interessenausgleichs ist die Anhörung des Betriebsrats verbunden worden. Zuvor hatte der Beklagte den Betriebsrat bereits mit Schreiben vom 20.06.2005 zu seiner Absicht angehört, nach Abschluss des Anhörungsverfahrens und Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Kündigungen im Juli 2005 auszusprechen. Diesem Schreiben war eine Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer mit sämtlichen Sozialdaten sowie eine vollständige Personalliste der gesamten Belegschaft unter Aufschlüsselung der Unterhaltspflichten, der Beschäftigungsdauer im Unternehmen, der Beschreibung des konkreten Arbeitsplatzes, der Eingruppierung und des voraussichtlichen Kündigungstermins beigefügt.

Nach Eingang der Massenentlassungsanzeige am 12.07.2005 bei der Agentur für Arbeit P1xxxxxxx kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 15.07.2005 fristgemäß zum 31.10.2005.

Der Kläger hält die Kündigung für sozialwidrig. Er hat den Beklagten aufgefordert, die Auswahlgründe zu nennen, weil er nicht alle Arbeitnehmer des Fuhrparks kenne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 20.04.2006 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Die Betriebsbedingtheit der Kündigung sei gemäß § 125 InsO zu vermuten, da der Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart habe, auf der sich auch der Name des Klägers befinde. Der gesetzlich zu vermutenden Betriebsbedingtheit der Kündigung sei der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Die von dem Beklagten getroffene Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Der Vortrag des Klägers lasse eine grob fehlerhafte Vergleichsgruppenbildung nicht erkennen. Die Gründe für die Herausnahme einzelner Arbeitnehmer des Fuhrparks seien nachvollziehbar und führten nicht zu einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Anzuerkennen seien besondere Qualifikationen einzelner Arbeitnehmer sowie besondere Sprach- und Ortskenntnisse. Der Betriebsrat sei gemäß § 102 BetrVG ordnungsgemäß angehört worden und die Massenentlassungsanzeige sei wie erforderlich vor Ausspruch der Kündigung am 12.07.2005 bei der Agentur für Arbeit eingegangen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung gerichteten Klageantrag weiter. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt er vor, anders als vom Arbeitsgericht angenommen sei die von dem Beklagten durchgeführte soziale Auswahl grob fehlerhaft, denn bezogen auf den Betriebsteil Fuhrpark habe tatsächlich überhaupt keine soziale Auswahl stattgefunden. Praktisch seien alle weiterbeschäftigten Kraftfahrer von der Sozialauswahl ausgenommen worden, weil sie ohne hinreichenden Grund zu Leistungsträgern gemacht worden seien. Die Begründung für die Herausnahme, nämlich besondere Sprach- und Ortskenntnisse, laufe auf eine willkürliche Herausnahme hinaus, denn er könne als Berufskraftfahrer überall in Europa eingesetzt werden. Er sei auch in der Lage, Schwertransporter zu fahren. In den letzten zweieinhalb Jahren sei er überwiegend für Deutschland-Touren eingeteilt worden. In der Vergangenheit habe er aber auch Fahrten nach Holland, Belgien, Luxemburg, Österreich, Schweiz und Tschechien durchgeführt. Er sei ohne weiteres mit den Kraftfahrern H2xxx, K6xxxxxxx, B5xxxxxx, F2xxx, E1x, W3xxx, B6xxx, B3xxx und K5xxxxx vergleichbar.

Der Kläger beantragt,

das Urteil vom 11.05.2006 aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 15.07.2005 zum 1.10.2005 beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Zur Sozialauswahl trägt er ergänzend vor, die Arbeitnehmer W3xxx und K5xxxxx seien aufgrund ihrer sozialen Daten schutzwürdiger als der Kläger und kämen auf eine höhere Punktzahl. Geringfügig weniger Sozialpunkte als der Kläger erreichten die Mitarbeiter H2xxx (65 Punkte), K6xxxxxxx (68 Punkte), B5xxxxxx (61 Punkte), F2xxx (61 Punkte), E1x (60 Punkte), B6xxx (69 Punkte) und B3xxx (55 Punkte). Die Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer liege jedoch im berechtigten betrieblichen Interesse. Die Arbeitnehmer F2xxx und B4xxxxxx würden hauptsächlich England-Touren fahren, die 50 % der Fahrten des schuldnerischen Betriebes ausmachten. Auch Herr E1x fahre zu 70 % Auslandstouren mit dem Schwerpunkt England und Schottland. Herr E1x verfüge über gute englische Sprachkenntnisse. Genau wie die Mitarbeiter H2xxx, K6xxxxxxx, B5xxxxxx, F2xxx, B6xxx und B3xxx erledige er das Abladen und Kommissionieren beim Kunden fast fehlerfrei. Da dies beim Kläger nie der Fall gewesen sei, habe er überwiegend nur für Deutschland-Touren eingesetzt werden können. Die Arbeitnehmer K7xxxxxxxxx und P2xxxxxx verfügten über eine abgeschlossene Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Herr H2xxx spreche fließend russisch und tschechisch und sei darüber hinaus in der Lage, Schwertransporter zu fahren. Herr K6xxxxxxx verfüge über gute Kontakte mit den Lagerarbeitern vor Ort in Tschechien. Er beherrsche genau wie Herr E1x die russische Sprache und könne sich im südslawischen Sprachraum verständigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die Protokollerklärungen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozialwidrig, denn der Beklagte hat bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte in grob fehlerhafter Weise unberücksichtigt gelassen.

I

Die Sozialwidrigkeit der Kündigung kann gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nur eingeschränkt überprüft werden. Da zwischen den Betriebsparteien wegen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist, kann die soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Die Voraussetzungen einer grob fehlerhaft getroffenen sozialen Auswahl sind in dem hier vorliegenden Fall erfüllt, denn die Betriebsparteien haben insbesondere die Arbeitnehmer B3xxx, E1x, B5xxxxxx und F2xxx unter Verkennung des Begriffs der berechtigten betrieblichen Interessen und ohne ausreichende Abwägung mit den sozialen Schutzinteressen des Klägers gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG aus der Sozialauswahl ausgenommen.

Der eingeschränkte Überprüfungsmaßstab gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO bezieht sich nicht nur auf die Gewichtung der sozialen Indikatoren, sondern auf den gesamten Vorgang der sozialen Auswahl und damit auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen und die Anwendung des Ausnahmetatbestandes gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG (BAG vom 21.07.2005 - 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162 sowie vom 17.11.2005 - 6 AZR 107/05, DB 2006, 844; BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02, ZIP 2004, 1271). Die Sozialauswahl ist danach grob fehlerhaft, wenn die Gewichtung der sozialen Kriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt und ein evidenter, ins Auge springender Fehler vorliegt. Dies kann auch der Fall sein, wenn tragende Gesichtspunkte nicht in die Bewertung einbezogen worden sind oder bei der Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist oder bei der Herausnahme von Leistungsträgern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die betrieblichen Interessen augenfällig überdehnt worden sind (BAG vom 17.11.2005 - 6 AZR 107/05, DB 2006, 844). Im Insolvenzfall wird der individuelle Kündigungsschutz nach § 1 KSchG zugunsten einer kollektiv-rechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebsparteien abgesenkt. Um die erfolgreiche Sanierung insolventer Unternehmen zu fördern und im Insolvenzfall zusätzliche Kündigungserleichterungen zu schaffen, ist den Betriebsparteien aus Gründen der Rechtssicherheit bei der Beurteilung und Bewertung der sozialen Auswahl ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt, der noch über den hinaus geht, den die Betriebsparteien im Normalfall ohne Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste haben (vgl. BAG vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432; BAG vom 21.02.2002 - 2 AZR 581/00, EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 10; LAG Niedersachsen vom 30.06.2006 - 10 Sa 1816/05, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 52).

1. Auch bei Anwendung dieser eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeit und unter Beachtung des den Betriebsparteien zustehenden weiten Gestaltungsspielsraums erweist sich vorliegend die Herausnahme von Leistungsträgern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG als grob fehlerhaft. Die Betriebsparteien haben offensichtlich die betrieblichen Interessen überbewertet und den Begriff der Austauschbarkeit deutlich verkannt. Sie haben es darüber hinaus unterlassen, die betrieblichen Gründe an der Herausnahme bestimmter Arbeitnehmer gegenüber den schutzwürdigen sozialen Interessen des Klägers abzuwägen (vgl. dazu BAG vom 12.04.2002 - 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42).

a) Besonders auffällig ist, dass fast alle weiterbeschäftigten Arbeitnehmer des Fuhrparks als Leistungsträger gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG von der Sozialauswahl ausgenommen worden sind. Schon dies indiziert die grobe Fehlerhaftigkeit, weil der Beklagte nicht dargelegt hat, dass bei der Reduzierung auf zwanzig Arbeitsplätze die beträchtliche Anzahl von achtzehn Arbeitsnehmern mit besonderen Kenntnissen betrieblich erforderlich ist, um den verkleinerten Fuhrpark weiterzuführen. Aber auch die von dem Beklagten im Einzelfall genannten Herausnahmegründe können nicht als berechtigte betriebliche Interessen i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG anerkannt werden.

Der Beklagte hat die Herausnahme im Wesentlichen mit den Sprachkenntnissen der Fahrer und dem Vertrautsein mit den regionalen Verhältnissen begründet. Dies sind bloße Nützlichkeitserwägungen, die die Weiterbeschäftigung gerade dieser Arbeitnehmer im Interesse eines geordneten Betriebsablaufs nicht erforderlich machen. Nach der Neufassung des Gesetzes ab 01.01.2004 kommt es allerdings nicht mehr darauf an, ob betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer bestimmter Arbeitnehmer bedingen, sondern in die soziale Auswahl sind solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Dies darf aber nicht dahin missverstanden werden, dass es gesetzlich legitimiert ist, die soziale Rangfolge bereits dann zu durchbrechen, wenn die Weiterbeschäftigung von bestimmten Arbeitnehmern bloß vorteilhaft oder nützlich ist (vgl. dazu Löwisch, BB 1004, 154, 155; Bader, NZA 2004, 65, 73; Quecke, RdA 2004, 86, 88). Es bleibt vielmehr bei dem Regel-Ausnahmeverhältnis. Die betrieblichen Interessen erlauben nur dann eine Suspendierung von der Sozialauswahl, wenn die dafür maßgeblichen betrieblichen Bedürfnisse ein bestimmtes Gewicht haben und in Abwägung der Schutzinteressen des sozial schwächeren Arbeitnehmers überwiegen (Gottwald-Heinze/-Bertram, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl., § 104 Rdnr. 93). Die herausgenommenen Arbeitnehmer müssen sich aufgrund ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen von den an sich vergleichbaren Arbeitnehmern unter dem Gesichtspunkt ihrer betrieblichen Einsatzmöglichkeiten deutlich unterscheiden (vgl. KR-Griebeling. 8. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 630; ErfK-Ascheid/Oetker, § 1 KSchG Rdnr. 500, 501).

b) In diesem Sinne kann eine abgeschlossene Ausbildung zum Kfz-Mechaniker wie sie die Arbeitnehmer K7xxxxxxxxx und P4xxxxx aufweisen als für den Betrieb vorteilhafte und nützliche Qualifikation anerkannt werden. Dies gilt aber nicht gleichermaßen für die Arbeitnehmer B3xxx, B5xxxxxx, F2xxx und E1x, die hauptsächlich England-Touren gefahren sind. Herr B3xxx ist genau wie der Kläger auf Touren innerhalb von Deutschland eingesetzt worden und ist darüber hinaus im Team mit einem anderen Fahrer nach Belgien gefahren. Der Beklagte hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass jeder Berufskraftfahrer ohne weiteres innerhalb von Europa eingesetzt werden kann. Sprachkenntnisse können in diesem Zusammenhang ohne Darlegung ihrer Erforderlichkeit ebenso wenig als berechtigte betriebliche Bedürfnisse anerkannt werden wie die auf den Touren gewonnenen Erfahrungen. Dies liefe darauf hinaus, dass jeder an sich austauschbare Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausgenommen werden könnte, der längere Zeit eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt hat. Durch besondere Fähigkeiten und Leistungen, von denen ihre betriebliche Einsatzmöglichkeit abhängt, zeichnen sich die Arbeitnehmer B3xxx, B6xxxx, F2xxx und E1x nicht aus. Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass er genauso gut wie sie nach England oder in andere europäische Staaten fahren kann und dies ggfls. auch im Team.

Darüber hinaus lässt der Vortrag des Beklagten nicht erkennen, warum zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Auslieferung und Spedition besondere Erfahrungen und sprachliche Kenntnisse einer so großen Anzahl von Arbeitnehmer vonnöten sind. Die vom Gesetzgeber als Ausnahmefall konzipierte Möglichkeit der Herausnahme von Leistungsträgern gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG wird dadurch vorliegend zum Regelfall und führt für den Betriebsteil Fuhrpark zu einer völligen Vernachlässigung der an sich gebotenen sozialen Auswahl nach den Vorgaben des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Eine Abwägung der aufgrund des Arbeitsunfalls besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Klägers gegenüber den betrieblichen Interessen hat nicht stattgefunden. Fehlen triftige Gründe, die Arbeitnehmer B3xxx, E1x, B5xxxxxx und F2xxx von der gebotenen sozialen Auswahl auszunehmen, ist die soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 1. Halbsatz InsO grob fehlerhaft.

2. Die vorgenannten Arbeitnehmer hätten von den Betriebsparteien als vergleichbar mit dem Kläger angesehen werden müssen. Dieser nimmt nunmehr an der Sozialauswahl innerhalb der maßgeblichen auswahlrelevanten Gruppe teil.

Der Kläger hat nach dem von den Betriebsparteien zugrunde gelegten Punkteschema insgesamt 79 Punkte aufzuweisen, denn die unterhaltsberechtigte Tochter ist mit zu berücksichtigen. Die Arbeitnehmer B3xxx, E1x, B5xxxxxx und F2xxx kommen nur auf 55, 60 und 61 Sozialpunkte.

Auch wenn das Punkteschema nur eine Vorauswahl rechtfertigt und erst in einer abschließenden individuellen Betrachtung die sozialen Kriterien gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG abgewogen werden müssen, ergeben sich vorliegend derart deutliche Unterschiede, dass von einer groben Verkennung der sozialen Auswahlgrundsätze gesprochen werden muss. Das Alter des Klägers, seine längere Betriebszugehörigkeit und seine Unterhaltspflichten sind deutlich vernachlässigt worden. So ist der Kläger im Vergleich zu dem Mitarbeiter B3xxx nahezu zehn Jahre älter, hat eine um drei Jahre längere Betriebszugehörigkeit aufzuweisen und Unterhaltspflichten gegenüber seiner Ehefrau und mindestens noch einer Tochter, während Herr B3xxx ledig ist. Der Kläger hat daher sowohl bezüglich seines Alters, seiner Betriebszugehörigkeit und seiner Unterhaltspflichten einen augenfällig höheren sozialen Schutz verdient als der Mitarbeiter B3xxx. Damit lässt die von dem Beklagten getroffene Sozialauswahl jede Ausgewogenheit vermissen und ist grob fehlerhaft.

II

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Den angekündigten Weiterbeschäftigungsantrag hat der Kläger in der Berufungsverhandlung nicht mehr gestellt, so dass ihm insoweit eine Beteiligung an den Kosten aufzuerlegen war.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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