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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.01.2008
Aktenzeichen: 2 Ta 363/07
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 4 a
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 4 b
ArbGG § 2 Abs. 3
ArbGG § 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamm vom 13.03.2007 - 3 Ca 620/07 L - abgeändert.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für zulässig erklärt.

Die Beklagten haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 945,74 € festgesetzt.

Gründe:

I

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz des Schadens in Anspruch, der ihr durch den Verlust ihrer nicht insolvenzgesicherten Beteiligung an der Firma S5 M1 GmbH & Co. KG entstanden ist.

Die Klägerin war seit dem 01.01.1997 bei der Firma S5 M1 GmbH & Co. KG, die etwa 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigte und sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Polstermöbeln befasste, als Buchhalterin tätig. Über das Vermögen der Firma S5 M1 GmbH & Co. KG wurde am 01.10.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beklagte zu 2) ist zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Er wird von der Klägerin hilfsweise auf Abtretung von fälligen Forderungen der Insolvenzmasse in Anspruch genommen.

Die von der Klägerin gleichzeitig gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin gerichtete Klage ist vom Arbeitsgericht abgetrennt worden.

Die Klägerin hat sich seit 1997 mit Bestandteilen ihrer Arbeitsvergütung im Rahmen des § 2 Abs. 1 VermBiG an der Firma S5 M1 GmbH & Co. KG beteiligt. Dies geschah aufgrund eines ihr von der Beklagten zu 1) im Namen der Insolvenzschuldnerin unterbreiteten Beteiligungsangebots. Darin heißt es:

"Jeder Mitarbeiter ist berechtigt, sich am Unternehmen über eine Mitarbeiter-Beteiligungs-GmbH als stiller Gesellschafter zu beteiligen."

Im Rahmen der zeichnungsfähigen Einlagen zahlte die Klägerin aus der ihr zustehenden Vergütung jährlich jeweils 511,29 € in die Mitarbeiter-Beteiligungs-GmbH ein, welche die geleisteten Einlagen im Namen und für Rechnung der beteiligten Mitarbeiter verwaltete. Insgesamt betrug das eingebrachte Vermögen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung 259.212,92 €. Die Klägerin beziffert ihren Anteil mit 3.152,48 €.

Die Beklagte zu 2) schloss mit der S5 M1 GmbH & Co. KG sowie der S5-Mitarbeiter-Beteiligungs-GbR einen Vertrag über die Verwaltung der S5-Mitarbeiter-Beteiligung. Wegen der Einzelheiten des Treuhandverwaltungsvertrages wird auf Bl. 24 bis 32 d.A. Bezug genommen.

Die Klägerin meint, aufgrund des ihr unterbreiteten Beteiligungsangebots sei sie von einer Insolvenzsicherung der geleisteten Einlagen ausgegangen, denn dort heiße es, dass die Mitarbeiter-Beteiligungs-GmbH Anspruch auf bankübliche Absicherung der geleisteten Einlagen, z.B. durch stille Zession fälliger Forderungen aus Lieferungen an Kunden habe. Auch auf Betriebsversammlungen sei von den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin mehrfach versichert worden, dass die Mitarbeiterbeteiligungen gegen insolvenzbedingten Ausfall gesichert seien.

Die Beklagten zu 1) und 2) haben die Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte gerügt.

Demgegenüber meint die Klägerin, der gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Anspruch stehe in einem untrennbaren Zusammenhang mit ihren Schadensersatzansprüchen gegen die ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, so dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gemäß § 2 Abs. 3 ArbGG gegeben sei. Der Beklagte zu 2) sei an die Stelle der Insolvenzschuldnerin getreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 13.03.2007 den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Lippstadt verwiesen. Zur Begründung seines der Klägerin am 31.05.2007 zugestellten Beschlusses hat es ausgeführt, die Gerichte für Arbeitssachen seien nicht zuständig, weil zwischen den Parteien keine arbeitsvertraglichen Beziehungen bestanden hätten. Die behaupteten unerlaubten Handlungen der Beklagten zu 1) stünden nicht in einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG, sondern mit dem gesondert begründeten Treuhandverhältnis. Der hilfsweise gegenüber dem Beklagten zu 2) geltend gemachte Abtretungsanspruch sei nicht aus arbeitsvertraglichen Beziehungen begründbar. Ebenso wenig könne sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte aus § 2 Abs. 3 ArbGG ergeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Dagegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 14.06.2007, der noch am selben Tag beim Arbeitsgericht eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihres Rechtsmittels vor, der Beklagte zu 2) werde als Arbeitgeber in Anspruch genommen, denn das Arbeitsverhältnis habe bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.10.2005 noch bestanden. Nach dem ihr unterbreiteten Beteiligungsangebot sei die Insolvenzschuldnerin verpflichtet gewesen, ihre Ansprüche durch Zession fälliger Forderungen aus Lieferungen an Kunden abzusichern. Diese Verpflichtung sei mit Verfahrenseröffnung auf den Beklagten zu 2) übergegangen.

Ihr gegen die Beklagte zu 1) gerichteter Schadensersatzanspruch hänge unmittelbar mit ihren gegen die ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin erhobenen Ansprüchen zusammen. Sie sei Gesellschafterin der Beteiligungs-GbR gewesen, die ihrerseits wiederum mit der Beklagten zu 1) einen Treuhandvertrag geschlossen habe, welcher der Beklagten zu 1) Verpflichtungen zur Sicherstellung und Überwachung ihres Anspruchs auf bankübliche Sicherung der eingebrachten Einlagen auferlege.

Die Beklagten haben in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

Die gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin gerichteten Schadensersatzklagen sind in den Parallelverfahren 4 Ca 390/06 L und 4 Ca 253/06 L rechtskräftig abgewiesen worden.

II

Die gemäß den §§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1, 78 Satz 1 ArbGG an sich statthafte und im Übrigen gemäß den §§ 569, 572 ZPO zulässige Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 a und b sowie § 2 Abs. 3 ArbGG eröffnet.

1. Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für die gegen den Beklagten zu 2) gerichtete Klage folgt aus § 2 Abs. 1 Nr. 4 a ArbGG, denn der von der Klägerin gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmte Streitgegenstand hängt mit dem Arbeitsverhältnis der Klägerin rechtlich und wirtschaftlich unmittelbar zusammen. Das Beteiligungsangebot war an den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Insolvenzschuldnerin geknüpft. Ob der geltend gemachte Abtretungsanspruch der Klägerin besteht und ob eine unzulässige bedingte Klageerhebung vorliegt, ist keine Frage des Rechtsweges, sondern darüber muss das zuständige Gericht im Hauptsacheverfahren entscheiden. Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 2) als Arbeitgeber in Anspruch. Nach dem ihr unterbreiteten Beteiligungsangebot sei die Insolvenzschuldnerin verpflichtet gewesen, für eine Absicherung der geleisteten Einlagen zu sorgen. Sie will mit der Abtretung fälliger Forderungen der Insolvenzmasse einen Ersatz des ihr aus der Mitarbeiterbeteiligung entstandenen Schadens erreichen. Der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ist gegeben, weil der Beklagte zu 2) mit der Insolvenzeröffnung gemäß § 80 InsO in den gesamten Rechts- und Pflichtenkreis der schuldnerischen Arbeitgeberin eingerückt ist (MünchKomInsO-Otto, 2. Aufl., § 80 Rdnr. 121; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 80 Rdnr. 63; Gottwald-Heinze/Bertram, Insolvenzrechtshandbuch, 3. Aufl., § 103 Rdnr. 21; Germelmann/-Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 6. Aufl., § 3 Rdnr. 13). Wird der Insolvenzverwalter für eine Forderung aus dem Arbeitsverhältnis in Anspruch genommen, sind die Arbeitsgerichte zuständig (BAG vom 09.07.2003 - 5 AZB 34/03, DB 2003, 2132; Hessisches LAG vom 15.08.2006 - 8 Ta 200/06, NZA-RR 2007, 218). Vorliegend resultiert der geltend gemachte Anspruch zwar nicht unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis, hängt aber mit diesem eng zusammen, denn er gründet sich auf das von der Insolvenzschuldnerin unterbreitete Beteiligungsangebot. Die Insolvenzschuldnerin verfolgte damit das Ziel, die Mitarbeiter am Produktivvermögen zu beteiligen und bereits bestehende betriebliche Versorgungszusagen abzulösen. Die geleisteten Einlagen wurden nach dem Vertrag über die Verwaltung der S5-Mitarbeiterbeteiligung der Insolvenzschuldnerin überlassen. Der gemäß § 2 Abs. 3 ArbGG erforderliche rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis kann daher nicht in Frage gestellt werden. An die Stelle der Insolvenzschuldnerin ist gemäß § 3 ArbGG kraft Gesetzes der Beklagte zu 2) getreten (vgl. BGH vom 16.11.2006 - IX ZB 57/06, ZIP 2007, 94 m.Anm. Gäbel, Jurispraxisreport-InsR 8/2007).

2. Für die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 b ArbGG eröffnet. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Sozialeinrichtungen des privaten Rechts über Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis oder Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, soweit nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderes Gerichts gegeben ist. Eine Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft kann als Sozialeinrichtung im Sinne dieser Vorschrift verstanden werden (LAG Hamm vom 11.11.2002 - 2 Ta 131/02). Der Begriff Sozialeinrichtung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 b ArbGG ist mit dem gleichlautenden Begriff in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG identisch. Danach wird unter Sozialeinrichtung ein zweckgebundenes Sondervermögen mit abgrenzbarer, auf Dauer gerichteter besonderer Organisation verstanden, das eine rechtliche und tatsächliche Verwaltung verlangt (BAG vom 15.09.1987 - 1 ABR 31/86, NZA 1988, 104; BAG vom 16.06.1998 - 1 ABR 67/97, NZA 1998, 1185; GK-BetrVG/Wiese, 8. Aufl., § 87 Rdnr. 678; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 235 Rdnr. 35; GK-ArbGG/Wenzel, § 2 Rdnr. 161 sowie Fitting/Engels/Schmidt/-Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 23. Aufl., § 87 Rdnr. 335). Der soziale Zweck einer Sozialeinrichtung kann wie vorliegend in der Förderung der finanziellen Interessen der Belegschaftsmitglieder liegen. Es ist anerkannt, dass Vermögensbeteiligungsgesellschaften, welche die Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer am Gesellschaftsvermögen zum Gegenstand haben, Sozialeinrichtungen im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG sein können (Hanau, ZGR 1985 Sonderheft 5, Seite 111, 118; Röder, NZA 1987, 799, 804; Kau/Kukat, BB 1999, 2505 sowie Buschbell, BB 2000, 1294 ff). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn nach dem Vortrag der Klägerin diente das Beteiligungsangebot dazu, sich am Unternehmen der S5 M1 GmbH & Co. KG durch Zahlung einer aus der Arbeitsvergütung abzuführenden Einlage zu beteiligen. Bis zu 15 % der geleisteten Einlage sollte ihr als Gewinnbeteiligung zufließen.

Die insgesamt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleisteten Einlagen bildeten ein von der Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft zu verwaltendes und auf Dauer angelegtes Sondervermögen. Die Beklagte zu 1) wird auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil sie sich vertraglich verpflichtet habe, das Beteiligungsangebot zu erfüllen und das Treuhandvermögen zu verwalten. Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bestehen zwar keine unmittelbaren arbeitsvertraglichen Beziehungen. Für die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit genügt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 b ArbGG aber der Umstand, dass die Beklagte zu 1) als Repräsentantin der Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft und als aus dem Beteiligungsangebot Verpflichtete in Anspruch genommen wird. Nach dem Vertrag über die Verwaltung der S5-Mitarbeiter-Beteiligung, auf sich die Klägerin stützt, hat die S5-Mitarbeiter-Beteiligungs-GbR die Beklagte zu 1) mit der Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber der S5 M1 GmbH & Co. KG beauftragt. Es ist anerkannt, dass für Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer oder Gesellschafter einer Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft die Arbeitsgerichte zuständig sind (vgl. BAG vom 24.11.2005 - 8 AZR 1/05, DB 2006, 956). Schließlich gebietet es die am Sinn der Zuständigkeitsnorm orientierte Auslegung, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die wie vorliegend in greifbarere Beziehung zum Arbeitsverhältnis stehen, auch prozessual im Rahmen der Arbeitssachen zu erfassen. (BAG vom 23.08.2001 - 5 AZB 11/01, NZA 2002, 230).

3. Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte folgt letztendlich aus § 2 Abs. 3 ArbGG, denn es handelt sich um Ansprüche, die mit der gegen die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin abgetrennten Klage sowohl rechtlich als auch unmittelbar wirtschaftlich zusammenhängen. Aus prozessökonomischen Gründen soll verhindert werden, dass zusammengehörende Verfahren auf verschiedene Rechtswege aufgespalten werden (Germelmann/Matthes, ArbGG, 6. Aufl., § 2 Rndr. 112). Der erforderliche Zusammenhang ist gegeben, denn die Frage, ob und wer zur Insolvenzsicherung verpflichtet war, kann sinnvollerweise nur einheitlich beantwortet werden.

III

Die Beklagten haben gemäß § 91 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

IV

Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft der Entscheidung im Rechtswegbestimmungsverfahren sind davon 3/10 in Ansatz gebracht worden.

Ende der Entscheidung

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