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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.08.2003
Aktenzeichen: 2 Ta 739/02
Rechtsgebiete: ArbGG, AÜG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 a
AÜG Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1
AÜG Art. 1 § 11 Abs. 6
Für Schadensersatzansprüche des Entleihers gegen den Leiharbeitnehmer ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.
Landesarbeitsgericht Hamm Beschluss

2 Ta 739/02

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bertram

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 13.09.2002 - 2 Ca 1142/02 - abgeändert:

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für zulässig erklärt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.550,51 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger ist Inhaber eines Transportunternehmens. Der Beklagte war bei ihm aufgrund eines mit der in O1xx ansässigen Firma I1x GmbH geschlossenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrages vom 28.01.2002 als Leiharbeitnehmer eingesetzt. Am 29.01.2002 verursachte der Beklagte bei der Erledigung eines Transportauftrages einen Motorschaden, weil er etwa 40 Liter Dieselkraftstoff über den Öleinfüllstutzen in den Motor des von der Firma O2x gestellten Lkw einfüllte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und auf den Akteninhalt verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat im Gütetermin am 05.07.2002 auf Bedenken hinsichtlich des Rechtsweges zu den Arbeitsgerichten hingewiesen.

Durch Beschluss vom 13.09.2002, welcher dem Kläger am 22.10.2002 zugestellt worden ist, hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Siegen verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es handele sich nicht um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit. Zwischen den Parteien hätte kein Arbeitsverhältnis bestanden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.

Der am 30.10.2002 eingegangenen sofortigen Beschwerde des Klägers hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Kläger vor, aufgrund der Rechtsnatur und der Eigenart des Leiharbeitsverhältnisses sei die Arbeitgeberfunktion bei der Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verleiher und Entleiher aufgeteilt. Nach der überwiegenden Meinung in der Literatur seien für Streitigkeiten zwischen dem Entleiharbeitgeber und dem Leiharbeitnehmer die Arbeitsgerichte zuständig.

Der Beklagte stellt keinen Antrag und äußert sich zur Frage des Rechtsweges nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II

Die gemäß §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG, 78 Abs. 1 ArbGG statthafte und im Übrigen gemäß den §§ 569, 571, 572 ZPO zulässige Beschwerde des Klägers hat Erfolg. Das Beschwerdegericht vermag sich der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht anzuschließen. Die Arbeitsgerichte sind zuständig, weil es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG handelt.

1. Dem Arbeitsgericht ist zuzustimmen, dass zwischen dem Kläger als Entleiher und dem Beklagten als Leiharbeitnehmer kein Arbeitsverhältnis besteht. Der Gesetzgeber hat den Leiharbeitnehmer arbeitsrechtlich dem gewerbsmäßig handelnden Verleiher zugeordnet und allein diese Beziehung als Arbeitsverhältnis qualifiziert (vgl. im Einzelnen Schüren, AÜG, 2. Aufl. 2003, Einl. Rdnr. 86; Becker/Wulfgramm, AÜG, Rdnr. 60, Art. 1, § 1). Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers bleibt während der Überlassungszeit der Verleiher, § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Andererseits bestehen auch arbeitsrechtliche Beziehungen zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher, der das Weisungsrecht ausübt und demgegenüber der Leiharbeitnehmer bei Verletzung der Arbeitspflicht haftet (Schüren, aaO, Einl. Rdnr. 83; Erf.Komm./Wank, 3. Aufl., Einl. AÜG Rdnr. 50 ff; Becker/Wulfgramm, aaO, Rdnr. 58 zu Art. 1 § 1 AÜG). Deshalb wird bei der legalen Arbeitnehmerüberlassung von einem gespaltenen Arbeitsverhältnis gesprochen, welches einerseits durch das Bestehen arbeitsvertraglicher Beziehungen zum Verleiher und andererseits durch die Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen zwischen Verleiher und Entleiher charakterisiert wird (Becker/Wulfgramm, aaO, Rdnr. 57 zu Art. 1 § 1 AÜG sowie Becker, NJW 1971, 691). Nach dieser Theorie wird ein arbeitsrechtliches Schuldverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer angenommen, welches dem Entleiher ein Forderungsrecht auf die Arbeitsleistung gibt und aus dem bei Pflichtverletzungen Schadensersatzansprüche abgeleitet werden können. Nach anderer Auffassung wird der Anspruch auf die Arbeitsleistung an den Entleiher abgetreten oder ein Vertrag zugunsten Dritter angenommen (vgl. im Einzelnen Schüren, aaO, Einl. Rdnrn. 88, 89 und 141, Erf.Komm./Wank, 3. Aufl., Einl. AÜG Rdnr. 48; Kasseler Handbuch/Düwell, 4.5 Rdnr. 442).

Es kann offen bleiben, welche Auffassung den Vorzug verdient. Auch bei Annahme eines Vertrages zugunsten Dritter entstehen zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher vertragsähnliche Beziehungen mit arbeitsrechtlichem Charakter (Schüren, Einl. Rdnr. 143; Münch.Komm. zum BGB/Gottwald, 4. Aufl., § 328 Rdnrn. 30, 38). Der arbeitsrechtliche Charakter der vertragsähnlichen Beziehungen zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer folgt aus der arbeitsrechtlichen Stellung des Entleihers mit beschränkten Arbeitgeberfunktionen. Er hat gemäß § 11 Abs. 6 AÜG unbeschadet der Pflichten des Verleihers eigene öffentlichrechtliche Arbeitgeberpflichten zu erfüllen. Der privatrechtliche Umfang der dem Entleiher obliegenden Fürsorgepflichten umfasst darüber hinaus alle Schutzpflichten, die mit der Einordnung des Leiharbeitnehmers in den betrieblichen Geschehensablauf und seiner Arbeitsleistung verbunden sind (Becker/Wulfgramm, aaO, Rdnr. 58 Art. 1 § 1 AÜG; Schüren, aaO, Einl. Rdnr. 143; Becker, Der arbeits- und sozialrechtliche Status der Leiharbeitnehmer, ZIP 1984, 782). Es gelten insbesondere die arbeitsrechtlichen Haftungsbeschränkungen zugunsten des Arbeitnehmers für Schäden des Entleihers, die bei der Ausübung betrieblich veranlasster Tätigkeit entstanden sind (Schüren, aaO, Einl. Rdnr. 376; LAG Düsseldorf LAGE § 670 BGB Nr. 7).

Die am Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der Zuständigkeitsnorm gebietet es, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die wie vorliegend in einer greifbaren Beziehung zum Arbeitvertrag stehen und arbeitsrechtlichen Regeln unterliegen, auch prozessual durch die Arbeitsgerichte entscheiden zu lassen (vgl. BAG vom 23.08.2001 - 5 AZB 11/01 - NZA 2002, 230).

2. Es darf nicht verkannt werden, dass es sich bei dem Beklagten unstreitig um einen Arbeitnehmer im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG handelt, der im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden ist. Die Ausübung der sekundären oder abgeleiteten Arbeitgeberfunktionen oblag dem Kläger. Die Arbeitgeberfunktion des Klägers kann im Rahmen der Zuständigkeitsnormen nicht deshalb verneint werden, weil der Arbeitsvertrag nicht mit ihm, sondern mit dem Verleiher geschlossen worden ist. Die herrschende Meinung bejaht daher zu Recht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch bei der Inanspruchnahme des Leiharbeitnehmers durch den Entleiher (GK-ArbGG/Wenzel, Rdnr. 72 zu § 2; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 4. Aufl., Rdnr. 52 zu § 2; Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht/Ascheid, Bd. 2, Nr. 9, Rdnr. 282; Sandmann/Marschall, AÜG, Stand Januar 2002, Anm. 7 zu Art. 2 AÜG).

III

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, weil der Beklagte der Beschwerde des Klägers nicht entgegengetreten ist. Die durch die Beschwerde entstandenen Kosten bilden einen Teil der Gesamtkosten des Rechtsstreits (Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., Rdnr. 10 zu § 97).

IV

Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft im Rechtswegbestimmungsverfahren sind 3/10 des Wertes der Hauptsache festgesetzt worden.

V

Wegen der grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage hat das Beschwerdegericht die weitere Beschwerde gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassen. Ob es sich dabei um eine Rechtsbeschwerde im Sinne der §§ 574 ff ZPO handelt, muss bezweifelt werden (so aber BAG vom 26.09.2002 - 5 AZB 15/02 - NZA 2002, 1302). Die als Zulassungsbeschwerde ausgestaltete weitere Beschwerde ähnelt zwar der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 ZPO, ist aber nicht mit ihr identisch (vgl. dazu Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., Rdnr. 16 zu § 17 a GVG sowie Baumbau/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., Rdnr. 13 zu § 17 a GVG). Die Zulassungsvoraussetzungen nach § 17 Abs. 4 Satz 4 GVG und die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 ZPO sind unterschiedlich geregelt. Die besonders geregelte weitere Beschwerde unterliegt lediglich den Verfahrensvorschriften des jeweiligen Gerichtszweiges (§ 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG).

Ende der Entscheidung

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