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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.07.2007
Aktenzeichen: 2 Ta 76/07
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 a
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 2
Rechtsweg: Der Leitende Arzt einer Spezialklinik, der aufgrund eines Beratervertrages tätig geworden ist, kann als arbeitnehmerähnliche Person gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG angesehen werden, wenn er wirtschaftlich abhängig war und in ähnlicher Weise wie ein angestellter Arzt tätig geworden ist.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 17.01.2007 - 3 Ca 1420/06 - abgeändert.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für zulässig erklärt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 26.841,00 € festgesetzt.

Gründe:

I

Die Parteien streiten im Beschwerderechtszug über die Zulässigkeit des Rechtsweges.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Vergütung, Urlaubsgeld und Herausgabe der ausgefüllten Arbeitspapiere in Anspruch mit der Behauptung, er sei ab 01.10.2005 als leitender Arzt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden gegen eine monatliche Vergütung von 7.000,00 € eingestellt worden.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Therapiezentrum für Abhängigkeitserkrankungen mit 60 Belegbetten. Sie suchte im Jahre 2005 neben der therapeutischen Leiterin einen Leitenden Arzt. Am 25.07.2005 kam es zum Abschluss eines Honorar-/Beratungsvertrages zwischen den Parteien, in dem es wie folgt heißt:

"Die Parteien zu 1.) und 2.) vereinbaren wie folgt zu verfahren:

- Herr Dr. D2 wird bis zum 30.09.2005 der R1 Sucht gGmbH als ärztlicher Berater zur Verfügung stehen. Zu den möglichen Inhalten seiner Aufgaben gehören:

- Beratung und Hilfestellung bei einer neuen Behandlungssystematik für Patienten mit Doppeldiagnosen, die auf dem von der LVA genehmigten Konzept der A4 in S2 basiert.

- Die laufende Beratung bei der medizinisch-therapeutischen Einführung dieser Behandlungssystematik.

- Im Bedarfsfall und auf Anforderung Mitwirkung bei der Begutachtung der Patientin sowohl im psychiatrisch-psychotherapeutischen Sinne, als auch im allgemeinmedizinischen Sinne. Sofern der Leitungsträger seine Begutachtung/Beurteilung anfordert klärt Herr Dr. D2 hiermit seine Bereitschaft, dem nachzukommen.

- Herr Dr. D2 akzeptiert eine form der Präsenzpflicht, insbesondere in der A4, die sich am Bedarf und an der Notwendigkeit orientiert.

- Die Leistungen von Dr. D2 werden mit einer umsatzsteuerfreien Nettopauschale in Höhe von 7.000,- Euro monatlich, fällig nach Ablauf der o.a. Gesamtberatungszeit und nach entsprechender Rechnungstellung honoriert.

- Das Beratungsverhältnis zwischen den Parteien endet, sofern nichts anderes vereinbart wird, mit Ablauf des 30.09.2005 automatisch. Einer ausdrücklichen Kündigung bedarf es nicht."

Mit Schreiben vom 13.09.2005 bestätigte die Beklagte die geplante Einstellung des Klägers ab 01.10.2005 als Leitender Arzt. Die arbeitsrechtlichen Details und insbesondere die genaue Aufgabenbeschreibung seien zentraler Gegenstand des noch auszufertigenden Arbeitsvertrages. Auf den weiteren Inhalt dieses Schreibens wird Bezug genommen (Bl. 23 d.A.). Der von der Beklagten vorgelegte Arbeitsvertrag ab 01.10.2005 über die Tätigkeit eines Leitenden Arztes mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 32 Wochenstunden gegen eine monatliche Vergütung von 7.000,00 € brutto wurde nicht unterschrieben. Nach Darstellung der Beklagten hatte der Kläger gegenüber dem zunächst vorgelegten Entwurf mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Wochenstunden bei Zustimmung zu den wesentlichen Rahmenbedingungen Änderungswünsche. Der Kläger sei nicht bereit gewesen, den daraufhin geänderten Entwurf zu unterzeichnen, sondern habe immer wieder neue Forderungen aufgestellt. Die Zusammenarbeit sei daher auf der Grundlage des Beratervertrages vom 25.07.2005 als freies Mitarbeiterverhältnis fortgesetzt worden.

Demgegenüber behauptet der Kläger, er sei ab 01.10.2005 als Arzt bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden gegen eine monatliche Vergütung von 7.000,00 € brutto eingestellt worden. Die Beklagte habe seine Änderungswünsche bezüglich des Arbeitsvertrages einarbeiten wollen. Ab dem 01.10.2005 habe er vereinbarungsgemäß den Dienst aufgenommen.

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und den Akteninhalt Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten durch Beschluss vom 17.01.2007 für unzulässig erklärt und des Rechtsstreit an das Landgericht Paderborn verwiesen. Zur Begründung seines dem Kläger am 22.01.2007 zugestellten Beschlusses hat es ausgeführt, der Kläger sei kein Arbeitnehmer der Beklagten gewesen, denn ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei nicht zustande gekommen. Der Kläger habe auch nicht ausreichend dargelegt, dass zwischen den Parteien mündlich ein Arbeitsvertrag geschlossen worden sei. Aus der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses ergäben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Der Kläger sei wegen seiner Nebeneinkünfte auch nicht als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Der dagegen beim Landesarbeitsgericht am 05.02.2007 eingegangenen sofortigen Beschwerde des Klägers hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 11.04.2007 nicht abgeholfen. Auf den Nichtabhilfebeschluss und seine Begründung (Bl. 219 ff d.A.) wird ebenfalls Bezug genommen.

Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Kläger vor, die Parteien hätten sich am 30.09.2005 mündlich auf seine Weiterbeschäftigung im Rahmen eines unbefristeten Angestelltenverhältnisses geeinigt. Als Klinikarzt sei er örtlich und inhaltlich vollständig in den Klinikbetrieb gegliedert und an feste Arbeitszeiten gebunden gewesen. Morgens habe er zwischen 8.00 Uhr/8.30 Uhr seine ärztliche Tätigkeit aufgenommen und ohne Bereitschaftsdienstzeiten wöchentlich durchschnittlich 35 Stunden gearbeitet. Die Wahrnehmung seiner Lehrtätigkeit als Gastprofessor an der Universität K3 sei mit der Beklagten abgestimmt worden. Die ihm zugesicherte viertägige Präsenzpflicht habe teilweise nicht eingehalten werden können, weil er wiederholt an seinem arbeitsfreien Tag (freitags) in die Klinik gerufen worden sei. Im Stellenplan der Klinik sei er als Arbeitnehmer aufgeführt worden. Seine Gastprofessur an der Universität K3 sei von vornherein mit der Beklagten abgestimmt und von dieser gewünscht worden. Er sei von der Beklagten wirtschaftlich abhängig gewesen, denn die Bezüge bei der Beklagten hätten 90 % seines Einkommens betragen.

Die Beklagte beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Beschwerderechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II

Die gemäß den §§ 17 a Abs. 4 Satz 2 GVG, 48 Abs. 1 Nr. 2, 78 Satz 1 ArbGG, 596 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers hat Erfolg. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist zulässig. Der Kläger ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG zumindest als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen.

1. Es kann offen bleiben, ob zwischen den Parteien mündlich ein Arbeitsverhältnis vereinbart worden ist und es sich daher vorliegend um eine Streitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG handelt. Es bedarf auch keiner Entscheidung darüber, ob der objektive Geschäftsinhalt und die tatsächliche Durchführung des Vertrages für ein in Wirklichkeit bestehendes Arbeitsverhältnis sprechen (vgl. dazu BAG vom 25.05.2005 - 5 AZR 347/04, AP Nr. 117 zu § 611 BGB Abhängigkeit und BAG vom 14.03.2007 - 5 AZR 499/06). Die bloße Nichtausübung des für ein Arbeitsverhältnis typischen Weisungsrechts führt nicht zwangsläufig zur Annahme eines freien Dienstverhältnisses (dazu BAG vom 25.01.2007 - 5 AZB 49/06, NJW 2007, 1485). Hat der Kläger wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 22.11.2006 behauptet die wesentlichen Rahmenbedingungen des vorgelegten Arbeitsvertrages akzeptiert, kann ein Arbeitsverhältnis bestanden haben; zumindest haben die Parteien übereinstimmend ein Arbeitsverhältnis gewollt, ohne dass ein schriftlicher Arbeitsvertrag unterschrieben worden ist.

Im Rechtswegbestimmungsverfahren bedarf es keiner näheren Klärung, ob der Kläger gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG Arbeitnehmer der Beklagten war. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist auch dann eröffnet, wenn dem Kläger wenigstens gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG der Status einer arbeitnehmerähnlichen Person zuzubilligen ist. In diesem Fall gilt der Kläger als Arbeitnehmer kraft gesetzlicher Fiktion, so dass die Arbeitsgerichte zuständig sind. Bei Zuständigkeitsfragen ist eine Wahlfeststellung zulässig (BAG vom 14.01.1997 - 5 AZB 22/96, NJW 1997, 1724 sowie vom 17.06.1999 - 5 AZB 23/98, NZA 1999, 1175).

2. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbständige, die wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern geringeren Weisungsgebundenheit und oft auch wegen fehlender oder geringerer Eingliederung in eine betriebliche Organisation im Vergleich zu Arbeitnehmern in einem Arbeitsverhältnis in wesentlich geringerem Maße persönlich abhängig sind. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt die wirtschaftliche Abhängigkeit. Allerdings muss der wirtschaftlich Abhängige seiner gesamten sozialen Stellung nach in vergleichbarer Weise wie ein Arbeitnehmer schutzbedürftig und die geleisteten Dienste müssen nach ihrer soziologischen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sein (BAG vom 16.07.1997 - 5 AZB 29/96, AP Nr. 37 zu § 5 ArbGG 1979; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 9 I Rdnr. 2; Beschluss der Kammer vom 24.01.2003 - 2 Ta 302/02).

a) In diesem Sinne war der Kläger von der Beklagten abhängig, denn er war zunächst in die betriebliche Organisation des Klinikbetriebes eingebunden. Er konnte seine ärztlichen Leistungen nur in Zusammenarbeit mit den therapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Klinik erbringen. In welchem zeitlichen Umfang der Kläger im Einzelnen für die Beklagte tätig geworden ist, kann im Rechtswegbestimmungsverfahren außer Betracht bleiben. Entscheidend ist, dass er einen wesentlichen Teil seiner Arbeitskraft als Leitender Arzt für die Beklagte erbracht hat. Er war von ihr wirtschaftlich abhängig, denn der Kläger hat nunmehr substantiiert belegt, dass er zur Sicherung seiner Existenzgrundlage auf die bei der Beklagten erzielten Einkünfte angewiesen war (BAG vom 17.01.2006 - 9 AZR 61/05, EzA BUrlG, § 2 Nr. 6 zu I 3 b der Gründe). Der Kläger behauptet dazu, er habe 90 % seines Einkommens bei der Beklagten bezogen. Seine wissenschaftliche Lehrtätigkeit als Gastprofessor an der Universität K3 sei größtenteils unentgeltlich erfolgt. Nach der Einnahmenaufstellung des Klägers für das Jahr 2006 hat er aus seinen Tätigkeiten für andere Auftraggeber allenfalls Einnahmen in Höhe von 10 % der von der Beklagten geleisteten Vergütungszahlungen erhalten. Die Beklagten hat die Angaben des Klägers zwar bestritten. Es bestehen aber keine Anhaltspunkte, dass sie falsch sind und der Kläger in Wirklichkeit aus der anderweitigen Verwertung seiner Arbeitskraft andere, existenzsichernde Einkünfte erzielt hat.

b) Danach war der Kläger in vergleichbarer Weise wie ein angestellter Arzt von der Beklagten wirtschaftlich abhängig. Er war in ähnlicher Weise wie ein angestellter Arzt tätig, denn die Beklagte hat monatlich gleichbleibende Zahlungen in Höhe von 7.000,00 € an den Kläger erbracht, ohne dass seine ärztlichen Leistungen nach Gegenstand und Umfang im Einzelnen abgerechnet worden sind. Die Arbeitnehmerähnlichkeit der Tätigkeit des Klägers folgt aus dem nach Meinung der Beklagten weiterbestehenden Honorarvertrag vom 25.07.2005, weil darin laufende Beratung und eine bestimmte Form der Präsenzpflicht vereinbart worden sind. Von der bloßen Gewährung einer Verdienstmöglichkeit nach der für die Tätigkeit eines Selbständigen maßgeblichen Gebühren- und Vergütungsordnung (vgl. dazu die Beleghebamme in dem Beschluss des BAG vom 21.02.2007 - 5 AZB 52/06, NJW 2007, 1709) kann vorliegend keine Rede sein. Die gesamten Umstände deuten eher auf die Tätigkeit eines angestellten Arztes hin, so dass die von ihm geleisteten Dienste mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind. Bezeichnend ist, dass die Parteien übereinstimmend ein Arbeitsverhältnis gewollt haben.

III

Die Beklagte hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahren zu tragen.

IV

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens bemisst sich nach dem Wert der Hauptsache. Wegen der eingeschränkten Rechtskraft im Rechtswegbestimmungsverfahren sind davon 3/10 in Ansatz gebracht worden.

Ende der Entscheidung

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