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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 4 (17) Sa 695/05
Rechtsgebiete: TV-SichArbN


Vorschriften:

TV-SichArbN (Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer vom 08.05.1974) § 2
1. Nach § 2 Ziff. 2 TV-SichArbN ist eine ordentliche Kündigung eines alterskündigungsgeschützten Arbeitnehmers in zwei Ausnahmefällen zulässig, obwohl Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb insgesamt erhalten bleiben. Gemäß § 2 Ziff. 2 TV-SichArbN kann, soweit der Betriebsrat nicht widerspricht, von Ziff. 1 abgewichen werden bei,,Stilllegung wesentlicher Betriebsteile'' (Ziff. 2a) und in anderen sachlich begründeten Fällen'' (Ziff. 2b).

2. Die erstgenannte Ausnahme stellt eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG dar und gibt den Prüfungsmaßstab vor. Das Vorliegen eines "wesentlichen Betriebsteils" ist dann anzunehmen, wenn in dem fraglichen Betriebsteil ein erheblicher Teil der Gesamtbelegschaft beschäftigt ist; dabei ist auf die Zahlenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG abzustellen.

3. Die letztgenannte Ausnahme, die keinen geringeren Anforderungen unterliegt, kann auch durch einen bloßen Personalabbau unter Beibehaltung der sächlichen Betriebsmittel erfüllt sein, wenn es sich um einen ,,erheblichen Personalabbau'' handelt; dabei kann ebenfalls auf die Zahlen- und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG als Richtschnur abgestellt werden


Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 18.01.2005 - 2 Ca 1696/04 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.300,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der Beklagte ist der durch Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 01.05.2005 - 71 IN 13/05 - über das Vermögen der B1xxxxxxxxx W1xxx-S1xxxxxxx GmbH & Co. KG aus S6xxxxxxx (Insolvenzschuldnerin) bestellte Insolvenzverwalter. Bei der Insolvenzschuldnerin war der am 01.02.13xx geborene, verheiratete und keinem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger seit 20.08.1984 als Maschinenführer in der Spinnerei beschäftigt, zuletzt gegen einen Stundenlohn von 11,58 € brutto bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für gewerbliche Arbeitnehmer der Nord/Westdeutschen Textilindustrie Anwendung, darunter auch der Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer vom 08.05.1974 (TV-SichArbN), in dem unter anderem bestimmt ist:

§ 2 - Kündigungsschutz

1. Einem gewerblichen Arbeitnehmer kann nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren bis zur Bewilligung des Altersruhegeldes, längstens jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Beschäftigungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Bei Betriebsstilllegung ist die ordentliche Kündigung erst zum Zeitpunkt der endgültigen Produktionseinstellung zulässig.

2. Wenn der Betriebsrat nicht widerspricht*), kann von Ziffer 1 abgewichen werden:

a) bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile,

b) in anderen sachlich begründbaren Fällen.

Erhebt der Betriebsrat Widerspruch, so hat er diesen sachlich zu begründen. Kommt zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat keine Einigung zustande, so werden die Tarifparteien angerufen. Bleiben auch deren Einigungsbemühungen erfolglos, so steht der Rechtsweg offen.

3. Für Änderungskündigungen gelten die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes mit der Maßgabe, dass die von einer Maßnahme nach § 99 BetrVG betroffenen Arbeitnehmer Anspruch auf die Leistungen nach § 3 Ziff. 2 und 3 dieses Tarifvertrages haben.

*) Die Tarifparteien sind übereinstimmend der Auffassung: Entsprechend dem Verfahren nach § 102 BetrVG teilt der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Absicht der Kündigung mit. Für den Betriebsrat gilt dann eine Frist von einer Woche. Äußert er sich in dieser Zeit nicht, so gilt die Kündigung als unwidersprochen.

Die Insolvenzschuldnerin betreibt eine Spinnerei. Vormals wurde in drei Spinnsälen produziert. Aufgrund eines Interessenausgleichs vom 26.02.2003 wurde der Spinnsaal 2 zum 30.09.2003 stillgelegt. Für die soziale Auswahl haben die Betriebsparteien seinerzeit folgende Gewichtung der Auswahlkriterien vorgenommen:

- Lebensalter ab 18 Jahre bis 65 Jahre: je volles Lebensjahr 1,5 Punkte,

- Betriebszugehörigkeit: für jedes volle Beschäftigungsjahr 1,5 Punkte,

- je Kind auf der Lohnsteuerkarte: 6 Punkte,

- anerkannte Schwerbehinderte und Gleichgestellte: 10 Punkte,

- Steuerklasse I unverheiratet: 5 Punkte,

- Steuerklasse I verheiratet: 10 Punkte,

- Steuerklasse II alleinerziehend: 10 Punkte,

- Steuerklasse III Hauptverdiener: 10 Punkte,

- Steuerklassen IV, V und VI verheiratet, Zweitverdiener, Nebenverdiener: 0 Punkte.

Nach Vorliegen des Betriebsergebnisses per 30.06.2004 und des Finanzstatus per 31.08.2004, der eine Finanzlücke von 550.000 € ergab, entschloss sich die Beklagte [Insolvenzschuldnerin], den Spinnsaal 1 zum 30.09.2004 stillzulegen. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sie noch insgesamt 64 Arbeitnehmer. Sie verhandelte mit dem Betriebsrat über einen Personalabbau von 28 Arbeitnehmern und vereinbarte am 15.06.2004 einen Interessenausgleich mit Namensliste, der von den Betriebsparteien am 16.09.2004 unterzeichnet worden ist und folgenden Wortlaut hat:

1. Die Geschäftsleitung hat den Betriebsrat über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens unterrichtet. Die Veränderungen des Marktes erfordern Anpassungsmaßnahmen an die wirtschaftliche Situation, womit Kündigungen von 28 Mitarbeitern aus den Bereichen Produktion und Verwaltung verbunden sind. Die Maßnahmen sollen bis Ende März 2005 abgeschlossen sein.

2. Die vorgestellten Maßnahmen wurden im Einzelnen mit dem Betriebsrat beraten. Der Betriebsrat stimmt den Änderungen zu.

3. Die Produktion wird von derzeit 5.400 Tonnen auf ca. 3.000 Tonnen / Jahr reduziert. Die hierfür benötigten Kapazitäten sind in dem Spinnsaal 3 vorhanden. Die Produktion im Saal 1 wird stillgelegt bis 30.09.2004.

4. Von dieser Maßnahme betroffen sind 28 Arbeitsplätze in S1xxxxxxx, V4xxxxx und Verwaltung. Der Betriebsrat stimmt den damit verbundenen personellen Maßnahmen und Versetzungen sowie den fristgerechten betriebsbedingten Kündigungen der auf anliegender Liste namentlich aufgeführten Arbeitnehmer zu. Die Zustimmung zur Kündigung der Schwerbehinderten erfolgt vorbehaltlich der behördlichen Zustimmung und bedarf keiner erneuten Anhörung des Betriebsrates. Die Betriebsparteien stellen fest, dass keine Einschränkung der Kündigungsmöglichkeiten besteht. Der Betriebsrat wird entsprechende Erklärungen auch gegenüber den beteiligten Behörden abgeben.

Die Unterrichtung des Betriebsrates durch den Arbeitgeber erfolgte umfassend und in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG ist damit abgeschlossen.

Es besteht Einigkeit darüber, dass mit den vorstehenden Bestimmungen der Interessenausgleich gem. §§ 111,112 BetrVG abschließend geregelt ist.

Die Beklagte [Insolvenzschuldnerin] kündigte mit Schreiben vom 23.09.2004 das Arbeitsverhältnis des Klägers, der in der Namensliste unter der lfdn. Nummer 20 benannt ist, fristgerecht zum 30.04.2005.

Hiergegen hat der Kläger sich mit Klageschrift vom 30.09.2004, bei dem Arbeitsgericht am 01.10.2004 eingegangen, zur Wehr gesetzt.

Er hat behauptet, sein Arbeitsplatz sei nicht entfallen, zudem könne er als Kannenfahrer beschäftigt werden. Die Sozialauswahl sei fehlerhaft, denn die Mitarbeiter M5xxxx X1xxxx, I2xxx Y1xxx und S8xxx C1xxxxxx seien jünger als er, der Mitarbeiter l1xxx Y1xxx habe lediglich ein Kind, nicht zwei. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats vor der Kündigung werde mit Nichtwissen bestritten. Letztlich genieße er den besonderen Kündigungsschutz nach den Bestimmungen des Tarifvertrages zur Sicherung älterer Arbeitnehmer (gewerbliche Arbeitnehmer) vom 08.05.1974.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten [Insolvenzschuldnerin] mit Schreiben vom 23.09.2004 ausgesprochene Kündigung zum 30.04.2005 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte [Insolvenzschuldnerin] hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Arbeitsplatz des Klägers sei aus betriebsbedingten Gründen entfallen. Wegen der wirtschaftlichen Lage, einer veränderten Lieferantensituation im Bereich Viskosefaser sowie damit verbundenen Schwierigkeiten, die noch vorhandenen zwei Spinnsäle auszulasten, habe sie sich zur unverzüglichen Stilllegung des Spinnsaals 1 entschlossen. Wegen der Entlassung von 28 der beschäftigten 64 Arbeitnehmer liege eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG vor. Aufgrund des mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs mit Namensliste werde gemäß § 1 Abs. 5 KSchG das Vorliegen betriebsbedingter Gründe für die Kündigung vermutet, die soziale Auswahl sei nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. In die soziale Auswahl seien alle Maschinenführer in der Spinnerei einbezogen worden. Die soziale Auswahl sei zu Ungunsten des Klägers, bei dem 66,7 Punkte zu berücksichtigen seien, ausgegangen. Der als Maschinenführer weiterbeschäftigte Mitarbeiter l1xxx Y1xxx habe ausweislich der Eintragung in der vorgelegten Lohnsteuerkarte zwei Kinder. Mit den als Kannenfahrer beschäftigten Arbeitnehmern sei der Kläger nicht vergleichbar. Er verfüge weder über deren vollständige Qualifikation, noch könne ihm diese Tätigkeit per Direktionsrecht zugewiesen werden. Zudem sei auch der als Kannenfahrer noch beschäftigte Mitarbeiter S9xxxxxxx S10xxx sozial schutzwürdiger als der Kläger. Dieser sei am 14.03.15xx geboren, verheiratet, seiner Ehefrau und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet und seit 21.01.1975 bei ihr beschäftigt.

Der Betriebsrat sei vor der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden. Nach der Darlegung der Gründe für die Schließung des Spinnsaales 1 zum 30.09.2004 und des damit verbundenen Personalabbaus sei mit dem Betriebsrat erörtert worden, in welcher Weise die soziale Auswahl durchgeführt werden solle. Man sei übereingekommen, die Gewichtung der Sozialdaten wie im Interessenausgleich vom 26.02.2003 vorzunehmen. Dem Betriebsrat sei im Zusammenhang mit den Beratungen über den Interessenausgleich eine Personalliste übergeben worden, in der alle Mitarbeiter des gesamten Betriebs aufgeführt gewesen seien, und zwar aufgegliedert nach dem tatsächlichen Einsatzbereich und den entsprechenden Qualifikationen. In diese Personalliste seien sodann die Punkte gemäß der vorerwähnten Gewichtung "eingepflegt" worden. Nachdem eine Einigung auf die Namenliste stattgefunden habe, habe sie mitgeteilt, sie beabsichtigte den Mitarbeitern, die auf der Liste aufgelistet seien, fristgerecht zu kündigen. Der Betriebsrat sei um eine Stellungnahme zu den beabsichtigten Kündigungen gebeten worden. Der Betriebsrat habe sich daraufhin zur Beratung zurückgezogen. Im Anschluss an die Beratung habe der Betriebsratsvorsitzende im Beisein aller Betriebsratsmitglieder mitgeteilt, der Betriebsrat habe den Beschluss gefasst, den beantragten Kündigungen zuzustimmen. Deshalb stehe der ordentlichen Kündigung des Klägers das tarifliche Alterssicherungsabkommen nicht entgegen.

Mit Interessenausgleich vom 11.10.2004 haben sich die Betriebsparteien wegen weiterhin unverändert schlechter wirtschaftlicher Lage auf eine vollständige Stilllegung des Unternehmens in Form der stillen Liquidation zum 30.06.2005 geeinigt. Es war beabsichtigt, zu diesem Zeitpunkt sämtliche produktions und vertriebstechnische Aktivitäten einzustellen. Dementsprechend wurde allen noch verbliebenen 34 Arbeitnehmern fristgerecht gekündigt. Der bereits gekündigte Kläger hat in diesem Zusammenhang keine weitere Kündigung erhalten.

Das Arbeitsgericht hat bezüglich der Anhörung des Betriebsrats vor der Kündigung Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Betriebsratsmitglieds F2xxx K4xxxxx. Wegen des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 13.01.2005 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 18.01.2005 (2 Ca 1696/04), auf welches zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sachverhalts gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollinhaltlich Bezug genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten [Insolvenzschuldnerin] vom 23.09.2004 nicht aufgelöst worden ist.

Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe den Betriebsrat vor der Kündigung des Klägers nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG angehört. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dem Betriebsrat sei zwar mitgeteilt worden, dass Arbeitsplätze in der Spinnerei wegen der Schließung des Spinnsaals 1 entfielen, der Zeuge K4xxxxx habe jedoch nicht bestätigt, dass die Beklagte dem Betriebsrat die wesentlichen Gesichtspunkte für die soziale Auswahl mitgeteilt habe. Der Zeuge habe sich nicht erinnern können, welche Arbeitnehmer bei der sozialen Auswahl als mit dem Kläger vergleichbar angegeben worden seien. Der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer ergäbe sich auch nicht aus den Personallisten, denn der Zeuge habe ohnehin nur die Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer vorgelegt und nicht sicher bestätigen können, dass auch eine Liste mit den Sozialdaten aller Arbeitnehmer vorgelegt worden sei, aus der sich auch die Zuordnung zu Abteilungen ergäbe. Der Zeuge habe erklärt, der Betriebsrat sei dahingehend informiert worden, dass die Maschinenführer der Spinnerei künftig auch als Kannenfahrer tätig sein müssten, bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer sei berücksichtigt worden, welche Arbeitnehmer flexibler seien. Da der Kläger sowohl in der Spinnerei als auch als Kannenfahrer eingesetzt gewesen sei, stelle die Information der Beklagten über die Tätigkeiten, mit denen die Arbeitnehmer beschäftigt würden, keine hinreichende Information dar, welche Arbeitnehmer als vergleichbar in die soziale Auswahl einbezogen worden seien.

Letztlich habe der Zeuge K4xxxxx auch nicht bestätigt, dem Betriebsrat sei mitgeteilt worden, mit dem Kläger sei der Arbeitnehmer mit der geringsten Punktzahl nach den sozialen Auswahlkriterien zu entlassen gewesen. Es genüge zum Nachweis der ordnungsgemäßen Information des Betriebsrats nicht, dass der Zeuge bestätigt habe, eine Punkteliste mit der Gewichtung der Sozialdaten sei vorgelegt worden. Da sich der Kreis der in die soziale Auswahl mit dem Kläger einzubeziehenden Arbeitnehmer nicht bestimmen lasse, sei für den Betriebsrat ohne weitere Information aus den möglicherweise vorgelegten Personallisten nicht erkennbar gewesen, dass mit dem Kläger der Arbeitnehmer mit der geringsten Punktzahl im Verhältnis zu den verbleibenden Arbeitnehmern entlassen werden sollte. Es könne mithin nicht festgestellt werden, dass dem Betriebsrat die wesentlichen Gesichtspunkte für die soziale Auswahl angegeben worden seien. Hierauf sei es jedoch angekommen, da unstreitig vergleichbare Arbeitnehmer im Rahmen der streitbefangenen Betriebsänderung weiterbeschäftigt worden seien. Damit sei die Kündigung bereits wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, so dass es auf die weiter geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe nicht ankomme.

Gegen das ihr am 16.03.2005 zugestellte Urteil haben die Beklagte [Insolvenzschuldnerin] am 11.04.2005 Berufung eingelegt und der Beklagte unter gleichzeitiger Aufnahme des seit der Insolvenzeröffnung vom 01.05.2005 unterbrochenen Rechtsstreits am 17.05.2005 begründet.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für falsch, da das Arbeitsgericht im Hinblick auf das Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste die Anforderungen an die Betriebsratsanhörung überspannt habe.

Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, nach der Information des gesamten versammelten Betriebsrat durch den Geschäftsführer Z2xxxx am 15.09.2004 über die Gründe für den beabsichtigten Personalabbau und den Hinweis, dass die wirtschaftliche Situation des Unternehmens den Abschluss eines Sozialplanes nicht ermögliche, da hierfür keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, sei die Betriebsratssitzung unterbrochen. Sie sei noch am selben Tag fortgesetzt worden. Der Betriebsratsvorsitzende habe erklärt, der Betriebsrat sehe keine Alternativen zu dem von ihr vorgeschlagenen Konzept, er sei mit dem Abschluss eines Interessenausgleiches auch ohne Sozialplan einverstanden und stimme diesem zu.

Anschließend sei erörtert worden, in welcher Weise die soziale Auswahl durchgeführt werden solle. Sie habe dargelegt, dass die soziale Auswahl nach den rechtlichen Vorgaben unter den vergleichbaren Mitarbeitern entsprechend Qualifikation und Ausbildung sowie arbeitsrechtlicher Versetzungsmöglichkeit durchgeführt werden solle. Bei Schließung des Spinnsaales 2 hätten die Betriebspartner sich seinerzeit über eine Punkteverteilung zur sozialen Auswahl geeinigt. Ihrem Vorschlag, dieses Punkteschema auch dem vorliegend streitigen Personalabbau zugrundezulegen, sei der Betriebsrat gefolgt. Dem Betriebsrat sei im Zusammenhang mit den Beratungen über den Interessenausgleich eine Personalliste mit allen Arbeitnehmer des gesamten Betriebes übermittelt worden, und zwar aufgegliedert nach Abteilungen sowie dem tatsächlichen Einsatzbereich und den bei der jeweiligen Personen vorhandenen Qualifikationen. In die Personalliste seien die nach der geschilderten Gewichtung der Sozialdaten zu vergebenden Punkte, die eines der Betriebsratsmitglieder mitberechnet habe, dann mit der Maßgabe "eingepflegt" worden, dass gleichwohl Sonderfälle im Einzelnen berücksichtigt würden, insbesondere Härtefälle oder krankheitsbedingte Fehlzeiten in einem Ausmaß, die eine Fortführung von Arbeitsverhältnissen und einen ordnungsgemäßen Ablauf nicht mehr erlaube.

Die zu kündigenden Mitarbeiter seien im Einzelnen durchgesprochen worden. Dabei sei mit dem Betriebsrat erörtert worden, dass im Verhältnis zu den Sozialdaten der vier verbleibenden namentlich genannten Mitarbeiter bei Anwendung der besagten Gewichtung der Kläger derjenige sei, der den geringsten sozialen Schutz für sich in Anspruch nehmen könne, anderweitige Einsatzmöglichkeiten für den Kläger gäbe es nicht, auch keine vergleichbaren Arbeitnehmer mit geringerem sozialen Schutz. Schließlich sei hernach mit dem Betriebsrat eine Einigung bezüglich einer Namensliste erzielt worden für diejenigen Mitarbeiter, denen gekündigt werden sollten.

Nach Erstellung dieser Namensliste habe die Geschäftsleitung der Insolvenzshculdnerin erklärte, sie beabsichtige, den auf der Liste aufgeführten Mitarbeitern fristgerecht zu kündigen, der Betriebsrat werde um Stellungnahme zu den beabsichtigten Kündigungen gebeten. Auf diese Bitte hin habe sich der Betriebsrat zur Beratung zurückgezogen. Nach deren Abschluss habe der Betriebsratsvorsitzende B5xxxxxx S11xxxxxx im Beisein aller Betriebsratsmitglieder gegenüber der Geschäftsleitung mitgeteilt, der Betriebsrat habe den Beschluss gefasst, den beantragten Kündigungen zuzustimmen (Beweis für vorstehenden Vortrag: Zeugnis des vormaligen Geschäftsführers Z2xxxx).

Der beklagte Insolvenzverwalter beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 18.01.200 - 2 Ca 1676/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen und den Wert des Streitgegenstandes festzusetzen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und rügt das Vorbringen des Beklagten als verspätet (§ 67 ArbGG). Das Anbieten eines neuen Beweismittels ("Zeugnis Z2xxxx") scheitere ebenfalls an § 67 ArbGG. Anscheinend aus Enttäuschung über die Angaben des von der Insolvenzschuldnerin in I. Instanz benannten und vom Arbeitsgericht auch gehörten Zeugen K4xxxxx versuche man nun eine entsprechende "Nachbesserung" durch einen in I. Instanz nicht benannten Zeugen. Die in I. Instanz durchgeführte Beweisaufnahme werde vom Beklagten unzutreffend interpretiert. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme sei nicht feststellbar, dass der Betriebsrat über alle kündigungsrelevanten Fakten und Gründe zur Sozialauswahl informiert gewesen sei. Vor diesem Hintergrund könne - auch in Ansehung der zutreffenden Urteilsgründe der mit der Berufung angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts - die Berufung keinen Erfolg haben. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass der Beklagte anscheinend selbst der Auffassung sei, die in Rede stehende Kündigung sei unwirksam. Denn mit Schreiben vom 30.05.2005 habe der beklagte Insolvenzverwalter ihm die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2005 ausgesprochen. Zwar heiße es in dem Kündigungsschreiben, die Kündigung erfolge vorsorglich für den Fall, dass die im vorliegenden Rechtsstreit in Rede stehende Kündigung sich als unwirksam erweisen sollte. Jedoch werde dem beklagten Insolvenzverwalter bekannt sein, dass es sich bei der Kündigung um eine einseitige, empfangsbedürftige und insbesondere bedingungsfeindliche Willenserklärung handele, so dass der Vorbehalt, die neuerliche Kündigung solle nur wirksam sein unter der Bedingung, dass eine frühere Kündigung unwirksam sei, unbeachtlich sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund entsprechender Beschwer statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sowie rechtzeitig ordnungsgemäß begründete Berufung begründete Berufung des Beklagten hat Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die Kündigung der Insolvenzschuldnerin gemäß Schreiben vom 23.09.2004 fristgerecht mit Ablauf des 30.04.2005 beendet worden. Diese Kündigung ist betriebsbedingt, sie scheitert - entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts - nicht an der Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung.

1. Der Arbeitgeber hat vor Ausspruch einer jeden Kündigung den Betriebsrat anzuhören (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Die Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat zuvor überhaupt beteiligt zu haben, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt (BAG v. 15.11.1995 - 2 AZR 974/94, NZA 1996, 419 = ZIP 1996, 648; BAG v. 29.01.1997 - 2 AZR 292/96, NZA 1997, 813). Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch einer jeden Kündigung den Betriebsrat anzuhören (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) und hat ihm dabei

- die Person des zu entlassenden Arbeitnehmers einschließlich seiner Personaldaten,

- die Art der Kündigung (Änderungs oder Beendigungskündigung),

- die Form der Kündigung (außerordentliche oder ordentliche),

- evtl. Kündigungsfrist und termin sowie

- die Kündigungsgründe

mitzuteilen (BAG v. 16.09.1993 - 2 AZR 267/93, MDR 1994, 697 = NZA 1994, 311; LAG Hamm v. 23.01.2003 - 4 Sa 720/02, ZInsO 2004, 1099 [Graner]). Das Anhörungsverfahren gem. § 102 Abs. 1 BetrVG ist auch bei Massenentlassungen durchzuführen (ArbG Wesel v. 28.05.1977 - 6 Ca 389/97, NZA-RR 1997, 341 = ZAP ERW 1998, 45 [Berscheid]).

1.1. Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG n.F. [2004] zustande, dann ersetzt dieser zwar die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG n.F. [2004]). Dagegen entbindet die Erstellung eines Interessenausgleichs mit Namensliste den Arbeitgeber nicht von der Betriebsratsanhörung zu den konkret auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG (so zu § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] vor allem LAG Düsseldorf v. 25.02.1998 - 17/4 Sa 1788/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 9; LAG Düsseldorf v. 21.04.1998 - 3/11/18 Sa 1968/97, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 69; BAG v. 21.02.2002 - 2 AZR 581/00, BAGReport 2003, 16 = NZA 2002, 1360 = ZInsO 2002, 1103; a.A. Giesen, ZfA 1997, 145, 175; Schrader, NZA 1997, 70, 75, die eine gesonderte Anhörung nach § 102 BetrVG als sinnlosen Formalismus ansehen), noch werden die Anforderungen an die Informationspflicht herabgesetzt (LAG Düsseldorf v. 24.03.1998 - 3 Sa 1926/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 6 = MDR 1998, 1357; LAG Düsseldorf v. 24.03.1998 - 3/8/11 Sa 2088/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 7; BAG v. 20.05.1999 - 2 AZR 532/98, MDR 1999, 1273 = NZA 1999, 1101 = ZInsO 1999, 601 = ZIP 1999, 1610; insoweit a.A. ArbG Kiel v. 06.03.1998 - 4 Ca 2458a/97, ZInsO 1998, 237). Die nach § 102 BetrVG vorgeschriebene Mitwirkung des Betriebsrats soll den Arbeitgeber veranlassen, die geplante Kündigung als Individualmaßnahme zu überdenken und möglicherweise von ihr abzusehen (BAG v. 11.10.1989 - 2 AZR 88/89, NJW 1990, 2489 = NZA 1990, 748). In Kenntnis dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber bei Wiederinkraftsetzen des § 1 Abs. 5 KSchG durch das sog. Arbeitsmarktreformgesetz vom 24.12.2003 (BGBl. I. S. 3002) § 102 BetrVG nicht für anwendbar erklärt. Gegen ein Redaktionsversehen spricht insbesondere der Umkehrschluss aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 4 KSchG n.F. [2004], wonach der qualifizierte Interessenausgleich nur die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt (so zu § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] BAG v. 20.05.1999 - 2 AZR 148/99, NZA 1999, 1039 = ZInsO 1999, 601 = ZIP 1999, 1647; LAG Hamm v. 21.03.2002 - 4 Sa 1746/01, LAGReport 2002, 214 = ZinsO 2002, 644 m.w.N. zum Sach und Streitstand).

1.2. Treffen Unterrichtungspflichten nach mehreren Vorschriften zusammen, ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat jeweils getrennte Verfahren einleitet. Es ist zulässig und häufig aus Zweckmäßigkeitsgründen angebracht, die einzelnen Anhörungsverfahren zu verbinden, obwohl sie verschiedenen inhaltlichen Anforderungen unterliegen. Für den Betriebsrat muss aber deutlich werden, welche Verfahren der Arbeitgeber einleiten will und insbesondere, ob nur die Fristen des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, des § 99 Abs. 3 BetrVG, des § 17 Abs. 2 KSchG oder alle diese Fristen anlaufen (so zu § 125 InsO LAG Hamm v. 21.03.2002 - 4 Sa 1746/01, LAGReport 2002, 214 = ZInsO 2002, 644). Soll die Unterrichtung in einem Akt geschehen, so muss die entsprechende Mitteilung den jeweiligen gesetzlichen Anforderungen voll entsprechen (BAG v. 19.08.1975 - 1 AZR 613/74, AP Nr. 5 zu § 102 BetrVG 1972 [Herschel] = EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 16 [Meisel]). Auch kann der Arbeitgeber die Anhörung nach § 102 BetrVG mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbinden (so zu § 1 Abs. 5 KSchG a.F. [1996] BAG v. 20.05.1999 - 2 AZR 532/98, NZA 1999, 1039 = ZInsO 1999, 601 = ZIP 1999, 1647). In einem solchen Falle kann die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zu den Kündigungen im Interessenausgleich festgehalten werden. Es kann in der schriftlichen Vereinbarung über den Interessenausgleich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Insolvenzverwalter gleichzeitig das Anhörungsverfahren bezüglich der in der Namensliste angegebenen Personen einleitet und der Betriebsrat hinsichtlich aller Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt (LAG Hamm v. 16.01.2002 - 2 Sa 1133/01, LAGReport 2002, 246 = ZInsO 2002, 644; LAG Hamm v. 21.03.2002 - 4 Sa 1746/01, LAGReport 2002, 214 = ZInsO 2002, 644; LAG Hamm v. 24.04.2002 - 2 Sa 1847/01, LAGReport 2003, 117 = ZInsO 2002, 788; LAG Hamm v. 04.06.2002 - 4 Sa 57/02, AR-Blattei ES 915 Nr. 21; LAG Hamm v. 04.06.2002 - 4 Sa 81/02, LAGReport 2003, 14 = NZA-RR 2003, 293 = ZInsO 2003, 47; LAG Düsseldorf v. 23.01.2003 - 11/12 Sa 1057/02, LAGE § 125 InsO Nr. 3 = ZIP 2003, 817; LAG Hamm v. 12.02.2003 - 2 Sa 826/02, ZInsO 2004, 566). Dabei ist den Reaktionsmöglichkeiten des Betriebsrats (Zustimmung zu den Kündigungen, abschließende Kenntnisnahme) Rechnung zu tragen (LAG Hamm v. 01.04.2004 - 4 Sa 1340/03, LAGReport 2005, 31; siehe dazu die Formulierungsvorschläge bei Bertram, NZI 2001, 625, 629, und bei Griese, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., S. 1513, 1537/8 Rn. 69, sowie bei Berscheid, jurisPR-ArbR 13/2004, Anm. 3).

1.3. Das in § 102 Abs. 1 BetrVG vorgeschriebene Anhörungsverfahren ist auch bei Aufnahme entsprechender Klauseln in den Interessenausgleich nur wirksam (Griese, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., S. 1513, 1538 Rn. 70), wenn es gegenüber dem Betriebsrat

- tatsächlich stattgefunden hat und

- den von der Rechtsprechung zu § 102 BetrVG entwickelten Anforderungen genügt.

Bezüglich der Pflicht, die Kündigungsgründe gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilen, gelten gewisse Erleichterungen. Regelmäßig gehen dem Abschluss eines Interessenausgleichs, der mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer verbunden ist, längere Verhandlungen voran, aufgrund derer beim Betriebsrat erhebliche Vorkenntnisse über die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe und auch die vielleicht mit dem Betriebsrat zusammen vorgenommene Sozialauswahl vorhanden sein können. Ist dem Betriebsrat der Kündigungssachverhalt, z.B. die Stilllegung des Betriebes oder das Sanierungskonzept, aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich bereits bekannt, braucht der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Kündigungsgründe nicht erneut mitzuteilen (BAG v. 20.05.1999 - 2 AZR 532/98, MDR 1999, 1273 = NZA 1999, 1101 = ZInsO 1999, 601 = ZIP 1999, 1610; LAG Hamm v. 06.07.2000 - 4 Sa 799/00, DZWIR 2001, 107 [Weisemann] = ZInsO 2000, 569; LAG Hamm v. 16.08.2000 - 2 Sa 1859/99, BB 2000, 2472 = BuW 2001, 657 = ZInsO 2001, 335). Wenn aber derartige Vorkenntnisse bestritten werden, muss der Arbeitgeber diese allerdings im Prozess hinreichend konkret darlegen und ggf. beweisen (LAG RheinlandPfalz v. 27.01.2000 - 11 Sa 1062/99, AuR 2000, 195; BAG v. 28.08.2003 - 2 AZR 377/02, ZInsO 2004, 288 = ZIP 2004, 525).

1.3.1. Vorliegend hat die Insolvenzschuldnerin in beiden Instanzen behauptet, nach der Darlegung der Gründe für die Schließung des Spinnsaales 1 zum 30.09.2004 und des damit verbundenen Personalabbaus sei mit dem Betriebsrat erörtert worden, in welcher Weise die soziale Auswahl durchgeführt werden solle. Man sei übereingekommen, die Gewichtung der Sozialdaten wie im Interessenausgleich vom 26.02.2003 vorzunehmen. Dem Betriebsrat sei im Zusammenhang mit den Beratungen über den Interessenausgleich eine Personalliste übergeben worden, in der alle Mitarbeiter des gesamten Betriebs aufgeführt seien, und zwar aufgegliedert nach dem tatsächlichen Einsatzbereich und den entsprechenden Qualifikationen. In diese Personalliste seien sodann die Punkte gemäß der vorerwähnten Gewichtung "eingepflegt" worden. Soweit Punkte "eingepflegt" worden seien, hat die Insolvenzschuldnerin erstinstanzlich erläutert, dies sei in der EDV ein gängiger Begriff dafür, in vorhandene Dokumente weitere Daten einzufügen. Zweitinstanzlich hat der beklagte Insolvenzverwalter ergänzend vorgetragen, die nach der geschilderten Gewichtung der Sozialdaten zu vergebenden Punkte, die dann in die Personalliste "eingepflegt" worden seien, habe eines der Betriebsratsmitglieder mitberechnet. Dieser Vortrag ist durch die Aussage des Zeugen K4xxxxx voll bestätigt worden, denn es heißt dazu in der Sitzungsniederschrift vom 13.01.2005 wörtlich (Hervorhebungen durch das Landesarbeitsgericht):

Eines der Betriebsratsmitglieder von uns hat die Punktzahlen ebenfalls mitberechnet gehabt. Bereits im September lag dem Betriebsrat die "Liste sämtlicher Arbeitnehmer mit der Punktberechnung" vor.

Wie das Arbeitsgericht angesichts dieser klaren und eindeutigen Aussage des Zeugen K4xxxxx zu der Schlussfolgerung gekommen ist, der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer ergäbe sich auch nicht aus den Personallisten, denn der Zeuge habe und nicht sicher bestätigen können, dass auch eine "Liste mit den Sozialdaten aller Arbeitnehmer" vorgelegt worden sei, aus der sich auch die Zuordnung zu Abteilungen ergäbe, bleibt ebenso unerfindlich wie die weitere Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts, da sich der Kreis der in die soziale Auswahl mit dem Kläger einzubeziehenden Arbeitnehmer nicht bestimmen lasse, sei für den Betriebsrat ohne weitere Information aus den "möglicherweise vorgelegten Personallisten" nicht erkennbar gewesen, "dass mit dem Kläger der Arbeitnehmer mit der geringsten Punktzahl im Verhältnis zu den verbleibenden Arbeitnehmern entlassen werden sollte". Da es nach der insoweit zutreffenden Auffassung des Arbeitsgerichts "hierauf ... jedoch (ankam), da unstreitig vergleichbare Arbeitnehmer im Rahmen der streitbefangenen Betriebsänderung weiterbeschäftigt worden sind", hätte sich das Arbeitsgericht nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, "der Zeuge hat ohnehin nur die Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer vorgelegt". Wenn ein Zeuge ohne Angabe des Beweisthemas und ohne Auflage, bestimmte Urkunden zum Termin mitzubringen, nur rein "vorsorglich" geladen wird, muss dass Arbeitsgericht in entscheidungserheblichen Punkten über § 139 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO darauf hinwirken, dass die beweisbelastete Partei die benötigten Urkunden zu den Gerichtsakten reicht.

1.3.2.Wäre dies vorliegend geschehen, wäre auch Arbeitsgericht zu der Einsicht gekommen, dass die Insolvenzschuldnerin den Betriebsrat vorliegend ordnungsgemäß über die Sozialdaten sämtlicher Arbeitnehmer und über den jeweils für auswahlrelevant gehaltenen Personenkreis informiert hat. Die Insolvenzschuldnerin hat nämlich erstinstanzlich - nach den eigenen Feststellungen des Arbeitsgerichts (!) - vorgetragen, "dem Betriebsrat sei im Zusammenhang mit den Beratungen über den Interessenausgleich eine Personalliste übergeben worden, in der alle Mitarbeiter des gesamten Betriebs aufgeführt gewesen seien, und zwar aufgegliedert nach dem tatsächlichen Einsatzbereich und den entsprechenden Qualifikationen". Da der gerichtliche Hinweis unterblieben ist, hat der beklagte Insolvenzverwalter, der an die Stelle der Insolvenzschuldnerin getreten ist, zweitinstanzlich die Personalliste nachreichen können, ohne dass die Verspätungsrüge des Klägers gemäß § 67 ArbGG greift. In der zweitinstanzlich vorgelegten Personalliste, der "Liste mit den Sozialdaten aller Arbeitnehmer", sind die von der Insolvenzschuldnerin für auswahlrelevant gehaltenen Gruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer - dort "Tätigkeitsfelder genannt - optisch von der jeweils vorangehenden bzw. nachfolgenden Auswahlgruppe durch eine Leerzeile getrennt. Da in den einzelnen Auswahlgruppen jeweils an oberster Stelle der Arbeitnehmer mit der höchsten Punktzahl und an unterster Stelle der Arbeitnehmer mit der niedrigsten Punktzahl steht, erhellt sich aus der Rangstelle für jeden Leser der Personalliste auch Grad der soziale Schutzwürdigkeit und damit unter Berücksichtigung der jeweiligen Anzahl auch die Rangfolge der weiterzubeschäftigenden bzw. zu entlassenden Mitarbeiter. Lediglich dann, wenn die Insolvenzschuldnerin einen Maschinenführer mit einer niedrigeren Punktzahl - bspw. den Mitarbeiter Axx Exxx mit 52,0 Punkten - dem Kläger mit seinen 66,7 Punkten vorgezogen und nicht entlassen hätte, hätte gegenüber dem Betriebsrat ein weitergehender Erklärungsbedarf bestanden. Da die Insolvenzschuldnerin die vier Maschinenführer mit den höchsten Punktzahlen hat weiterbeschäftigen wollen, stellt die Personalliste mit den aufgeschlüsselten Punktwerten für die Auswahlkriterien - Alter, Betriebszughörigkeit, Unterhaltspflichten (Steuerklasse/Kinder) und Betriebsrat dar. Der Kläger ist zwar in den Auswahlgruppen nur einmal erwähnt, nämlich im Tätigkeitsfeld 111 "Spinner und Spuler", nicht aber im Tätigkeitsfeld 117 "Kannenfahrer und Aufstecker". Dies führt jedoch - auch wenn der Kläger nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts sowohl in der Spinnerei als auch als Kannenfahrer eingesetzt gewesen ist - nicht zur Fehlerhaftigkeit des Anhörungsverfahrens nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Hat nämlich der Arbeitgeber bei der getroffenen Sozialauswahl bestimmte Arbeitnehmer übersehen oder nicht für vergleichbar gehalten und deshalb insoweit dem Betriebsrat die für die soziale Auswahl (objektiv) erheblichen Umstände zunächst nicht mitgeteilt, so darf er auf entsprechende Rüge des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess insoweit seinen Vortrag ergänzen, ohne dass darin ein unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen gesehen werden kann (BAG v. 07.11.1996 - 2 AZR 720/95, AuR 1997, 124 = BuW 1997, 319 = RzK III 1b Nr. 26; BAG v. 24.02.2000 - 8 AZR 145/99, ZInsO 2000, 568). In der Mitteilung an den Betriebsrat vom Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes - hier: Maschinenführer in der Spinnerei - liegt regelmäßig der für den Betriebsrat erkennbare, wenn auch noch unsubstantiierte Hinweis, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer bestehe nicht. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine solche Möglichkeit - hier: Kannenfahrer in der Spinnerei - dann im anschließenden Kündigungsschutzprozess, so stellt der nunmehr erforderliche Vortrag des Arbeitgebers hierzu eine Konkretisierung des Kündigungsgrundes und kein Nachschieben eines neuen Kündigungssachverhalts dar (BAG v. 07.11.1996 - 2 AZR 720/95, AuR 1997, 124 = BuW 1997, 319 = RzK III 1b Nr. 26). Das von der Insolvenzschuldnerin durchgeführte Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist mithin vorliegend nicht zu beanstanden. Dies hat auch der Betriebsrat selbst ebenso gesehen, denn es heißt dazu unter Ziff. 4 UnterAbs. 2 des Interessenausgleichs vom 15./16.09.2004 wörtlich:

Die Unterrichtung des Betriebsrates durch den Arbeitgeber erfolgte umfassend und in bereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG ist damit abgeschlossen.

2. Kommt bei einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) ein Interessenausgleich mit namentlicher Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer zustande, dann kann die soziale Auswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG n.F. [2004]). Die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsrahmens auf grobe Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondern auf sämtliche Bestandteile der Sozialauswahl (LAG Köln v. 01.08.1997 - 11 Sa 355/97, LAGE § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 1 = NZA-RR 1998, 160). Für die Insolvenzkündigung bestimmt nämlich die "Langfassung" des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ausdrücklich, dass "die soziale Auswahl der Arbeitnehmer ( im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und Unterhaltspflichten ( nachgeprüft werden (kann); sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten bzw. geschaffen wird". Damit sind nicht nur die sozialen Grunddaten des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erwähnt, sondern mit der "ausgewogenen Personalstruktur" ist auch eines der Kriterien für die Herausnahme aus der Sozialauswahl ausdrücklich angesprochen. Es würde zu Wertungswidersprüchen führen, wenn die übrigen Kriterien im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste weiterhin voll nachgeprüft werden müsste (LAG Hamm v. 02.09.1999 - 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352). Die Festlegung des auswahlrelevanten Personenkreises der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer ist der Grundstein für eine ordnungsgemäße Sozialauswahl. Demzufolge bezog sich bisher die Unsicherheit im Betrieb weniger auf die Wertung der vier Auswahlkriterien, sondern welche Tätigkeiten miteinander vergleichbar waren (LAG Hamm v. 05.06.2003 - 4/16 Sa 1976/02, DZWIR 2004, 153 [Weisemann] = LAGReport 2004, 132 [Graner] = ZInsO 2003, 1060).

2.1. Bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste ist die soziale Auswahl gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG n.F. [2004] grob fehlerhaft (LAG Hamm v. 02.09.1999 - 4 Sa 962/99, ZInsO 2000, 352), wenn die Betriebsparteien

- den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer willkürlich bestimmt oder nach unsachlichen Gesichtspunkten eingegrenzt haben,

- die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der herauszunehmenden Arbeitnehmer nicht nach sachlichen Gesichtspunkten konkretisiert haben,

- unsystematische Altersgruppen mit wechselnden Zeitsprüngen (bspw. in 12er, 8er und 10er Jahresschritten) gebildet haben,

- eines der vier sozialen Grundkriterien überhaupt nicht berücksichtigt oder zusätzlichen Auswahlkriterien eine überhöhte Bewertung beigemessen haben.

Die Darlegungs und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt auch bei Massenentlassungen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 Hs. 1 KSchG beim Arbeitnehmer, und zwar selbst dann, wenn diese die Folge einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112a BetrVG sind. Zu beachten ist aber, dass der Arbeitgeber nicht nur bei Einzelkündigungen, sondern auch bei Massenentlassungen dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen hin die Gründe anzugeben hat, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG). Diese Auskunftspflicht führt zu einer abgestuften Verteilung der Darlegungslast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (ArbG Senftenberg v. 05.02.1998 - 3 Ca 2923/97, AuA 1998, 328 = NZA-RR 1998, 299; zust. Berscheid, ZInsO 1999, 511, 512): Zur Erfüllung seiner substantiierten Darlegungslast, die er ohne Auskunft des Arbeitgebers erfüllen kann, muss der Arbeitnehmer unter Angabe der Sozialdaten die oder den Arbeitnehmer (namentlich) benennen, dem oder denen an seiner Stelle hätte gekündigt werden müssen (BAG v. 18.10.1984 - 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423 = ZIP 1985, 953). Soweit der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, zur sozialen Auswahl Stellung zu nehmen und er deswegen den Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat der Arbeitgeber als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG substantiiert auch im Prozess vorzutragen (ArbG Hamburg v. 06.07. 1998 - 21 Ca 65/98, NZA-RR 1999, 29). Erst wenn der Arbeitgeber seiner Auskunftspflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, trägt der Arbeitnehmer wieder die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Sozialauswahl (BAG v. 10.02.1999 - 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702 = ZInsO 1999, 543). Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG n.F. [2004] ändert daran nichts, denn "dieser Prüfungsmaßstab könnte erst dann Bedeutung erlangen, wenn es aufgrund entsprechenden Sachvortrags ... überhaupt etwas zu prüfen gäbe" (so zu § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG a.F. [1996] BAG v. 10.02.1999 - 2 AZR 715/98, ZInsO 1999, 543). Erst wenn der Arbeitgeber seiner durch die Aufforderung des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG ausgelöste Auskunftspflicht nachgekommen ist, kann nach entsprechender (weiterer) Rüge durch den Arbeitnehmer geprüft werden, ob die Sozialauswahl einwandfrei ist oder ob ein festzustellender Mangel als ein leichter Fehler oder als grobe Fehlerhaftigkeit zu bewerten ist (ArbG Frankfurt/Main v. 10.09.1998 - 3 Ca 6701/97, AE 1999, 34).

2.2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die vorgenommene Sozialauswahl nicht zu beanstanden. Vorliegend haben die Insolvenzschuldnerin durch erstinstanzliche Vorlage des Interessenausgleichs vom 15./16.09.2004 und der beklagte Insolvenzverwalter durch zweitinstanzliche Vorlage der Namens und der Personalliste sowie beide durch ergänzende schriftsätzliche Erläuterungen ihre Auskunftspflicht erfüllt. Die vom Kläger erhobenen Rügen zur vorgenommenen Sozialauswahl greifen nicht durch. Die Insolvenzschuldnerin hat mehrere als Tätigkeitsfelder bezeichnete Vergleichsgruppen gebildet, darunter das Tätigkeitsfeld 111 "Spinner und Spuler" und das Tätigkeitsfeld 117 "Kannenfahrer und Aufstecker". Die soziale Auswahl kann nur unter austauschbaren Arbeitnehmern getroffen werden, ohne dass es auf die organisatorische Gliederung des Betriebes oder Zuordnung der Arbeitnehmer zu irgendwelchen Betriebsabteilungen ankäme. Bei struktureller Verschiedenartigkeit der Aufgabenbereiche und der an den Arbeitsplatz gestellten Anforderungen scheidet eine Vergleichbarkeit aus, weil bei einer funktionsbezogenen Betrachtungsweise nicht mehr auf die grundsätzlich gleichwertige Eignung der betroffenen Arbeitnehmer geschlossen werden kann. Ob hiernach "Spinner und Spuler" einerseits sowie "Kannenfahrer und Aufstecker" andererseits miteinander vergleichbar und damit austauschbar sind, ist zwischen den Parteien streitig. Das Arbeitsgericht hat die Behauptung des Klägers, er sei sowohl in der Spinnerei als auch als Kannenfahrer eingesetzt gewesen, ungeprüft übernommen, obwohl die Insolvenzschuldnerin sich darauf berufen hat, der Kläger verfüge weder über die vollständige Qualifikation eines Kannenfahrers, noch könne dem Kläger diese Tätigkeit per Direktionsrecht zugewiesen werden. Letztendlich kann jedoch dahingestellt bleiben, welcher Sachvortrag richtig ist, denn der Kläger hat niemanden benennen können, der weniger schutzwürdig wäre wie er selbst. Sind die vom Arbeitgeber im Rahmen der vorgenommenen Sozialauswahl nicht einbezogenen, aber dennoch vergleichbaren Arbeitnehmer sozial schutzwürdiger als der entlassene Arbeitnehmer, dann ist die Kündigung nicht allein deshalb sozialwidrig, weil der Arbeitgeber den Kreis der auswahlrelevanten Arbeitnehmer zu eng gezogen hat. Der Arbeitnehmer ist vielmehr auch in einem solchen Falle gehalten, aus dem größeren Kreis der auswahlrelevanten Arbeitnehmer weniger schutzbedürftige unter Angabe der Sozialdaten namentlich zu benennen (LAG Hamm v. 26.11.1998 - 4 Sa 34/98, BuW 1999, 560 = ZInsO 1999, 364) oder sich insoweit auf die Einlassung des Arbeitgebers zu berufen. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Insolvenzschuldnerin war der einzige, seinerzeit als Kannenfahrer noch beschäftigte Mitarbeiter S9xxxxxxx S10xxx sozial schutzwürdiger als der Kläger, wie der nachfolgende Vergleich der Sozialdaten zeigt:

 NameGeburtsdatumEintrittsdatumFamilienstandSteuerklasseKinderzahlPunkte
S9xxxxxxx S10xxxxx.xx..xxxx21.01.1975verh.III284,5
Klägerxx.xx..xxxx20.08.1984verh.III066,7

Gleiches gilt im Verhältnis zu den vier zunächst weiterbeschäftigten Maschinenführern, was die Insolvenzschuldnerin bereits erstinstanzlich gerügt hat:

 NameGeburtsdatumEintrittsdatumFamilienstandSteuerklasseKinderzahlPunkte
E3xxx I3xxxxxx.xx.xxxx20.01.1971verh.III085,5
X1xxxx M5xxxxxx.xx.xxxx03.01.1972verh.III085,3
Yavuz l1xxxxx.xx.xxxx28.04.1976verh.III284,0
C1xxxxxx S8xxxxx.xx.xxxxx03.03.1970verh.IV082,3
Klägerxx.xx.xxxx20.08.1984verh.III066,7

Der Kläger hat unter Berücksichtigung und Gewichtung aller Sozialdaten hiernach die geringste Punktzahl. Selbst wenn die älteste Tochter des Mitarbeiters I2xxx Y1xxx seinerzeit verheiratet war, wie der Kläger behauptet, und deshalb bei der Sozialauswahl nicht mehr berücksichtigt werden durfte, bliebe der Mitarbeiter mit 78,0 Punkten deutlich schutzwürdiger als der Kläger mit seinen 66,7 Punkten. Dem Arbeitgeber ist es in einem solchen Falle nicht verwehrt, dann im Kündigungsschutzprozess das Punkteschema zu korrigieren und sich darauf zu berufen, dass der Kläger immer noch die geringste Punktzahl aufweisen würde (LAG Hamm v. 21.08.1997 - 4 Sa 166/97, LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 62). Trennen bei einer Auswahl anhand einer Punktetabelle - wie hier - den entlassenen Arbeitnehmer und den weiterbeschäftigten Arbeitnehmer mehr als zehn Sozialpunkte, so kann nicht einmal von einer Fehlerhaftigkeit, geschweige denn groben Fehlerhaftigkeit der getroffenen Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG a.F. [2004] die Rede sein. Wenn - wie hier - die vier Mitarbeiter mit den höchsten Punktzahlen, die mehr als zehn Sozialpunkte über der Punktzahl des gekündigten Arbeitnehmers liegen, weiterbeschäftigt, dann wäre die Sozialauswahl selbst ohne Interessenausgleich mit Namensliste "ausreichend". Im umgekehrten Fall, nämlich bei Weiterbeschäftigung des Klägers anstelle des Mitarbeiters I2xxx Y1xxx wäre die Sozialauswahl grob fehlerhaft gewesen (so LAG Hamm v. 16.03.2000 - 4 Sa 905/99, ZInsO 2000, 572).

3.Zu Unrecht meint der Kläger, er genieße er den besonderen Kündigungsschutz nach den Bestimmungen des Tarifvertrages zur Sicherung älterer Arbeitnehmer (gewerbliche Arbeitnehmer) vom 08.05.1974. Zwar kann nach § 2 Ziff. 1 TV-SichArbN einem gewerblichen Arbeitnehmer nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren bis zu Bewilligung des Altersruhegeldes, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres das Beschäftigungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. In § 2 Ziff. 1 TV-SichArbN haben die Tarifvertragsparteien zunächst festgelegt, dass bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (Lebensalter und Betriebszugehörigkeit) älteren Arbeitnehmern für einen begrenzten Zeitraum nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann. Lediglich bei Betriebsstilllegungen ist - vergleichbar der Regelung des § 15 Abs. 4 KSchG - noch eine ordentliche Kündigung zulässig, allerdings nur zum Zeitpunkt der endgültigen, also völligen Produktionseinstellung, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit insgesamt ausgeschlossen ist.

3.1. Demgegenüber ist in § 2 Ziff. 2 TV-SichArbN eine ordentliche Kündigung in zwei Ausnahmefällen zulässig, obwohl Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb insgesamt erhalten bleiben. Gemäß § 2 Ziff. 2 TV-SichArbN kann, soweit der Betriebsrat nicht widerspricht, von Ziff. 1 abgewichen werden bei "Stilllegung wesentlicher Betriebsteile" (Ziff. 2a) und "in anderen sachlich begründeten Fällen" (Ziff. 2b). Die erstgenannte Ausnahme stellt eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG dar und gibt den Prüfungsmaßstab vor. Das Vorliegen eines "wesentlichen Betriebsteils" ist nur dann anzunehmen, wenn in dem fraglichen Betriebsteil ein erheblicher Teil der Gesamtbelegschaft beschäftigt ist; dabei ist auf die Zahlenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG abzustellen (BAG, Urt. v. 07.08.1990 - 1 AZR 445/89, NZA 1991, 113 = ZIP 1990, 1426; BAG, Urt. v. 27.06.2002 - 2 AZR 489/01, BAGReport 2003, 22 = NZA 2002, 1304). Die Stilllegung des Spinnsaales 1 erfüllt die tariflichen Voraussetzungen deshalb nicht, weil der Spinnsaal keine abgegrenzte organisatorische Einheit gewesen ist.

3.2. Die letztgenannte Ausnahme ist dagegen vorliegend erfüllt. Die Ausnahme der zulässigen ordentlichen Kündigung "in anderen sachlich begründbaren Fällen" (§ 2 Ziff. 2b TV-SichArbN) unterliegt keinen geringeren Anforderungen als eine Kündigung "bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile" (§ 2 Ziff. 2a TV-SichArbN). Diese Ausnahme ist bspw. bei einer Betriebseinschränkung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG erfüllt. Eine solche ist eine erhebliche, ungewöhnliche und nicht nur vorübergehende Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes, gleichgültig, ob die Verminderung der Leistungsfähigkeit durch Außerbetriebsetzung von Betriebsanlagen oder durch Personalreduzierung erfolgt. Daher kann auch ein bloßer Personalabbau unter Beibehaltung der sächlichen Betriebsmittel eine Betriebsänderung in der Form der Betriebseinschränkung nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG sein kann, wenn es sich um einen "erheblichen Personalabbau" handelt (BAG, Urt. v. 10.12.1996 - 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 = WiB 1997, 933 [Krauß] = ZIP 1997, 1471). Bei der Frage, ob ein Personalabbau so erheblich ist, dass er eine Betriebseinschränkung im vorgenannten Sinne darstellt, kann auf die Zahlen- und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG als Richtschnur abgestellt werden, jedoch mit der Maßgabe, dass von dem Personalabbau mindestens 5% der Belegschaft des Betriebes betroffen sein müssen (BAG, Urt. v. 21.02.2002 - 2 AZR 581/00, BAGReport 2003, 16 = ZInsO 2002, 1103). Diese Voraussetzungen waren bei der geplanten Entlassung von 28 von 64 Arbeitnehmern übererfüllt.

3.3.Die tarifliche Ausnahmeregelung des § 2 Ziff. 2 TV-SichArbN ist nur erfüllt, wenn der Betriebsrat der Kündigung bei Vorliegen einer der beiden Ausnahmetatbestände nicht widerspricht. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Tarifparteien liegen diese Voraussetzungen bereits dann vor, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Absicht der Kündigung mitgeteilt und der Betriebsrat sich innerhalb der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht ablehnend geäußert hat. Vorliegend hat der Betriebsrat nicht bloß die Wochenfrist verstreichen lassen, sondern dem geplanten Personalabbau ausdrücklich zugestimmt, denn es heißt dazu unter Ziff. 4 UnterAbs. 1 des Interessenausgleichs vom 15./16.09.2004 wörtlich:

Von dieser Maßnahme betroffen sind 28 Arbeitsplätze in Spinnerei, Vorwerk und Verwaltung. Der Betriebsrat stimmt den damit verbundenen personellen Maßnahmen und Versetzungen sowie den fristgerechten betriebsbedingten Kündigungen der auf anliegender Liste namentlich aufgeführten Arbeitnehmer zu. ...

Damit ist die gegenüber dem Kläger ausgesprochene ordentliche Kündigung gemäß Schreiben vom 23.09.2004 zulässig und hat dessen Arbeitsverhältnis nach § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB fristgerecht zum 30.04.2005 aufgelöst.

4.Nach alledem hat die Berufung des beklagten Insolvenzverwalters Erfolg. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Zugleich war antragsgemäß der Wert des Streitgegenstandes nach § 63 Abs. 1 GKG n.F. i.V.m. § 32 Abs. 1 RVG und § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG n.F. der Wert des Streitgegenstandes für die Kosten und Gebührenberechnung dem Klageziel entsprechend auf das Vierteljahreseinkommen des Klägers festzusetzen. Der Streitwertbeschluss hat mit der Urteilsformel verbunden werden können. Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 1 ArbGG ist bei der vorliegenden Einzelfallgestaltung nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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