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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: 4 Sa 89/08
Rechtsgebiete: TV-N, TV-V, GG


Vorschriften:

TV-N
TV-V
GG Art. 3 Abs. 1
Es verstößt nicht gegen den Grundsatz der Tarifeinheit, wenn aufgrund eines Einführungstarifvertrags und einer entsprechenden Anwendungsvereinbarung der Tarifvertragsparteien in einem Betrieb nebeneinander die Spartentarifverträge für Versorgungsbetriebe (TV-N) und für Nahverkehrsbetriebe (TV-V) Anwendung finden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Arbeitnehmer, die dem TV-N unterfallen, in einer selbstständigen Betriebsabteilung beschäftigt werden, und folgt außerdem aus dem Grundsatz der gewillkürten Tarifpluralität.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 28.11.2007 - 3 Ca 1555/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit des Tarifvertrags für Versorgungsbetriebe (TV-V) sowie um Zahlungsansprüche.

Der am 25.01.1959 geborene Kläger ist seit dem 01.03.1995 als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt. Grundlage des Rechtsverhältnisses der Parteien ist ein Arbeitsvertrag vom 03.01.1995, der in § 2 die tariflichen Vorschriften des Bundesmanteltarifvertrags für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) und der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge - insbesondere des Bezirkszusatztarifvertrags (BZT-G/NRW) - in der jeweils geltenden Fassung für anwendbar erklärt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird auf Aktenblatt 8 verwiesen.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Zusammen mit ihren Tochterunternehmen, der Energie- und Wasserversorgung H2 GmbH, der Fernwärmeversorgung H2 GmbH, dem Hafen H2 GmbH, der H7 GmbH Telekommunikation und dem Verkehrsbetrieb GmbH beschäftigt sie etwa 730 Arbeitnehmer. Die genannten Tochterunternehmen werden von ihr zentral geleitet. Es existiert ein gemeinsamer Betriebsrat für die Beklagte und ihre Tochtergesellschaften.

In ihrem Betriebsbereich Center 24 (Center "Verkehr") sind die Aktivitäten der Beklagten auf dem Gebiet des öffentlichen Nahverkehrs zusammengefasst, namentlich der Fahrdienst, die Buswerkstatt und eine Abteilung "Verkehrswirtschaft". Dort beschäftigt die Beklagte ca. 170 Arbeitnehmer, davon etwa 50 mittelbar über ihre Tochtergesellschaft Verkehrsbetrieb H2 GmbH.

Zum 01.04.2007 hat die Beklagte für ihre im Center "Verkehr" beschäftigten Mitarbeiter den Spartentarifvertrag Nahverkehrsbetriebe NW (TV-N) aufgrund einer Anwendungsvereinbarung vom 26.03.2007, hinsichtlich deren Einzelheiten auf Aktenblatt 34-42 Bezug genommen wird, eingeführt. Bestandteil der Anwendungsvereinbarung ist ein Verzeichnis aller überzuleitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten, insgesamt 128 Personen. Für alle anderen Beschäftigten der Beklagten sowie für ihre Tochtergesellschaften mit Ausnahme des Verkehrsbetriebs H2 GmbH gelten seit dem 01.04.2007 aufgrund eines Einführungstarifvertrags vom 26.03.2007, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Aktenblatt 43 und 44 verwiesen wird, die tariflichen Bestimmungen des TV-V.

Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 29.03.2007 mitgeteilt, er werde in die Entgeltgruppe 6 nach dem TV-N eingruppiert. Unter Beibehaltung einer monatlichen Leistungszulage i.H.v. 20,45 € beträgt das monatliche Entgelt der Klägers unverändert 2.423,92 €, weil er entsprechend den tariflichen Regelungen den sich aus der Eingruppierung nach dem TV-N ergebenden Differenzbetrag als persönliche Zulage erhält.

Der Kläger ist der Auffassung, nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gelte für sein mit der Beklagten bestehendes Arbeitsverhältnis der TV-V. Gegenstand des mit der Klage verfolgten Zahlungsanspruchs ist der Erhöhungsbetrag i.H.v. 4% nach § 22 Ziffer 1b) TV-V für die Monate April bis Juni 2007. Unter Berücksichtigung mit einer zum 01.04.2007 wirksam gewordenen Tarifentgelterhöhung würde sich bei einer Anwendbarkeit der Bestimmungen des TV-V sein Bruttoverdienst um monatlich 133,63 € erhöhen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ab dem 01.04.2007 der Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung findet,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 400,89 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 133,63 € brutto seit dem 01.05.2007, 01.06.2007 und 01.07.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Hamm hat die Klage durch Urteil vom 28.11.2007 abgewiesen. Es hat angenommen, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finde seit dem 01.04.2007 der Spartentarifvertrag TV-N gemäß § 1a Buchst. b) BMT-G Anwendung. Die nach § 1 Abs. 3 TV-N erforderliche Anwendungsvereinbarung sei unter dem 26.03.2007 geschlossen worden. Es liege kein Fall einer Tarifpluralität vor. Diese sei nur dann gegeben, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge erfasst werde, an die der Arbeitgeber gebunden sei. Dies sei hier nicht der Fall, da sowohl der TV-V als auch der TV-N zwischen der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände VKA bzw. dem KAV einerseits und der Gewerkschaft ver.di andererseits abgeschlossen worden seien. Da gerade nicht zwei Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften Anwendung fänden, liege kein Verstoß gegen den Grundsatz der Tarifeinheit vor. Praktische Schwierigkeiten durch ein Nebeneinander von Tarifverträgen in einem Betrieb seien nicht zu erwarten. Die tarifvertragsschließenden Parteien hätten das Neben-einander von TV-V und TV-N gerade gewollt. Sie hätten die betrieblichen und persönlichen Geltungsbereiche der Tarifverträge genau festgelegt, indem sie als Anlage zur Anwendungsvereinbarung die Mitarbeiter, die dem Geltungsbereich des TV-N unterfallen sollten, namentlich bezeichnet hätten. Gleichzeitig hätten sie in Ziffer II des Tarifvertrags vom 26.03.2007 ausdrücklich klargestellt, dass die Beschäftigten im Center "Verkehr" nicht unter den Geltungsbereich des TV-V fielen. Damit besteht für den einzelnen Arbeitnehmer im Hinblick auf die Frage, welcher Tarifvertrag für ihn gelte, weder Rechtsunsicherheit noch Rechtsunklarheit. Etwas anderes ergebe sich auch nicht, wenn der Einwand des Klägers berücksichtigt werde, dass es durch die Anwendung von TV-V und TV-N zu untragbaren Ergebnissen im Hinblick auf gleiche Tätigkeiten in unterschiedlichen Centern kommen könne. Wenn die Beklagte auf verschiedenen Märkten tätig werde und insoweit in den verschiedenen Bereichen unterschiedliche Ergebnisse erziele, werde durch die Einführung von Spartentarifverträgen dem gerade Rechnung getragen. Im Übrigen könne die Konzernstruktur der Beklagten nicht entscheidend für die Frage sein, welcher Tarifvertrag zur Anwendung komme. Die Anwendungsvoraussetzungen des TV-V seien für den Kläger nicht erfüllt. Die Beklagte sei kein rechtlich selbstständiger Versorgungsbetrieb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 TV-V. Da allein im Center Verkehr 128 Mitarbeiter beschäftigt würden, mache bereits dies bei insgesamt 730 Mitarbeitern eine Quote von 17,5% und damit weniger als 90% des Gesamtpersonals aus. Da der TV-V auf das Arbeitsverhältnis des Klägers keine Anwendung finde, habe er auch keinen Anspruch auf Zahlung von Entgeltdifferenzen für die Monate April bis Juni 2007. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Urteils wird auf Aktenblatt 64-72 verwiesen.

Gegen das dem Kläger am 14.12.2007 zugestellte Urteil hat dieser mit am 11.01.2008 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.03.2008 mit am 13.03.2008 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger trägt vor, die Beklagte behalte sich in den mit ihren Mitarbeitern geschlossenen Arbeitsverträgen ein Versetzungsrecht auch bezüglich ihrer verschiedenen Tochtergesellschaften vor, von dem sie in der Vergangenheit auch Gebrauch gemacht habe. Dies habe zur Folge, dass die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter zwei unterschiedlichen Tarifwerken unterfielen. Welches gelte, hänge ausschließlich davon ab, in welcher Tochtergesellschaft der betreffende Mitarbeiter zufällig von ihr gerade eingesetzt werde. Dieser Zustand sei mit dem Prinzip in der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unvereinbar. Er führe zu dem untragbaren Ergebnis, dass etwa für eine kaufmännische Angestellte, die in der Tochtergesellschaft Hafen H2 GmbH eingesetzt werde, der TV-V gelte, während für eine Kollegin, die mit gleicher Aus- und Vorbildung eine vergleichbare Tätigkeit bei der Tochtergesellschaft Verkehrsbetrieb H2 GmbH verrichte, der TV-N gelte. Noch absurder wäre die Situation, die entstehe, wenn ein Mitarbeiter aus einem Bereich, in dem der TV-V gelte, in d4 B2 des Verkehrsbetriebs H2 GmbH versetzt werde. Darüber hinaus führe die Anwendung von zwei Tarifwerken zu eklatanten Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes. Wie solle es sachlich zu rechtfertigen sein, dass ein im Verkehrsbetrieb H2 GmbH in der Werkstatt eingesetzter Schlosser anders bezahlt werde als sein Kollege, der von der Beklagten etwa in der Energie- und Wasserversorgung H2 GmbH eingesetzt werde. Diese Beispiele machten deutlich, dass es entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts Hamm die rechtlichen und tatsächlichen Unzuträglichkeiten, die sich aus einem Nebeneinander von Tarifverträgen in einem Betrieb ergäben, gebe. Genau deshalb gelte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Prinzip der Tarifeinheit.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamm vom 28.11.2007 - 3 Ca 1555/07 - nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor, vorliegend sei weder ein Fall der Tarifkonkurrenz noch ein Fall der Tarifpluralität gegeben. Ohnehin seien über das Modell der Tarifeinheit sowohl die Literatur als auch die Zeit hinweg gegangen. Es gebe keine zwei Tarifverträge, die mit konkurrierenden Gewerkschaften geschlossen seien, so dass auch kein Verstoß gegen den Grundsatz zur Tarifeinheit vorliege. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verlange nicht die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer im Betrieb, sondern verbiete nur, Mitarbeiter aus Willkür oder sachfremden Erwägungen ungleich zu behandeln. Eine Zuordnung der Mitarbeiter des Center "Verkehr" zum TV-N erfolge nicht aus willkürlichen Erwägungen, sondern diese seien aus wirtschaftlichen Gründen dem für ihre Tätigkeiten maßgeblichen Tarifvertrag zugeordnet worden. Es entstehe auch keine Rechtsunsicherheit. In der Anwendungsvereinbarung vom 26.03.2007 seien die Namen der betroffenen Mitarbeiter enumerativ aufgeführt worden. Eine Umsetzung könne im Rahmen des Direktionsrechts nur zu unveränderten Bedingungen erfolgen. Sonst sei eine Änderungskündigung erforderlich. Im Übrigen setze sie keine Arbeitnehmer gegen deren Willen um. Vielmehr könnten sich Mitarbeiter auf Tätigkeiten in anderen Unternehmensbereichen wie üblich bewerben. Für den Kläger als Busfahrer komme dies jedoch schon wegen seines erlernten und ausgeübten Berufs nicht in Betracht.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die zu Protokoll genommenen Erklärungen ergänzend Bezug benommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht Hamm hat zu Recht die Klage abgewiesen, weil auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die tariflichen Bestimmungen des TV-N, und nicht die des TV-V anzuwenden sind und deshalb sowohl der Feststellungsantrag als auch der mit der Klage verfolgte Zahlungsanspruch unbegründet sind. Die Kammer folgt in vollem Umfang der sorgfältig begründeten erstinstanzlichen Entscheidung (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Mit Rücksicht auf die Berufungsbegründung sind noch die nachfolgenden Ergänzungen angezeigt.

Zwischen den Parteien steht nicht im Streit, dass der Kläger an sich dem Geltungsbereich des TV-N unterfällt. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, folgt dies aus § 2 des Arbeitsvertrags der Parteien i.V.m. § 1a Buchst. b) BMT-G, § 1 Abs. 3 TV-N und der Anwendungsvereinbarung vom 26.03.2007.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers verstößt es nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn im Betrieb der Beklagten für Arbeitnehmer, die im Center "Verkehr" beschäftigt sind, der TV-N Anwendung findet, während hinsichtlich der übrigen mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisse der TV-V gilt. Zwar sind auch Tarifvertragsparteien verpflichtet, den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Allerdings folgt nicht aus jeder Ungleichbehandlung schon eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung zwischen unterschiedlich behandelten Gruppen von Normadressaten müssen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 12.10.2004 - 3 AZR 571/03 = NZA 2005, 1127 ff.). Der Schutzbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes ist dann nicht eröffnet, wenn die Vergleichsfälle verschiedenen Ordnungsbereichen angehören und damit in anderen systematischen Gesamtzusammenhängen stehen. Der allgemeine Gleichheitssatz enthält kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen gleich zu regeln bzw. zu behandeln. Die Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Behandlung einzelner Personengruppen beinhaltet zwar auch eine Systemgerechtigkeit, d.h. ein hinreichendes Maß an folgerichtiger Wertung, jedoch nur innerhalb des gleichen Ordnungsbereichs (BAG, Urteil vom 03.12.1997 - 10 AZR 563/96 = NZA 1998, 438 ff.).

Auf den vorliegenden Fall angewendet ist festzustellen, dass die Tarifvertragsparteien sich dafür entschieden haben, die bisher einheitlichen Tarifverträge im Bereich des öffentlichen Dienstes für die Beschäftigten von Versorgungsbetrieben durch den Spartentarifvertrag TV-V und für die Beschäftigten in Nahverkehrsbetrieben durch den Spartentarifvertrag TV-N abzulösen. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes vermag die Kammer in diesem Vorgang nicht zu erblicken. Begrenzt wird die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien allein durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Tarifverträge stehen stets unter dem Vorbehalt, durch nachfolgende Tarifverträge verschlechtert werden zu können (BAG, Urteil vom 14.12.2004 - 9 AZR 33/04 = ZTR 2005, 327 ff.). Es ist auch in anderen Tarifbereichen nicht unüblich, dass für verschiedene Sparten oder Branchen verschiedene Tarifwerke existieren. Soweit zur Ersetzung des BMT-G bzw. BAT durch den TV-N Rechtsprechung vorliegt, geht diese ohne Weiteres von der Wirksamkeit der Ablösung aus (BAG, Urteil vom 14.12.2004 a.a.O.; LAG Köln, Urteil vom 05.05.2006 - 11 Sa 714/04 = ZTR 2007, 253 ff.; LAG Hamm, Urteil vom 17.12.2004 - 10 Sa 1161/04 - juris; LAG Hamm, Urteil vom 15.04.2005 - 10 Sa 1893/04 - juris).

Die Klage könnte daher nur dann erfolgreich sein, wenn nach dem Grundsatz der Tarifeinheit der Spartentarifvertrag TV-N im Betrieb der Beklagten zugunsten der Anwendbarkeit des TV-V zurücktreten müsste, wie dies der Kläger meint. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gilt, dass alle Arbeitsverhältnisse im Betrieb grundsätzlich nach demselben Tarifvertrag geordnet werden sollen (BAG, Urteil vom 29.03.1957 - 1 AZR 208/55 = AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Das Bundesarbeitsgericht leitet diesen Grundsatz in ständiger Rechtsprechung aus den Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ab (etwa BAG, Urteil vom 20.03.1991 - 4 AZR 455/90 = NZA 1991, 736 ff.). Ist der Betrieb eines Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier miteinander konkurrierender Tarifverträge erfasst, an die er gebunden ist, spricht man von Tarifpluralität (BAG, Urteil vom 14.06.1989 - 4 AZR 200/89 = AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt dann allein der Tarifvertrag zur Anwendung, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird (BAG, Urteil vom 15.11.2006 - 10 AZR 665/05 = NZA 2007, 448 ff.; BAG, Urteil vom 25.07.2001 - 10 AZR 599/00 = NZA 2002, 1406 ff.). Werden in einem Betrieb unterschiedliche Betriebszwecke verfolgt (Mischbetrieb), richtet sich die Anwendbarkeit konkurrierender tariflicher Bestimmungen grundsätzlich nach der überwiegenden Arbeitszeit der Arbeitnehmer (BAG, Urteil vom 22.04.1987 - 4 AZR 496/86 = AP Nr. 82 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau; BAG, Urteil vom 05.09.1990 - 4 AZR 59/90 = NZA 1991, 202 ff.). Es gilt derjenige Tarifvertrag, dessen betrieblicher Geltungsbereich den Hauptzweck des Gesamtbetriebes umfasst (BAG, Urteil vom 13.06.1957 - 2 AZR 402/54 = AP Nr. 6 zu § 4 TVG Geltungsbereich).

In der Literatur (zuletzt etwa Jacobs, NZA 2008, 325 ff.; Kamanabrou, ZfA 2008, 237 ff.; ErfK/Franzen, 8. Auflage 2008, § 4 TVG Rn. 71 f.; differenzierend HWK/Henssler, 3. Auflage 2008, § 4 TVG Rn. 48) und teilweise auch in der Rechtsprechung der Instanzgerichte (etwa Sächsisches LAG, Urteil vom 02.11.2007 - 7 SaGa 19/07 = NZA 2008, 59 ff.) ist das Prinzip der Tarifeinheit immer wieder angezweifelt worden.

Für das vorliegende Verfahren kann dahinstehen, ob an dem Prinzip der Tarifeinheit festzuhalten ist, denn auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die vorliegende Klage nicht erfolgreich sein. Der Grundsatz der Tarifeinheit gilt nämlich nicht uneingeschränkt.

Zunächst ist es seit langem anerkannt, dass der Grundsatz der Tarifeinheit dann nicht gilt, wenn in einem Betrieb mehrere selbstständige Betriebsteile existieren, für die jeweils eigen-ständige tarifliche Regelungen gelten. Selbstständige Betriebsabteilungen sind Abteilungen, die bezogen auf einen konkreten Gesamtbetrieb eine personelle Einheit darstellen, organisatorisch abgrenzbar sind, über eigene technische Betriebsmittel verfügen sowie einen spezifischen Eigenzweck verfolgen. Darüber hinaus ist eine deutliche räumliche und organisatorische Abgrenzung sowie ein besonders ausgeprägter arbeitstechnischer Zweck erforderlich (BAG, Urteil vom 11.09.1991 - 4 AZR 40/91 = AP Nr. 145 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau; BAG, Urteil vom 26.09.2007 - 10 AZR 415/06 = NZA 2007, 1442 ff.; BAG, Urteil vom 03.02.1965 - 4 AZR 461/63 = AP Nr. 11 zu § 4 TVG Geltungsbereich). Zwar sind diese Entscheidungen jeweils zu den Tarifverträgen der Bauwirtschaft ergangen, wo in § 1 Ziffer 2 Abschnitt VI des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV-Bau) branchenfremde selbstständige Betriebsabteilungen ausdrücklich vom Geltungsbereich ausgeklammert werden, sofern sie von einem spezielleren Tarifvertrag erfasst werden. Wenn aber der Grundsatz der Tarifeinheit aus höherrangigem Recht abzuleiten ist, dann müsste er entweder auch von den tarifschließenden Parteien des BRTV-Bau beachtet werden oder aber, er gilt für verselbstständigte Einheiten auf Betriebsebene eben erst gar nicht. Die Kammer geht von letzterem aus und leitet daraus ab, dass der vorgenannten Rechtsprechung des BAG ein den Grundsatz der Tarifeinheit einschränkendes allgemeines Rechtsprinzip zugrunde liegt, welches sich auf andere Branchen und Sparten übertragen lässt.

Diese vorgenannten Voraussetzungen für eine selbstständige Betriebsabteilung sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Center "Verkehr" der Beklagten verfügt über eigene technische Betriebsmittel, nämlich die Linienbusse nebst Zubehör, verfolgt einen eigenen spezifischen Zweck, nämlich die Durchführung des öffentlichen Personennahverkehrs im Gebiet der Stadt H2, ist personell, räumlich und organisatorisch abgegrenzt, was sich auch daraus ergibt, dass die Busse notwendigerweise getrennt von den übrigen Betriebsmitteln der Beklagten untergebracht werden müssen und ihr Zweck darin besteht, das Busliniennetz der Beklagten zu beschicken. Schon aus der Bezeichnung Center "Verkehr" ergibt sich ein Indiz für die Abgrenzbarkeit gegenüber den sonstigen Teilbereichen der Beklagten. Demzufolge hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Center "Verkehr" der Beklagten um eine selbstständige Betriebsabteilung handelt, in der abweichend vom Hauptbetrieb ein anderer Tarifvertrag existieren kann.

Außerdem ist mit der neueren Rechtsprechung des BAG davon auszugehen, dass das Prinzip der Tarifeinheit jedenfalls in Fällen der gewillkürten Tarifpluralität nicht gilt (BAG, Urteil vom 11.02.2004 - 4 AZR 94/03 - juris). Wie die Anwendungsvereinbarung vom 26.03.2007 einerseits und der Tarifvertrag zur Einführung des TV-V vom selben Tag andererseits eindeutig belegen, waren sich die Tarifvertragsparteien darüber im Klaren, dass ab dem 01.04.2007 im Betrieb der Beklagten zwei sich hinsichtlich der Regelungsgegenstände überschneidende Tarifverträge nebeneinander Geltung beanspruchen würden. Eben dies war ihre erklärte Absicht, wie insbesondere in Ziffer II des Einführungstarifvertrags vom 26.03.2007 zum Ausdruck kommt. Da somit im vorliegenden Fall der Eintritt der Tarifpluralität vom Willen der Tarifvertragsparteien getragen war, bedarf es keiner Entscheidung mehr darüber, ob für konkurrierende Tarifverträge, die jeweils von denselben Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurden, der Grundsatz der Tarifeinheit überhaupt gilt.

Demnach steht fest, dass der Kläger sich im vorliegenden Fall auf den Grundsatz der Tarifeinheit nicht mit Erfolg berufen kann. Daran kann der Umstand, dass er geltend macht, die Existenz mehrerer Tarifverträge innerhalb eines Betriebs würde zu besonderen Problemen insbesondere in Fällen der Versetzung zwischen den einzelnen Betriebsabteilungen führen, nichts ändern. Ohnehin kann dies nur in Ausnahmefällen zu besorgen sein, die hinzunehmen sind. Im Regelfall wird eine Versetzung schon daran scheitern, dass eine Tätigkeit der Mitarbeiter im Center "Verkehr" in anderen Bereichen und umgekehrt nicht möglich ist. Dies wird am Beispiel des Klägers, der als Busfahrer in anderen Bereichen der Beklagten nicht ohne Weiteres einsetzbar sein dürfte, deutlich. Für die verbleibenden Fälle hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Versetzung jedenfalls in den ungünstigeren Tarifbereich, dies mag derzeit der TV-N sein, in der Regel vom Direktionsrecht des Arbeitgebers nicht gedeckt sein dürfte. Für die eher theoretisch verbleibenden Fälle, bei denen eine Versetzung möglich ist, muss es der betroffene Mitarbeiter schlicht hinnehmen, dass bei einem Wechsel von oder in den Bereich des Center "Verkehr" zugleich ein anderer Tarifvertrag Anwendung findet.

Nach alledem muss es dabei bleiben, dass der TV-V auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung findet. Deshalb hat das Arbeitsgericht Hamm die Klage zu Recht abgewiesen, so dass auch die Berufung des Klägers erfolglos bleiben musste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Mit Rücksicht auf die Vielzahl der betroffenen Arbeitnehmer hat die Kammer es für geboten gehalten, die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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