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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.04.2003
Aktenzeichen: 7 Sa 2017/02
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 75 Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 112 Abs. 1 Satz 2
Ein Grundsozialplan, der ausschließlich das Abfindungsvolumen und nicht zugleich die Verteilungsgrundsätze festlegt und der nachfolgende Ausführungssozialplan, der diese Verteilungsgrundsätze nachholt, bilden eine Einheit; die Grundsätze der ablösenden Betriebsvereinbarung finden hierauf keine Anwendung.

Es verstößt nicht gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wenn ein Sozialplan Arbeitnehmer von seinem Geltungsbereich ausnimmt, die zu einem festgelegten Stichtag vor Abschluss des Grundsozialplans ohne zeitliche Beschränkung EU-Rente beziehen und deren Arbeitsverhältnis allein aus diesem Grunde ruht. Die Feststellung der Betriebspartner, dass die Betriebsänderung bei diesen Arbeitnehmern trotz des verursachten Arbeitsplatzverlustes keinen wirtschaftlichen Nachteil hervorruft, ist nicht zu beanstanden.


Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

Geschäfts-Nr.: 7 Sa 2017/02

Verkündet am: 14.04.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 14.04.2003 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Schulte als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Feldkamp und Stelter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 28.08.2002 - 2 Ca 1104/02 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch aus dem Sozialplan vom 16.11.2001 und dem Ausführungssozialplan vom 11.02.2002 herleiten kann.

Der am 13.01.1947 geborene Kläger war in der Zeit vom 09.07.1990 bis zum 30.06.2002 als Geflügelarbeiter in der Schlachterei der Beklagten tätig. 1993 erlitt er einen Arbeitsunfall mit erheblichen Verletzungen an der Wirbelsäule und dem Ellenbogen. Aufgrund dieses Unfalls war er seit dem 19.09.1993 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Rentenbescheid vom 27.12.1999 wurde ihm rückwirkend zum 01.05.1999 die EU-Rente bewilligt. Die monatliche Rentenleistung betrug zunächst 995,55 DM. Heute sind dies 509,02 €. Sein früherer Lohnanspruch belief sich auf 3.543,75 DM (= 1.811,91 €). Die Beklagte hat die Betriebsschließung zum 30.06.2002 zum Anlass genommen, das zumindest seit Mai 1999 ruhende Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zu diesem Zeitpunkt aufzukündigen.

Aus Anlass dieser Betriebsänderung schlossen die Betriebspartner am 16.11.2001 einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Gemäß § 4 dieses Sozialplans verpflichtete sich die Beklagte, zur Milderung der den Mitarbeitern infolge der Betriebsschließung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile ein Abfindungsvolumen in Höhe von 4,7 Millionen DM bereitzustellen. Die Verteilung dieses Abfindungsvolumens blieb einem Ausführungssozialplan vorbehalten. Anspruchsberechtigt auf Leistungen aus dem Sozialplan sollten alle Arbeitnehmer sein, die am 01.11.2001 im unbefristeten, ungekündigten Arbeitsverhältnis standen und z. B. eine Beendigungskündigung erhielten (§ 1 des Sozialplans). Die individuelle Abfindungshöhe beschreibt § 1 des Ausführungssozialplans. Mit § 2 dieses Ausführungssozialplans hielten die Betriebsparteien fest, es bestehe zwischen ihnen Einigkeit, dass Mitarbeiter, die eine EU-Rente bezögen und sich deshalb am 01.11.2001 im ruhenden Arbeitsverhältnis befänden, keinen Anspruch aus dem Sozialplan hätten.

Aus Anlass dieser Betriebsschließung wurden 258 Entlassungen ausgesprochen.

Entgegen seinen früheren Erwartungen erhielt der Kläger keine Sozialplanabfindung. Mit der beim Arbeitsgericht Minden am 03.06.2002 erhobenen Klage verlangt er dennoch von der Beklagten eine Sozialplanabfindung in Höhe von 11.695,66 €, fällig am 01.07.2002. Zur Begründung hat er die Auffassung vertreten, § 2 des Ausführungssozialplans verstoße gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, folglich gegen § 75 Abs. 1 BetrVG. Der Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 1 des Sozialplans vom 16.11.2001 sei durch § 2 des Ausführungssozialplans gleichheitswidrig zu seinen Lasten verändert worden. Ohne sachlichen Grund sei er als Bezieher einer EU-Rente nachträglich nicht mehr als Anspruchsberechtigter beschrieben worden. Von diesem rechtswidrigen Ausschluss seien insgesamt fünf Mitarbeiter betroffen. Dieser nachträgliche Ausschluss sei deshalb rechtswidrig, zumal ihm als Rentenbezieher die Möglichkeit einer Rückkehr an den Arbeitsplatz genommen werde. Dies sei ein wirtschaftlicher Nachteil im Sinne des Sozialplans, der zumindest gemildert werden müsse.

Im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 64 Abs. 6 ArbGG).

Mit Urteil vom 28.08.2002 hat das Arbeitsgericht seine Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, der Sozialplan vom 16.11.2001 habe zugunsten des Klägers keinen Abfindungsanspruch begründet. Er falle zwar grundsätzlich unter den anspruchsberechtigten Personenkreis. Dennoch beschreibe dieser Sozialplan keine einzelfallbezogene Anspruchshöhe. Der Sozialplan lege lediglich das seitens der Beklagten geschuldete Abfindungsvolumen fest. Der nachfolgende Ausführungssozialplan schließe den Kläger berechtigt von Abfindungsleistungen aus. Ein zunächst grundlegend begründeter Ausgleichsanspruch könne durchaus auf "Null" reduziert werden. Der Sozialplan vom 16.11.2001 und der Ausführungssozialplan vom 11.02.2002 bildeten eine Einheit. Über den Sozialplan vom 16.11.2001 sei lediglich eine Option, nicht jedoch auch eine Rechtsposition begründet worden. § 2 des Ausführungssozialplans verstoße nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht erkennbar. Den Betriebspartnern stehe ein Ermessensspielraum dahingehend zu, für sich zu bestimmen, welcher Nachteil ausgeglichen oder gemindert werden soll. Dies schließe die Möglichkeit mit ein, von einer Nachteilsregulierung gänzlich abzusehen. Beim Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile sei auf eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu achten. Ohne Rechtsverletzung hätten die Betriebspartner festgestellt, dass dem Kläger als Bezieher einer EU-Rente durch die Betriebsänderung kein weiterer Nachteil entstehe, zumal er nicht mehr aktiver Arbeitnehmer gewesen sei. Die durch die Betriebsänderung veranlasste betriebsbedingte Kündigung beschreibe weder eine positive noch eine negative Auswirkung für ihn. Für den Kläger bleibe folglich "alles beim Alten". Die zuvor erfolgte Minderung seiner Einkommenssituation stehe allerdings in keinem Zusammenhang mit dem jetzigen endgültigen Arbeitsplatzverlust. Seine Situation sei folglich nicht vergleichbar mit derjenigen älterer Arbeitnehmer, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld nahtlos in die Altersrente überwechselten. Diese erlitten durchaus einen Schaden, der abzumildern sei. Eine Ungleichbehandlung bestehe erst recht nicht mit denjenigen Arbeitnehmern, die eine Dauerarbeitslosigkeit zu befürchten hätten. Bei diesen sei der beschriebene Ausgleich materieller Einbußen sachlich gerechtfertigt.

Gegen dieses ihm am 27.11.2002 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen Einzelheiten in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 23.12.2002 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 27.02.2003 am 26.02.2003 begründet worden ist. Der Kläger greift das angefochtene Urteil in vollem Umfang an und beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach seinen Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Wegen der sonstigen Einzelheiten in Vorbringen der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) an sich statthafte, form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 5, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO) hat keinen Erfolg.

I.

Dem Kläger steht ein Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan vom 16.11.2001 i. V. m. dem Ausführungssozialplan vom 11.02.2002 nicht zu (§§ 112 Abs. 1 Satz 2 und 3, 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG).

1. Mit dem angefochtenen Urteil stimmt die erkennende Berufungskammer in der Bewertung überein, dass beide Sozialpläne eine Einheit bilden und dass der Sozialplan vom 16.11.2001 keinen Individualanspruch begründet hat, der dem Kläger durch den Ausführungssozialplan in der Form der ablösenden Betriebsvereinbarung nachträglich wieder entzogen wurde (zur späteren nachträglichen angemessenen Reduzierung eines Sozialplananspruchs: BAG, Urteil vom 05.10.2000 - 1 AZR 48/00 - AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom 10.08.1994 - 10 ABR 61/93 - AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urteil vom 28.08.1996 - 10 AZR 886/95 - AP Nr. 104 zu § 112 BetrVG 1972: Ablösungsprinzip mit den Grenzen des Vertrauensschutzes).

a) Die Sozialpläne vom 16.11.2001 und 11.02.2002 beschreiben einen einheitlichen Nachteilsausgleich im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Grundlage beider Sozialpläne ist die zum 30.06.2002 von der Beklagten beabsichtigte, mit dem Interessenausgleich vom 16.11.2001 näher beschriebene Betriebsänderung. Der Sozialplan vom 11.02.2002 knüpft nicht nur hieran und an den vorausgehenden Sozialplan an, er führt ihn vielmehr weiter, d. h. konkret: er füllt ihn weiter aus. Darin unterscheidet sich dieser Sozialplan von demjenigen, der den getroffenen Ausgleich/die vollzogene Milderung der durch eine Betriebsänderung hervorgerufenen wirtschaftlichen Nachteile neu regeln soll, weil die Vorgaben des ursprünglichen Sozialplans nicht eingetreten sind. Der Ausführungssozialplan vom 11.02.2002 löst nicht etwa den Sozialplan vom 16.11.2001 ab; er füllt ihn vielmehr im Kernbereich erstmals aus. Insoweit unterscheidet sich dieser Ausführungssozialplan wesentlich von einem solchen, der eine schon festgelegte Ausgleichshöhe nachträglich angemessen reduziert (BAG, Urteil vom 05.10.2000 a. a. O.).

b) Mit dem Sozialplan vom 16.11.2001 wurde ausschließlich eine Option, nicht jedoch eine Rechtsposition, also ein Rechtsanspruch begründet. Zwar fällt der Kläger unter den anspruchsberechtigten Personenkreis des § 1 dieses Sozialplans vom 16.11.2001. Denn die bewilligte EU-Rente war für das Arbeitsverhältnis der Parteien kein Beendigungstatbestand. Dieser Umstand hätte allenfalls im Anstel-lungsvertrag als auflösende Bedingung verabredet werden können (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Auflage, § 40 Rdnr. 96; BAG, Urteil vom 11.03.1998 - 7 AZR 101/97 - NzA 1998, 1180 = Der Betrieb 1998, 2375 = AP Nr. 8 zu § 59 BAT). Sobald diese Bedingung fehlt, muss das Arbeitsverhältnis zur Beendigung aufgekündigt werden. Der Kläger wurde auch nicht aus personenbedingten, sondern ausschließlich aus betriebsbedingten Gründen entlassen. § 4 Abs. 1 dieses Sozialplans beschreibt auch das von der Beklagten geschuldete Abfindungsvolumen. § 4 Abs. 2 des Sozialplans legt jedoch nicht den Individualanspruch derjenigen durch § 1 beschriebenen anspruchsberechtigten Arbeitnehmer fest. Die hier erwähnte Berechnungsgrundlage stellte zunächst nur eine Größenordnung für eine Verringerung des Gesamtvolumens dar. Daraus konnte jedoch noch nicht abgeleitet werden, dass allen, von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern, ein Abfindungsanspruch nach der Berechnungsformel: Betriebszugehörigkeit in Monaten : 12, multipliziert mit der durchschnittlichen Bruttovergütung der letzten 12 Monate x 0,4 zusteht. Dass hierdurch - möglicherweise entgegen früherer anderslautender Bewertungen von Betriebsratsmitgliedern - kein Individualanspruch festgelegt wurde verdeutlicht § 4 Abs. 3 dieses Sozialplans. Hiernach blieb nach dem Willen der Betriebspartner die Verteilung des Abfindungsvolumens einem Ausführungssozialplan vorbehalten. Verteilen bedeutet in diesem Zusammenhang die individuelle Festlegung des Ausgleichs oder der vorzunehmenden Milderung des durch die Betriebsänderung entstehenden Schadens. Sollten BR-Mitglieder, möglicherweise auch der BR-Vorsitzende vor Abschluss dieses Ausführungssozialplans eine andere Rechtsauffassung vertreten haben, so erfährt diese Bewertung im Sozialplan vom 16.11.2001 keine Unterstützung. Der Sozialplan ist als Betriebsvereinbarung wie ein Tarifvertrag, letztlich wie ein Gesetz auszulegen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch 10. Auflage § 231 Rndr. 10). Maßgeblich ist vorrangig der Wortlaut. Sodann ist nach dem Sinn und Zweck der Regelung und dem Willen der Betriebspartner zu fragen, soweit dieser in der schriftlich niedergelegten Regelung hinreichenden Ausdruck gefunden hat. Lediglich unterstützend kann die Entstehungsgeschichte herangezogen werden. Da der Wortlaut des Sozialplans vom 16.11.2001 eindeutig ist und ein möglicherweise abweichender Wille einer der beiden Betriebspartner keinen hinreichenden Ausdruck gefunden hat, verbleibt es bei der angesprochenen Bewertung. Mit dem Sozialplan vom 16.11.2001 hat sich ausschließlich die Beklagte bezüglich des Sozialplanvolumens gebunden. Eine Verteilung dieses Volumens auf den gemäß § 1 des Sozialplans begünstigten Personenkreises erfolgte noch nicht. Diese Verteilung haben die Betriebspartner ausdrücklich dem vor der Durchführung dieser Betriebsänderung noch abzu-schließenden Ausführungssozialplan vorbehalten. Im Übrigen muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass der BR-Vorsitzende mit seiner Unterschrift lediglich den Beschluss des Organs "Betriebsrat" ausführt, nicht jedoch für den Betriebsrat eine nicht beschlossene Willensbildung vorgibt (§ 26 Abs. 2 BetrVG). Ein Individualanspruch wurde demzufolge erstmals durch den Ausführungssozialplan vom 11.02.2002 begründet.

2. Gemäß § 2 des Ausführungssozialplans vom 11.02.2002 steht dem Kläger eine Sozialplanabfindung nicht zu. Diese Regelung verstößt entgegen der Rechtsauffassung des Klägers nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG. Ein Sozialplan soll die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen, die diejenigen Arbeitnehmer erleiden, die von der Betriebsänderung betroffen sind. Der mit § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG beschriebene wirtschaftliche Nachteil ist u. a. der Verlust des Arbeitsplatzes. Damit verknüpft ist der Verlust des Bestandsschutzes und aller, mit der Betriebszugehörigkeit verbundenen Anwartschaften. Der Nachteilsausgleich erfährt in dieser Handhabung eine Überbrückungsfunktion (Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Auflage, § 112 Rdnr. 101). Hierdurch sollen ausgeglichen werden die mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten wie Arbeitslosigkeit, Umschulungsbedarf, eine geringere Vergütung aus einem neuen Arbeitsplatz etc. (so auch: BAG, Urteil vom 09.11.1994 - 10 AZR 281/94 - AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urteil vom 31.07.1996 - 10 AZR 45/96 - AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting u. a., a. a. O. Rdnr. 102). Der Nachteilsausgleich stellt demzufolge keine Belohnung der geleisteten Dienste dar. Die Betriebspartner sind folglich nicht verpflichtet, pauschal zu überprüfen, wie lange die einzelnen Arbeitnehmer in dem Unternehmen tätig waren, um anhand des § 10 KSchG die Höhe einer Sozialplanabfindung zu bestimmen. Die Betriebspartner sind vielmehr gezwungen, für jede einzelne Arbeitnehmergruppe zu überprüfen, ob wirtschaftliche Nachteile durch diese Betriebsänderung eintreten, zu ihr also kausal sind und ob diese wirtschaftlichen Nachteile vollständig ausgeglichen oder lediglich gemildert werden sollen. Die Betriebspartner sind frei in der Entscheidung, welche Nachteile der betroffene Arbeitnehmer in welchem Umfang gemildert werden. Hierfür erhalten die Betriebspartner einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Betriebspartner sind allerdings gehalten, die Grenzen billigen Ermessens einzuhalten. Sie haben drauf zu achten, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden. Sie müssen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Die Betriebspartner müssen sich folglich am Zweck des Sozialplans ausrichten, der darin besteht, mit einem begrenzten Volumen möglichst allen von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe bis zu einem ungewissen neuen Arbeitsverhältnis bzw. bis zum Bezug der Altersgrenze zu ermöglichen. Hierbei ist eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmern mit niedrigem Lebensalter und älteren Arbeitnehmern ohne weitere Chancen auf dem Arbeitsmarkt durchaus zulässig (BAG, Urteil vom 05.10.2000 - 1 AZR 48/00 - AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG; BAG, Beschluss vom 25.01.2000 - 1 ABR 1/99 - AP Nr. 137 zu § 112 BetrVG; Fitting u. a., a. a. O. Rdnr. 118). Diese Grenzen des billigen Ermessens sind z. B. nicht überschritten, wenn die Betriebspartner bei der Bemessung der Sozialplanabfindung den Wechsel zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung anteilig berücksichtigen und darauf achten, dass die Betriebsänderung den Verlust einer Teilzeitbeschäftigung hervorruft. Diese Grenzen sind auch nicht überschritten, wenn ein Sozialplan Arbeitnehmer von seinem Geltungsbereich ausnimmt, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens ihr Arbeitsverhältnis im Hinblick auf eine vom Arbeitgeber angekündigte Betriebsstilllegung selbst beendet haben. Ein Verstoß gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist auch nicht zu erkennen, wenn Betriebspartner solche Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ausnehmen, die zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Voraussetzungen für den übergangslosen Rentenbezug nach Beendigung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld erfüllen (BAG, Urteil vom 12.11.2002 - 1 AZR 58/02 -; BAG, Urteil vom 05.10.2000 - 1 AZR 48/00 - AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Beschluss vom 25.01.2000 - 1 ABR 1/99 - AP Nr. 137 zu § 112 BetrVG 1972; BAG, Urteil vom 24.01.1996 - 10 AZR 155/95 - AP Nr. 98 zu § 112 BetrVG 1972; Fitting u. a., a. a. O. Rdnr. 118).

Obwohl die Betriebspartner diese Entscheidung nicht getroffen haben, haben sie z. B. sachgerecht zwischen Arbeitnehmern bis zum vollendeten 57. Lebensjahr plus drei Monaten und dem vollendeten Lebensjahr plus vier Monaten differenziert. Die Betriebspartner haben auch berechtigt feststellen dürfen, dass die Betriebsänderung bei denjenigen Arbeitnehmern, die Monate zuvor nicht mehr in einem klassischen Austauschverhältnis standen und bei denen nicht zu erwarten war, dass ein solches Austauschverhältnis wieder eintreten wird, keinen wirtschaftlichen Nachteil hervorruft. Mit dem angefochtenen Urteil muss die erkennende Berufungskammer feststellen, dass die vom Kläger beschriebenen Nachteile zu einem Zeitpunkt eingetreten sind, zudem die Beklagte an diese Betriebsänderung überhaupt noch nicht gedacht hat. Mit dem angefochtenen Urteil ist weiterhin darauf abzustellen, dass nicht betriebliche Entscheidungen sondern ein Schicksalsschlag in der Form des Arbeitsunfalls diese negative Rechtsfolge beim Kläger und vier weiteren vergleichbaren Arbeitnehmern hervorgerufen hat. Es ist erst recht nicht zu beanstanden, dass dieser Zeitpunkt des ruhenden Arbeitsverhältnisses zurückgerechnet wird auf den 01.11.2001. Demnach behandeln die Sozialpartner die älteren Arbeitnehmer im Lebensalter von 57 Jahren plus vier Monaten und diese Gruppe von Arbeitnehmern nicht ungleich. Während die erste Gruppe der älteren Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes noch einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, indem sie auf den Bezug von Arbeitslosengeld verwiesen werden - dies ausschließlich bedingt durch die Betriebsänderung - verändert sich für die mit § 2 des Ausführungssozialplans angesprochene Gruppe durch diese betriebliche Entscheidung - wirtschaftlich gesehen - nichts. Sie behalten unabhängig von dem Arbeitsplatzverlust ihren Rentenanspruch bis zum Eintritt des Altersruhegeldes. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang angesprochene vermeintliche Rückkehr an den Arbeitsplatz ist wirtschaftlich nicht zu messen, aber auch höchst ungewiss. Für den Kläger wurde festgestellt, dass die Erwerbsunfähigkeit bis zum Beginn des Altersruhegeldes fortdauert. Die von ihm angesprochene mögliche Verbesserung der gesundheitlichen Situation ist rein theoretisch. Konkrete Anhaltspunkte wurden von ihm nicht aufgezeigt. Nicht ohne Bedeutung für die Betriebspartner war schließlich die Möglichkeit der Beklagten, das zum Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unabhängig von der Betriebsänderung aus personenbedingten Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aufzukündigen. Die Beklagte konnte am 01.11.2001 nicht erwarten, dass der Kläger innerhalb der nächsten zwei Jahre an seinen Arbeitsplatz zurückkehren würde (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Auflage, § 129 Rdnrn. 16 und 17). Obwohl die Beklagte auch dem Kläger gegenüber die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt und ihm hierdurch den Status der anspruchsberechtigten Person vermittelt hat, durften die Betriebsparteien diese rechtliche Möglichkeit bei der Überprüfung eines Nachteils im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mit berücksichtigen. Auch insofern unterscheidet sich der Kläger von der Gruppe der älteren Mitarbeiter mit vollendetem 57. Lebensjahr. Diese Bewertung mag für ihn in Anbetracht des vor nahezu 10 Jahren erlittenen Schicksalsschlags "hart klingen". Diese Feststellung der Betriebspartner ist jedoch objektiv gerechtfertigt. Die Betriebspartner durften demnach diese Gruppe von Arbeitnehmern ohne Verstoß gegen § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von einem Nachteilsausgleich ausnehmen. Die Grundvoraussetzung des wirtschaftlichen Nachteils im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG fehlt offensichtlich.

3. Dem Kläger wurde durch diesen Ausführungssozialplan ein zuvor begründeter Anspruch nicht nachträglich entzogen. Obwohl der Kläger gemäß § 1 des Sozialplans vom 16.11.2001 zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehört, war - wie oben unter 1. ausgeführt - hierdurch lediglich eine Option entstanden, die durch den Ausführungssozialplan der Höhe nach bestimmt werden musste. Diese Option durfte mit null bewertet werden. Darauf hat das angefochtene Urteil berechtigt hingewiesen. Denn die Betriebspartner waren erstmals bei der Aufstellung des Ausführungssozialplans in der Lage, für die betroffenen Arbeitnehmer den wirtschaftlichen Nachteil zu bestimmen. Dieser konnte auch deshalb erst zu diesem Zeitpunkt überdacht werden, zumal der Betriebsrat nicht wissen konnte, dass die Beklagte auch gegenüber dieser Arbeitnehmergruppe eine ausschließlich betriebsbedingte und nicht - wie unter 2. näher dargelegt - personenbedingte Kündigung ausgesprochen hatte. Nur diese, wohl nicht näher durchdachte betriebsbedingte Kündigung, begründete nachträglich die Zugehörigkeit zur anspruchsberechtigten Personengruppe. Obwohl der Kläger von der Betriebsänderung betroffen ist, war kein wirtschaftlicher Nachteil auszugleichen. Dieses Ergebnis haben die Betriebsparteien mit § 2 des Ausführungssozialplans beanstandungsfrei festgestellt.

II.

Da dem Kläger von Anfang an eine Sozialplanabfindung nicht zustand, war seiner an sich statthaften Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Minden der gewünschte Erfolg zu versagen; sie war mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Der Rechtssache kommt zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer in Anbetracht der zitierten Rechtsprechung des BAG keine grundsätzlich Bedeutung zu; die Revision wurde aus diesem Grunde nicht ausdrücklich zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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