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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 11.03.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 2049/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 387
BGB § 389
BGB § 394
BGB § 397
BGB § 611
BGB § 614
ZPO § 850 c
ZPO § 850 d
Zu den Voraussetzungen des nachträglichen einseitigen Verzichts bzw. des Zustandekommens eines rechtswirksamen Verzichts-/Aufrechnungsvertrages zu Lasten der unpfändbaren Arbeitsvergütung.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 08.09.2004 - 5 Ca 2007/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger den unpfändbaren Teil der in den Monaten Januar bis Juni 2004 verdienten Gehälter schuldet. Der am 02.03.1944 geborene, verheiratete Kläger war in der Zeit vom 01.12.2001 bis Ende Juni 2004 für die Beklagte als Malermeister zum monatlichen Bruttogehalt i. H. v. 3.100,00 € nebst Auslösung tätig. Die Beklagte hat diese Gehälter wie zuvor auch im ersten Halbjahr 2004 innerhalb der vom RTV Maler- und Lackiererhandwerk vorgegebenen Frist - einschließlich Mai 2004 - abgerechnet. Die Gehaltsabrechnung Juni 2004 unterblieb hingegen. Das nach Abzug der öffentlichen Abgaben errechnete Nettoentgelt von jeweils 2.309,13 € wurde bis auf im Juni 2004 für Januar 2004 nachgezahlter 1.000,00 € nicht ausgekehrt. Die Beklagte verweigert die Zahlungen mit der Begründung, der Kläger habe ihr bzw. einer Rechtsvorgängerin in den Jahren 2000 und 2001 gemeinsam mit einem Bauleiter auf dem Bauvorhaben der Firma M2xxxx-G2xxxxxxx in K1xxxxx einen Schaden i. H. v. mindestens 30.000,00 € zugefügt. Mit einer Schadensteilung zu seinen Lasten i. H. v. 15.800,00 € habe er sich im Januar 2002 einverstanden erklärt. Im Januar 2004 habe er zugesichert, diesen Betrag in diesem Kalenderjahr zu begleichen. Er habe sie ermächtigt, das Nettoentgelt solange einzubehalten, bis die eingestandene Schuld beglichen sei. Mit beim Arbeitsgericht Herne am 29.06.2004 erhobener und am 03.08.2004 erweiterter Klage begehrt der Kläger die Zahlung der Nettogehälter abzüglich des gewährten Abschlags. Die Beklagte hat am 31.08.2004 die Aufrechnung erklärt und dabei die Auffassung vertreten, die Aufrechnungssperre des § 394 BGB greife zu ihren Lasten nicht, zumal sie mit einer Forderung aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung des Klägers aufrechne. Mit Teil-Urteil vom 08.09.2004 hat das Arbeitsgericht Herne die Beklagte dazu verurteilt, an den Kläger den unpfändbaren Gehaltsanspruch i. H. v. 9.794,78 € netto zu zahlen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, dieser Gehaltsanspruch sei nicht gem. § 49 RTV Maler- und Lackiererhandwerk verfallen. Der Beklagten sei es verwehrt, sich auf die Nichteinhaltung dieser Ausschlussfristen zu berufen. Schließlich habe sie durch die Gehaltsabrechnungen das ihm zustehende Gehalt anerkannt. Mit Aushändigung dieser Abrechnungen gem. § 108 GewO habe sie erklärt, die schriftliche und die nachfolgende gerichtliche Geltendmachung der einzelnen Gehaltsansprüche sei entbehrlich. Sie schulde dem Kläger aus diesem Grunde zumindest das gem. § 850 c ZPO unpfändbare Arbeitseinkommen. Gegen eine Aufrechnung auf "0" spreche das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB. Gegen dieses, ihr am 19.10.2004 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen Einzelheiten in Bezug genommene Teil-Urteil, hat die Beklagte am 08.11.2004 Berufung eingelegt, die am 20.01.2005 nach vorausgehender Verlängerung der Berufungsbegründungsschrift bis zum gleichen Tage begründet worden ist. Sie greift das angefochtene Urteil in vollem Umfang an. Zur Begründung vertritt sie die Rechtsauffassung, dem Kläger stehe auch der pfändungsfreie Anteil des jeweils verdienten Gehaltes nicht zu. Unter Bezugnahme auf die im Januar 2002 getroffene und im Januar 2004 bekräftigte Vereinbarung habe der Kläger für jeden Monat auch auf die Auszahlung des pfändungsfreien Betrages verzichtet. Diesen Verzicht habe er verbindlich gegenüber der geringfügig tätigen kaufmännischen Angestellten M1xxxxxxx B1xxxxxx erklärt. Diese sei aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Gehaltsabrechnung und Gehaltszahlung auch zur Empfangnahme dieser Erklärung (§ 164 Abs. 3 BGB) berechtigt gewesen. Diesen Verzicht habe der Kläger bei Aushändigung der Gehaltsabrechnungen wiederholt. Die ab Mitte Februar 2004 fälligen Gehaltsansprüche seien deshalb erloschen. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Teil-Urteil abzuändern und die Klage i. H. der unpfändbaren Gehaltsansprüche abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil, wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen, wehrt sich erneut gegen den Vorwurf, gegenüber seiner damaligen Arbeitgeberin untreu gewesen zu sein und behauptet, das berechnete Nettoentgelt sei jeweils mit der Begründung, kein Geld zu haben, nicht ausgezahlt worden. Schließlich vertritt er die Auffassung, die Beklagte sei aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt aufrechnungsbefugt. Die jetzige, durch Gesellschaftsvertrag vom 18.07.2001 gegründete GmbH mit Sitz in W4xxxxxxx und Niederlassung in C1xxxxx-R2xxxx, mit der er zum 01.12.2001 eine Arbeitsverhältnis begründet habe, sei nicht identisch mit der in 2000 e1xxxxxxxxxxx GmbH mit Sitz in B3xxx. Da eine Rechtsnachfolge nicht erkennbar sei und der Kläger zwischendurch in der Zeit vom 03.09. bis 30.11.2001 kurzfristig bei der G3 M3xxx- und B2xxxxxxxxxx GmbH tätig gewesen sei, sei unabhängig von seiner Auffassung, keine unerlaubte Handlung zum Nachteil seiner Arbeitgeberin begangen zu haben nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Beklagte Forderungsinhaberin geworden sein soll. Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der 67-jährigen kaufmännischen Angestellten M1xxxxxxx B1xxxxxx und des 68-jährigen Rentners W5xxxx B1xxxxxx als Zeugen. Bezüglich des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 11.03.2005 (Bl. 201 - 203 der Akte) Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die an sich zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den jeweils unpfändbaren Anteil der in den Monaten Januar bis einschließlich Juni 2004 verdienten Gehälter zu zahlen (§§ 611, 614 BGB, § 850 c ZPO). 1. Der Kläger hat der Beklagten mit der jeweiligen Fälligkeit der Monatsvergütung diesen Gehaltsbestandteil weder einseitig erlassen noch mit ihr hierüber einen Erlass- oder Aufrechnungsvertrag geschlossen (§§ 397, 394, 387, 389 BGB). Der Beklagten ist es nicht gelungen, ihre entsprechenden schriftsätzlichen Behauptungen zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer nachzuweisen. Die Beweisaufnahme hat lediglich herausgearbeitet, dass sich die Parteien möglicherweise im Januar 2004 unter Bezugnahme auf frühere Gespräche im Januar 2002 darauf verständigt haben, dass der Kläger einen angeblichen Schadenersatz i. H. v. 15.800,00 € im Kalenderjahr 2004 mit den noch zu verdienenden Gehältern tilgt. Eine derartige Abrede mit zumindest einseitiger Zusage des Klägers deuteten zwar die beiden Zeugen M1xxxxxxx und W5xxxx B1xxxxxx in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung vor der Kammer an. Die erkennende Berufungskammer war jedoch aus Rechtsgründen daran gehindert, den Anlass und Inhalt dieser Unterredung näher aufzuklären, zumal ein möglicher Erlass- bzw. Aufrechnungsvertrag, soweit dieser sich auf noch nicht fällige Lohnforderungen beziehen und auch die unpfändbare Arbeitsvergütung erfassen soll, aus den Gründen des Arbeitnehmerschutzes wegen eines Verstoßes gegen § 394 BGB rechtsunwirksam ist. Insoweit beschreiben die §§ 394, 400 und 1274 Abs. 2 BGB eine allgemein gehaltene Schutznorm (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Aufl., § 87 Rdnrn. 3 und 19; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 394 Rdnr. 1 und § 397 Rdnr. 1; Staudinger/Kaduk, BGB, 12. Aufl., § 397 Rdnr. 50; LAG Berlin, Urt. v. 17.02.1997 - NZA RR 1997, 371 = Der Betrieb 1997, 881). 2. Der Beklagten ist es auch nicht gelungen nachzuweisen, dass der Kläger eine entsprechende Erklärung mit Aushändigung der jeweiligen Gehaltsabrechnung, also mit Fälligkeit des Gehaltsanspruchs, abgegeben hat (zur Zulässigkeit eines derartigen Verzichts auch bezogen auf die unpfändbare Gehaltsforderung: Schaub, a. a. O., § 87 Rdnr. 10; Heinrichs, a. a. O., § 394 Rdnr. 1, LAG Hamm, Der Betrieb 1973, 1080 und BAG NJW 1977, 1168). Es ist eher vom Gegenteil auszugehen. Beide Zeugen haben ausgeführt, anlässlich der Übergabe der Gehaltsabrechnungen durch die Zeugin M1xxxxxxx B1xxxxxx sei hierüber gar nicht gesprochen worden. Diesbezügliche Erklärungen seien deswegen nicht abgegeben worden, zumal im Januar 2004 alles besprochen und verabredet gewesen sei. Allein aus diesem Grunde war die erkennende Berufungskammer nicht verpflichtet zu überprüfen, ob dem Kläger in diesem Falle nicht wenigstens der sog. Selbstbehalt des § 850 d ZPO verbleiben müsste (Heinrichs, a. a. O., § 394 Rdnr. 2). 3. Die Beklagte hat auch nicht rechtswirksam mit dem gem. § 394 BGB unpfändbaren Gehaltsanteil aufgerechnet. Grundsätzlich erfährt eine Aufrechnung ihre Grenzen im unpfändbaren Teil des verdienten Lohnanspruchs (§ 394 BGB, § 850 c ZPO). Die Berufung auf dieses Aufrechnungsverbot kann in Ausnahmefällen dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, auf einer vorsätzlich unerlaubten Handlung des Arbeitnehmers beruht und es deswegen im Einzelfall gerechtfertigt ist, diesen mit § 394 S. 1 BGB beschriebenen Sonderschutz der Allgemeinheit zurücktreten zu lassen (Heinrichs, a. a. O., § 394 Rdnr. 2). Diesen, für Ausnahmesituationen angedachten Schutz als Schuldner der unpfändbaren Arbeitsvergütung kann die Beklagte für sich nicht in Anspruch nehmen. Sie beruft sich zwar auf eine grundlegende Untreuhandlung, also auf eine vorsätzlich unerlaubte Handlung des Klägers i. S. des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den §§ 266, 246 und 242 StGB. Die Beklagte war jedoch entweder niemals Gläubigerin einer solchen Forderung oder ist zumindest nicht mehr Gläubigerin dieser Forderung geblieben. Im Zeitpunkt der behaupteten Tathandlungen war die Beklagte nicht existent. Sie hat auch nicht nachgewiesen, dass sie Rechtsnachfolgerin der früheren GmbH ist, dass also eine bloße Sitzverlegung der früheren GmbH nach W4xxxxxxx vollzogen wurde. Gegen eine Sitzverlegung spricht der Gesellschaftsvertrag vom 18.07.2001. Als mögliche Rechtsnachfolgerin müsste sich die Beklagte die Verfallsfrist des § 49 RTV Maler- und Lackiererhandwerk entgegenhalten lassen. Danach verfallen alle beiderseitigen Ansprüche und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Da eine ausdrückliche Ausnahmeregelung fehlt, sind hiervon auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung erfasst. Eine Neubegründung einer Forderung der Beklagten in der Form eines abstrakten Schuldverhältnisses trägt die Beklagte nicht vor. Sie verweist zwar auf ein Gespräch im Januar 2002. Für die rechtswirksame Neubegründung einer Schuld fehlt jedoch das Schriftformerfordernis des § 781 BGB. 4. Diese Forderung ist auch nicht zum Teil verfallen (§ 59 RTV Maler- und Lackiererhandwerk). Der Kläger hat zwar die hierin enthaltene doppelte Ausschlussfrist nicht für alle Entgeltansprüche eingehalten. Dennoch kann sich die Beklagte aus den Gründen des § 242 BGB hierauf nicht berufen. Mit der Abrechnung des jeweiligen Gehaltsanspruchs und der Aushändigung der Gehaltsabrechnung hat sie den jeweiligen Verdienst anerkannt. Damit hat sie gegenüber dem Kläger zum Ausdruck gebracht, den selbsterrechneten Nettobetrag zu schulden und demnächst auszuzahlen. Die Beklagte hat hierbei keinen Vorbehalt erklärt. Die Abrechnungen enthalten nicht den Zusatz: Auszahlung erfolgt nicht aufgrund der in Januar 2004 getroffenen Abrede. Ein entsprechender Hinweis erfolgte im Zusammenhang mit der Aushändigung der jeweiligen Gehaltsabrechnung genauso wenig. Dies hat das Ehepaar B1xxxxxx in der zeugenschaftlichen Vernehmung ausdrücklich verneint. Demzufolge verbleibt es bei dem in der Gehaltsabrechnung enthaltenen Schuldanerkenntnis. Da die Beklagte den Kläger hierdurch davon abgehalten hat, die doppelstufige Ausschlussfrist zu wahren bzw. deren Einhaltung überhaupt nicht erwartete, zumal sie einen ausdrücklichen Hinweis auf die eingestandene Verpflichtung nicht für erforderlich hielt, verstößt ihr jetziges Berufen auf den tariflichen Verfall eines Teils der Klageforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (BAG, Urt. v. 05.06.2003 - EzA, § 4 TarifVG Ausschlussfristen Nr. 167). 5. Aus den zuvor dargestellten Gründen ist die Zahlungsklage des Klägers zumindest im Umfang des jeweils unpfändbaren Gehaltsanspruchs begründet. Der an sich zulässigen Berufung der Beklagten gegen das insoweit klagestattgebende Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Herne war der gewünschte Erfolg zu versagen; sie war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Der Rechtssache kommt aufgrund der zitierten Rechtsprechung keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die erkennende Berufungskammer sah deshalb keinen Anlass, die Revision ausdrücklich aus den Gründen des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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