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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 25.01.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 1561/06
Rechtsgebiete: KSchG
Vorschriften:
KSchG § 1 |
2. Zur Reichweite derselben Vertragspflicht, wenn der Oberarzt ein von einem Kollegen erstelltes Gutachten, welches die Anordnung einer Betreuung befürwortet, ungelesen mitunterzeichnet hat, und, weil er den Standpunkt des Gutachtens nicht teilt, anschließend bei Gericht vorstellig wird mit der Erklärung, er sei bei der Unterzeichnung "ein bisschen gelinkt worden".
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 01.08.2006 - 3 Ca 513/06 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1949 geborene und gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau sowie zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger, welcher seit dem Jahre 1992 in der von der beklagten gemeinnützigen Gesellschaft betriebenen Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik als Psychotherapeut und stellvertretender Chefarzt tätig ist, gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch ordentliche, arbeitgeberseitige Kündigungen vom 31.03.2006 und 26.04.2006.
Die angegriffenen Kündigungen stützt die Beklagte - kurz zusammengefasst - auf den Vorwurf illoyalen Verhaltens. Tatsächlich habe der Kläger durch abwertende Äußerungen gegenüber dem mit Betreuungssachen befassten Amtsgericht den Ruf des Krankenhauses und der dort tätigen Ärzte nachhaltig gefährdet und die ohnehin angespannte Vertrauensbeziehung zum Chefarzt endgültig zerstört. So habe der Kläger in der Angelegenheit der vormaligen Krankhauspatientin M4xxxx in einem Telefonat mit dem Amtsrichter S2xxxxxxxx zum Ausdruck gebracht, das seinerzeit von den Ärzten Dr. T1xxxxxx und dem Chefarzt Dr. W2xxx unterzeichnete Gutachten über das Vorliegen eines Betreuungsbedarfs "sei nicht ernst zu nehmen". Weiter habe der Kläger in der Betreuungsangelegenheit der Patientin D3xxxxxx in einem Telefonat mit der Justizangestellten F3xxxxx erklärt, er habe zwar das (von der Assistenzärztin K4xxx erstellte und vom Chefarzt Dr. W2xxx mitverantwortete) Gutachten über eine Betreuungsnotwendigkeit unterzeichnet, hierbei sei er jedoch "gelinkt" worden. Auf der Grundlage des ihm vorgelegten Aktenvermerks über den Inhalt des Telefonats habe der zuständige Amtsrichter S2xxxxxxxx den Chefarzt Dr. W2xxx entsprechend informiert und sich über die Äußerungen des Klägers irritiert gezeigt. Verständlicherweise habe das Verhalten des Klägers im Hause der Beklagten erhebliche Unruhe verursacht, eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Kläger als Oberarzt einerseits und dem Chefarzt Dr. W2xxx sowie den weiteren ärztlichen Mitarbeitern andererseits sei danach ausgeschlossen. Darüber hinaus sei durch das Verhalten des Klägers die gesamte Abteilung des Krankenhauses im Verhältnis zum Gericht in Misskredit gebracht worden. Durch die Äußerung des Klägers sei der Eindruck entstanden, die für das Gericht erstellten Gutachten seien fehlerhaft und für die richterliche Beurteilung nicht brauchbar.
Demgegenüber hat der Kläger zu den erhobenen Vorwürfen erwidert, Anlass für seinen Anruf beim Amtsrichter S2xxxxxxxx in der Angelegenheit der Patientin M4xxxx sei der Umstand gewesen, dass er die betreffende Patientin nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus weiter ambulant behandelt habe. Auf entsprechende Fragestellung des sozialpsychiatrischen Dienstes A1xxxxxxx habe er bei Gericht Rückfrage gehalten, ob tatsächlich weiterhin an der angeordneten Betreuung in Vermögensangelegenheiten festgehalten werden müsse, ohne dass es jedoch zu der behaupteten abfälligen Äußerung gekommen sei. Auch soweit es das Telefongespräch mit der Justizangestellten F3xxxxx in der Angelegenheit der Patientin D3xxxxxx betreffe, könne ihm aus seiner Vorgehensweise kein Vorwurf gemacht werden. Richtig sei zwar, dass die Ärztin Dr. K4xxx ein die Betreuungsanordnung befürwortendes Gutachten erstellt habe, welches er - der Kläger - in der Eile unterzeichnet habe, ohne zuvor vom Inhalt Kenntnis zu nehmen. Da im Kollegenkreis letztlich Übereinstimmung erzielt worden sei, dass die Voraussetzungen für eine Betreuung nicht gegeben seien, habe er es übernommen, Kontakt mit dem Gericht aufzunehmen und auf eine Richtigstellung hinzuwirken. Dass er hierbei die Worte gebraucht habe, er sei "hereingelegt" bzw. "hintergangen" worden, müsse bestritten werden. Sämtliche erhobenen Vorwürfe seien damit unbegründet.
Im Übrigen hält der Kläger die ausgesprochenen Kündigungen auch unter Berücksichtigung der Vorschriften des Schwerbehindertenrechts für unwirksam. Hierzu verweist er auf die Tatsache, dass er bereits unter dem 18.10.2004 einen Verschlimmerungsantrag gestellt hatte, worauf durch Bescheid vom 10.05.2006 rückwirkend ab Antragstellung der Grad der Behinderung in Höhe von 50 festgestellt wurde. Damit sei die Kündigung vom 31.03.2006 ohnehin unwirksam. Entsprechendes gelte auch für die Folgekündigung vom 26.04.2006. Im Hinblick auf das laufende Anerkennungsverfahren hatte die Beklagte hierzu unter dem 23.03.2006 vorsorglich die behördliche Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses beantragt. Über diesen Antrag entschied das Integrationsamt unter dem 31.03.2006 durch Negativattest mit der Begründung, im Entscheidungszeitpunkt sei der Kläger noch nicht als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Nach Eingang des Bescheides und erneuter Zustimmung der Mitarbeitervertretung sprach die Beklagte die weitere Kündigung vom 26.04.2006 aus.
Durch Urteil vom 01.08.2006 (Bl. 155 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung der Beklagten vom 31.03.2006 noch durch die Kündigung vom 26.04.2006 beendet worden ist. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, zwar habe der Kläger in der Betreuungsangelegenheit M4xxxx seine arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch verletzt, dass er ohne Rücksprache mit seinem Vorgesetzten Dr. W2xxx Kontakt zum Amtsrichter S2xxxxxxxx aufgenommen habe. Auch wenn der Kläger aufgrund eigener Sachkunde zu der Auffassung gelangt sei, dass ein Bedürfnis für die Anordnung einer Betreuung nicht oder nicht mehr gegeben sei, habe er bei seiner Vorgehensweise Rücksicht auf die Notwendigkeit nehmen müssen, im Verhältnis zu dem mit Betreuungsangelegenheiten befassten Gericht ein geschlossenes und einheitliches Bild der Klinik nach außen zu vermitteln. Schon das eigenmächtige Vorgehen des Klägers müsse unter diesen Umständen als pflichtwidrig angesehen werden. Sofern der Kläger tatsächlich geäußert haben sollte, das betreffende Gutachten sei nicht ernst zu nehmen, verleihe dies der Pflichtverletzung gegebenenfalls zusätzliches Gewicht, ohne andererseits - auch im Zusammenwirken mit dem weiteren Kündigungsvorwurf - eine Kündigung ohne vorangehende Abmahnung rechtfertigen zu können. Entsprechendes gelte für das Telefonat zwischen dem Kläger und der Justizangestellten F3xxxxx in der Betreuungsangelegenheit D3xxxxxx. Auch wenn zu Gunsten der Beklagten als wahr unterstellt werde, dass der Kläger - abweichend von seinem Vorbringen - eigenmächtig Kontakt mit dem Gericht aufgenommen und hierbei - wie die Beklagte behauptet - geäußert habe. er sei von seiner Kollegin "gelinkt" worden, liege hierin allein eine erneute Pflichtverletzung mit zusätzlichem Gewicht. Das Fehlverhalten des Klägers wiege indessen nicht so schwer, das vom Erfordernis einer einschlägigen Abmahnung abgesehen werden könne. Ersichtlich habe der Kläger das Wohl seiner Patienten vor Augen gehabt, für welche sich die Anordnung einer Betreuung als freiheitsbeschränkende Maßnahme darstelle, die nicht ohne Grund vom Vormundschaftsgericht angeordnet werden könne. Wenn der Kläger in den Betreuungsangelegenheiten M4xxxx und D3xxxxxx aus vertretbaren Gründen zu der Überzeugung gelangt sei, dass eine Betreuung nicht erforderlich sei, habe er damit im Interesse seiner Patienten gehandelt. Dann erscheine es aber als überzogene Schlussfolgerung, von einer nicht mehr wieder gut zu machenden Erschütterung der Vertrauensbeziehung auszugehen.
Mit seiner rechtzeitig eingelegt und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens gegen den Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils, die vom Arbeitsgericht gewürdigten Vorfälle stünden der weiteren Zusammenarbeit der Parteien nicht entgegen. Tatsächlich sei es dem Kläger bei seinen Telefonaten mit dem Amtsrichter S2xxxxxxxx nicht um das Wohl seiner Patienten gegangen, vielmehr habe sich der Kläger mit seiner Vorgehensweise Rechte angemaßt, welche ihm nicht zustünden. Ersichtlich habe der Kläger erneut eine Konfrontation mit dem Chefarzt Dr. W2xxx gesucht. In Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger mit dem Fall der Patientin M4xxxx im Zeitpunkt der stationären Behandlung gar nicht befasst gewesen sei, sondern erst nachträglich die ambulante Behandlung der Patientin übernommen habe, stehe es dem Kläger nicht zu, das seinerzeit erstellte Gutachten als unrichtig bzw. "nicht ernst zu nehmen" abzuqualifizieren. Soweit sich der Gesundheitszustand der Patientin M4xxxx tatsächlich geändert habe und aus diesem Grunde eine neue gutachterliche Stellungnahme erforderlich geworden sei, sei es die Pflicht des Klägers gewesen, dies mit seinem Kollegen Dr. T1xxxxxx und dem Chefarzt Dr. W2xxx zu erörtern. Demgegenüber werde durch die Vorgehensweise des Klägers die fachliche Autorität und das Ansehen des Krankenhauses insgesamt beeinträchtigt.
Im Falle der Patientin D3xxxxxx habe der Kläger mit seiner Äußerung, er sei von seiner Kollegin Frau K4xxx "gelinkt" worden, den Eindruck erweckt, diese habe ihn durch vorsätzliche Irreführung zur Unterzeichnung des Gutachtens veranlasst. Als Oberarzt in verantwortlicher Position müsse der Kläger aber wissen, dass eine solche Äußerung gegenüber einer Behörde oder einem Gericht zwangsläufig zu der Frage führten, welche Zustände in der psychiatrischen Klinik der Beklagten herrschten und was man zukünftig von Gutachten aus dieser Klinik zu halten habe. Ein solches Verhalten sei unverzeihlich und stelle einen so erheblichen Vertrauensbruch dar, dass allein durch eine Abmahnung die zerstörte Vertrauensbeziehung nicht wieder hergestellt werden könne. Bereits in der Vergangenheit habe er Kläger es wiederholt unternommen, gegen den Chefarzt und dessen ebenfalls als Oberärztin im Krankenhaus tätige Ehefrau zu opponieren und diese in Misskredit zu bringen, indem etwa der Umfang der in Anspruch genommenen Bereitschaftsdienste hinterfragt worden sei. Auch das Verhalten des Klägers nach Ausspruch der Kündigung belege ausweislich der vorgelegten Telefonnotizen die mangelnde Fähigkeit des Klägers, sein Verhalten zu steuern.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 01.08.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung in der Sache als zutreffend und tritt insbesondere dem Standpunkt bei, unter den vorliegenden Umständen habe dem Kläger zunächst eine Abmahnung erteilt werden müssen.
Im Übrigen scheiterten die ausgesprochene Kündigungen auch schon an den Vorschriften des Schwerbehindertenrechts. Dies gelte zunächst für die Kündigung vom 31.03.2006, welche die Beklagte - trotz Kenntnis vom Verschlimmerungsantrag des Klägers - ohne Beteiligung des Integrationsamtes ausgesprochen habe. Richtig sei zwar, dass der Bescheid über die Feststellung eines GdB von 50 erst nach Ausspruch der Kündigung ergangen sei. Hierauf komme es indessen nicht an, maßgeblich sei vielmehr die Rückwirkung des Bescheides zum 18.10.2004.
Auch die weitere Kündigung vom 26.04.2006 sei ersichtlich ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden. Zwar habe das Integrationsamt ein sog. Negativattest erteilt. Dieser Bescheid müsse indessen als offensichtlich rechtswidrig und damit als nichtig angesehen werden, da die Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand des § 90 Abs. 2 a SGB IX unzweifelhaft nicht erfüllt seien. Allein die Tatsache, dass im Zeitpunkt des arbeitgeberseitigen Zustimmungsantrags das weiträumig zuvor eingeleitete Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei, schließe - abweichend vom Standpunkt des Integrationsamtes - den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz nicht aus. Im Übrigen müsse davon ausgegangen werden, dass der Beklagten im Zeitpunkt ihres Zustimmungsantrages vom 23.03.2006 bereits der Umstand bekannt gewesen sei, dass das Versorgungsamt im Anerkennungsverfahren bereits zuvor - unter dem 03.03.2006 - einen Vergleichsvorschlag unterbreitet habe, nach welchem der GdB des Klägers 50 betrage. Mit diesem Vergleichsvorschlag habe sich der Kläger bereits am 22.03.2006 telefonisch einverstanden erklärt. Unter diesen Umständen könne sich die Beklagte auf das ergangene Negativattest nicht berufen, gegen welches im übrigen nach erfolglosem Widerspruch bereits Anfechtungsklage erhoben sei.
Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten zum Inhalt des Telefonats zwischen dem Kläger und der Justizangestellten F3xxxxx durch deren uneidliche Vernehmung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.01.2007 (Bl. 226 ff. d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
I
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 31.03.2006 nicht beendet worden. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert bereits an den Vorschriften des Schwerbehindertenrechts.
1. Unstreitig ist der Kläger - rückwirkend mit Wirkung vom zum 18.10.2004 - als Schwerbehinderter anerkannt worden. Da der Anerkennungsbescheid allein deklaratorische Bedeutung besitzt, stand dem Kläger objektiv im Zeitpunkt der Kündigung der Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX zu.
2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Ausnahmevorschrift des § 90 Abs. 2 a SGB IX. Nach dieser Vorschrift finden zwar die Regeln über den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte unter den dort genannten Voraussetzungen keine Anwendung. Die genannte Ausnahmevorschrift greift hier jedoch nicht ein.
Mit der neu in das Gesetz eingefügten Regelung soll der als missbräuchlich angesehenen Praxis begegnet werden, dass ein Arbeitnehmer, welcher von der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers - etwa im Zuge der Betriebsratsanhörung - Kenntnis erlangt hat, noch kurz vor Zugang der Kündigung beim Versorgungsamt einen (möglicherweise aussichtslosen) Anerkennungs- oder Verschlimmerungsantrag stellt, um so taktische Vorteile im Kündigungsschutzprozess zu erlangen. Dementsprechend steht dem Arbeitnehmer nach der im Schrifttum wohl überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. die Nachweise bei KR-Etzel, 8. Aufl. 2007, §§ 85 - 90 SGB IX Rz 53 e;) kein Sonderkündigungsschutz zu, wenn bei Zugang der Kündigung die in § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX in Bezug genommene Frist von drei bzw. sieben Wochen, binnen derer das Versorgungsamt eine Entscheidung über den Anerkennungsantrag zu treffen hat, noch nicht abgelaufen ist (A. A. LAG Düsseldorf, Urt. v. 29.03.2006 - 17 Sa 1321/05 - DB 06, 2244). Hat der Arbeitnehmer seinen Anerkennungs- oder Verschlimmerungsantrag demgegenüber so rechtzeitig gestellt, dass das Versorgungsamt innerhalb der genannten Fristen eine Entscheidung hätte treffen können, so steht dem Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz zu, wenn dem Antrag rückwirkend entsprochen wird (KR-Etzel a. a. O. Rz 53 h). Die vom Arbeitnehmer und Antragsteller nicht zu vertretende längere Dauer des Anerkennungsverfahrens rechtfertigt nach Gesetzeswortlauf und Gesetzeszweck nicht den Verlust des Sonderkündigungsschutzes, welcher an den objektiven Tatbestand der Behinderung mit einem GdB von mindestens 50 anknüpft und nicht etwa - wie die Gleichstellung durch das Arbeitsamt - erst durch behördliche Entscheidung zuerkannt wird.
Unstreitig hatte der Kläger seinen Verschlimmerungsantrag nicht erst zeitlich kurz vor Ausspruch der Kündigung, sondern bereits lange Zeit zuvor - nämlich bereits am 18.10.2004 - gestellt. Aufgrund des rückwirkenden Bescheides des Versorgungsamtes vom 10.05.2006 stand dem Kläger damit der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte zu.
3. Unstreitig war der Beklagten bei Ausspruch der Kündigung die Tatsache bekannt, dass der Kläger einen entsprechenden Verschlimmerungsantrag gestellt hatte. Ein Verlust des Sonderkündigungsschutzes infolge unterlassener oder verspäteter Mitteilung an den Arbeitgeber scheidet danach aus.
4. Soweit die Beklagte vorsorglich beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung beantragt und hierauf ein behördliches Negativattest erhalten hat, ist dies allein für die nachfolgend ausgesprochene Kündigung vom 26.04.2006 von Belang. Das Negativattest ist der Beklagten erst am 05.04.2006 - also nach Ausspruch und Zugang der Kündigung vom 31.03.2006 - zugestellt worden.
II
Auch die vorsorglich ausgesprochene weitere Kündigung vom 26.04.2006 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte allerdings die Regeln des Sonderkündigungsschutzes nach § 85 ff. SGB IX gewahrt. Auf den Zustimmungsantrag der Beklagten hin ist ein behördliches Negativattest erteilt worden, welches rechtlich einer behördlichen Zustimmung zur Kündigung gleichkommt.
a) Den Bedenken des Klägers, dieses Negativattest sei offensichtlich rechtswidrig erteilt worden und aus diesem Grunde nichtig, vermag die Kammer im Ergebnis nicht zu folgen.
Zwar bestehen in der Tat rechtliche Bedenken gegen den Standpunkt des Integrationsamtes und des Widerspruchsausschusses, einer sachlichen Entscheidung über den Zustimmungsantrag des Arbeitgebers bedürfe es nicht, wenn im Entscheidungszeitpunkt die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen bzw. festgestellt sei (so auch KR-Etzel a. a. O. Rz 55 m. w. N.). Nicht anders als nach altem Recht, nach welchem noch ein unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung gestellter Anerkennungsantrag geeignet war, den Sonderkündigungsschutz nach den Vorschriften des SGB IX zu begründen, verbleibt es - wie vorstehend ausgeführt worden ist - auch nach der Neufassung des Gesetzes gemäß § 90 Abs. 2 a SGB IX und der hierin vorgesehenen Einschränkung des Sonderkündigungsschutzes für die Fälle der verzögerten Antragstellung bei dem Grundsatz, dass die Rechtsstellung des Schwerbehinderten an die objektive Tatsache der Behinderung anknüpft und eine Ausnahme vom Sonderkündigungsschutz nur für den Fall der verspäteten Antragstellung oder fehlender Mitwirkung des Antragstellers eingreift. Der Standpunkt des Integrationsamtes, während eines laufenden Anerkennungsverfahrens sei für eine sachliche Entscheidung über den Zustimmungsantrag des Arbeitgebers kein Raum, da die Schwerbehinderteneigenschaft jedenfalls noch nicht nachgewiesen sei, entzieht dem Schwerbehinderten damit - über die Reichweite der gesetzlichen Neuregelung hinaus - den vorgesehenen Sonderkündigungsschutz, welcher durch das behördliche Zustimmungsverfahren gewährleistet ist. Soweit im Widerspruchsbescheid hilfsweise Ausführungen dazu enthalten sind, dass auf der Grundlage des vorliegenden Sachverhalts ohnehin die Zustimmung zu erteilen gewesen wäre, mag dieser Standpunkt in der Sache zutreffen, rechtfertigt es aber nicht, anstelle der beantragten Zustimmung ohne Sachprüfung ein Negativattest zu erteilen. Dies gilt im Übrigen auch im Interesse des Arbeitgebers. Sollte das ohne Sachprüfung ergangene Negativattest aus den hier dargestellten Gründen im Rechtsmittelzuge aufgehoben werden, würde es überhaupt an der erforderlichen behördlichen Zustimmung zur Kündigung fehlen. Auf die Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung käme es dann nicht mehr an.
b) Die vorstehend aufgeführten rechtlichen Bedenken gegen die Erteilung eines Negativattestes in Fällen der vorliegenden Art genügen indessen nicht zur Annahme einer Nichtigkeit des Bescheides. Die angesprochenen rechtlichen Mängel können nicht als derart offenkundig angesehen werden, dass sich jedem Beurteiler die Rechtswidrigkeit des Bescheides geradezu aufdrängt (so auch KR-Etzel a. a. O. Rz 58). Dementsprechend muss es der Überprüfung im verwaltungsrechtlichen Verfahren vorbehalten bleiben, inwiefern unter Berücksichtigung der Regelung des § 90 Abs. 2 a SGB IX ein entsprechender Bescheid erteilt werden durfte.
2. Die ausgesprochen Kündigung erweist sich aber als sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Satz 2 KSchG.
Auch wenn man - abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils - den Kündigungsvorwurf in der Sache D3xxxxxx für geeignet hält, eine verhaltensbedingten Kündigung ohne vorangehende Abmahnung trotz der langjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers zu rechtfertigen, hat die hierzu durchgeführte Beweisaufnahme den Sachvortrag der Beklagten nicht in vollem Umfang bestätigt. Das Verhalten des Klägers muss zwar in mehrfacher Hinsicht als pflichtwidrig angesehen werden. Der entscheidende Vorwurf, der Kläger habe den Eindruck erweckt, er sei im Zusammenhang mit der vertretungsweisen Unterzeichnung des Gutachtens in Sachen D3xxxxxx vorsätzlich getäuscht worden, trifft nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu. Allein die übrigen vertragswidrigen Verhaltensweisen des Klägers genügen demgegenüber weder jeweils für sich allein genommen noch in ihrer Gesamtheit zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung ohne vorangehende Abmahnung.
a) In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil ist das Verhalten des Klägers im Fall der Patientin M4xxxx nicht geeignet, eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung zu begründen, welche ohne einschlägige Abmahnung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.
(1) Zutreffend hat das Arbeitsgericht hierzu ausgeführt, die dem Kläger zur Last gelegte - und als wahr unterstellte - telefonische Äußerung gegenüber dem Richter S2xxxxxxxx, das von Dr. T1xxxxxx und dem Chefarzt Dr. W2xxx verantwortete Gutachten "sei nicht ernst zu nehmen" stelle einen erheblichen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar.
Allerdings kann ein pflichtwidriges Handeln nicht schon darin gesehen werden, dass der Kläger in dem fraglichen Telefonat zum Ausdruck gebracht hat, abweichend vom Standpunkt des dem Gericht vorliegenden Gutachtens und der hierauf gestützten gerichtlichen Entscheidung bestehe aus seiner ärztlichen Sicht gegenwärtig keine Notwendigkeit einer Betreuungsverfügung. Das dem Gericht vorliegende Gutachten knüpfte an eine Beurteilung der Patientin im Zeitpunkt der stationären Behandlung an, welche am 10.08.2005 endete. In der Folgezeit wurde die Patientin sodann vom Kläger ambulant behandelt. Dementsprechend betraf das fragliche Telefonat die Frage der aktuellen Betreuungsbedürftigkeit der Patientin, wobei Anlass für das Tätigwerden des Klägers die Anfrage des sozialpsychologischen Dienstes vom 25.10.2005 hinsichtlich der Notwendigkeit der Betreuung war. Der Kläger ist danach nicht - wie die Beklagte meint - aus eigener Initiative mit dem Ziel aktiv geworden, die Fachkompetenz der übrigen am Krankenhaus tätigen Ärzte zu diskreditieren, vielmehr bestand durchaus ein sachlicher Anlass, die Betreuungsbedürftigkeit der Patientin M4xxxx zu hinterfragen.
Soweit demgegenüber im arbeitsgerichtlichen Urteil der Standpunkt zum Ausdruck kommt, der Kläger habe es vorrangig dem Chefarzt überlassen müssen, das von ihm - dem Chefarzt - verantwortete Gutachten zu überprüfen und ggfls. gegenüber dem Gericht tätig zu werden, wird dies nach Auffassung der Kammer der eigenständigen Verantwortung des Klägers als ambulant behandelndem Arzt nicht gerecht. Zwar ist der Kläger in seiner Funktion als angestellter Oberarzt gegenüber dem Krankenhaus als Arbeitgeber nicht allein zur ordnungsgemäßen Arbeitsleistung, sondern - auf der Grundlage arbeitsvertraglicher Nebenpflichten - auch zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Krankenhauses verpflichtet. Soweit also das Krankenhaus bzw. die dort tätigen Ärzte mit der Erstellung von Gutachten für das Gericht in Betreuungsangelegenheiten befasst sind, ergeben sich für den Kläger ohne weiteres hierauf bezogene Interessenwahrungs- und Rücksichtnahmepflichten. Andererseits war der Kläger - ersichtlich zulässigerweise - auch im Bereich der ambulanten Behandlung von Patienten tätig. Hieraus ergab sich für ihn die Verpflichtung, sich im Rahmen der übernommenen Behandlung in geeigneter Form für die Belange seiner Patienten einzusetzen. Im Einzelfall konnte sich hierbei auch eine fachliche Meinungsverschiedenheit zu einer gutachterlichen Beurteilung durch das Krankenhaus ergeben. Die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange des Krankenhauses bzw. der dort mit Gutachten befassten Ärzte kann aber die persönliche Verantwortung des Klägers als behandelnder Arzt nicht verdrängen. Dementsprechend konnte im vorliegenden Zusammenhang vom Kläger allein gefordert werden, dass er bei einer Kontaktaufnahme mit dem Gericht den Besonderheiten seiner Stellung als Oberarzt des Krankenhauses und als ambulant behandelnder Arzt Rechnung zu tragen hatte. Nicht hingegen kann aus der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Rücksichtnahme und Interessenwahrung abgeleitet werden, dass dem Kläger eine eigenständige Kontaktaufnahme zum Gericht mit dem Ziel, eine Aufhebung der Betreuungsverfügung zu erreichen, von vornherein verboten war. Auch aus der Sicht des angesprochenen Richters war ohne Zweifel nachzuvollziehen, dass allein in einer sachlichen Äußerung eines abweichenden fachlichen Standpunkts kein Angriff auf die Fachkompetenz des Erstbeurteilers zu sehen ist. Das gilt unter den vorliegenden Umständen um so mehr, als sich das von Herrn Dr. T1xxxxxx und dem Chefarzt Dr. W2xxx erstellte Gutachten auf Erkenntnisse zum Zeitpunkt der stationären Behandlung der Patientin M4xxxx bezog, wohingegen sich der Anruf des Kläges auf die aktuelle Einschätzung des Betreuungsbedarfs bezog.
(2) Ein pflichtwidriges Handeln des Klägers kann danach nur darin gesehen werden, dass sich der Kläger in diesem Zusammenhang - über eine zulässige Darstellung eines sachlich abweichenden Standpunktes hinaus - abfällig über das dem Gericht vorliegende Gutachten geäußert hat.
In Anbetracht der Tatsache, dass es für die Frage der aktuellen Notwendigkeit einer Betreuung ersichtlich gar nicht darauf ankam, ob die vorangehende Begutachtung aus der Zeit des stationären Krankenhausaufenthaltes als zutreffend anzusehen war, erschließt es sich nicht von selbst, aus welchem Grunde gleichwohl für die Gesprächsbeteiligten Anlass bestand, sich über die Aussagekraft des früheren Gutachtens zu äußern. Ohne nähere Kenntnis des vollständigen Gesprächsverlaufs ist dementsprechend nicht nachvollziehen, wie es zu der - als wahr unterstellten - Äußerung des Klägers gekommen ist, das betreffende Gutachten "sei nicht ernst zu nehmen". Dass der Kläger völlig grundlos und ohne inneren Zusammenhang mit dem aktuell vorgetragenen Anliegen das dem Gericht vorliegende Gutachten bzw. deren Verfasser abqualifiziert hat, etwa um gezielt das Ansehen der Ärzte und des Krankenhauses herabzuwürdigen, kann damit nicht zu Lasten des Klägers unterstellt werden. Geht man demgegenüber von der nicht fernliegenden Möglichkeit aus, im Zuge des Telefonats sei dem vom Kläger vorgetragenen Anliegen und seiner aktuellen medizinischen Beurteilung der Einwand entgegengehalten worden, immerhin sei doch im Rahmen des Betreuungsverfahrens ein Gutachten des Krankenhauses eingeholt worden, über welches sich das Gericht nicht einfach hinwegsetzen könne, so zielte die fragliche Äußerung des Klägers dem Zusammenhang nach darauf ab, die Bedeutung des Gutachtens für die gewünschte aktuelle Beurteilung der Betreuungsbedürftigkeit zu relativieren. Auch wenn die dem Kläger zur Last gelegte Äußerung damit einen groben sprachlichen Missgriff und damit zugleich eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellt, wird immerhin doch deutlich, dass Ziel des Klägers nicht ein Angriff auf Fachkompetenz und Ehre von Kollegen und Vorgesetzten war, sondern der Versuch, die Bedeutung des dem Gericht vorliegenden Gutachtens für die - nach Ansicht des Klägers - geänderte Sachlage zu relativieren. Allein der Umstand, dass der Kläger - wie er betont - "im Interesse der Patientin" gehandelt hat, lässt zwar die Pflichtwidrigkeit seines Handelns nicht entfallen, zumal die Wahrnehmung der Patienteninteressen in keiner Weise abwertende Äußerungen über das vom Krankenhaus erstellte Gutachten erforderte. Gleichwohl ist im Ergebnis dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils beizutreten, dass der so umschriebenen Pflichtverletzung des Klägers jedenfalls für sich genommen kein derart schweres Gewicht zukommt, dass allein aufgrund dieser - als wahr unterstellten - Äußerung des Klägers im Falle M4xxxx der Ausspruch einer Kündigung ohne vorangehende einschlägige Abmahnung als sozial gerechtfertigt angesehen werden kann.
b) Soweit es den weiteren Vorwurf betrifft, der Kläger habe im Fall der Patientin D3xxxxxx gegenüber der Justizangestellten F3xxxxx geäußert, er sei bei der Unterzeichnung des für das Gericht bestimmten Gutachtens "gelinkt" worden, kommt nach Auffassung der Kammer dieser Äußerung durchaus eine kündigungsrelevante Bedeutung zu.
(1) Nach herkömmlichem Sprachverständnis wird mit einer solchen Äußerung nämlich zum Ausdruck gebracht, man sei durch eine vorsätzliche Täuschung zu einem bestimmten Verhalten veranlasst worden. Soweit also der Kläger mit seiner Äußerung den Eindruck erweckt hat, ihm sei das fragliche Gutachten "untergeschoben" worden, um ihn - den Kläger - zur Unterzeichnung in Unkenntnis der Tatsache zu veranlassen, dass hiermit eine Betreuung der Patientin D3xxxxxx befürwortet wurde, obgleich er - der Kläger - sich zuvor ausdrücklich dagegen ausgesprochen habe, läge hierin eine schwere Anschuldigung im Sinne eines möglicherweise sogar strafrechtlich relevanten Verhaltens. Da das Gutachten dem Zweck diente, eine gerichtliche Entscheidung vorzubereiten, durch welche das Selbstbestimmungsrecht der Patientin in Vermögensangelegenheiten eingeschränkt werden sollte, bedeutete das "Unterschieben" des Gutachtens zugleich auch, dass dem Gericht eine unrichtige Tatsachengrundlage vorgespiegelt und so die Gefahr begründet wurde, dass das Gericht zu Unrecht die Voraussetzung einer Betreuung bejahte. Dass ein solcher, nach außen getragener schwerwiegender Vorwurf geeignet war, das Ansehen des Krankenhauses sowie der an der Erstellung des Gutachtens beteiligten Personen nachhaltig zu beeinträchtigen, leuchtet unmittelbar ein. Anders als im Fall der Patientin M4xxxx ging es nicht etwa um die Offenlegung abweichender fachlicher Standpunkte in der Frage der Betreuungsbedürftigkeit und auch nicht allein um eine ungeschickte Aufdeckung interner Organisationsmängel oder Verantwortungsdefizite in dem Sinne, dass aufgrund von Missverständnissen o.ä. ein erstelltes Gutachten zurückgezogen werden sollte. Der Vorwurf, er sei "gelinkt" worden, reicht damit über einen bloßen sprachlichen Missgriff weit hinaus und ist damit nicht allein im Sinne eines abmahnfähigen Pflichtenverstoßes zu würdigen. In Anbetracht der erkennbar schädigenden Wirkung des - auch aus Sicht des Klägers unzutreffenden - Vorwurfs einer bewussten Täuschung ist die dem Kläger zur Last gelegte Äußerung ohne weiteres geeignet, auch ohne vorangehende Abmahnung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.
Auch nach seinem eigenen Vorbringen ist der Kläger nicht etwa davon ausgegangen, das von ihm - ungelesen - unterzeichnete Gutachten sei ihm in Kenntnis seines fehlenden Einverständnisses vorgelegt worden. Zur Unterzeichnung des Gutachtens ist es vielmehr gekommen, weil der Kläger im Sekretariat unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit hierzu aufgefordert worden war und sodann in Vertretung des Chefarztes seine Unterschrift leistete. Dass eine solche Vorgehensweise mit der ärztlichen Sorgfaltspflicht nicht in Einklang steht, bedarf keiner Vertiefung. Hierauf ist nachfolgend weiter einzugehen. Im vorliegenden Zusammenhang ist jedenfalls festzuhalten, dass auch nach der eigenen Darstellung des Klägers keine Rede davon sein kann, er sei durch eine bewusste Täuschung zur Unterzeichnung des Gutachtens veranlasst worden.
(2) Die auf der Grundlage dieser rechtlichen Bewertung durchgeführte Beweisaufnahme hat indessen die dem Kläger zur Last gelegte Äußerung nur mit Einschränkungen bestätigt. Im Ergebnis wird hierdurch das Gewicht der Pflichtverletzung deutlich abgemildert.
Die als Zeugin vernommene Justizangestellte F3xxxxx hat zwar bestätigt, der Kläger habe zur Erläuterung seines Wunsches, mit dem zuständigen Richter zu sprechen, erklärt, er sei von der Assistenzärztin "ein bisschen gelinkt worden". Auf die Frage, wie sie diese Äußerung verstanden habe, hat die Zeugin erklärt, der Kläger habe offenbar das betreffende Gutachten unterzeichnet, ohne von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.
An der Richtigkeit der Darstellung der Zeugin hat die Kammer keinen Zweifel. Nach ihrer Aussage hat die Zeugin nämlich den exakten Wortlaut seinerzeit in einem Aktenvermerk festgehalten, und zwar deshalb, weil ihr die Äußerung als ungewöhnlich erschien und sie sich zu einer Formulierung mit eigenen Worten außerstande sah. Sowohl diese überlegte Vorgehensweise wie auch der persönliche Eindruck, den die Kammer von der Zeugin bei ihrer Vernehmung gewonnen hat, sprechen dafür, dass sich der Sachverhalt exakt so zugetragen hat, wie dies von der Zeugin berichtet worden ist. Dementsprechend hat die Kammer auch keine Bedenken, die weitere Erklärung der Zeugin zum Bedeutungsgehalt der Erklärung des Klägers als zutreffend anzusehen.
Damit ergibt sich aber, dass der Kläger mit seiner - zweifellos zumindest mehrdeutigen und missverständlichen - Äußerung, er sei "ein bisschen gelinkt worden", nach dem Verständnis der Gesprächspartnerin nicht etwa die Behauptung aufgestellt hat, ihm sei das Gutachten mit Täuschungsabsicht untergeschoben worden, für die Zeugin F3xxxxx war vielmehr klar, dass der Kläger selbst - durch Unterzeichnung eines nicht gelesenen Gutachtens - einen Fehler gemacht und mit dem zuständigen Richter hierüber ein Gespräch führen wollte. Aufgrund der wörtlichen Wiedergabe der verwendeten Äußerung des Klägers in einem Aktenvermerk, insbesondere der Einschränkung, der Kläger sei "ein bisschen" gelinkt worden, war damit auch für den zuständigen Richter als Adressaten des Vermerks die Interpretationsbedürftigkeit der verwendeten Formulierung deutlich. Nicht etwa hat sich das Risiko verwirklicht, dass die missverständliche Äußerung des Klägers bei der Justizangestellten F3xxxxx und sodann auch beim zuständigen Richter den Eindruck erweckt hat, der Kläger mache geltend, ihm sei das Gutachten untergeschoben worden.
(3) Richtig ist allerdings, dass auch die solchermaßen eingeschränkte Äußerung des Klägers - unabhängig vom tatsächlichen Verständnis durch die Justizangestellte F3xxxxx - jedenfalls die Gefahr von Missverständnissen in sich trug und auch tatsächlich zu Irritationen geführt hat. Zugleich wurde durch das Verhalten des Klägers ohne Not der Ruf des Krankenhauses beeinträchtigt. Um die beabsichtigte Klarstellung zu erreichen, dass er (der Kläger) eine Betreuung der Patientin - abweichend vom Ergebnis des vertretungsweise unterzeichneten Gutachtens - persönlich nicht befürworte, wäre unschwer auch eine schonendere Vorgehensweise möglich gewesen. So hätte der Kläger sich ohne weiteres darauf berufen können, nach erneutem Überdenken der Angelegenheit könne er an dem zuvor gebildeten Standpunkt nicht festhalten. Auch eine Erklärung in dem Sinne, er habe seine Unterschrift unter Zeitdruck und ohne ausreichende Kenntnisnahme der Einzelheiten des Gutachtens geleistet, hätte zweifellos geringere Irritationen ausgelöst als die verwendete Formulierung, er sei "ein bisschen gelinkt" worden. Mit der verwendeten Formulierung wurde zwar einerseits von dem nicht zu verantwortendem Umstand abgelenkt, dass das für das Gericht bestimmte Gutachten von einem verantwortlichen Arzt "blind" unterzeichnet worden war. Andererseits wurde aber durch die vom Kläger verwendete Formulierung nicht auf irgendeinen mehr oder minder plausiblen Organisationsmangel verwiesen, vielmehr wurde ohne Not der Eindruck irregulärer Verhaltensweisen verantwortlicher Personen erweckt und so das Ansehen des Hauses weit mehr beeinträchtigt, als dies mit einer sonstwie begründeten persönlichen "Distanzierung" von einem dem Gericht vorgelegten Gutachten verbunden gewesen wäre.
Hieraus ergibt sich zwar, dass dem Kläger der Vorwurf einer erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung nicht erspart bleiben kann. Im Ergebnis ist gleichwohl der Einschätzung des Arbeitsgerichts zu folgen, dass in Anbetracht der konkreten Umstände des Falles der Ausspruch einer Kündigung ohne vorangehende Abmahnung ausscheiden muss. Mit seiner Äußerung hat der Kläger nicht gezielt den Ruf des Krankenhauses schädigen und die Autorität des Vorgesetzten untergraben wollen, vielmehr ist dem Kläger in Bezug auf seine Äußerung allein vorzuwerfen, dass er durch eine unbedachte und im Umgang mit Gerichten unangemessene Ausdrucksweise den Ruf des Krankenhauses und das Vertrauen in die Zuverlässigkeit gutachterlicher Beurteilungen gefährdet hat. Einer solchen Pflichtverletzung ist jedoch grundsätzlich zunächst mit einer vorangehenden Abmahnung zu begegnen. Dass die betreffende Äußerung des Klägers tatsächlich einen entsprechenden Schaden herbeigeführt habe, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Im Gegenteil ergibt sich aus der Tatsache, dass der zuständige Richter vertrauensvoll Rücksprache mit dem Chefarzt Dr. W2xxx genommen hat und im Ergebnis die von diesem befürwortete Betreuung sodann tatsächlich vom Gericht angeordnet worden ist, dafür, dass es zu einer nachhaltigen Rufschädigung des Krankenhauses nicht gekommen ist.
c) Soweit die Beklagte eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten - unabhängig vom konkreten Gehalt der Äußerung des Klägers - auch darin sehen will, dass der Kläger eigenmächtig und ohne das von ihm behauptete Einverständnis des Chefarztes bei Gericht vorstellig geworden ist, um im Gespräch mit dem zuständigen Richter seinen abweichenden Standpunkt in der Sache zum Ausdruck zu bringen und sich von seiner Unterschriftsleistung zu distanzieren, trifft es zwar zu, dass der Kläger nicht ohne Abstimmung mit dem Chefarzt Kontakt mit dem Gericht aufnehmen durfte. Immerhin hatte nämlich der Kläger zunächst durch seine Unterschrift den Eindruck eines Einverständnisse geschaffen. Durch eine nachträgliche Distanzierung des Klägers vom zuvor unterzeichneten Gutachten waren erkennbar die Belange des Krankenhauses unmittelbar berührt. Andererseits folgt aus dem Umstand, dass der Kläger das Gutachten als Vertreter des Chefarztes unterzeichnet hatte, nicht etwa, dass abschließend der Chefarzt die Entscheidung zu treffen hatte, ob das Gutachten in der vorliegenden Form - also mit der Unterschrift des Klägers - beim Gericht als Entscheidungsgrundlage verblieb. Die Unterzeichnung des Gutachtens durch den Kläger als Vertreter des Chefarztes bedeutet vielmehr, dass der Kläger - aufgrund der ihm übertragenen Vertretungsbefugnis - selbst die Verantwortung für das Gutachten übernahm. Anders als bei einer Unterzeichnung mit dem Zusatz "im Auftrag", bei welchem der Unterzeichner erkennbar zum Ausdruck bringt, gemäß einer Weisung des Vorgesetzten zu handeln, gibt der Vertreter eine eigene Erklärung ab und übernimmt für den Inhalt der Erklärung entsprechende Verantwortung. Erkennt der Vertreter einen Irrtum, kann er sich nicht etwa darauf zurückziehen, ihn als Vertreter treffe keine Verantwortung. Im Gegenteil folgt aus der Eigenverantwortung des handelnden Vertreters, dass er - notfalls auch gegen den Willen des von ihm vertretenen Vorgesetzten - die von ihm verantwortete Unterschrift "zurücknehmen" kann. So, wie die Pflicht zur Kenntnisnahme vom Inhalt des Gutachtens vor Unterschriftsleistung den Kläger persönlich traf und so, wie der Kläger gegebenenfalls persönlich für eine leichtfertige Beurteilung zur Rechenschaft gezogen werden könnte, muss auch dem Kläger als Unterzeichner des Gutachtens das Recht zugestanden werden, aufgrund nachträglicher Bedenken von der übernommenen Verantwortung abzurücken.
Damit könnte dem Kläger im vorliegenden Zusammenhang aber allein der Vorwurf gemacht werden, er habe es versäumt, dem Chefarzt Gelegenheit zu geben, seinerseits das vom Kläger unterzeichnete Gutachten vom Gericht zurückzufordern, um sodann selbst durch eigene Unterschrift die Verantwortung für das Gutachten zu übernehmen. Nach dem Vortrag der Beklagten trifft zwar die Darstellung des Klägers nicht zu, in einer gemeinsamen Besprechung sei Übereinstimmung erzielt worden, dass der Kläger in der vorliegenden Angelegenheit Kontakt mit dem Gericht aufnehmen solle. Weiter heißt es im Beklagtenvortrag; der Chefarzt Dr. W2xxx habe in der Sache an seinem Standpunkt zur Betreuungsbedürftigkeit der Patientin D3xxxxxx festgehalten. Über die Möglichkeit, dass der Chefarzt Dr. W2xxx selbst mit dem Gericht Kontakt aufnehmen sollte, um etwa das vorliegende Gutachten zurückzufordern, nachdem der Kläger sich von seiner Unterschriftsleistung distanzierte, ist hierbei aber ersichtlich nicht gesprochen worden. Dann kann aber auch dann, wenn man ein eigenmächtiges Handeln des Klägers unterstellt, dem Kläger allein zum Vorwurf gemacht werden, dass er die konkrete Vorgehensweise mit dem Chefarzt Dr. W2xxx nicht abgestimmt hat. Nicht hingegen hat der Kläger mit seinem Anruf beim Gericht den Versuch unternommen, ein vom Chefarzt - durch dessen Unterschriftsleistung verantwortetes - Gutachten zu entwerten oder abzuschwächen.
d) Soweit es die bereits angesprochene Pflichtverletzung betrifft, welche darin liegt, dass der Kläger ein Gutachten in einer Betreuungssache ungelesen unterzeichnet hat, kann dies die ausgesprochene Kündigung schon deshalb nicht rechtfertigen, da die Beklagte selbst insoweit keinen Vorwurf gegen den Kläger erhebt.
e) Die früheren, bereits abgemahnten Pflichtverletzungen des Klägers können als eigenständiger Kündigungsgrund nicht mehr herangezogen werden. Ebenso wenig sind sie geeignet, den vorstehend dargestellten Pflichtverletzungen das Gewicht eines Kündigungsgrundes zu verleihen, da sie vollkommen andere Pflichtenkreise betreffen. Soweit die Beklagte schließlich vertragswidrige und rufschädigende Verhaltensweisen des Klägers aus der Zeit nach Ausspruch der Kündigung behauptet, kommt es hierauf für die Beurteilung der angegriffenen Kündigungen aus Rechtsgründen nicht an.
f) Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass das vom Kläger gezeigte Verhalten aus den dargestellten Gründen durchaus als vorwerfbarer Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Belange des Arbeitgebers anzusehen ist. Dementsprechend wäre eine entsprechend konkret gefasste Abmahnung nicht zu beanstanden, Demgegenüber kommt den dargestellten Pflichtverletzungen - wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat - kein solches Gewicht zu, dass ohne vorangehende einschlägige Abmahnung das langjährig bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Kläger beendet werden kann. Dafür, dass der Kläger ohnehin zu einem vertragsgerechten Verhalten nicht bereit oder in der Lage sei, bietet der vorgetragene Sachverhalt keine ausreichenden Anhaltspunkte. Im Gegenteil ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger das vorliegenden Verfahren als deutliche Warnung verstehen wird und sowohl innerbetrieblich wie auch beim Kontakt mit Gerichten und Behörden darauf bedacht sein wird, auch bei Meinungsverschiedenheiten oder in Konfliktfällen das Ansehens des Krankenhauses und der dort tätigen Ärzte nicht zu beschädigen.
III
Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.
IV
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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