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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 1897/03
Rechtsgebiete: SGB VI, BGB, BetrVG, KSchG, BAT, ArbGG


Vorschriften:

SGB VI § 41
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 1
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
KSchG § 6 S. 2 n.F.
BAT § 53 Abs. 3
ArbGG § 72 Abs. 2
Außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegenüber einem altersgesicherten Arbeitnehmer wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.10.2003 - 2 Ca 762/03 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1940 geborene und tariflich nur noch aus wichtigem Grund kündbare Kläger, welcher seit dem Jahre 1973 zuletzt als Anlagenhelfer bei der Beklagten beschäftigt ist, gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 21.02.2003 mit Wirkung zum 30.09.2003.

Diese Kündigung hat die Beklagte, welche einen Betrieb der Metallindustrie führt, als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist aus personenbedingten Gründen ausgesprochen. Zur Begründung der Kündigung trägt die Beklagte vor, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen zur Fortführung seiner Arbeit nicht mehr in der Lage. Im Übrigen sei die Kündigung auch mit Rücksicht auf die hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und die sich hieraus ergebende unzumutbare hohe Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten berechtigt. Insoweit ist unstreitig, dass der Kläger in den Jahren 1999 bis zum Ausspruch der Kündigung wie folgt arbeitsunfähig erkrankt war:

 KalenderjahrFehlarbeitstagelohnfortzahlungsrelevant
19998282
20008175
20014242
200213497
2003 bis zur Kündigung22

Vor Ausspruch der Kündigung hatte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit schriftlicher Kündigungsvoranzeige vom 18.02.2003 (Bl. 29 d.A.) unter Beifügung einer Aufstellung über die einzelnen Krankheitszeiträume und Entgeltfortzahlungskosten unterrichtet. Insoweit heißt es im Schreiben vom 18.02.2003 wie folgt:

"Gründe für die Kündigung

Herr A1xxxxxx E2xx ist im Bereich G4 L1xxxxx als Maschinenbediener eingesetzt. Sein durchschnittlicher Brutto-Monatslohn beträgt EUR 1.837,--.

Das Arbeitsverhältnis ist bisher durch erhebliche krankheitsbedingte Ausfallzeiten und damit verbundene Entgeltfortzahlungen belastet.

Gespräche hierüber wurden mit Herrn E2xx mehrfach geführt. Immer wieder wurde Herr E2xx darauf hingewiesen, dass er bei weiterhin zu hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten mit einer Kündigung rechnen muss.

Herr E2xx hat seit 1985 an 746 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Entgeltfortzahlungen sind seitdem in Höhe von EUR 66.557,94 angefallen. Entgeltfortzahlung und Ausfalltage bedingt durch Arbeitsunfälle sind hierbei nicht berücksichtigt.

Selbst bei einem Vorhaltepersonal entstehen durch so hohe Fehlzeiten Engpässe. Notwendig werden personelle Umsetzungen und Verleihen von Personal bis hin zum Einsatz von Fremdpersonal.

Die vorliegenden Ausfallzeiten sind bis auf 37 Tage in 2002, 6 Tage in 2000 und einen Tag in 1994 ausnahmslos mit Entgeltfortzahlung belegt. Ein Hinweis auf Überlastung liegt ebenfalls nicht vor.

Herr E2xx wird an einem leidensgerechten Arbeitsplatz, der Längsträger-Punktschweißstation Kuka Roboter (APL 1078), eingesetzt.

Wir bitten um Zustimmung."

Der Kläger hält die ausgesprochene Kündigung für unwirksam und macht geltend, weder könne von einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit ausgegangen werden, da er jeweils nach dem Ende der aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten seine Arbeit fortgeführt habe, noch könne die Beklagte die Kündigung auf den Gesichtspunkt übermäßig hoher Entgeltfortzahlungskosten stützen. In Anbetracht der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers von rd. 30 Jahren und des Lebensalters des Klägers mit nunmehr 62 Jahren könne nicht von einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung ausgegangen werden.

Durch Urteil vom 07.10.2003 (Bl. 55 ff d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, für eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Klägers seien hinreichende Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Auch wenn der Kläger zuletzt hohe Fehlzeiten aufgewiesen habe, sei er bis zuletzt immer wieder zwischen den Krankheitsphasen arbeitsfähig gewesen. Soweit die Beklagte behaupte, der Kläger sei den Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht mehr gewachsen, so dass die Fortführung der Arbeit die Gesundheit des Klägers gefährde und sich zum Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufe, handele es sich um eine unzulässige Ausforschung. Auch wenn zu Gunsten der Beklagten berücksichtigt werde, dass sie insoweit nur über beschränkte Erkenntnismöglichkeiten verfüge, müsse ihr doch entgegengehalten werden, dass sie es versäumt habe, sich entsprechende Informationen durch Einschaltung des arbeitsmedizinischen Dienstes bzw. des Werkarztes zu verschaffen. Ebenso wenig könne die Kündigung auf den Gesichtspunkt häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten gestützt werden. Zwar sei davon auszugehen, dass der Kläger auch in Zukunft entsprechend hohe Fehlzeiten wie in der Vergangenheit aufweisen und damit entsprechend hohe Entgeltfortzahlungskosten verursachen werde. Bei der gebotenen Interessenabwägung müsse aber entscheidend die Tatsache berücksichtigt werden, dass der Kläger nur noch einen relativ kurzen Zeitraum von 26 Monaten bis zum Eintritt in das Rentenalter überbrücken müsse. Richtig sei zwar, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des 65. Lebensjahres nicht ohne weiteres ende. Mit Erreichen der ordentlichen Altersgrenze verliere aber das vorliegend berücksichtigte Bestandsinteresse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses seine Bedeutung, so dass gegebenenfalls zu diesem Zeitpunkt der Beklagten die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter erleichterten Bedingungen möglich sein werde.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gegen den Standpunkt des Arbeitsgerichts, das Vorbringen zur dauerhaften Leistungsunfähigkeit des Klägers und der diesbezügliche Beweisantritt ziele auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Weder vom medizinischen Dienst der Krankenkassen noch vom Werkarzt könne die Beklagte Angaben zu den maßgeblichen Krankheitsursachen und zur Gesundheitsprognose erlangen. Unter diesen Umständen müsse es genügen, dass die Beklagte unter Hinweis auf die hohen Fehlzeiten des Klägers die Gefahr einer Leidensverschlimmerung behaupte.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht im Übrigen bei seiner Entscheidung über die "Fehlzeitenkündigung" im Zuge der Interessenabwägung darauf abgestellt, die Beklagte müsse allein noch einen Zeitablauf von 26 Monaten bis zum Erreichen des Rentenalters überbrücken. Selbst wenn der Kläger im Kündigungszeitpunkt und auch gegenwärtig von einem Renteneintritt mit 65 Jahren ausgehe, habe eine solche Absichtserklärung keinerlei bindenden Charakter. Ohnehin sei nach dem Rechtsgedanken des § 41 SGB VI der Gesichtspunkt des Renteneintritts nicht als ein Grund anzusehen, welcher für die soziale Rechtfertigung der Kündigung von Belang sein könne. Weiter habe das Arbeitsgericht bei der Interessenabwägung unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Hilfe des Arbeitslosengeldbezuges in die ungeminderte Altersrente wechseln könne. Unter diesen Umständen fehle es an einem hinreichenden Grund dafür, dass rentennahe Jahrgänge aus Gründen ihrer sozialen Absicherung bis zum Erreichen der regulären Altersgrenze im Arbeitsverhältnis verbleiben müssten, selbst wenn sie - wie der Kläger - gesundheitlich angeschlagen seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 07.10.2003 - 2 Ca 762/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden. Es fehlt nämlich an einem "wichtigen Grund" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, welcher eine außerordentliche Kündigung des tariflich nicht mehr ordentlich kündbaren Klägers rechtfertigt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten gewährten siebenmonatigen sozialen Auslauffrist.

1. Soweit die Beklagte aus den hohen Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit und der Tatsache, dass der Kläger nähere Angaben zu den maßgeblichen Krankheitsursachen nicht gemacht hat, die Schlussfolgerung ziehen will, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen zur Fortführung der Arbeit nicht mehr geeignet bzw. könne seine Arbeit nur noch unter Gefahr der Verschlimmerung des Gesundheitszustandes verrichten, kann hierauf die Kündigung nicht erfolgreich gestützt werden.

a) Dabei kann offen bleiben, ob dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils zu folgen ist, der angebotene Sachverständigenbeweis ziele auf eine unzulässige Ausforschung. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie auch mit Hilfe des medizinischen Dienstes der Krankenkasse und des Werkarztes keine näheren Informationen über die maßgeblichen Krankheitsursachen hätte erlangen können. Bei einer Vorstellung des Klägers beim Werkarzt hätte zwar möglicherweise die aktuelle Einsatzfähigkeit des Klägers in Bezug auf den zugewiesenen Arbeitsplatz beurteilt werden können; ob hingegen die Beklagte auf diesem Wege eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zur Frage einer Kündigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung unter dem Gesichtspunkt der Gesundheitsgefährdung hätte erlangen können, erscheint hingegen zweifelhaft.

b) Letztlich bedarf es hier jedoch keiner abschließenden Beurteilung der Voraussetzungen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung. Die behauptete krankheitsbedingte Leistungsunmöglichkeit muss nämlich als Kündigungsgrund hier schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung war.

Ausweislich des Anhörungsschreibens vom 18.02.2003 hat die Beklagte dem Betriebsrat als Kündigungsgrund die häufigen krankheitsbedingten Fehlzeiten genannt und hierzu auf die Belastung mit hohen Entgeltfortzahlungen sowie - wenn auch wenig konkret - auf Betriebsablaufstörungen infolge der Notwendigkeit personeller Umsetzungen pp. hingewiesen. Wenn es dann weiter am Ende der Anhörung heißt: "Ein Hinweis auf Überlastung liegt ebenfalls nicht vor. Herr E2xx wird an einem leidensgerechten Arbeitsplatz ... eingesetzt", so wird hiermit gerade nicht eine gesundheitliche Überforderung des Klägers oder die Gefahr einer Leidensverschlimmerung als Kündigungsgrund genannt, vielmehr wird im Gegenteil dem Betriebsrat verdeutlicht, dass der Kläger trotz leidensgerechter Beschäftigung hohe Fehlzeiten aufzuweisen hat, weswegen auch künftig mit einer entsprechenden Belastung des Arbeitsverhältnisses zu rechnen sei.

Kündigungsgründe, welche nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren, können aber im Kündigungsschutzprozess keine Berücksichtigung finden (BAG Urt. v. 11.07.1991 - 2 AZR 119/91 - AP § 102 BetrVG 1972 Nr. 57; Urt. v. 17.02.2000 - 2 AZR 913/98 - AP § 102 BetrVG 1972 Nr. 113).

c) Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, die Betriebsratsanhörung erfordere nicht, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine rechtliche Subsumtion vortrage, aus welchem der drei anerkannten verschiedenen Formen der Krankheitskündigung der betreffende Arbeitnehmer entlassen werden solle, ist dies allein insoweit richtig, als in der Tat Rechtsausführungen im Rahmen der Betriebsratsanhörung nicht geboten sind (LAG Hamm Urt. v. 24.06.1999 - 8 Sa 2971/98 - LAGE § 102 BetrVG Nr. 29 zu § 1 KSchG Krankheit). Ausreichend und erforderlich ist vielmehr die Angabe der maßgeblichen Kündigungstatsachen, welche nach Behauptung des Arbeitgebers vorliegen und aus diesem Grunde die Kündigung rechtfertigen sollen. Je nach Art der Krankheitskündigung sind danach unterschiedliche Anforderungen an den Inhalt der Betriebsratsinformation zu stellen (LAG Hamm, Urt. v. 21.10.2003 - 19 Sa 1113/03; Urt. v. 17.11.1997 - 8 Sa 467/97 - LAGE Nr. 63 zu § 102 BetrVG). Die Behauptung, bei Fortführung des Arbeitsverhältnisses werde es zu einer gesundheitlichen Überforderung des Klägers kommen, der Kläger könne die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen also nicht mehr verrichten, lässt sich der Betriebsratsanhörung hier jedoch auch nicht ansatzweise entnehmen und muss deshalb im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben.

d) Entgegen dem Standpunkt der Beklagten kann die aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen hergeleitete Präklusion des Kündigungsgrundes der Leistungsunmöglichkeit auch nicht mit der Erwägung beiseite geschoben werden, das Arbeitsgericht habe der Beklagten ohne hinreichenden Grund die Auflage erteilt, den Inhalt der Betriebsratsanhörung im einzelnen vorzutragen. Richtig ist zwar, dass der Kläger in der Klageschrift allein die soziale Rechtfertigung der Kündigung in Zweifel gezogen und nicht etwa die Unwirksamkeit der Kündigung wegen etwaiger Mängel der Betriebsratsanhörung geltend gemacht hat. Andererseits enthält sowohl das Kündigungsschreiben als auch die Klageschrift selbst den Hinweis darauf, dass bei der Beklagten ein Betriebsrat existiert, welcher vor Ausspruch der Kündigung angehört worden sei und unstreitig - eine Stellungnahme zur Kündigung abgegeben hat. Gleich ob in derartigen Fällen ein ausdrückliches Bestreiten von Seiten des Arbeitnehmers erforderlich ist, um den Arbeitgeber zum substantiierten Sachvortrag und das Arbeitsgericht zur Prüfung des § 102 Abs. 1 BetrVG zu veranlassen (BAG Urt. v. 23.06.1983 - 2 AZR 15/82 - AP § 1 KSchG 1969 Krankheit Nr. 10) oder ob die Wirksamkeit der Kündigung auch schon nach gegenwärtiger Rechtslage auf der Grundlage des Parteivorbringens von Amts wegen in jeder Hinsicht zu prüfen ist - künftig dürfte in der Praxis schon wegen der neugefassten Hinweispflicht des Gerichts nach § 6 S. 2 KSchG n.F. durchweg eine entsprechende Aufklärung erforderlich werden -, bestand jedenfalls unter den vorliegenden Umständen für das Arbeitsgericht konkreter Anlass zur Aufklärung, welche Gründe dem Betriebsrat im Zuge des Anhörungsverfahrens genannt worden waren, nachdem die Beklagte ihren Vortrag zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung auf mehrere Kündigungsgründe - also eine mehrfache Verteidigung gegen das Klagebegehren - gestützt hatte. Die vorgetragene Stellungnahme des Betriebsrats, der Kläger sei "zur Zeit" krank, konnte durchaus Zweifel aufkommen lassen, ob sämtliche vorgetragenen Kündigungsgründe, insbesondere der Gesichtspunkt der dauernden Leistungsunfähigkeit Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

Unabhängig hiervon unterliegt jedenfalls der in Erfüllung der Auflage vorgetragene Tatsachenvortrag zur Betriebsratsanhörung der rechtlichen Beurteilung durch das Prozessgericht. Insoweit gilt nichts anderes als für das Ergebnis einer überflüssigen oder unzulässigen Beweisaufnahme. Für ein "Verwertungsverbot" bestünde selbst bei fehlerhafter Auflagenerteilung durch das Gericht keine Grundlage. Auch wenn möglicherweise der Gesichtspunkt der Präklusion nicht ins Blickfeld geraten wäre, wenn das Arbeitsgericht von einer Aufklärung der Betriebsratsanhörung abgesehen hätte, ist doch zu beachten, dass die Beklagte durch die Berücksichtigung des vollständigen Streitstoffs weder in prozessualer Hinsicht noch auf dem Gebiet des materiellen Rechts in ihren Rechten beeinträchtigt ist.

2. Die Beklagte kann die ausgesprochene Kündigung auch nicht erfolgreich auf den Gesichtspunkt häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten stützen.

a) Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass auch gegenüber einem tariflich nur aus wichtigem Grund kündbaren Arbeitnehmer eine krankheitsbedingte Kündigung nicht allein unter dem Gesichtspunkt der feststehenden Leistungsunmöglichkeit bzw. Gefährdung der Gesundheit ausgesprochen werden, sondern - unter strengen Vorraussetzungen - auch darauf gestützt werden kann, dass das Arbeitsverhältnis durch außerordentlich hohe Fehlzeiten und hiermit verbundene Entgeltfortzahlungskosten belastet ist (BAG Urt. v. 09.09.1992 - 2 AZR 190/92 - AP § 626 BGB Krankheit Nr. 3).

b) Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiter unter den vorliegenden Umständen angenommen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht anders als in der Vergangenheit auch künftig nach Maßgabe der durchschnittlichen Fehlzeiten in der Vergangenheit mit 85 Fehltagen und einer Entgeltfortzahlung von durchschnittlich 74 Arbeitstagen pro Jahr belastet sein wird. Der Kläger hat die von der Beklagten vorgetragenen Indiztatsachen nicht wirksam bestritten, insbesondere keine nachvollziehbaren Angaben zu den Krankheitsursachen und zur Frage der Ausheilung gemacht. Damit liegt sowohl die erforderliche negative Zukunftsprognose als auch eine erhebliche Belastung der betrieblichen Interessen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur krankheitsbedingten Kündigung vor.

c) Auch hinsichtlich der durchgeführten Interessenabwägung folgt die Kammer dem Standpunkt des arbeitsgerichtsgerichtlichen Urteils. Insbesondere hat das Arbeitsgericht bei der Prüfung der Frage, inwiefern der Beklagten die außerordentlich hohe Entgeltfortzahlungsbelastung - welche mit 74 Arbeitstagen/Jahr den Sechswochenzeitraum um mehr als das Doppelte überschreitet - die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 626 BGB unzumutbar macht, auf die Dauer der verbleibenden künftigen Vertragsbindung abgestellt.

(1) Grundsätzlich kommt es zwar für die Feststellung eines "wichtigen Grundes" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darauf an, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der einzuhaltenden Kündigungsfrist unzumutbar ist; andernfalls entspricht allein eine ordentliche Kündigung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ist demgegenüber das Recht zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen, kommt es für die Prüfung der Unzumutbarkeit auf die verbleibende Dauer der Vertragsbindung an. Dies ist hier - wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat - der Zeitraum bis zur Erreichung des Rentenalters, also ein Zeitraum von ca. 26 Monaten.

(2) Anders als nach dem Sachverhalt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.09.1992, nach welcher der betreffende Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt 47 Jahre alt und damit noch eine künftige Vertragsbindung von mehr als 15 Jahren zu überbrücken war und weshalb in Anbetracht der hohen Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten des dortigen Klägers davon ausgegangen werden musste, dass der langfristigen Vertragsbindung des Arbeitgebers keine wirtschaftlich brauchbare Gegenleistung des Arbeitnehmers gegenüber stand, steht hier der langjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers von nahezu 30 Jahren ein vergleichsweise kurzer Zeitraum der künftigen Vertragsbindung von ca. 26 Monaten gegenüber. Dem kann auch nicht - wie die Beklagte meint - entgegengehalten werden, die Dauer der künftigen Vertragsbindung stehe gar nicht fest; die erklärte Absicht des Klägers, mit Erreichen eines Lebensalters von 65 Jahren in Rente zu gehen, sei völlig unverbindlich. Zum einen ist zu beachten, dass bei der Prüfung der künftigen Vertragsbindung eines altersgesicherten Arbeitnehmers ein anderer prognostizierter Beendigungszeitpunkt als das reguläre gesetzliche Renteneintrittsalter i.d.R. nicht zur Verfügung steht, da tarifliche Altersgrenzen keineswegs selbstverständlich sind. Gleichwohl entspricht das Ausscheiden des Arbeitnehmers mit Vollendung des 65. Lebensjahres der Üblichkeit im Arbeitsleben. Zum anderen hat das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass der Kläger sich zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über das 65. Lebensjahr hinaus entschließen sollte, im Falle einer dann auszusprechenden Kündigung die Frage der künftigen vertraglichen Bindung ggfls. anders - und zwar zu Gunsten der Beklagten - zu beurteilen wäre. Damit ist festzuhalten, dass bei der erforderlichen Zumutbarkeitsprüfung auf der Grundlage des § 626 Abs. 1 BGB entscheidend auf die zu erwartende Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten (allein) bis zum Erreichen der Altersgrenze abzustellen ist.

(3) Richtig ist allerdings, dass auch die prognostizierte Entgeltfortzahlungsbelastung für einen Zeitraum weiterer 26 Monate nicht als unerheblich angesehen werden kann, zumal die Beklagte bereits seit dem Jahre 1999 außerordentlich hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Da die Beklagte allerdings Entgeltfortzahlungskosten erst ab dem Jahre 1985 vorgetragen hat, lässt sich die Feststellung, unter Einbeziehung der früheren und zuletzt deutlich gesteigerten Gesamtkosten der Entgeltfortzahlung sei bereits im Kündigungszeitpunkt von einer vollständigen wirtschaftlichen Entwertung des Arbeitsverhältnisses auszugehen, weil etwa bezogen auf die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses im Durchschnitt eine Überschreitung des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums vorliege, nicht treffen.

(4) Bei der Bestimmung des Beurteilungsmaßstabes, ab welcher Entgeltfortzahlungsbelastung dem Arbeitgeber im Verhältnis zu einem tariflich "unkündbaren" Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Erreichen der regulären Altersgrenze unzumutbar ist, müssen im Übrigen die Eigenarten der jeweiligen tariflichen Regelung berücksichtigt werden.

Anders als der Ausschluss der ordentlichen Kündigung gemäß § 53 Abs. 3 BAT, welcher bereits eine tarifliche "Unkündbarkeit" ab dem 40. Lebensjahr nach einer Beschäftigungszeit von mindestens 15 Jahren mit der Folge vorsieht, dass die Dauer der künftigen Vertragsbindung weitere 25 Jahre umfassen kann, handelt es sich bei der hier maßgeblichen tariflichen Regelung um die Arbeitsplatzsicherung älterer Arbeitnehmer. Während den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit der genannten Regelung nach entsprechend langer Beschäftigung eine beamtenähnliche Sicherung des Arbeitsplatzes verschafft wird, besteht der Sinn der hier maßgeblichen Regelung ersichtlich darin, speziell das altersbedingt gesteigerte Risiko des Arbeitsplatzverlustes abzumildern. Ein solches - spezifisch altersbedingtes - Arbeitsplatzrisiko besteht aber gerade im Hinblick auf den Fall der personenbedingten Kündigung wegen nachlassender Leistungsfähigkeit oder vermehrter Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers. Während nämlich bei der betriebsbedingten Kündigung ältere und länger beschäftigte Arbeitnehmer schon nach den allgemeinen Regeln der Sozialauswahl einen (gewissen) gesteigerten Schutz genießen und Fälle der verhaltensbedingten Kündigung bei der Bestimmung des Schutzzwecks der Regelung wohl eher zurücktreten, realisiert sich die Gefahr des altersbedingten Arbeitsplatzverlustes am ehesten bei der personenbedingten Kündigung. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass mit zunehmendem Alter die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers abnimmt und infolge von Erkrankungen zunehmende Ausfallzeiten mit entsprechender Entgeltfortzahlungsbelastung des Arbeitgebers auftreten. Dann muss aber nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung die Zulässigkeit einer krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung auf besondere Ausnahmefälle beschränkt werden. Auch wenn man die außerordentliche Kündigung nicht auf den Fall des Leistungsunvermögens beschränkt, durch welchen der Vollzug des Arbeitsverhältnisses überhaupt infrage gestellt ist, sondern auch den Fall einbezieht, dass das Arbeitsverhältnis wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung dauerhaft wirtschaftlich vollständig entwertetet ist, kann unter Beachtung der dargestellten Zusammenhänge von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit nur ausgegangen werden, wenn die für die verbleibende Dauer der Vertragsbindung zu erwartende finanzielle Belastung in der Gesamtsumme zu einer greifbaren Überforderung der Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers führen oder gar - ggfls. im Zusammenwirken mit anderen ungünstigen Faktoren - den Bestand des Betriebes überhaupt gefährden würde. Demgegenüber kann es - in Abgrenzung zum Maßstab der ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung - nicht genügen, dass die Entgeltfortzahlungsbelastung den gesetzlichen Sechswochenzeitraum über mehrere Jahre um mehr als das Doppelte überschreitet und eine Besserung nicht zu erwarten steht, wenn andererseits ein Ende dieser Belastung wegen altersbedingten Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis absehbar ist.

Die Beklagte wird hierdurch auch nicht rechtlos gestellt. Sollten tatsächlich die hohen Fehlzeiten des Klägers ein Indiz dafür darstellen, dass der Kläger den Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht mehr gewachsen ist, so könnte - da der Kläger ohnehin auf einem Leichtarbeitsplatz eingesetzt ist - tatsächlich eine hierauf gestützte personenbedingte Kündigung in Betracht kommen. Weder ist dem Arbeitgeber zuzumuten, sehenden Auges hinzunehmen, dass der Arbeitnehmer seine Gesundheit im Betrieb "ruiniert", noch muss er die hiermit verbundene Kostenbelastung, welche durch die Arbeit an einem ungeeigneten Arbeitsplatz bedingt ist, hinnehmen. Steht fest, dass der Arbeitnehmer die vertraglich übernommene Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, so rechtfertigt dies auch gegenüber dem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer den Ausspruch einer Kündigung aus wichtigem Grund mit sozialer Auslauffrist. Demgegenüber überzeugt es nicht, wenn die Beklagte im Zusammenhang mit dem Kündigungsgrund der "Fehlzeitenkündigung" vorträgt, mit dem Gesichtspunkt der Dauer der künftigen Vertragsbindung werde letztlich der Arbeitgeber bestraft, der den Arbeitnehmer nicht frühzeitig, sondern erst in zeitlicher Nähe zum Rentenalter entlasse. Ob die Beklagte zu einem früheren Zeitpunkt erfolgreich eine krankheitsbedingte Kündigung hätte durchsetzen können, ist weder maßgeblich noch ohne weiteres auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts zu erkennen. Selbst wenn im Übrigen bei einer rückwirkenden Betrachtung darauf abgestellt würde, dass bei einer Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt sich die entsprechend längere Dauer der künftigen Vertragsbindung bei der Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten ausgewirkt hätte, ist doch zu beachten, dass bei Ausspruch der Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt möglicherweise die Höhe der Entgeltfortzahlungsbelastung nicht mit der selben Sicherheit hätte prognostiziert werden können, wie dies für die jetzt ausgesprochene Kündigung zutrifft. Damit ist aber der Einwand der Beklagten widerlegt, mit dem Gesichtspunkt der künftigen Dauer der Vertragsbindung werde letztlich die vom Arbeitgeber gezeigte Geduld und soziale Rücksichtnahme "bestraft".

II

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

III

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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