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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.07.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 2024/04
Rechtsgebiete: SGB IX


Vorschriften:

SGB IX §§ 85 ff
Beruft sich der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber binnen eines Monats nach Zugang der Kündigung unter Hinweis auf einen vorangehend gestellten Gleichstellungsantrag auf den Sonderkündigungsschutz wegen Schwerbehinderung, so genügt diese Mitteilung zur Wahrung der Rechte auch dann, wenn der Arbeitnehmer nicht die beantragte Gleichstellung, sondern - aufgrund eines nicht mitgeteilten vorangehenden Verschlimmerungsantrags - die Anerkennung als Schwerbehinderter erlangt.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 14.09.2004 - 3 Ca 796/04 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Mit ihrer Klage wendet sich die - im Zuge des Rechtsstreits als Schwerbehinderte anerkannte - Klägerin, welche seit dem Jahre 1978 als kaufmännische Angestellte im Betrieb der Beklagten beschäftigt ist, gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch fristlose und vorsorglich fristgerechte Kündigung vom 25.03.2004, zugegangen am 26.03.2005.

Mit ihrer Klageschrift vom 05.04.2004, der Beklagten zugestellt am 13.04.2004, hat die Klägerin u.a. geltend gemacht, sie sei "schwerbehindert und verfüge über einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis über einen GdB von 40 v.H.", des weiteren habe sie am 23.03.2004 beim Arbeitsamt einen Gleichstellungsantrag gestellt. Mit Schreiben vom 27.04.2004 teilte die Klägerin sodann ergänzend mit, auf der Grundlage eines Verschlimmerungsantrages vom 26.02.2004 sei ihr mit Bescheid vom 22.04.2004 nunmehr mit Wirkung von diesem Tage ein GdB von 50 zuerkannt worden. Über den Gleichstellungsantrag der Klägerin vom 23.03.2004 ist im Hinblick hierauf eine behördliche Entscheidung nicht getroffen worden.

Durch Urteil vom 14.09.2004 (Bl. 85 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht - soweit für das Berufungsverfahren von Belang - antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung weder fristlos noch fristgerecht beendet worden sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die ausgesprochene Kündigung scheitere an der fehlenden vorangehenden Zustimmung des Integrationsamtes. Bereits in der Klageschrift habe die Klägerin die Beklagte von ihrer Schwerbehinderteneigenschaft in Kenntnis gesetzt, wobei es unerheblich sei, dass die Klägerin lediglich ihren

Gleichstellungsantrag, nicht hingegen ihren Verschlimmerungsantrag erwähnt bzw. diesen erst nach Ablauf der Monatsfrist mitgeteilt habe. Maßgeblich sei die Offenbarung der Schwerbehinderung, ohne dass es auf den Unterschied von Gleichstellungsantrag oder Anerkennung der Schwerbehinderung ankomme. Allein der Umstand, dass die Klägerin ihren Gleichstellungsantrag erst kurz vor Ausspruch der drohenden Kündigung gestellt habe, könne nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung hält die Beklagte an ihrer Auffassung fest, die Klägerin habe nicht rechtzeitig ihre Rechte auf den schwerbehinderungsrechtlichen Sonderkündigungsschutz geltend gemacht, Gegenstand der Mitteilung der Klageschrift sei allein der Gleichstellungsantrag der Klägerin gewesen, über welchen jedoch keine Entscheidung getroffen sei, auf den vorangehenden Verschlimmerungsantrag und die hierauf beruhende Anerkennung als Schwerbehinderte habe die Klägerin hingegen erst nach mehr als einem Monat nach Zugang der Kündigung hingewiesen. Entgegen dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils mache es durchaus einen wesentlichen Unterschied, ob der Arbeitnehmer innerhalb der Monatsfrist auf einen Gleichstellungs- oder einen Anerkennungsantrag zur Feststellung der Schwerbehinderung hinweise. Abgesehen davon, dass hierfür unterschiedliche Behörden zuständig und unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich seien, müsse insbesondere dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Bedeutung beigemessen werden. Anders als bei Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung erfordere nämlich die positive Entscheidung über einen Gleichstellungsantrag, dass der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers durch Kündigung bedroht sei. Letzteres sei aber - für die Beklagte ersichtlich - in Bezug auf die Klägerin zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen. Dementsprechend habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin die mitgeteilte Gleichstellung ohnehin nicht würde erlangen können. Unter diesen Umständen müsse aber davon ausgegangen werden, dass die Klägerin das Recht, sich auf den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertenrechts zu berufen, wegen Versäumung der Monatsfrist verloren habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 14.09.2004 - 3 Ca 796/04 L - insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als dass das Arbeitsgericht Hamm festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder aufgrund der fristlosen Kündigung vom 25.03.2004 noch aufgrund der vorsorglich fristgemäß zum nächst zulässigen Termin ausgesprochenen Kündigung vom 25.03.2004 beendet worden ist.

Die Klägerin hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

In Übereinstimmung mit der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ist das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die angegriffene Kündigung weder fristlos noch fristgerecht beendet worden. Die ausgesprochene Kündigung scheitert an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes. Aus den zutreffenden Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils hat die Klägerin bereits durch ihre Angaben in der Klageschrift rechtzeitig auf ihre Rechte als Schwerbehinderte hingewiesen. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Entscheidung.

1. Unstreitig hat die Klägerin sowohl ihren Verschlimmerungsantrag - gerichtet auf Anerkennung einer Schwerbehinderung mit einem GdB von mindestens 50 - und ihren Gleichstellungsantrag vor Ausspruch der angegriffenen Kündigung gestellt. Dementsprechend bedarf es im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung, ob die Unterschiede zwischen Anerkennungs- und Gleichstellungsverfahren für den Erhalt des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte dann von Belang sind, wenn der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung allein beim Versorgungsamt einen Anerkennungsantrag wegen Feststellung der Schwerbehinderung gestellt hat und erst nach Scheitern dieses Antrages und nach Ausspruch der Kündigung beim Arbeitsamt einen Gleichstellungsantrag stellt. Sieht man die jeweils gestellten Anträge im Hinblick auf die unterschiedlichen behördlichen Zuständigkeiten und unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen als voneinander vollkommen unabhängige Verfahrensschritte an, so könnte der erst nach Ausspruch der Kündigung gestellte Gleichstellungsantrag keinen Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertenrecht auslösen. Demgegenüber wird im Schrifttum (KR-Etzel, 7. Aufl., vor §§ 85 - 92 SGB X Rz. 15) der Standpunkt vertreten, ein nach Ablehnung des beim Versorgungsamt gestellten Anerkennungsantrags nunmehr beim Arbeitsamt gestellter Gleichstellungsantrag wirke - abweichend vom Gesetzeswortlaut - nach Sinn und Zweck des Gesetzes auf den Tag des Antragseingangs beim Versorgungsamtes zurück, so dass die Gleichstellung rückwirkend auf diesen Tag zu beziehen sei. Erlangt der Arbeitnehmer auf diese Weise rückwirkend eine Gleichstellung zu einem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung, so ergibt sich hieraus folgerichtig die Geltung des schwerbehindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes.

2. Auf die vorstehende Fragestellung kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits jedoch nicht an, da die Klägerin sowohl ihren Anerkennungsantrag beim Versorgungsamt als auch den Gleichstellungsantrag beim Arbeitsamt vor Ausspruch der Kündigung gestellt hat. In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil war die Klägerin zum Erhalt ihrer Rechte nach § 85 ff. SGB X nicht gehalten, neben dem Hinweis auf den gestellten Gleichstellungsantrag auch auf den vorangehenden Verschlimmerungsantrag hinzuweisen, auch wenn letztlich dieser - und nicht der Gleichstellungsantrag - den Sonderkündigungsschutz für die Klägerin begründet.

a) Voraussetzung für den Erhalt der Rechte nach dem Schwerbehindertenrecht ist die Mitteilung des Arbeitnehmers, er "berufe sich" auf seine Schwerbehinderung, welche behördlich anerkannt oder deren Anerkennung bereits beantragt sei. Da auch die Gleichstellung n entsprechenden Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertenrecht begründet, liegt in dem Hinweis des Arbeitnehmers in der Kündigungsschutzklage, er sei schwerbehindert oder betreibe jedenfalls ein behördliches Verfahren zwecks Erlangung von Sonderkündigungsschutz, im Zweifel ohne weiteres auch die Erklärung, er berufe sich auch im Falle der Feststellung einer Minderbehinderung mit einem GdB von mindestens 30 auf den Sonderkündigungsschutz des Schwerbehindertenrechts.

Sinn und Zweck der von der Rechtsprechung entwickelten Mitteilungsverpflichtung des Arbeitnehmers liegen darin, dem Arbeitgeber, der in Unkenntnis der (bereits bestehenden oder beantragten) Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Gleichstellung eine Kündigung ausgesprochen hat und aus diesem Grunde - für den Fall, dass der gestellte Antrag erfolgreich beschieden wird - mit dem Risiko der Unwirksamkeit der Kündigung belastet ist, Gelegenheit zu geben, zeitnah beim Integrationsamt einen Zustimmungsantrag zu stellen, um so die formellen Voraussetzungen für eine möglichst zeitnahe erneute Kündigung zu schaffen. Teilt der Arbeitnehmer also binnen eines Monats nach Zugang der Kündigung seine festgestellte Schwerbehinderung bzw. zuerkannte Gleichstellung mit oder beruft er sich - unter Hinweis auf einen konkret bezeichneten Antrag oder auch nur allgemein - darauf, Rechte nach den Regeln des Schwerbehindertenrechts in Anspruch nehmen zu wollen und aus diesem Grunde die hierzu erforderlichen behördlichen Schritte unternommen zu haben, so ist bereits auch durch einen so allgemein gehaltenen Hinweis der Arbeitgeber in die Lage versetzt, seinerseits vorsorglich die Zustimmung beim Integrationsamt oder die Erteilung eines Negativattestes zu beantragen. Weder bedarf es zur Wahrung der Rechte nach dem Schwerbehindertenrecht einer persönlichen Mitteilung durch den Arbeitnehmer, ausreichend ist vielmehr auch eine anderweitig - z. B. aus einer Mitteilung des Betriebsrats - erlangte Kenntnis des Arbeitgebers von der Antragstellung (BAG Urt. v. 20.01.2005 - 2 AZR 675/03 - DB 05,1391), noch bedarf es zum ausreichenden Schutz des Arbeitgebers der Vorlage bestimmter Unterlagen oder der Angabe, auf welchem Wege - durch Gleichstellung oder Anerkennung der Schwerbehinderung - Sonderkündigungsschutz in Anspruch genommen wird. Bezweifelt der Arbeitgeber, dass dem Begehren überhaupt ein entsprechender behördlicher Antrag zugrunde liegt, steht ihm die Möglichkeit der Beantragung eines Negativattestes offen.

b) Soweit demgegenüber die Beklagte die Unterschiede zwischen Gleichstellungs- und Anerkennungsverfahren betont und unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ausführt, der Hinweis auf einen Gleichstellungsantrag erlaube - anders als der Hinweis auf einen Anerkennungs- oder Verschlimmerungsantrag beim Versorgungsamt - dem Arbeitgeber die eigenständige Prüfung, ob der verfolgte Antrag aussichtsreich und aus diesem Grunde ein vorsorglicher Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt angezeigt sei, erscheint diese Erwägung wenig lebensnah. Auch wenn richtig ist, dass die Gleichstellung nur erteilt wird, wenn gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX neben der Feststellung eines GdB von mindestens 30 die weitere Voraussetzung erfüllt ist, dass der Schwerbehinderte infolge der Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann, wird der Arbeitgeber durchweg diese Voraussetzungen mit der erforderlichen Zuverlässigkeit nicht abschließend beurteilen können. Allein die Tatsache, dass der aktuelle Kündigungsanlass aus der Sicht des Arbeitgebers im Verhalten des Arbeitnehmers begründet liegt, schließt es nicht von vornherein aus, dass das Arbeitsamt bei der Prüfung der Gleichstellungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer positiven Bescheidung des Gleichstellungsantrages gelangt, ohne dass dem Arbeitgeber insoweit ein Rechtsmittel zur Verfügung steht. Ein mit den Regeln des Schwerbehindertenschutzes vertrauter Arbeitgeber wird unter diesen Umständen keinesfalls einen vorsorglichen Zustimmungsantrag beim Integrationsamt in der Erwägung auslassen, der Gleichstellungsantrag des Arbeitnehmers sei ohnehin mit Sicherheit aussichtslos. Auch die Beklagte trägt selbst nicht vor, sie habe gerade im Vertrauen darauf, dass sie von der Klägerin allein über einen Gleichstellungsantrag, nicht hingegen über einen Anerkennungs- bzw. Verschlimmerungsantrag unterrichtet worden sei, davon abgesehen, vorsorglich die Zustimmung beim Integrationsamt zu einer noch auszusprechenden Kündigung einzuholen. Im Gegenteil hat sich die Beklagte folgerichtig um die Zustimmung des Integrationsamtes bemüht und zwischenzeitlich eine solche offenbar auch erhalten.

3. Zusammenfassend ist nach alledem dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils beizutreten, nach welchem es zur Wahrung der Rechte nach dem Schwerbehindertenrecht genügte, dass die Klägerin sich allgemein auf ihre Schwerbehinderung berufen und in diesem Zusammenhang auf ihren Gleichstellungsantrag hingewiesen hat. Wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes erweist sich danach die ausgesprochene Kündigung als unwirksam.

II

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

III

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.



Ende der Entscheidung

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