Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.05.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 328/07
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 23
Die Annahme eines kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebes zwischen einer in Deutschland tätigen Vertriebs-GmbH mit nicht mehr als fünf Beschäftigten und einem im Ausland tätigen Produktionsunternehmen (mit der Folge einer Zusammenrechnung der Beschäftigtenzahl gem. § 23 KSchG und der Gewährung von Kündigungsschutz für die bei der Vertriebs-GmbH beschäftigten Arbeitnehmer) scheidet auch bei gemeinsamer Leitung beider Unternehmen jedenfalls dann aus, wenn die beim Produktionsunternehmen Beschäftigten nicht dem Kündigungsschutzgesetz, sondern der ausländischen Arbeitsrechtsordnung unterstehen.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 17.11.2006 - 4 Ca 1529/06 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung und insbesondere um die Frage, ob auf das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz deshalb Anwendung findet, weil zwar die Beklagte als deutsche Vertriebsgesellschaft selbst nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, nach Behauptung des Klägers jedoch mit der in Italien ansässigen Produktionsgesellschaft und Konzernmutter einen Gemeinschaftsbetrieb mit insgesamt mehr als 200 Arbeitnehmern führt.

Der Kläger ist seit dem Jahre 1996 bei der beklagten GmbH als Kundenberater und Verkäufer beschäftigt. Mit Schreiben vom 28.07.2006 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Hiergegen setzt sich der Kläger mit der Begründung zur Wehr, die Kündigung sei sozialwidrig. Er ist der Auffassung, Produktions- und Vertriebsgesellschaft führten unter zentraler Leitung mit Sitz in Italien einen Gemeinschaftsbetrieb, weswegen auf sein Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finde.

Durch Urteil vom 17.11.2006 (Bl. 45 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren Sachverhalts Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und beantragt:

Unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der beklagten Partei vom 28.07.2006, zugestellt am 04.08.2006, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.

I

In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil unterfällt das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht dem Kündigungsschutzgesetz. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Soweit sich der Kläger unter Bezugnahme auf beachtliche Stimmen der Literatur kritisch mit der vom Bundesarbeitsgericht vertretenen Anwendung des "Territorialitätsprinzips" auseinandersetzt und darauf verweist, dieses Prinzip finde allein auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts Anwendung, demgegenüber seien für die Anwendung privatrechtlicher Vorschriften die Kollisionsregeln des Internationalen Privatrechts maßgeblich, lässt sich die Berechtigung dieses Einwandes nicht in Abrede stellen, ohne dass damit indessen dem Klagebegehren zum Erfolg verholfen werden kann.

1. Unzweifelhaft findet auf das Arbeitsverhältnis des Klägers deutsches Arbeitsrecht und damit im Grundsatz auch das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Von der Frage der anzuwendenden Rechtsordnung zu unterscheiden ist die Frage, inwiefern im konkreten Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes erfüllt sind. Nach § 23 KSchG setzt die Anwendung der Vorschriften über die soziale Rechtfertigung der Kündigung voraus, dass im Betrieb eine bestimmte Mindestanzahl an Arbeitnehmern beschäftigt wird (betrieblicher Geltungsbereich). Dass das beklagte Unternehmen selbst über die erforderliche Beschäftigtenzahl nicht verfügt, stellt auch der Kläger nicht in Abrede.

2. Dementsprechend geht es bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung nicht um die im Schrifttum erörterte und abweichend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beantwortete Frage, ob die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes das Vorhandensein eines Betriebes in Deutschland voraussetzt oder ob bei Geltung deutschen Arbeitsrechts die in Deutschland tätigen mehr als zehn Beschäftigten Kündigungsschutz zu beanspruchen haben, auch wenn sie aus dem Ausland gelenkt werden (Junker, Festschrift Konzen 2006, 367,378; Gravenhorst, FA 2005; 34). Auch wenn man dieser Auffassung folgt, könnte der Kläger doch nicht allein mit seinen in Deutschland tätigen Kollegen die erforderliche Beschäftigtenzahl erreichen.

Auch die Auffassung von Löwisch/Spinner (9. Aufl., Vorbem. zu § 1 KSchG Rz 33), entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts werde der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht dadurch eingeschränkt, dass ein Betrieb ganz oder teilweise im Ausland liege, dementsprechend stehe Kündigungsschutz auch den deutschen Arbeitnehmern in einer kleinen Filiale in Deutschland zu, die zusammen mit einer Filiale im Ausland die Kleinbetriebsgrenze überschreite, verschafft dem Kläger nach dem hier vorliegenden Sachverhalt keinen Kündigungsschutz. Bei der Berechnung der Betriebsgröße sind nämlich auch nach der zitierten Auffassung nur diejenigen Arbeitnehmer zu berücksichtigen, welche dem deutschen Arbeitsrecht unterstehen, da die Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes nur einheitlich entschieden werden könne.

3. Demgegenüber soll nach Auffassung des Klägers das Kündigungsschutzgesetz auch auf die in einem Gemeinschaftsbetrieb tätigen, dem deutschen Arbeitsrecht unterstellten Arbeitnehmer Anwendung finden, wenn das am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte deutsche Unternehmen für sich genommen den Schwellenwert des § 23 KSchG nicht erreicht, sondern die erforderliche Anzahl von Beschäftigten erst unter Einbeziehung der bei dem anderen am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer erreicht wird, auch wenn auf deren Arbeitsverhältnisse deutsches Arbeitsrecht keine Anwendung findet.

Diesem Standpunkt kann aus den nachfolgenden Gründen nicht gefolgt werden:

a) Die Grundsätze über die Zusammenrechnung der Beschäftigtenzahl bei Gemeinschaftsbetrieben tragen auf dem Gebiet des Kündigungsschutzrechts dem Umstand Rechnung, dass in einer gemeinsamen Arbeitsorganisation der Kündigungsschutz der Beschäftigten nicht durch Aufgliederung in betriebliche oder unternehmensrechtliche Kleinsteinheiten ausgehebelt werden darf. Dementsprechend wäre - das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes unterstellt - die unternehmensrechtliche Aufgliederung in eine Produktions- und Vertriebsgesellschaft in Deutschland nicht geeignet, den im Vertriebsbereich beschäftigten Arbeitnehmern den gesetzlichen Kündigungsschutz vorzuenthalten, vielmehr führt die Figur des Gemeinschaftsbetriebs zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf sämtliche Beschäftigte des Betriebs, gleich bei welchem der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen sie beschäftigt sind.

b) Anknüpfungspunkt und gedankliche Voraussetzung für die Gewährung von Kündigungsschutz im Gemeinschaftsbetrieb ist damit der Umstand, dass die am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen als Arbeitgeber - von der fehlenden Beschäftigtenzahl abgesehen - an sich dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen und dementsprechend eine Kündigung nur unter den sachlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes durchsetzen können. Auf der Grundlage der getroffenen Führungsvereinbarung ist jeder der beteiligten Arbeitgeber gehalten und in der Lage, bei solchen Entscheidungen, welche nicht allein die "eigenen" Arbeitnehmer, sondern auch die im Gemeinschaftsbetrieb tätigen "fremden" Arbeitnehmer betreffen, den rechtlichen Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes - so bei der betriebsweiten Sozialauswahl - zu genügen.

c) Die Anerkennung eines kündigungsschutzrechlichen Gemeinschaftsbetriebes unter Einbeziehung eines ausländischen Unternehmens, welches hinsichtlich der eigenen Belegschaft der in diesem Lande maßgeblichen Rechtsordnung unterliegt, wirft demgegenüber rechtliche Probleme auf, welche mit denjenigen Erwägungen nichts zu tun haben, die für die Rechtsfigur des kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebes kennzeichnend sind.

Während bei der Geltendmachung von Leistungsansprüchen auch im Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen im Grundsatz keine rechtlichen Probleme daraus erwachsen, dass die beschäftigten Arbeitnehmer unterschiedlichen vertraglichen Regeln oder auch unterschiedlichen staatlichen Rechtsordnungen unterliegen, führt die Annahme eines kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebes bzw. die Anwendung kündigungsschutzrechtlicher Vorschriften auf einen Betrieb, der hinsichtlich der Beschäftigten unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegt, zu rechtlichen Verwerfungen. So erfordert der Grundsatz, dass nach dem Kündigungsschutzgesetz die Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung betriebsweit durchzuführen ist, beim Gemeinschaftsbetrieb eine internen Abstimmung zwischen den beteiligten Vertragsarbeitgebern. Je nach Ausgestaltung der nationalen Vorschriften des Kündigungsschutzes können die nach der einen Rechtsordnung zu beachtenden Regeln nach den Regeln der anderen Rechtsordnung im Verhältnis zu den hiervon erfassten Arbeitnehmern nicht durchgesetzt werden.

d) Unabhängig von der Frage derartiger rechtlicher Kollisionen bei Annahme eines kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebes trotz Geltung unterschiedlicher nationaler Rechtsregeln fehlt es unter den vorliegenden Umständen auch an einem überzeugenden sachlichen Grund dafür, dem Kläger, welcher an sich im Kleinunternehmen der Beklagten als seinem Vertragsarbeitgeber keinen Kündigungsschutz beanspruche kann, durch Einbeziehung der bei der Konzernmutter beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer Kündigungsschutz zu verschafften.

Auch wenn man der Auffassung folgt, dass der Begriff des "Betriebes" nicht denknotwendig auf inländische Sachverhalte beschränkt ist (Junker, a.a.O. S. 377) und dementsprechend auch im Ausland gelegene Organisationseinheiten auf der Grundlage anwendbaren deutschen Arbeitsrechts als Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes und ggfls. auch als Gemeinschaftsbetrieb anzusehen sein können, bleibt doch zu beachten, dass die Anwendung der Rechtsfigur des Gemeinschaftsbetriebe allein in den Fällen mit Auslandsbeteiligung als rechtsdogmatisch folgerichtig angesehen werden kann, in welchen sämtliche am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgeber mit ihren Beschäftigen dem deutschen Arbeitsrecht (und damit im Grundsatz auch dem Kündigungsschutzgesetz) unterliegen. Unter dieser Voraussetzung bewirkt die Anerkennung eines grenzüberschreitenden Gemeinschaftsbetriebes - nicht anders als beim Inlands-Gemeinschaftsbetrieb -, dass die für den Kündigungsschutz erforderliche betriebliche Beschäftigtenzahl erreicht wird und der Geltung des deutschen Arbeitsrechts nicht allein durch Verlegung von Betriebsteilen ins Ausland ausgewichen werden kann. Demgegenüber soll nach dem hier vorliegenden Sachverhalt mit der Einbeziehung von Betriebsteilen, deren Beschäftigte ausländischem Recht unterstehen, für die in Deutschland tätigen wenigen Arbeitnehmer überhaupt erst der Schwellenwert des § 23 KSchG überschritten und Kündigungsschutz begründet werden. Hierfür ist eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich. Die rechtliche Trennung zwischen Produktions- und Vertriebsgesellschaft nimmt dem Kläger hier nicht etwa - wie im Fall eines nationalen Gemeinschaftsbetriebes - den ansonsten bestehenden Kündigungsschutz. Im Gegenteil will der Kläger den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes künstlich ausgedehnt wissen, indem er die im Ausland tätigen und ausländischen Rechtsregeln unterstellten Beschäftigten eines anderen Unternehmens kündigungsschutzrechtlich "eingemeinden" will. Mit Sinn und Zweck der Figur des kündigungsschutzrechtlichen Gemeinschaftsbetriebes steht dies nicht in Einklang.

e) Zugleich ergibt sich hieraus, dass der Hinweis des Klägers auf die verfassungsrechtlichen Probleme der Kleinbetriebsklausel hier nicht von Belang ist. Die beklagte Vertriebsgesellschaft führt nicht etwa mehrere Kleinbetriebe im In- und Ausland mit Arbeitsverhältnissen nach deutschem Recht, so dass dem Kläger bei isolierter Betrachtung der Einzelbetriebe der Kündigungsschutz vorenthalten wird, vielmehr führt die Beklagte nur einen Betrieb bzw. ist - so der Kläger - mit ihren wenigen Beschäftigten an einem größeren Betrieb eines ausländischen Unternehmens beteiligt, für dessen Beschäftigte ausländische Rechtsregeln gelten. Von einer verfassungsrechtlich zu beanstandenden Schlechterstellung des Klägers aufgrund der Kleinbetriebsklausel des Kündigungsschutzgesetzes kann danach keine Rede sein.

4. In Anbetracht der Tatsache, dass nach alledem das Kündigungsschutzgesetz nach der Anzahl der Beschäftigten auf das Arbeitsverhältnis des Klägers keine Anwendung findet, scheidet eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender sozialer Rechtfertigung aus. Andere Unwirksamkeitsgründe sind weder ersichtlich noch geltend gemacht, so dass es bei dem klageabweisenden Urteil des Arbeitsgericht sein Bewenden haben muss.

II

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat der Kläger zu tragen.

III

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers kann allein der Umstand, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum sog. Territorialitätsprinzip in dogmatisch/terminologischer Hinsicht als angreifbar erscheint, eine "grundsätzliche Bedeutung" im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht begründen.

Ende der Entscheidung

Zurück